Viele haben von ihm gehört, kaum jemand hat ihn gelesen: den Roman "Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern" von Joseph Goebbels. Er gehört ins Depot der zahlreichen Kuriositäten und Gerüchte, die sich um den Propagandaminister des "Dritten Reiches" ranken. Die Studie versucht, den 1928 veröffentlichten Roman einerseits philologisch ernst zu nehmen, ihn andererseits als biographische Quelle zu nutzen. Der Roman selbst kann nur in Zusammenhang mit seinen beiden früheren Fassungen verstanden werden. Erst die Abfolge läßt den Entwicklungsgang des Autors vom romantisch-sentimentalen Studenten zum rabiaten Antisemiten und aggressiven Demagogen des Nationalsozialismus deutlich werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2000Hunger nach Licht und Erlösung
Goebbels' Hoffnungen auf eine sozialistische Revolution
Kai Michel: Vom Poeten zum Demagogen. Die schriftstellerischen Versuche Joseph Goebbels'. Reihe: Literatur in der Geschichte. Geschichte in der Literatur. Band 47. Böhlau Verlag, Köln 1999. 185 Seiten, 48,- Mark.
Die "Disposition" des 1897 im Rheinland geborenen Joseph Goebbels für seine politische Laufbahn will Kai Michel anhand der frühen schriftstellerischen Versuche des späteren Propagandaministers "implizit" erhellen. Der im Bundesarchiv erhaltene, in ein Schulheft geschriebene autobiografische Versuch "Michael Voormann's Jugendjahre" des jungen Studenten von 1919, der maschinenschriftlich überlieferte Roman "Michael Voormann. Ein Menschenschicksal in Tagebuchblättern" des promovierten, arbeitslosen Germanisten von 1923/24 und die im NS-Parteiverlag vielfach aufgelegte Druckfassung "Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern" des Berliner Gauleiters von 1928/29 sind, anders als Michel andeutet, schon von der Forschung untersucht worden. Der Autor versteht seine Studie nicht nur als "bescheidenen Beitrag der Germanistik, die gegenüber dem Germanisten Goebbels eine besondere Verantwortung besitzt", sondern stellt sie "in den Dienst eines letztlich gesamtgesellschaftlichen Vorhabens".
Gleich zu Beginn konstatiert Michel im Einklang mit bisherigen Urteilen, dass Goebbels' Werken "jede literarische Qualität" fehle. Keines der Gedichte, die der Xenien-Verlag Leipzig 1919 in einem eigenen Band veröffentlichen wollte, was aus Geldmangel scheiterte, weise den "Hauch eines persönlichen Gefühls" auf, sondern "nur pathetisch hohle Phrasen". Goebbels' Romanheld, der ehemalige Weltkriegssoldat Michael, fühlt sich zum Schreiben berufen. Um sich durch seiner Hände Arbeit selbst zu "erlösen", geht er ins Bergwerk. Nach hartem Ringen schafft er es, von den Arbeitern als einer der Ihren anerkannt zu werden, bevor er in der Grube tödlich verunglückt. Michel verwendet viel Energie darauf, das "weit verbreitete Vorurteil" zu widerlegen, Goebbels sei vom Expressionismus beeinflusst worden, nennt seinen Stil aber doch "pseudo-expressionistisch".
Bei der literarischen Analyse hält sich der Autor nicht auf, will er doch im Sinne Adornos ergründen, "wie ein Mensch so wird". Neben dem "Klumpfuß", den Goebbels durch ein Gefühl des Auserwähltseins zu bewältigen suchte, und einer "egozentrischen Persönlichkeitsstruktur", die sich in einem Rückstand in der geistigen Entwicklung geäußert habe, erkennt Michel als Ursachen für die Herausbildung von Goebbels' Weltbild dessen "kleinbürgerliche" Herkunft, das "streng katholische, überaus frömmige Milieu", "bildungsbürgerliche Ideale" und vor allem den "konservativen Impetus gegen den rasanten Wandel der Zeiten".
Goebbels - ein Konservativer? Jedenfalls deckt Michel bei ihm mit detektivischem Spürsinn "konservatives Erbe", "konservatives Programm" und "konservative Tradition" auf. Sogar Edmund Burke muss herhalten - als Ahnherr für Goebbels' "Erlösungskonzeption". Obwohl der "Michael" wie das übrige, von Michel nicht ausgewertete massenhafte Schrifttum jener Jahre durchdrungen ist vom Hass auf den "Bürger" und das "Geld", von der Verherrlichung des "Arbeiters", von der Heilsbotschaft des "Sozialismus" und der Schaffung des "neuen Menschen", sieht Michel bei Goebbels ausschließlich "rechte", keine "linken" Wurzeln. Der "Minderdichter" Goebbels und die "wild gewordenen Kleinbürger" um ihn seien angetreten, die von der Moderne bekämpfte "Tyrannei der höheren Töchter und alten Weiber beiderlei Geschlechts" wieder einzusetzen.
