Malerische Landschaften, idyllische Weingüter, romantische Burgen und Schlösser prägen unser Bild vom Rheingau.In diesem Band richtet der Oestrich-Winkeler Historiker Walter Hell, der sich mit zahlreichen lokalgeschichtlichen Publikationen zur Geschichte des Rheingaus einen Namen gemacht hat, den Blick des Lesers hinter die Kulissen. Spannend und fundiert schildert er die Geschichte der Region vor allem zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert. 20 bisher teilweise unveröffentlichte Aufsätze beleuchten die Kulturgeschichte und die Auswirkungen der großen Politik auf regionaler Ebene. Sie porträtieren bedeutende Persönlichkeiten wie den Forscher Georg Forster und die Rheingauer Jakobiner. Der Leser taucht ein die Ereignisse des Vormärz und der Revolution von 1848/49, der Weimarer Republik oder des Nationalsozialismus und erhält einen Einblick in das Alltagsleben der Rheingauer. Diese spannende Zeitreise macht die Geschichte der Region wieder lebendig: ein Muss für alle Freunde des Rheingaus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2009Lehrer in Armut
Texte zur Rheingauer Geschichte
Lehrer ein Traumberuf? Berichte über Frühverrentung legen den Eindruck nahe, erst in heutiger Zeit habe der Lehrerberuf wegen großer Klassen, hohen Leistungsdrucks und immer mehr verhaltensauffälliger, aggressiver Schüler an Attraktivität verloren. Doch der Eindruck trügt. In der wilhelminischen Zeit mag das Ansehen der Pädagogen womöglich größer als heute gewesen sein, doch ihre finanzielle Lage war erbärmlich. Nach den Recherchen des Heimatforschers Walter Hell so erbärmlich, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht wenige Lehrer auswanderten. Hell zitiert einen Schulmeister, der 1873 im "Schulboten" klagte: "Nur ein Riese an Geisteskraft und Körperkraft" sei zu dieser Arbeit überhaupt in der Lage. Erst durch das Diensteinkommensgesetz von 1897 wurden Lehrer zu Beamten. Die gesicherte Altersversorgung war 1885 durch ein Pensionsgesetz eingeführt worden. Ein Lehrer in Rüdesheim bezog 1899 ein Mindestgehalt von 1200 Reichsmark im Jahr, seine Kollegin aber nur 1050 Reichsmark. Das war nicht eben üppig, denn ein bürgerliches Jahreseinkommen betrug rund 4800 Reichsmark.
Hell beleuchtet in seinen gesammelten Aufsätzen zur Rheingauer Geschichte aber nicht nur das Schulwesen zwischen Lorch und Walluf, sondern beschreibt anschaulich die Parteienlandschaft im Rheingau in der Weimarer Republik, porträtiert bedeutsame Persönlichkeiten oder beschreibt, wie sich die Rheingauer angesichts der verheerenden Fieberepidemie im Winter 1813 nach Überzeugung des Amtsarztes am besten verhalten sollten: "Wer unter Kranken seyn muß, der gehe nie nüchtern hin, sondern nehme vorher ein Glas Wein oder Brandenwein, worin Wermuth oder Calmus geweicht worden, und ein starkes Frühstück von kaltem oder gesalzenem Fleisch oder Wurst zu sich." Ob dadurch Ansteckungen vermieden wurden, ist allerdings nicht überliefert.
OLIVER BOCK
Walter Hell: Vom Mainzer Rad zum hessischen Löwen. Aufsätze zur Rheingauer Geschichte. Reihe Heimatarchiv, Sutton Verlag Erfurt 2009, 18,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Texte zur Rheingauer Geschichte
Lehrer ein Traumberuf? Berichte über Frühverrentung legen den Eindruck nahe, erst in heutiger Zeit habe der Lehrerberuf wegen großer Klassen, hohen Leistungsdrucks und immer mehr verhaltensauffälliger, aggressiver Schüler an Attraktivität verloren. Doch der Eindruck trügt. In der wilhelminischen Zeit mag das Ansehen der Pädagogen womöglich größer als heute gewesen sein, doch ihre finanzielle Lage war erbärmlich. Nach den Recherchen des Heimatforschers Walter Hell so erbärmlich, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht wenige Lehrer auswanderten. Hell zitiert einen Schulmeister, der 1873 im "Schulboten" klagte: "Nur ein Riese an Geisteskraft und Körperkraft" sei zu dieser Arbeit überhaupt in der Lage. Erst durch das Diensteinkommensgesetz von 1897 wurden Lehrer zu Beamten. Die gesicherte Altersversorgung war 1885 durch ein Pensionsgesetz eingeführt worden. Ein Lehrer in Rüdesheim bezog 1899 ein Mindestgehalt von 1200 Reichsmark im Jahr, seine Kollegin aber nur 1050 Reichsmark. Das war nicht eben üppig, denn ein bürgerliches Jahreseinkommen betrug rund 4800 Reichsmark.
Hell beleuchtet in seinen gesammelten Aufsätzen zur Rheingauer Geschichte aber nicht nur das Schulwesen zwischen Lorch und Walluf, sondern beschreibt anschaulich die Parteienlandschaft im Rheingau in der Weimarer Republik, porträtiert bedeutsame Persönlichkeiten oder beschreibt, wie sich die Rheingauer angesichts der verheerenden Fieberepidemie im Winter 1813 nach Überzeugung des Amtsarztes am besten verhalten sollten: "Wer unter Kranken seyn muß, der gehe nie nüchtern hin, sondern nehme vorher ein Glas Wein oder Brandenwein, worin Wermuth oder Calmus geweicht worden, und ein starkes Frühstück von kaltem oder gesalzenem Fleisch oder Wurst zu sich." Ob dadurch Ansteckungen vermieden wurden, ist allerdings nicht überliefert.
OLIVER BOCK
Walter Hell: Vom Mainzer Rad zum hessischen Löwen. Aufsätze zur Rheingauer Geschichte. Reihe Heimatarchiv, Sutton Verlag Erfurt 2009, 18,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main