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Mit diesem Buch liegt nun erstmals eine Geschichte der deutschen Museen im 19. Jh. vor, welche durch ihre sozialgeschichtliche und didaktische Problemorientierung auch einen Beitrag zur gegenwärtigen Museumsdebatte liefert. Hochreiters Beitrag zur Frage des Geschichtlichen im Museum behandelt vier Museen exemplarisch: das Alte Museum Berlin, das Germanische Nationalmuseum Nürnberg, das Historische Museum Frankfurt am Main und das Deutsche Museum München.

Produktbeschreibung
Mit diesem Buch liegt nun erstmals eine Geschichte der deutschen Museen im 19. Jh. vor, welche durch ihre sozialgeschichtliche und didaktische Problemorientierung auch einen Beitrag zur gegenwärtigen Museumsdebatte liefert. Hochreiters Beitrag zur Frage des Geschichtlichen im Museum behandelt vier Museen exemplarisch: das Alte Museum Berlin, das Germanische Nationalmuseum Nürnberg, das Historische Museum Frankfurt am Main und das Deutsche Museum München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.1995

Der Bildungsbürger, das unbekannte Wesen
Walter Hochreiters leicht vereinfachte Sozialgeschichte des deutschen Museums von 1800 bis 1914

Das Museum boomt, und Ausstellungsmachern wie -besuchern wird es recht sein, wenn ein Buch auf den Markt kommt, das die Geschichte und Theorie des Museums in Deutschland in seiner Gründungsära komprimiert und übersichtlich darstellt. Das Thema ist freilich hochkomplex, es bündelt Entwicklungen der Gesellschafts-, Kultur- und Herrschaftsgeschichte. So kommt es, daß in Hochreiters Buch das lobenswerte Bedürfnis nach Kürze und Klarheit gelegentlich mit den Notwendigkeiten des Differenzierens und umsichtigen Interpretierens in Konflikt gerät. Gleichwohl zieht das Buch, trotz mancher Schwächen, eine informative und lesenwerte Zwischenbilanz der museumsgeschichtlichen und -theoretischen Forschung.

Hochreiter strukturiert und bewältigt die Stoffülle, indem er die Gründungsgeschichten von vier Sammlungen herausgreift, die neue Museumstypen konstituierten oder die Entwicklung des Museumswesens in Deutschland maßgeblich beeinflußten. Da über die Kunstgewerbemuseen eine ausführliche Monographie von Barbara Mundt vorliegt, konzentriert sich Hochreiter auf das klassische Kunstmuseum (Altes Museum Berlin), das kulturgeschichtliche Museum mit gesamtnationalem Anspruch (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg), das lokalgeschichtlich orientierte Historische Museum (Frankfurt am Main) und das Technikmuseum (Deutsches Museum München).

Diese Typisierung wird mit einer Periodisierung verknüpft, die Chronologie und strukturelle Faktoren verbindet. Auf das "Fürstenmuseum" seit 1830 (Berlin) folgen die kulturgeschichtlichen Museen wie das Germanische Nationalmuseum in den fünfziger, das Frankfurter Historische Museum sowie die zahlreichen kunstgewerblichen Museen in den siebziger Jahren und in einer dritten Phase seit 1880/90 neue Museumstypen wie das Völkerkundemuseum, das volkskundliche und regionale Heimatmuseum sowie das Sozialmuseum.

Für diesen Zeitraum behandelt Hochreiter freilich nur das Deutsche Museum München als Prototyp des neuen Museums für Technik und Naturwissenschaften. Dabei fragt er jeweils nach den Trägerschichten der einzelnen Gründungen mit ihren spezifischen Interessen und dem vorrangig angesprochenen Publikum, nach den politisch-pädagogischen Absichten, den jeweils bevorzugten Sammelbereichen und den entsprechenden Ausstellungs- und Rezeptionskonzepten.

