Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2001Antike Wirtschaftsweisheit
Ciceros Buch über Pflichten hält auch ökonomische Lehren bereit
Marcus Tullius Cicero: De Officiis. Faksimile der 1465 in Mainz erschienenen Editio Princeps. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 2001, 184 Seiten.
Hans Kloft/Walter Rüegg/Bertram Schefold/Gloria Vivenza: Marcus Tullius Ciceros "De Officiis". Vademecum zu einem Klassiker des römischen Denkens über Wirtschaft und Staat. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 2001, 164 Seiten, Faksimile und Kommentarband 680 DM.
Marcus Tullius Cicero, politischer Schriftsteller, Rhetoriker und Märtyrer der ausgehenden römischen Republik, der später von den Schergen des Marcus Antonius ermordet wird, gehört zu den großen Gestalten des Abendlandes. Daß dieser Ruhm auf Leistungen im Fach der Ökonomie beruhe, würde indes wohl kaum jemand behaupten. Zu groß ist die Kluft zwischen dem modernen Denken, das die Autonomie der Ökonomie als Wissenschaft fest etabliert hat, und dem antiken Denken, das den Primat der Moralphilosophie jederzeit betonte. Wenn jetzt trotzdem Ciceros "De Officiis" - das Buch über die Pflichten - in der Reihe "Klassiker der Nationalökonomie" veröffentlicht worden ist, so handelt es sich dennoch dabei nicht um einen Fehlgriff. Kaum ein Werk macht so verständlich, warum sich die Ökonomie aus der Moralphilosophie entwickelte; kaum ein Werk verdeutlicht so sehr, wie groß der Zusammenhang zwischen beiden heute noch ist.
Die praktische Lebensführung, um die es Cicero geht, und die Wirtschaftsethik heutiger Ökonomen überlappen sich in vielfacher Weise. Bei Cicero ergibt sich dies aus dem Begründungszusammenhang seiner Ethik, der aus dem Spannungsfeld von Gerechtigkeit und Nützlichkeit entsteht. Es zwingt Cicero, den Staat in ökonomischen Kategorien zu denken, obwohl dies kaum sein Grundanliegen ist. Um dem Ideal einer über den Interessen stehenden Gerechtigkeit zu dienen, muß der Staat einer langfristig orientierten Rationalität gehorchen und dabei auf Sparsamkeit und Effizienz achten. Ciceros Betonung, daß nur großer Landbesitz zum politischen Amt qualifiziere, entspringt ebenfalls einer politökonomischen Einsicht: daß Herrschaft einen stabilen wirtschaftlichen Unterbau benötige, der zum Beispiel die Unabhängigkeit des Staatsmannes garantiere. Die persönlichen Tugenden, denen Ciceros Hauptaugenmerk gilt, werden immer zugleich als konstituierend für wirtschaftlichen Erfolg gesehen - Fleiß, Ehrbarkeit, Vertragstreue.
Bei der neuen Edition handelt sich um den Neudruck der berühmten Mainzer Ausgabe von 1465, aus der Kinderzeit des Druckerhandwerks, in der noch Traditionen jener Zeit der illuminierten Handschriften des Mittelalters wach waren. So ist vor jedem Kapitelanfang eine kleine Fläche frei gelassen, in die der damalige Leser von eigener Hand den ersten Buchstaben mit Farbe und Pinsel prachtvoll ergänzen konnte.
Bereichert wird die Ausgabe durch einen Kommentarband, in dem Fachleute wesentliche Aspekte beleuchten. Walter Rüegg widmet sich Ciceros Leben und vor allem seiner geistigen Rezeptionsgeschichte. Ciceros Lehre vom rechten Handeln war indes von jeher so prägend für die abendländische Kultur, daß dabei wohl notgedrungen kaum mehr als eine Verkürzung auf das gerade einmal Wesentliche herauskommen konnte. Doch insbesondere Bertram Schefold (Frankfurt/M.) und Hans Kloft (Bremen) stellen Cicero in den wirtschaftspolitischen Kontext, in den man "De Officiis" sehen muß. Cicero steht am Anfang einer Epoche, in der die römische Welt fast mit der Weltwirtschaft gleichzusetzen war.
Man erfährt über Ciceros Positionen zu tagespolitischen Fragen, etwa seine konservative Haltung zu populären Vorschlägen wie die Neuaufteilung des Landes und den Erlaß von Schulden. Dies ermöglicht die Trennung des Bleibenden vom Kontingenten im Werk Ciceros. Gloria Vivenza (Verona) geht der schwierigen Frage nach, ob und wie Ciceros moralphilosophisches Denken direkten Einfluß auf die moderne Ökonomie, wie sie durch Adam Smith entstand, ausübte. Antike Wirtschaftsweisheit - sie steht uns Modernen fern und nah zugleich.