Wie passt zu dieser Interpretation, dass Goebbels 1924 in sein Tagebuch einträgt: "Ich bin deutscher Kommunist"? Hämmert er nicht 1925 in Reden und Aufsätzen seinen Kampfgenossen ein, "dass uns noch viel weniger mit dem westlichen Kapitalismus verbindet als mit dem östlichen Bolschewismus"? Schreibt er 1926 nicht, "Kommunisten" und "Nationalsozialisten" seien "aus dem gleichen Holz geschnitzt"? Goebbels fordert den Mut, "lachend zu zerstören, zu zertrümmern, was uns einst heilig war als Tradition, als Erziehung, als Freundschaft und menschliche Liebe". Nur bei den Kommunisten findet er "Menschen, die innerlich so denken und fühlen wie wir", die vom gleichen "Hunger nach Licht und Erlösung" getrieben werden. Den einzigen Unterschied sieht er in der Frage "national oder international". Verzweifelnd an "alten Konservativen" und "völkischen Idioten", "verkappten Bourgeois" und "verdammten Spießern", hofft er seit 1924/25, dass Hitler eine sozialistische Revolutionsbewegung formen werde. Bis 1933 ist Goebbels immer wieder entsetzt, wenn er befürchten muss, Hitler werde "von der Reaktion eingewickelt". Auch Goebbels' Judenhass entspringt nicht konservativen Wurzeln, sondern dem von Hannah Arendt so genannten "Antisemitismus der Linken". In fast wörtlicher Anlehnung an Marx' Schrift "Zur Judenfrage" schreibt er über "den Juden" immer wieder: "Das Geld ist sein Gott".
Michel will Goebbels' Weltbild "als Kitsch entlarven" und fragt sich erstaunt, "warum die Massen ihm dafür zujubelten". Karl Dietrich Bracher wies schon vor Jahrzehnten darauf hin, dass der Nationalsozialismus ein Doppelgesicht aus traditionalistischen und revolutionären Zügen trug, und forderte, auch der "unbequemen Frage nach seinen revolutionären Komponenten" nachzugehen. Genau das wird immer wieder vergessen.
ULRICH HÖVER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Goebbels' Hoffnungen auf eine sozialistische Revolution
Kai Michel: Vom Poeten zum Demagogen. Die schriftstellerischen Versuche Joseph Goebbels'. Reihe: Literatur in der Geschichte. Geschichte in der Literatur. Band 47. Böhlau Verlag, Köln 1999. 185 Seiten, 48,- Mark.
Die "Disposition" des 1897 im Rheinland geborenen Joseph Goebbels für seine politische Laufbahn will Kai Michel anhand der frühen schriftstellerischen Versuche des späteren Propagandaministers "implizit" erhellen. Der im Bundesarchiv erhaltene, in ein Schulheft geschriebene autobiografische Versuch "Michael Voormann's Jugendjahre" des jungen Studenten von 1919, der maschinenschriftlich überlieferte Roman "Michael Voormann. Ein Menschenschicksal in Tagebuchblättern" des promovierten, arbeitslosen Germanisten von 1923/24 und die im NS-Parteiverlag vielfach aufgelegte Druckfassung "Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern" des Berliner Gauleiters von 1928/29 sind, anders als Michel andeutet, schon von der Forschung untersucht worden. Der Autor versteht seine Studie nicht nur als "bescheidenen Beitrag der Germanistik, die gegenüber dem Germanisten Goebbels eine besondere Verantwortung besitzt", sondern stellt sie "in den Dienst eines letztlich gesamtgesellschaftlichen Vorhabens".
Gleich zu Beginn konstatiert Michel im Einklang mit bisherigen Urteilen, dass Goebbels' Werken "jede literarische Qualität" fehle. Keines der Gedichte, die der Xenien-Verlag Leipzig 1919 in einem eigenen Band veröffentlichen wollte, was aus Geldmangel scheiterte, weise den "Hauch eines persönlichen Gefühls" auf, sondern "nur pathetisch hohle Phrasen". Goebbels' Romanheld, der ehemalige Weltkriegssoldat Michael, fühlt sich zum Schreiben berufen. Um sich durch seiner Hände Arbeit selbst zu "erlösen", geht er ins Bergwerk. Nach hartem Ringen schafft er es, von den Arbeitern als einer der Ihren anerkannt zu werden, bevor er in der Grube tödlich verunglückt. Michel verwendet viel Energie darauf, das "weit verbreitete Vorurteil" zu widerlegen, Goebbels sei vom Expressionismus beeinflusst worden, nennt seinen Stil aber doch "pseudo-expressionistisch".
Bei der literarischen Analyse hält sich der Autor nicht auf, will er doch im Sinne Adornos ergründen, "wie ein Mensch so wird". Neben dem "Klumpfuß", den Goebbels durch ein Gefühl des Auserwähltseins zu bewältigen suchte, und einer "egozentrischen Persönlichkeitsstruktur", die sich in einem Rückstand in der geistigen Entwicklung geäußert habe, erkennt Michel als Ursachen für die Herausbildung von Goebbels' Weltbild dessen "kleinbürgerliche" Herkunft, das "streng katholische, überaus frömmige Milieu", "bildungsbürgerliche Ideale" und vor allem den "konservativen Impetus gegen den rasanten Wandel der Zeiten".