Dieses Raster legt Hochreiter über die ganze Vielgestaltigkeit des expandierenden Museumswesens zwischen 1800 und 1914 und erfaßt damit im großen und ganzen treffend die unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Motiv- und Bedürfnislagen, in denen neben fürstlichem Besitz- und Repräsentationsverlangen auch die Bildungs- und Kunstreligion des Neuhumanismus, reformkonservative Integrationsabsichten und bürgerliche - und adlige(!) - Liebe zum ästhetisch überhöhten Gebrauchsgegenstand ebenso zum Ausdruck kommen wie lokalpatriotische Pflege der Überlieferung, aufklärerisch-universalistisches Fortschrittsdenken und bildungs- und besitzbürgerlicher Nationalstolz.

Daß das fürstliche Mäzenatentum im Laufe des Jahrhunderts seine Bedeutung immer mehr verlor, liegt ebenso auf der Hand wie die fortschreitende Demokratisierung des Zugangs zu den Kunst- und Kulturgütern. Neben die Exponate der Hochkultur im klassischen Musentempel schoben sich immer stärker die Artefakte des Alltags. Die Museumsgeschichte macht deutlich, welche Wandlungen der bürgerliche Kulturbegriff zwischen der Blütezeit des Neuhumanismus und der hochindustriellen Gesellschaft des Kaiserreichs durchlief.

Während die Inhalte und die museale Gestaltung der bildungsbürgerlichen Kunstverehrung inzwischen vielfach analysiert und diskutiert worden sind, blieben die kulturgeschichtlichen Ansätze und ihre Bedeutung für den Aufbau des Museumswesens eher unterbelichtet. Hochreiters Kapitel über das Germanische Nationalmuseum zeigt anschaulich, wie bedeutende Dilettanten wie der Reichsfreiherr von und zu Aufseß zusammen mit dem Achtundvierziger-Liberalen und Geschichtsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts, Karl Biedermann, um die Jahrhundertmitte den Versuch machten, die aufklärerische Tradition der Kulturgeschichte neu zu beleben. Der Plan scheiterte.

Hochreiter greift zu kurz, wenn er die Trennung von politischer Geschichte und Alltags- beziehungsweise Kulturgeschichte allein auf das Scheitern des Einigungsversuchs von 1848 und die Resignation des fortschrittlichen Bürgertums in den 1870er Jahren zurückführt. Eine solche Synthese kollidierte zwar mit den Ansprüchen der konservativ-etatistischen politischen Geschichte Rankescher Prägung. Stärker ins Gewicht fällt aber zweifellos, daß die Verwissenschaftlichung der Geschichtsforschung eine Zusammenführung von Geschichtswissenschaft und Geschichtspräsentation nicht mehr erlaubte, wie sie Aufseß mit der Einheit von kulturhistorisch orientiertem Nationalmuseum und Zentralinstitut für die Geschichtsforschung plante.

Überhaupt tendiert Hochreiter zu monokausalen Ableitungen und reproduziert mitunter fragwürdige Klischees. Die Verknüpfung von exemplarischem Verfahren und Anspruch auf einen - wenn auch kursorischen - Gesamtüberblick über die Museumsgeschichte führt zu mancher Ungereimtheit. Das Schlaglicht auf Preußen und das Schinkelsche Alte Museum verdunkelt die gleichzeitige ganz parallele und zunächst wesentlich erfolgreichere Entwicklung im ludovizianischen München - von Wien gar nicht zu reden.

Die Gegenüberstellung von hochkulturell-elitärem Fürstenmuseum und bürgerlichem kulturhistorischem Museum baut ein allzu vereinfachtes emanzipationsgeschichtliches Fortschrittsmodell auf. Indem Hochreiter dem Typus des "Fürstenmuseums" die Konzentration auf die "ewiggültigen" Werke der Hochkultur unter gleichzeitiger Distanzierung von den Artefakten der materiellen Lebensverhältnisse zuschreibt, verkürzt er die komplexe Verschränkung von bildungsästhetischen, ökonomischen und herrschaftlichen wie herrschaftskritischen Interessen im Gegen- und Miteinander von monarchischer Herrschaft und bürgerlicher Gesellschaft.

