»Bedenken wir nun, daß der Krieg von einem politischen Zweck ausgeht, so ist es natürlich, daß dieses erste Motiv, welches ihn ins Leben gerufen hat, auch die erste und höchste Rücksicht bei seiner Leitung bleibt. So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2001Gewalt als Manifestation, Schrecken ohne Botschaft
Partisanen, Guerrilleros, Terroristen: Das Abstraktwerden des Krieges und seine Eskalation / Von Jürgen Kaube
Es war vor mehr als fünfzehn Jahren, im März 1986, als die folgenden Sätze geschrieben wurden. "Die Probe aufs Exempel wäre eine terroristische Handlung, die auf jede Erklärung verzichtet, jede Rechtfertigung verweigert und ihre eigene Grundlosigkeit durch Schweigen veröffentlicht: ein leeres Attentat. Die Wirkung einer solchen Aktion wäre unermeßlich; denn sie träfe nicht nur ihr unmittelbares Opfer, sondern auch alle Sprachregelungen, die uns zur Verfügung stehen, um den Terrorismus zu ,fassen'. Wir sähen uns mit einem Schrecken konfrontiert, der zugibt, daß er um seiner selbst willen existiert, mit einem Schrecken ohne Ritual, ohne Ziel, ohne Warum, einem Terror, der von jedem ausgeübt werden und der jeden treffen kann. Wir könnten uns nicht mehr mit der Feststellung beruhigen, gemeint sei immer ein anderer, nämlich der oder jener aus diesem oder jenem Grund. Es gäbe keine Forderungen, die man erfüllen, kein Motiv mehr, auf das man eingehen könnte."
Das Exempel, auf das eine so vollbrachte Tat die Probe sein sollte, war der Mord an Olof Palme, dem schwedischen Regierungschef. Diese bis heute unaufgeklärte Tat, zu der sich niemand bekannte, deutete Hans Magnus Enzensberger in der Stockholmer Tageszeitung "Dagens Nyheter" als Beispiel für eine generelle Tendenz des zeitgenössischen Terrorismus. Dessen Loyalitäten, hielt er fest, seien immer zweifelhafter geworden, seine ideologischen Gewißheiten immer diffuser. Religiöse Fanatiker arbeiteten mit irreligiösen Obristen zusammen, die Mafia mit Logen, Anhänger der Weltrevolution mit Drogenhändlern oder islamischen Gruppen, und, so Enzensberger, für ein und denselben Mord würden CIA und KGB verantwortlich gemacht. Die Verwirrung überlieferter Frontverläufe im politischen Kampf führte Enzensberger dazu, eine "absolute Form" von Terror zu diagnostizieren, der ausgeübt wird, ohne über elaborierte Gründe zu verfügen, und dem erst nachträglich und nach Maßgabe des Erklärungsbedarfs von Betroffenen oder der Selbstdarstellungsbedürfnisse der Täter Absichten, Forderungen, Rechtfertigungen zugeordnet werden.
Terror ohne Botschaft - der sich verdichtende Eindruck, daß es sich bei dem Angriff auf New York um die Tat islamisch motivierter Attentäter handelt, kann nicht über die "Leere im Zentrum" auch dieses Terrors hinwegtäuschen. Sie macht sich nicht nur im Fehlen eines Bekennerschreibens bemerkbar. Auch die Motivzuschreibungen, die unter dem Titel "Fundamentalismus" vorgenommen werden - Antiamerikanismus, Antiimperialismus, Antiglobalisierung, Antiliberalismus -, umhüllen nur denselben Befund: daß die Programme dieses Terrorismus keine im engeren Sinne politischen sind. Es geht ihm nicht um die Verteidigung oder Eroberung eines Territoriums. Er zielt nicht auf die Schwächung seines Gegners - es sei denn, er wäre dumm genug, den Zusammenhang von maßloser Provokation und Mobilisierung zu übersehen. Er greift nicht Bastionen, sondern Symbole an, die für ihn den Vorzug haben, Menschen unter sich begraben zu können. Und es scheint nicht einmal möglich zu sein, seine Aktionen auf Konstellationen in denjenigen Konflikten zu beziehen, die ihn unmittelbar angehen könnten, wie die Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern, der Konflikt im Irak oder solche zwischen dem Westen und der Dritten Welt insgesamt. Wenn jeglicher Terrorismus, wie Bruce Hoffmann, Chefredakteur der "Studies in Conflict and Terrorism", schreibt, das Streben nach Macht enthält, dann handelt es sich hier jedenfalls um ein Machtstreben, das sich von jeder Ökonomie seiner Mittel verabschiedet hat. Die Frage, wer nach solchen Taten welchen Nutzen und welchen Machtgewinn davonträgt, bleibt einstweilen ohne Antwort.
