Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 13,55 €
  • Gebundenes Buch

Reinhold Brinkmann, Professor für Musikwissenschaft und Träger des Siemens-Musikpreises 2001 (der "Nobelpreis der Musik"), hat sich stets darum bemüht, auch außerhalb der Universität das Verständnis von Musik zu verbreitern. Die beiden Schwerpunkte von Brinkmanns Arbeit sind auch in diesem Band erkennbar: Beethoven und die Wiener Klassik, Schönberg und die Wiener Moderne. Darum herum gruppieren sich Texte zu Musik und Literatur, zu Schuberts "Winterreise", zu Theodor W. Adorno und Wolfgang Rihm.
"Reinhold Brinkmann spiegelt Musikwissenschaftsgeschichte und treibt sie zugleich voran." (Nike Wagner)
…mehr

Produktbeschreibung
Reinhold Brinkmann, Professor für Musikwissenschaft und Träger des Siemens-Musikpreises 2001 (der "Nobelpreis der Musik"), hat sich stets darum bemüht, auch außerhalb der Universität das Verständnis von Musik zu verbreitern. Die beiden Schwerpunkte von Brinkmanns Arbeit sind auch in diesem Band erkennbar: Beethoven und die Wiener Klassik, Schönberg und die Wiener Moderne. Darum herum gruppieren sich Texte zu Musik und Literatur, zu Schuberts "Winterreise", zu Theodor W. Adorno und Wolfgang Rihm.

"Reinhold Brinkmann spiegelt Musikwissenschaftsgeschichte und treibt sie zugleich voran." (Nike Wagner)
Autorenporträt
Reinhold Brinkmann, 1934 geboren, lehrte als Professor für Musikwissenschaft u.a. in Marburg, Berlin und Harvard. Er lebt heute in Berlin und Harvard. Zuletzt erschienen: "Arnold Schönberg und der Engel der Geschichte" (2002) und "Franz Schubert. Lindenbäume und deutschnationale Identität" (2004).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Die Skepsis einer Generation vor dem Herzsummen
Reinhold Brinkmann rennt unter seinem Fixstern Adorno gegen methodischen Dilettantismus an / Von Gustav Falke

Im Nachwort zur Aufsatzsammlung, mit der er wohl einen Teil der Ernte einfahren will, situiert Reinhold Brinkmann sein musikwissenschaftliches Schaffen historisch. Angehöriger der skeptischen Generationen, habe er sich mit seiner, erstaunlicherweise durch Hans Heinrich Eggebrecht betreuten und übrigens viel Aufsehen erregenden, Dissertation über Schönbergs op. 11 von der damals dominanten geistesgeschichtlichen Methode ab und der Werkimmanenz, der Erhellung kompositorischer Details, zugewandt. Man müsse freilich zugeben, daß sich mit der Insistenz auf Analyse eine gewisse buchhalterische Mentalität nachfolgend in der Musikwissenschaft breitgemacht habe und die "historische Kontextualisierung" meist auf der Strecke blieb. Brinkmann zeigt deshalb Verständnis dafür, daß, zumal in den Vereinigten Staaten, seiner zweiten Heimat, sich heute jüngere Forscher ganz der kulturwissenschaftlichen Wende ergeben. Doch zu seinem äußersten Unbehagen sieht er damit einen methodischen Dilettantismus, ja eine Rückkehr zur "Hermeneutik à la Kretzschmar" verbunden. Sein Fixstern bleibt Adorno, der sich begeistert zur Dissertation geäußert hatte. Zwar hält Brinkmann in dem titelgebenden Aufsatz auch fest, daß Adorno assoziativ verfahre, Analogien bilde, künstlerisch über Kunst schreibe und sich ein solches "methodisches Glücksspiel" der "Nachprüfbarkeit im Sinn einer stringenten Ableitung" entziehe: "Es ist entweder einleuchtend oder nicht." Doch das dürfte für ihn eine Frage selbsterhaltender Abgrenzung sein. Mit Adorno jedenfalls beharrt er darauf "daß der Gehalt von Kunst in der kompositorischen Technik verschlüsselt sei".

Bildet Brinkmann mit dem methodischen Bekenntnis zu Adorno seine Schlußkadenz, so steigt, vielleicht weniger bewußt, aus dem ganzen Buch ein alter Duft aus adornitisch-geschichtsphilosophischer Märchenzeit hervor. Nach der zeitlichen Folge der Gegenstände geordnet spiegelt das Buch seine beiden Interessenszentren bei der Wiener Klassik und der Wiener Schule, näher bei Beethoven und Schubert auf der einen und Schönberg auf der anderen Seite. Beethoven hat "auf dem Hintergrund politisch-gesellschaftlicher Veränderungen, deren Inhalt die bürgerlichen Ideen und deren äußeres Zeichen die Französische Revolution darstellten", eine neue Kunstauffassung begründet, "die auf das von innen heraus frei geformte, nur in sich begründete individuelle", das autonome Werk zielt. Näher ist bei ihm "die Form zur Disparatheit aufgebrochen und dann doch zur Einheit einer geprägten Individualität zusammengezwungen". Bei Schubert werden "Vereinsamung und Entfremdung" zur zentralen Lebenserfahrung. Er gestaltet "die resignative Reaktion auf die Krise des Subjekts, die Wendung des bürgerlichen Intellektuellen von der inkommensurablen und bedrohlichen Realität weg und hin zur Kunst". Und Schönberg wie später Rihm repräsentieren "das gefährdete Subjekt der europäischen Moderne". "Das Ich, immer noch das bürgerliche Subjekt, ist beschädigt, verstört, dissoziiert", weil "die Gegenwart zu geschlossen, zu kompakt und lückenlos organisiert, zu sehr vernetzt ist". Angesichts dieses "Risses zwischen dem Ich und dem Ganzen" wird insbesondere in Schönbergs Pierrot lunaire "das Enden im Wohlklang zwar als Nostalgie verworfen, seine Anziehungskraft aber bleibt bestehen und fordert alle theoretische Überzeugung, um diese Spannung durchzustehen". Denn "der sensitive Zeitgenosse fühlt sich zu Entfremdung und Selbstzerstörung verdammt".