DETMAR DOERING
(Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, Potsdam)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ciceros Buch über Pflichten hält auch ökonomische Lehren bereit
Marcus Tullius Cicero: De Officiis. Faksimile der 1465 in Mainz erschienenen Editio Princeps. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 2001, 184 Seiten.
Hans Kloft/Walter Rüegg/Bertram Schefold/Gloria Vivenza: Marcus Tullius Ciceros "De Officiis". Vademecum zu einem Klassiker des römischen Denkens über Wirtschaft und Staat. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 2001, 164 Seiten, Faksimile und Kommentarband 680 DM.
Marcus Tullius Cicero, politischer Schriftsteller, Rhetoriker und Märtyrer der ausgehenden römischen Republik, der später von den Schergen des Marcus Antonius ermordet wird, gehört zu den großen Gestalten des Abendlandes. Daß dieser Ruhm auf Leistungen im Fach der Ökonomie beruhe, würde indes wohl kaum jemand behaupten. Zu groß ist die Kluft zwischen dem modernen Denken, das die Autonomie der Ökonomie als Wissenschaft fest etabliert hat, und dem antiken Denken, das den Primat der Moralphilosophie jederzeit betonte. Wenn jetzt trotzdem Ciceros "De Officiis" - das Buch über die Pflichten - in der Reihe "Klassiker der Nationalökonomie" veröffentlicht worden ist, so handelt es sich dennoch dabei nicht um einen Fehlgriff. Kaum ein Werk macht so verständlich, warum sich die Ökonomie aus der Moralphilosophie entwickelte; kaum ein Werk verdeutlicht so sehr, wie groß der Zusammenhang zwischen beiden heute noch ist.
Die praktische Lebensführung, um die es Cicero geht, und die Wirtschaftsethik heutiger Ökonomen überlappen sich in vielfacher Weise. Bei Cicero ergibt sich dies aus dem Begründungszusammenhang seiner Ethik, der aus dem Spannungsfeld von Gerechtigkeit und Nützlichkeit entsteht. Es zwingt Cicero, den Staat in ökonomischen Kategorien zu denken, obwohl dies kaum sein Grundanliegen ist. Um dem Ideal einer über den Interessen stehenden Gerechtigkeit zu dienen, muß der Staat einer langfristig orientierten Rationalität gehorchen und dabei auf Sparsamkeit und Effizienz achten. Ciceros Betonung, daß nur großer Landbesitz zum politischen Amt qualifiziere, entspringt ebenfalls einer politökonomischen Einsicht: daß Herrschaft einen stabilen wirtschaftlichen Unterbau benötige, der zum Beispiel die Unabhängigkeit des Staatsmannes garantiere. Die persönlichen Tugenden, denen Ciceros Hauptaugenmerk gilt, werden immer zugleich als konstituierend für wirtschaftlichen Erfolg gesehen - Fleiß, Ehrbarkeit, Vertragstreue.
Bei der neuen Edition handelt sich um den Neudruck der berühmten Mainzer Ausgabe von 1465, aus der Kinderzeit des Druckerhandwerks, in der noch Traditionen jener Zeit der illuminierten Handschriften des Mittelalters wach waren. So ist vor jedem Kapitelanfang eine kleine Fläche frei gelassen, in die der damalige Leser von eigener Hand den ersten Buchstaben mit Farbe und Pinsel prachtvoll ergänzen konnte.
Bereichert wird die Ausgabe durch einen Kommentarband, in dem Fachleute wesentliche Aspekte beleuchten. Walter Rüegg widmet sich Ciceros Leben und vor allem seiner geistigen Rezeptionsgeschichte. Ciceros Lehre vom rechten Handeln war indes von jeher so prägend für die abendländische Kultur, daß dabei wohl notgedrungen kaum mehr als eine Verkürzung auf das gerade einmal Wesentliche herauskommen konnte. Doch insbesondere Bertram Schefold (Frankfurt/M.) und Hans Kloft (Bremen) stellen Cicero in den wirtschaftspolitischen Kontext, in den man "De Officiis" sehen muß. Cicero steht am Anfang einer Epoche, in der die römische Welt fast mit der Weltwirtschaft gleichzusetzen war.
Man erfährt über Ciceros Positionen zu tagespolitischen Fragen, etwa seine konservative Haltung zu populären Vorschlägen wie die Neuaufteilung des Landes und den Erlaß von Schulden. Dies ermöglicht die Trennung des Bleibenden vom Kontingenten im Werk Ciceros. Gloria Vivenza (Verona) geht der schwierigen Frage nach, ob und wie Ciceros moralphilosophisches Denken direkten Einfluß auf die moderne Ökonomie, wie sie durch Adam Smith entstand, ausübte. Antike Wirtschaftsweisheit - sie steht uns Modernen fern und nah zugleich.
DETMAR DOERING
(Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, Potsdam)
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