Man mag also durchaus mit Gilbert Keith Chesterton sagen, daß es legitim ist, Hydraulik zu studieren, während Rom brennt. Aber es ist gegenwärtig ganz unklar, welches Fach angesichts der zum Einsturz gebrachten Türme des World Trade Centers zu studieren wäre. Religionswissenschaft, der Fundamentalismus? Politologie, der Imperialismus? Länderkunde des Nahen Ostens? Die Sozialpsychologie junger Männer, die zum Selbstmord aus politisch-religiösen Gründen bereit sind und sich dafür über Jahre hinweg bereithalten? Die politische Sprache des Islam? Die Irak-Politik der Vereinigten Staaten? Kulturunterschiede zwischen dem "Westen" und dem Rest? Soziale Ungleichheit im Zeitalter der Globalisierung? Die Leere im Zentrum des Terrors und die Unsichtbarkeit der Akteure führt zu Schwierigkeiten, sich mit ihm auseinanderzusetzen.
In einer solchen Lage bestehen wenig andere sinnvolle Möglichkeiten, als sich an das Unabweisbare zu halten, also an den Haß, der einer solchen Tat zugrunde liegen muß, an die nur aus Haß herzuleitende Bereitschaft, zum Äußersten zu greifen. Diese Bereitschaft bietet einen Anknüpfungspunkt in der Theorie des Krieges. Denn daß der Krieg zum Äußersten neigt, hat schon Carl von Clausewitz in seiner maßgeblichen Abhandlung "Vom Kriege" in den Mittelpunkt seiner Analysen gestellt.
Drei Gründe hat Clausewitz dafür benannt, warum ein Konflikt eskalieren kann. Das Modell, dem er dabei folgt, ist der Zweikampf. Ein Zweikampf kann eskalieren, weil in ihm derjenige auf ein Übergewicht rechnen kann, der die größere Rücksichtslosigkeit zeigt. Jeder Angriff zeigt so die Untergrenze für den Gegenangriff. "Da der Gebrauch der physischen Gewalt in ihrem ganzen Umfange die Mitwirkung der Intelligenz auf keine Weise ausschließt, so muß der, welcher sich dieser Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes bedient, ein Übergewicht bekommen, wenn der Gegner es nicht tut. Dadurch gibt jeder dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum äußersten, ohne daß es andere Schranken gäbe als die der innewohnenden Gegengewichte." Einen zweiten Grund für Eskalation findet Clausewitz in mangelnder Kenntnis der Beteiligten voneinander. Erst der Sieg bestimmt genau, wie weit die Beteiligten zu gehen bereit waren. "Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muß ich fürchten, daß er mich niederwirft, ich bin also nicht mehr Herr meiner. sondern er gibt mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe." Und schließlich ist auch die Undurchschaubarkeit der gegnerischen Motivstärke ein Grund, sich weiter hinauszuwagen, als man es in Kenntnis derselben täte.
Jeder Krieg, dessen Beteiligte ungefähr gleich stark sind, würde nach dieser Logik eskalieren. Die Gestalt des klassischen, durch Rechtsnormen begrenzten Krieges läßt sich wie eine Lösung dieser Eskalationsproblematik deuten. Clausewitz selbst nannte drei dem modernen Krieg immanente Faktoren, die der Entgrenzung von Gewalt entgegenwirken: daß sich die Gegner kennen und also aus getanen Taten Erwartungen übereinander bilden können; daß jede unterlassene Feindseligkeit auch den Gegner zu Unterlassungen geneigt macht; daß schließlich drittens und am wichtigsten jede Aktion im Krieg nur als vorläufige Tat betrachtet wird, "ein vorübergehendes Übel, für welches in späteren Zeiten noch eine politische Abhilfe gewonnen werden kann". Wenn im Hintergrund des Krieges Politik steht, wird er ebendadurch begrenzt. Oder, stärker auf die gegenwärtige Lage hin formuliert: In dem Maße, in dem die Beteiligten über eine politische Sprache zur Beschreibung der zum Krieg motivierenden Tatbestände verfügen, können "absolute Kriege" vermieden werden. Wieviel Rationalität aber läßt sich aus Worten wie "Zivilisation", "Kultur", "Islam", "Westen" oder "Antiglobalisierung" gewinnen?
Historisch war es die Verstaatlichung des Krieges, durch die seine Eingrenzung vorgenommen wurde. Der Staat ist eine Adresse und verfügte über sichtbare Organisationen, was ihn als Kandidaten für politische Rationalität und erwartbares Verhalten qualifizierte. Der Zugang zum Krieg wurde entsprechend limitiert: Nur Staaten können ihn führen, und innerhalb der Staaten werden die dazu berechtigten Bürger als Soldaten ausgegliedert, in Uniformen gesteckt und eigener Disziplin unterworfen. Die Rechtfertigung des Krieges hatte über staatliche Interessen zu laufen. Nichtstaatliche Ansprüche, eine gerechte Sache zu vertreten, wurden an die Gerichte verwiesen. Wer sie mit kriegerischer Gewalt ausstattete, wurde zum Verbrecher erklärt, im besten Fall zu einem des Typus Michael Kohlhaas. In den Kriegen selbst sollte die Zivilbevölkerung in Ruhe gelassen werden. Waffen waren offen zu tragen. Der Krieg war ein punktuelles, lokal begrenztes Ereignis, ein außernormaler Zustand, in den man auch nicht durch Zufall hineingeraten konnte. Für den außernormalen Zustand selber wurde Recht geschaffen. Angefangen mit der Pariser Deklaration von 1856 zur Regelung des Seehandels in Kriegszeiten über die Haager Landkriegsordnung von 1907 bis hin zur Genfer Konventionen von 1949 entwickelt sich das internationale Recht der Kriegsführung.