Umgekehrt sind die Geschichts- und Altertumsvereine, die sich vorrangig der Musealisierung der Alltagskultur annahmen, keineswegs schlankweg Organe bürgerlich selbstbewußter Geschichtsaneignung, sondern vielfach monarchisch-etatistisch inspiriert und von hohen Staatsbeamten dominiert. Die Schlagwortdialektik nötigt Hochreiter zu manchem Paradox. Die Altadligen Freiherr vom Stein, August von Hardenberg und Wilhelm von Humboldt treten als "typische" Repräsentanten des "bürgerlichen" Reformstrebens, der politisch eher konservative Standesherr und Reichsfreiherr von und zu Aufseß als Gründer eines typisch bürgerlichen Museums auf.

Klischeevorstellungen über das Bildungsbürgertum verführen Hochreiter zu der These, es habe der Technik im Kaiserreich generell ablehnend gegenübergestanden. Das Gegenteil scheint trotz aller Polarisierung von "Kultur" und "Zivilisation" der Fall zu sein - anders läßt sich die Bereitwilligkeit nicht erklären, mit der die bildungsbürgerlichen und adligen Ministerialbeamten in Bayern und im Reich auf Oskar von Millers Projekt des Deutschen Museums eingingen. Das soziale Inferioritätsbewußtsein von Ingenieuren und die Technikrezeption der Bildungsbürger können nicht einfach in einen Topf gerührt werden mit der Technikablehnung von Kulturpessimisten wie Julius Langbehn. Daß die Bildungsbürger neben den Vorzügen der Technik auch deren Gefahren im Auge behielten und im übrigen ihre Weltdeutungskompetenz nicht sang- und klanglos abzugeben bereit waren, versteht sich eigentlich von selbst.

Schließlich ist Hochreiters mitunter allzu saloppe Sprache zu bemängeln. Menschenfreundliche Prosa ist gerade bei einem Buch wie diesem durchaus erwünscht. Die angebliche "Gewalttätigkeit" des Museumsgründers Oskar von Miller aber zumindest in Anführungsstriche zu setzen, erscheint als Gebot sprachlicher Rechtschaffenheit, zumal Hochreiter nichts von Brachialmethoden Millers auf seinen Werbekampagnen bei Kaiser und Reichsbehörden zu berichten weiß.

In einem abschließenden Kapitel bilanziert Hochreiter wesentliche Aspekte des derzeitigen Musealisierungstrends, der weniger zur Entauratisierung van Goghs als zur Auratisierung von McDonalds führe. Hier wird der Leser knapp und übersichtlich mit der aktuellen Diskussion zu Besucherzahlen und Besucherstruktur, zur Sachquellenkunde, zu Präsentationsformen und Ausstellungszielen in einer kulturellen Landschaft vertraut gemacht, in der das klassische Kunstmuseum auf dem Rückzug scheint und die Dokumentation des Alltags mitunter zum zerstreuungskulturellen Ärgernis gerät.

Hier plädiert Hochreiter gegenüber den Gefahren doktrinärer Verengung für die Freiheit zu subjektiv begründeter Erfahrung von Geschichte. Die Alltagsgeschichte dürfe die Verbindung zu den großen Strukturen nicht verlieren. Schließlich sollte das Museum - so Hochreiter - zu einer Sehweise anleiten, die experimentelles soziales Handeln fördert. Das heutige Museum soll sich demnach endgültig nicht mehr als Residuum der vita contemplativa, sondern als integrales Medium der vita activa verstehen. Was immer man davon halten mag, die großen Tendenzen des gegenwärtigen Museumszeitalters sind damit zweifellos zutreffend erfaßt. WOLFGANG HARDTWIG

Walter Hochreiter: "Vom Musentempel zum Lernort". Zur Sozialgeschichte deutscher Museen 1800 - 1914. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994. 327 S., geb., 68,- DM.

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