Goebbels - ein Konservativer? Jedenfalls deckt Michel bei ihm mit detektivischem Spürsinn "konservatives Erbe", "konservatives Programm" und "konservative Tradition" auf. Sogar Edmund Burke muss herhalten - als Ahnherr für Goebbels' "Erlösungskonzeption". Obwohl der "Michael" wie das übrige, von Michel nicht ausgewertete massenhafte Schrifttum jener Jahre durchdrungen ist vom Hass auf den "Bürger" und das "Geld", von der Verherrlichung des "Arbeiters", von der Heilsbotschaft des "Sozialismus" und der Schaffung des "neuen Menschen", sieht Michel bei Goebbels ausschließlich "rechte", keine "linken" Wurzeln. Der "Minderdichter" Goebbels und die "wild gewordenen Kleinbürger" um ihn seien angetreten, die von der Moderne bekämpfte "Tyrannei der höheren Töchter und alten Weiber beiderlei Geschlechts" wieder einzusetzen.
Wie passt zu dieser Interpretation, dass Goebbels 1924 in sein Tagebuch einträgt: "Ich bin deutscher Kommunist"? Hämmert er nicht 1925 in Reden und Aufsätzen seinen Kampfgenossen ein, "dass uns noch viel weniger mit dem westlichen Kapitalismus verbindet als mit dem östlichen Bolschewismus"? Schreibt er 1926 nicht, "Kommunisten" und "Nationalsozialisten" seien "aus dem gleichen Holz geschnitzt"? Goebbels fordert den Mut, "lachend zu zerstören, zu zertrümmern, was uns einst heilig war als Tradition, als Erziehung, als Freundschaft und menschliche Liebe". Nur bei den Kommunisten findet er "Menschen, die innerlich so denken und fühlen wie wir", die vom gleichen "Hunger nach Licht und Erlösung" getrieben werden. Den einzigen Unterschied sieht er in der Frage "national oder international". Verzweifelnd an "alten Konservativen" und "völkischen Idioten", "verkappten Bourgeois" und "verdammten Spießern", hofft er seit 1924/25, dass Hitler eine sozialistische Revolutionsbewegung formen werde. Bis 1933 ist Goebbels immer wieder entsetzt, wenn er befürchten muss, Hitler werde "von der Reaktion eingewickelt". Auch Goebbels' Judenhass entspringt nicht konservativen Wurzeln, sondern dem von Hannah Arendt so genannten "Antisemitismus der Linken". In fast wörtlicher Anlehnung an Marx' Schrift "Zur Judenfrage" schreibt er über "den Juden" immer wieder: "Das Geld ist sein Gott".
Michel will Goebbels' Weltbild "als Kitsch entlarven" und fragt sich erstaunt, "warum die Massen ihm dafür zujubelten". Karl Dietrich Bracher wies schon vor Jahrzehnten darauf hin, dass der Nationalsozialismus ein Doppelgesicht aus traditionalistischen und revolutionären Zügen trug, und forderte, auch der "unbequemen Frage nach seinen revolutionären Komponenten" nachzugehen. Genau das wird immer wieder vergessen.
ULRICH HÖVER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ulrich Höver hat einen Verriss geschrieben, dessen milder Ton den Leser erst ein bisschen darüber täuscht, wie ernst es ihm ist. Er stellt fest, dass - entgegen der Behauptung des Autors - die schriftstellerischen Versuche Goebbels` bereits "von der Forschung untersucht" worden sind. Dass der Autor sich mit literarischen Analysen "nicht aufhält", nimmt der Rezensent noch hin, aber Michels Versuch, Goebbels als Konservativen darzustellen, dessen Ideologie im kleinbürgerlichen Milieu und der frommen Erziehung wurzele, lässt er nicht mehr durchgehen. Hier nimmt Höver den Autor fest bei den Ohren: Ob Michel denn nicht das Tagebuch von Goebbels kenne, in dem der spätere Propagandaminister erklärt hat, `dass uns noch viel weniger mit dem westlichen Kapitalismus verbindet als mit dem Bolschewismus`? Ob er nicht wisse, dass Goebbels nur bei den Kommunisten Menschen gefunden hat, `die innerlich so denken und fühlen wie wir`? Oder dass Goebbels in seiner Ablehnung der Juden fast wortwörtlich Marx zitiert? Streng erinnert er den Autor an Karl Dietrich Bracher, der schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen habe, dass der Nationalsozialismus ebenso revolutionär wie konservativ gewesen sei, und man deshalb auch der `unbequemen Frage nach seinen revolutionären Komponenten` nachgehen müsse. "Genau das wird immer wieder vergessen", schimpft der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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