Es war die welthistorische Gestalt des Partisanen, die solche Regularien durchkreuzte. In seiner "Theorie des Partisanen" von 1963 hat Carl Schmitt unterstrichen, daß sich der "moderne" Guerrillero, wie er im Kampf der Spanier gegen die napoleonischen Besatzer hervortrat, außerhalb solcher Einhegungen des Kriegsgeschehens stellt. Wie die reguläre Armee ordnet er seine Gewaltakte politischen Absichten unter, die er mit noch größerer Intensität verfolgt, als es Soldaten für gewöhnlich tun; vor allem aber unterscheiden ihn diese Absichten vom bloßen Mörder oder Räuber. Zwischen staatliche Gewalt und Verbrechen tritt der Partisan als ein vom Kriegsrecht zunächst ausgeschlossener Dritter. Er verzichtet auf Uniform, gibt sich frühestens im Augenblick der Tat zu erkennen, bezieht die Bevölkerung in seine Aktionen mit ein, unterläuft Kapitulationen und gewinnt durch all dies eine, wie Carl Schmitt formuliert, "gesteigerte Mobilität des aktiven Kampfes", die ihm aus der Nichtbeachtung von Regularien erwächst.
Solche Irregularität neigt zur Eskalation, Partisanenkämpfe gelten als besonders grausam. Das Ziel des Partisanen aber blieb ein reguläres: die feindliche Armee. Im Bürgerkrieg und im Kolonialkrieg, den beiden typischen Erscheinungsfeldern des Partisanen, gilt sie ihm als illegitime Besatzungsmacht. Und eben hieraus gewinnt der "moderne" Partisan für Schmitt seine eigenen, wenn man so will deeskalierenden Maßstäbe im Krieg: Er bezieht sie aus der Tatsache, daß er seine eigene Situation als eine defensive, landesverteidigende beschreibt. Fremde Armeen aus dem Land zu treiben, ihnen die Besatzung verlustreich zu machen, Kolonisatoren, Statthalter, eingesetzte Oberschichten zu bekämpfen - der Partisan, der sich außerhalb des geltenden Kriegsrechtes stellt, setzt diesem das Recht des Autochtonen entgegen. Gebirge, Wald, Dschungel sind also nicht nur dem Partisanenkampf günstige, seine Beweglichkeit und Ortskenntnis ins Spiel bringende Areale, sondern als "Heimat" auch der mythologische Hintergrund dieser Form des Krieges. Als "irregulären Kampf der Bauern" hat denn auch Ernesto Che Guevara den Guerillakrieg bezeichnet.
Wie sehr solche Beschreibungen aus den Kolonialkriegen des letzten Jahrhunderts auch heute noch die Vorstellungen prägen, wird an einer eigentümlichen Sprachregelung erkennbar. Es ist aufgefallen, daß sich in den letzten Jahrzehnten Kriege besonderen Charakters mehren. In Somalia und Ruanda, zwischen Armenien und Aserbeidschan, auf dem Balkan oder dem indischen Subkontinent beispielsweise sind Konflikte entbrannt, die zahllose Eigenschaften mit dem Guerrillakrieg teilen und in denen die Beteiligten vor terroritischem Verhalten nicht zurückschrecken. Diese neuen Kriege sind in der Sprache amerikanischer Militärtheoretiker als "low intensity conflicts", Konflikte mit geringer Intensität, bezeichnet worden.
Man erkennt dieser Tage, wie sehr eine solche Bezeichnung davon abhängig war, daß jene von Guerrilla und Terrorismus bestimmten Konflikte das Territorium der Vereinigten Staaten nicht berührten. Denn die "geringe Intensität", die solchen Kriegen zugeschrieben wurde, konnte sich ja nicht auf den Mitteleinsatz in ihnen oder die Grausamkeit, mit der sie geführt werden, beziehen, sondern nur auf die lokale Eingrenzung des Kriegsgebietes. Und genau hier erkennt man die Deutung von Carl Schmitt wieder: Der Partisan ist insofern an Konflikten mit "geringer Intensität" beteiligt, als sich seine immense Einsatzbereitschaft doch an restaurative Zwecke wendet, die Rückeroberung eines Territoriums, die Beseitigung angemaßter Fremdherrschaft.
