Manche Gefühle sind überwältigend: die Euphorie des Verliebtseins, die Angst, zu scheitern, oder der Schmerz, einen geliebten Menschen zu verlieren. Andere sind flüchtiger: der Ärger über den schlecht gelaunten, pampigen Chef, die Genervtheit über die lange Schlange an der Supermarktkasse, die Erleichterung, den letzten Bus zu erwischen, oder die Vorfreude auf eine schöne Unternehmung. Und dann gibt es solche, die wir zwar kennen, aber nicht benennen können: Basorexie zum Beispiel, das plötzliche Verlangen, jemanden zu küssen. Oder Iktsuarpok, ein Wort, das die Inuit verwenden für das zappelige Warten auf Besuch.
Als Tiffany Watt Smith zum ersten Mal von einem Gefühl namens Amae hört, wird ihr plötzlich klar, dass sie sich oft so fühlt. Den Begriff Amae gibt es im Japanischen, er beschreibt das Behagen, das man empfindet, wenn man sein Wohlergehen komplett in die Hände eines anderen legt. (...) 'Ein Gefühl', sagt Watt Smith, 'das nicht leicht in Worte zu fassen ist, wenn man aus einer Gesellschaft kommt, in der so viel Wert auf Eigenständigkeit und Individualismus gelegt wird.' (...) die Enzyklopädie ist voll von Gefühlen, die jeder kennt - ohne zu wissen, dass es irgendwo auf der Welt einen Namen dafür gibt. Maren Keller Der Spiegel