Es geht nicht darum, etwas gegen bürgerliche Ideen, "das von Adorno emphatisch bewahrte Konzept von Individualität", oder die Französische Revolution einzuwenden, ja, es geht nicht einmal um die doch arg formelhafte Rede von Entfremdung als Signatur der Moderne. Was man bis zum Überdruß gehört hat, muß deshalb nicht falsch sein, selbst wenn genau dieser Überdruß den referierten Schlingergang des Wissenschaftsweltlaufs erklären dürfte. Auf fällt vielmehr die riesig weite Schere zwischen akribischen und nur für ein ganz enges Fachpublikum überhaupt nachvollziehbaren Analysen von Details einzelner Werke, hier Schuberts Winterreise, Schönbergs Pierrot lunaire und Rihms Hölderlin-Fragmenten, und den abstrakten geschichtsphilosophischen Theoremen. Auch die Massen von Bildungsmaterial, Hegels Lyrikbegriff, Goethes Symbolverständnis, helfen da kaum weiter, weil die Frage gar nicht gestellt wird, ob man Hegel auf Schubert anwenden kann. Erst einmal ist Hegel ja in der Tat nur "Kontext" und Brinkmann da den Kulturwissenschaftlern viel näher, als er glaubt. Der eigentliche Grund aber für das Auseinanderklaffen zwischen Analyse und Geschichtsphilosophie liegt in der ursprünglichen Aversion vielleicht gerade der skeptischen Generation gegen das Verständnis von Musik als Ausdruck. Nicht die überhaupt nicht weiter charakterisierte Geistesgeschichte war es, gegen die er sich als Doktorand abgrenzte, sondern die Hermeneutik à la Kretzschmar, die er so abominabel findet, daß er sie gar nicht als Teil der Musikwissenschaftsgeschichte behandelt.

Kretzschmar ist mit Konzertführern populär geworden, in denen er sich etwas populärer ausdrückt. Grundsätzlich ist sein Verfahren das, den Ausdruck von Musik zu verbalisieren. Er betont, daß diese Verbalisierung zum Verständnis nicht notwendig ist, wennschon in problematischen Fällen hilfreich. Im einzelnen wird man dann über die Ausdrucksbestimmungen streiten. Aber genau in diesen Streit will sich Brinkmann auf keinen Fall einlassen. Ausdruck ist so sehr Anathema, unwissenschaftlich, daß nicht einmal der Begriff fällt. Nur kommt man, wenn man rein beim Kompositionstechnischen bleibt, mit dem Gehalt der Werke eben nicht weiter als bis zu Abstraktionen, die dann genausogut auf alles mögliche passen. Haben nicht die Meßkompositionen der niederländischen Renaissancemusik mindestens eben eine solche Individualität wie Beethovens Symphonien? Ist nicht jedes Thema schon der Frühklassik - im Gegensatz zu den barocken Fortspinnungsthemen - eine Integration von Differentem? Klagt nicht schon Monteverdis Ariadne über Vereinsamung und Entfremdung? Liegt denn nicht, näher besehen, in der Klage - mit welchen Techniken auch immer - ein Ursprung von Musik überhaupt? Denn darum hören wir ja Musik, weil sie uns artikuliert, was das Labyrinth der Brust durchzieht. Eine Musikwissenschaft, die sich aus methodischer Skepsis dabei des Mitredens enthält, darf sich nicht wundern, wenn bei denen, die es anders machen wollen, methodischer Dilettantismus einzieht.

Reinhold Brinkmann: "Vom Pfeifen und von alten Dampfmaschinen". Aufsätze zur Musik von Beethoven bis Rihm. Paul Szolnay Verlag, Wien 2006. 350 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Skeptisch äußert sich Gustav Falke über diesen Band mit musikwissenschaftlichen Aufsätzen von Reinhold Brinkmann. Dessen Ablehnung des "methodischen Dilettantismus" der Kulturwissenschaften kann er zwar durchaus verstehen, beharrt der Autor doch auf Adornos Vorstellung, der Gehalt von Kunst sei in der kompositorischen Technik aufzuspüren. Auch will er nichts gegen Brinkmanns Ausführungen zu bürgerliche Ideen, zum Konzept der Individualität oder zur Entfremdung als Kennzeichen der Moderne sagen, obwohl er derlei "bis zum Überdruss" gehört hat. Was ihm bei den Aufsätzen über Kompositionen Beethovens, Schuberts und Schönbergs aber negativ auffällt, ist die Kluft zwischen akademischer Analyse und Geschichtsphilosophie: den Grund hierfür sieht Falke in Brinkmanns Aversion gegen die Vorstellung von Musik als Ausdruck. Er hebt jedenfalls hervor, dass das Beharren auf dem Kompositionstechnischen im Blick auf den Gehalt der Werke nicht weiterführt als bis zu Abstraktionen, die dann wiederum auf alles mögliche passen.


© Perlentaucher Medien GmbH