Die Leere im Zentrum des Angriffs von New York ist eine Leere auch in dieser Hinsicht. Schon die einfache Frage, welches Land sich hier wofür gerächt hat oder gerächt wurde, ist sinnlos. Daß die Täter aus der Luft attackierten, wirkt wie ein Symbol. Schon Carl Schmitt wies darauf hin, daß der agrarische, tellurische Charakter des Partisanenkampfes historisch zurücktritt, wenn der autochtone Partisan zum "motorisierten Partisan" wird. Der Motor, der 1963 noch eine treffende Metapher für die technologischen Veränderungen der Kriegsführung erscheinen mußte, ist inzwischen ersetzt worden. Die Fähigkeit, Flugzeuge zu lenken, Kenntnisse über aeronautische Sicherungssysteme und Möglichkeiten der Luftabwehr, ein Bewußtsein der Spuren, die man in Datennetzwerken hinterläßt, die Koordination von Aktionen über Mobiltelephone und das Inrechnungstellen solcher Kommunikationsmittel auf der anderen Seite kamen offenbar zusammen. Sollte der Massenmord in New York tatsächlich auch noch von vorhergehenden Finanzspekulationen im Täterumkreis begleitet worden sein, würde dies den Gestaltwandel des Partisanen unterstreichen: Einen gewissermaßen agrarisch-antikapitalistischen Abscheu vor den Aktienmärkten wird man Tätern, die sie zur Selbstfinanzierung ihres Terrors nutzen, kaum abnehmen. "Wie aber, wenn es einem Menschen-Typus, der bisher den Partisanen lieferte, gelingt, sich an die technisch-industrielle Umwelt anzupassen, sich der neuen Mittel zu bedienen und eine neue, angepaßte Art von Partisanen, sagen wir Industrie-Partisanen zu entwickeln?"(Carl Schmitt).
Bereits für die Konflikte auf dem Balkan oder in Ruanda galt, was Mary Kaldor in ihrem Buch über organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung festhält: Die neuen Kriege sind gerade nicht lokal begrenzt. Sie sind auf eine neue Weise Weltkriege, weil die ganze Weltbevölkerung an ihnen teilnimmt: als Fernsehzuschauer, als Absender von Schutztruppen der Vereinten Nationen, als Bewohner der Standorte von Waffenexporteuren, als Migranten, als Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen zu ihrer Beobachtung. Dabei darf man sich nicht durch die Tatsache verwirren lassen, daß diese Kriege auf der Basis scheinbar althergebrachter Gewißheiten geführt werden: Stamm, Nation, Religion. "Die Idee eines Heimatlands der Sikhs, Khalistan, die Vorstellung einer Vereinigung Mazedoniens und Bulgariens, der Ruf nach einem unabhängigen Ruthenien - all dies hatte seinen Ursprung bei Diasporagemeinschaften in Kanada", formuliert Kaldor, um das Abstraktwerden auch dieser Quellen der Gewaltbereitschaft zu kennzeichnen. Sentimentale Exilanten, weit herumgekommene Söldner, politisierte Studenten im akademischen Austausch, mit Schuldgefühlen belastete Außenseiter im fremden Land, die sich zur Kompensation einem Diaspora-Nationalismus hingeben, in dem Folklore und Aggressivität verbunden sind - das sozialpsychologische Rekrutierungspotential für solche Netzwerke der Unterstützung fundamentalistischer Opposition ist viel zu groß, um den Fundamentalismus nicht als aggressive Variante weltbürgerlichen Relativismus' erkennbar werden zu lassen.
Im Anschlag auf New York manifestiert sich dieses Abstraktwerden der Motive zur Kriegsführung. Der Krieg selber wird restlos zur Manifestation von Wut und gibt nicht mehr als die Bereitschaft zur Vernichtung zu erkennen, die er selber ist. In den Analysen Carl Schmitts war statt dieser Möglichkeit von einer Entgrenzung des Partisanenkrieges durch universalistische Ideologien, vor allem der kommunistischen, die Rede. Doch auch jene motorisierten und durch Lenin geschulten Partisanen kannten einen sinnvollen Abschluß ihrer Kriege. Der Auszug der Besatzer, die Abschaffung des Privateigentums auf einem Territorium, die Installation einer Parteiherrschaft auf demselben - so viel Schrecken von solchen Vorstellungen auch ausging, mit einer so motivierten Kriegspartei waren Gebietsteilungen, Waffenstillstände, Friedensschlüsse möglich.
Jetzt gibt es, mit den Worten Enzensbergers, tatsächlich keine Forderung mehr, die erfüllt werden könnte. Denn was den Tätern allenfalls vorschweben mag, eine ganz und gar islamische Welt ohne den Westen, kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein; nicht zuletzt, weil das "System", das sie dann meinten, nicht auf Politik beruht. Die Gesellschaft als Ganze ist kein Gegenstand möglicher politischer Entscheidungen - was der New Yorker Terroranschlag insofern anerkennt, als er durch sein Ausmaß und die verweigerte Erkennbarkeit seiner Auftraggeber jene von Clausewitz bezeichnete Möglichkeit ausschließt, als ein "vorübergehendes Übel" auf politische Abhilfe zu verweisen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Partisanen, Guerrilleros, Terroristen: Das Abstraktwerden des Krieges und seine Eskalation / Von Jürgen Kaube
Es war vor mehr als fünfzehn Jahren, im März 1986, als die folgenden Sätze geschrieben wurden. "Die Probe aufs Exempel wäre eine terroristische Handlung, die auf jede Erklärung verzichtet, jede Rechtfertigung verweigert und ihre eigene Grundlosigkeit durch Schweigen veröffentlicht: ein leeres Attentat. Die Wirkung einer solchen Aktion wäre unermeßlich; denn sie träfe nicht nur ihr unmittelbares Opfer, sondern auch alle Sprachregelungen, die uns zur Verfügung stehen, um den Terrorismus zu ,fassen'. Wir sähen uns mit einem Schrecken konfrontiert, der zugibt, daß er um seiner selbst willen existiert, mit einem Schrecken ohne Ritual, ohne Ziel, ohne Warum, einem Terror, der von jedem ausgeübt werden und der jeden treffen kann. Wir könnten uns nicht mehr mit der Feststellung beruhigen, gemeint sei immer ein anderer, nämlich der oder jener aus diesem oder jenem Grund. Es gäbe keine Forderungen, die man erfüllen, kein Motiv mehr, auf das man eingehen könnte."
Das Exempel, auf das eine so vollbrachte Tat die Probe sein sollte, war der Mord an Olof Palme, dem schwedischen Regierungschef. Diese bis heute unaufgeklärte Tat, zu der sich niemand bekannte, deutete Hans Magnus Enzensberger in der Stockholmer Tageszeitung "Dagens Nyheter" als Beispiel für eine generelle Tendenz des zeitgenössischen Terrorismus. Dessen Loyalitäten, hielt er fest, seien immer zweifelhafter geworden, seine ideologischen Gewißheiten immer diffuser. Religiöse Fanatiker arbeiteten mit irreligiösen Obristen zusammen, die Mafia mit Logen, Anhänger der Weltrevolution mit Drogenhändlern oder islamischen Gruppen, und, so Enzensberger, für ein und denselben Mord würden CIA und KGB verantwortlich gemacht. Die Verwirrung überlieferter Frontverläufe im politischen Kampf führte Enzensberger dazu, eine "absolute Form" von Terror zu diagnostizieren, der ausgeübt wird, ohne über elaborierte Gründe zu verfügen, und dem erst nachträglich und nach Maßgabe des Erklärungsbedarfs von Betroffenen oder der Selbstdarstellungsbedürfnisse der Täter Absichten, Forderungen, Rechtfertigungen zugeordnet werden.
Terror ohne Botschaft - der sich verdichtende Eindruck, daß es sich bei dem Angriff auf New York um die Tat islamisch motivierter Attentäter handelt, kann nicht über die "Leere im Zentrum" auch dieses Terrors hinwegtäuschen. Sie macht sich nicht nur im Fehlen eines Bekennerschreibens bemerkbar. Auch die Motivzuschreibungen, die unter dem Titel "Fundamentalismus" vorgenommen werden - Antiamerikanismus, Antiimperialismus, Antiglobalisierung, Antiliberalismus -, umhüllen nur denselben Befund: daß die Programme dieses Terrorismus keine im engeren Sinne politischen sind. Es geht ihm nicht um die Verteidigung oder Eroberung eines Territoriums. Er zielt nicht auf die Schwächung seines Gegners - es sei denn, er wäre dumm genug, den Zusammenhang von maßloser Provokation und Mobilisierung zu übersehen. Er greift nicht Bastionen, sondern Symbole an, die für ihn den Vorzug haben, Menschen unter sich begraben zu können. Und es scheint nicht einmal möglich zu sein, seine Aktionen auf Konstellationen in denjenigen Konflikten zu beziehen, die ihn unmittelbar angehen könnten, wie die Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern, der Konflikt im Irak oder solche zwischen dem Westen und der Dritten Welt insgesamt. Wenn jeglicher Terrorismus, wie Bruce Hoffmann, Chefredakteur der "Studies in Conflict and Terrorism", schreibt, das Streben nach Macht enthält, dann handelt es sich hier jedenfalls um ein Machtstreben, das sich von jeder Ökonomie seiner Mittel verabschiedet hat. Die Frage, wer nach solchen Taten welchen Nutzen und welchen Machtgewinn davonträgt, bleibt einstweilen ohne Antwort.
Man mag also durchaus mit Gilbert Keith Chesterton sagen, daß es legitim ist, Hydraulik zu studieren, während Rom brennt. Aber es ist gegenwärtig ganz unklar, welches Fach angesichts der zum Einsturz gebrachten Türme des World Trade Centers zu studieren wäre. Religionswissenschaft, der Fundamentalismus? Politologie, der Imperialismus? Länderkunde des Nahen Ostens? Die Sozialpsychologie junger Männer, die zum Selbstmord aus politisch-religiösen Gründen bereit sind und sich dafür über Jahre hinweg bereithalten? Die politische Sprache des Islam? Die Irak-Politik der Vereinigten Staaten? Kulturunterschiede zwischen dem "Westen" und dem Rest? Soziale Ungleichheit im Zeitalter der Globalisierung? Die Leere im Zentrum des Terrors und die Unsichtbarkeit der Akteure führt zu Schwierigkeiten, sich mit ihm auseinanderzusetzen.
In einer solchen Lage bestehen wenig andere sinnvolle Möglichkeiten, als sich an das Unabweisbare zu halten, also an den Haß, der einer solchen Tat zugrunde liegen muß, an die nur aus Haß herzuleitende Bereitschaft, zum Äußersten zu greifen. Diese Bereitschaft bietet einen Anknüpfungspunkt in der Theorie des Krieges. Denn daß der Krieg zum Äußersten neigt, hat schon Carl von Clausewitz in seiner maßgeblichen Abhandlung "Vom Kriege" in den Mittelpunkt seiner Analysen gestellt.
Drei Gründe hat Clausewitz dafür benannt, warum ein Konflikt eskalieren kann. Das Modell, dem er dabei folgt, ist der Zweikampf. Ein Zweikampf kann eskalieren, weil in ihm derjenige auf ein Übergewicht rechnen kann, der die größere Rücksichtslosigkeit zeigt. Jeder Angriff zeigt so die Untergrenze für den Gegenangriff. "Da der Gebrauch der physischen Gewalt in ihrem ganzen Umfange die Mitwirkung der Intelligenz auf keine Weise ausschließt, so muß der, welcher sich dieser Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes bedient, ein Übergewicht bekommen, wenn der Gegner es nicht tut. Dadurch gibt jeder dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum äußersten, ohne daß es andere Schranken gäbe als die der innewohnenden Gegengewichte." Einen zweiten Grund für Eskalation findet Clausewitz in mangelnder Kenntnis der Beteiligten voneinander. Erst der Sieg bestimmt genau, wie weit die Beteiligten zu gehen bereit waren. "Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muß ich fürchten, daß er mich niederwirft, ich bin also nicht mehr Herr meiner. sondern er gibt mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe." Und schließlich ist auch die Undurchschaubarkeit der gegnerischen Motivstärke ein Grund, sich weiter hinauszuwagen, als man es in Kenntnis derselben täte.
Jeder Krieg, dessen Beteiligte ungefähr gleich stark sind, würde nach dieser Logik eskalieren. Die Gestalt des klassischen, durch Rechtsnormen begrenzten Krieges läßt sich wie eine Lösung dieser Eskalationsproblematik deuten. Clausewitz selbst nannte drei dem modernen Krieg immanente Faktoren, die der Entgrenzung von Gewalt entgegenwirken: daß sich die Gegner kennen und also aus getanen Taten Erwartungen übereinander bilden können; daß jede unterlassene Feindseligkeit auch den Gegner zu Unterlassungen geneigt macht; daß schließlich drittens und am wichtigsten jede Aktion im Krieg nur als vorläufige Tat betrachtet wird, "ein vorübergehendes Übel, für welches in späteren Zeiten noch eine politische Abhilfe gewonnen werden kann". Wenn im Hintergrund des Krieges Politik steht, wird er ebendadurch begrenzt. Oder, stärker auf die gegenwärtige Lage hin formuliert: In dem Maße, in dem die Beteiligten über eine politische Sprache zur Beschreibung der zum Krieg motivierenden Tatbestände verfügen, können "absolute Kriege" vermieden werden. Wieviel Rationalität aber läßt sich aus Worten wie "Zivilisation", "Kultur", "Islam", "Westen" oder "Antiglobalisierung" gewinnen?
Historisch war es die Verstaatlichung des Krieges, durch die seine Eingrenzung vorgenommen wurde. Der Staat ist eine Adresse und verfügte über sichtbare Organisationen, was ihn als Kandidaten für politische Rationalität und erwartbares Verhalten qualifizierte. Der Zugang zum Krieg wurde entsprechend limitiert: Nur Staaten können ihn führen, und innerhalb der Staaten werden die dazu berechtigten Bürger als Soldaten ausgegliedert, in Uniformen gesteckt und eigener Disziplin unterworfen. Die Rechtfertigung des Krieges hatte über staatliche Interessen zu laufen. Nichtstaatliche Ansprüche, eine gerechte Sache zu vertreten, wurden an die Gerichte verwiesen. Wer sie mit kriegerischer Gewalt ausstattete, wurde zum Verbrecher erklärt, im besten Fall zu einem des Typus Michael Kohlhaas. In den Kriegen selbst sollte die Zivilbevölkerung in Ruhe gelassen werden. Waffen waren offen zu tragen. Der Krieg war ein punktuelles, lokal begrenztes Ereignis, ein außernormaler Zustand, in den man auch nicht durch Zufall hineingeraten konnte. Für den außernormalen Zustand selber wurde Recht geschaffen. Angefangen mit der Pariser Deklaration von 1856 zur Regelung des Seehandels in Kriegszeiten über die Haager Landkriegsordnung von 1907 bis hin zur Genfer Konventionen von 1949 entwickelt sich das internationale Recht der Kriegsführung.
Es war die welthistorische Gestalt des Partisanen, die solche Regularien durchkreuzte. In seiner "Theorie des Partisanen" von 1963 hat Carl Schmitt unterstrichen, daß sich der "moderne" Guerrillero, wie er im Kampf der Spanier gegen die napoleonischen Besatzer hervortrat, außerhalb solcher Einhegungen des Kriegsgeschehens stellt. Wie die reguläre Armee ordnet er seine Gewaltakte politischen Absichten unter, die er mit noch größerer Intensität verfolgt, als es Soldaten für gewöhnlich tun; vor allem aber unterscheiden ihn diese Absichten vom bloßen Mörder oder Räuber. Zwischen staatliche Gewalt und Verbrechen tritt der Partisan als ein vom Kriegsrecht zunächst ausgeschlossener Dritter. Er verzichtet auf Uniform, gibt sich frühestens im Augenblick der Tat zu erkennen, bezieht die Bevölkerung in seine Aktionen mit ein, unterläuft Kapitulationen und gewinnt durch all dies eine, wie Carl Schmitt formuliert, "gesteigerte Mobilität des aktiven Kampfes", die ihm aus der Nichtbeachtung von Regularien erwächst.
Solche Irregularität neigt zur Eskalation, Partisanenkämpfe gelten als besonders grausam. Das Ziel des Partisanen aber blieb ein reguläres: die feindliche Armee. Im Bürgerkrieg und im Kolonialkrieg, den beiden typischen Erscheinungsfeldern des Partisanen, gilt sie ihm als illegitime Besatzungsmacht. Und eben hieraus gewinnt der "moderne" Partisan für Schmitt seine eigenen, wenn man so will deeskalierenden Maßstäbe im Krieg: Er bezieht sie aus der Tatsache, daß er seine eigene Situation als eine defensive, landesverteidigende beschreibt. Fremde Armeen aus dem Land zu treiben, ihnen die Besatzung verlustreich zu machen, Kolonisatoren, Statthalter, eingesetzte Oberschichten zu bekämpfen - der Partisan, der sich außerhalb des geltenden Kriegsrechtes stellt, setzt diesem das Recht des Autochtonen entgegen. Gebirge, Wald, Dschungel sind also nicht nur dem Partisanenkampf günstige, seine Beweglichkeit und Ortskenntnis ins Spiel bringende Areale, sondern als "Heimat" auch der mythologische Hintergrund dieser Form des Krieges. Als "irregulären Kampf der Bauern" hat denn auch Ernesto Che Guevara den Guerillakrieg bezeichnet.
Wie sehr solche Beschreibungen aus den Kolonialkriegen des letzten Jahrhunderts auch heute noch die Vorstellungen prägen, wird an einer eigentümlichen Sprachregelung erkennbar. Es ist aufgefallen, daß sich in den letzten Jahrzehnten Kriege besonderen Charakters mehren. In Somalia und Ruanda, zwischen Armenien und Aserbeidschan, auf dem Balkan oder dem indischen Subkontinent beispielsweise sind Konflikte entbrannt, die zahllose Eigenschaften mit dem Guerrillakrieg teilen und in denen die Beteiligten vor terroritischem Verhalten nicht zurückschrecken. Diese neuen Kriege sind in der Sprache amerikanischer Militärtheoretiker als "low intensity conflicts", Konflikte mit geringer Intensität, bezeichnet worden.
Man erkennt dieser Tage, wie sehr eine solche Bezeichnung davon abhängig war, daß jene von Guerrilla und Terrorismus bestimmten Konflikte das Territorium der Vereinigten Staaten nicht berührten. Denn die "geringe Intensität", die solchen Kriegen zugeschrieben wurde, konnte sich ja nicht auf den Mitteleinsatz in ihnen oder die Grausamkeit, mit der sie geführt werden, beziehen, sondern nur auf die lokale Eingrenzung des Kriegsgebietes. Und genau hier erkennt man die Deutung von Carl Schmitt wieder: Der Partisan ist insofern an Konflikten mit "geringer Intensität" beteiligt, als sich seine immense Einsatzbereitschaft doch an restaurative Zwecke wendet, die Rückeroberung eines Territoriums, die Beseitigung angemaßter Fremdherrschaft.
Die Leere im Zentrum des Angriffs von New York ist eine Leere auch in dieser Hinsicht. Schon die einfache Frage, welches Land sich hier wofür gerächt hat oder gerächt wurde, ist sinnlos. Daß die Täter aus der Luft attackierten, wirkt wie ein Symbol. Schon Carl Schmitt wies darauf hin, daß der agrarische, tellurische Charakter des Partisanenkampfes historisch zurücktritt, wenn der autochtone Partisan zum "motorisierten Partisan" wird. Der Motor, der 1963 noch eine treffende Metapher für die technologischen Veränderungen der Kriegsführung erscheinen mußte, ist inzwischen ersetzt worden. Die Fähigkeit, Flugzeuge zu lenken, Kenntnisse über aeronautische Sicherungssysteme und Möglichkeiten der Luftabwehr, ein Bewußtsein der Spuren, die man in Datennetzwerken hinterläßt, die Koordination von Aktionen über Mobiltelephone und das Inrechnungstellen solcher Kommunikationsmittel auf der anderen Seite kamen offenbar zusammen. Sollte der Massenmord in New York tatsächlich auch noch von vorhergehenden Finanzspekulationen im Täterumkreis begleitet worden sein, würde dies den Gestaltwandel des Partisanen unterstreichen: Einen gewissermaßen agrarisch-antikapitalistischen Abscheu vor den Aktienmärkten wird man Tätern, die sie zur Selbstfinanzierung ihres Terrors nutzen, kaum abnehmen. "Wie aber, wenn es einem Menschen-Typus, der bisher den Partisanen lieferte, gelingt, sich an die technisch-industrielle Umwelt anzupassen, sich der neuen Mittel zu bedienen und eine neue, angepaßte Art von Partisanen, sagen wir Industrie-Partisanen zu entwickeln?"(Carl Schmitt).
Bereits für die Konflikte auf dem Balkan oder in Ruanda galt, was Mary Kaldor in ihrem Buch über organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung festhält: Die neuen Kriege sind gerade nicht lokal begrenzt. Sie sind auf eine neue Weise Weltkriege, weil die ganze Weltbevölkerung an ihnen teilnimmt: als Fernsehzuschauer, als Absender von Schutztruppen der Vereinten Nationen, als Bewohner der Standorte von Waffenexporteuren, als Migranten, als Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen zu ihrer Beobachtung. Dabei darf man sich nicht durch die Tatsache verwirren lassen, daß diese Kriege auf der Basis scheinbar althergebrachter Gewißheiten geführt werden: Stamm, Nation, Religion. "Die Idee eines Heimatlands der Sikhs, Khalistan, die Vorstellung einer Vereinigung Mazedoniens und Bulgariens, der Ruf nach einem unabhängigen Ruthenien - all dies hatte seinen Ursprung bei Diasporagemeinschaften in Kanada", formuliert Kaldor, um das Abstraktwerden auch dieser Quellen der Gewaltbereitschaft zu kennzeichnen. Sentimentale Exilanten, weit herumgekommene Söldner, politisierte Studenten im akademischen Austausch, mit Schuldgefühlen belastete Außenseiter im fremden Land, die sich zur Kompensation einem Diaspora-Nationalismus hingeben, in dem Folklore und Aggressivität verbunden sind - das sozialpsychologische Rekrutierungspotential für solche Netzwerke der Unterstützung fundamentalistischer Opposition ist viel zu groß, um den Fundamentalismus nicht als aggressive Variante weltbürgerlichen Relativismus' erkennbar werden zu lassen.
Im Anschlag auf New York manifestiert sich dieses Abstraktwerden der Motive zur Kriegsführung. Der Krieg selber wird restlos zur Manifestation von Wut und gibt nicht mehr als die Bereitschaft zur Vernichtung zu erkennen, die er selber ist. In den Analysen Carl Schmitts war statt dieser Möglichkeit von einer Entgrenzung des Partisanenkrieges durch universalistische Ideologien, vor allem der kommunistischen, die Rede. Doch auch jene motorisierten und durch Lenin geschulten Partisanen kannten einen sinnvollen Abschluß ihrer Kriege. Der Auszug der Besatzer, die Abschaffung des Privateigentums auf einem Territorium, die Installation einer Parteiherrschaft auf demselben - so viel Schrecken von solchen Vorstellungen auch ausging, mit einer so motivierten Kriegspartei waren Gebietsteilungen, Waffenstillstände, Friedensschlüsse möglich.
Jetzt gibt es, mit den Worten Enzensbergers, tatsächlich keine Forderung mehr, die erfüllt werden könnte. Denn was den Tätern allenfalls vorschweben mag, eine ganz und gar islamische Welt ohne den Westen, kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein; nicht zuletzt, weil das "System", das sie dann meinten, nicht auf Politik beruht. Die Gesellschaft als Ganze ist kein Gegenstand möglicher politischer Entscheidungen - was der New Yorker Terroranschlag insofern anerkennt, als er durch sein Ausmaß und die verweigerte Erkennbarkeit seiner Auftraggeber jene von Clausewitz bezeichnete Möglichkeit ausschließt, als ein "vorübergehendes Übel" auf politische Abhilfe zu verweisen.
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