"Jürgen Habermas' Sammlung von acht teils ungedruckten Essays und Reden aus den letzten Jahren vereinigt »Bruchstücke einer philosophischen Zeitgeschichtsschreibung«: Auseinandersetzungen mit Ernst Cassirer, Karl Jaspers und Gershom Scholem; ferner mit dem Werk von Freunden und Kollegen wie Karl-Otto Apel, Michael Theunissen und - Alexander Kluge."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.1997Bombenstimmung im Brevier
Jürgen Habermas lädt ein zur philosophischen Splitterlese
Dieses jüngste Buch von Jürgen Habermas sammelt die Splitter, die in das vorletzte ("Die Einbeziehung des Anderen", 1996) nicht hineinpaßten: acht teils schon veröffentlichte, teils unveröffentlichte Gelegenheitsarbeiten aus den Jahren 1990 bis 1996. Entsprechend heterogen wirkt das Ganze. Drei dichte und argumentativ anspruchsvolle Texte auf gewohnt hohem Niveau, die der Cassirer-Warburg-Tradition, der Philosophie Jaspers' und Michael Theunissens gewidmet sind, neben allerlei Preisreden, Laudationes und Serenaden des Abschieds, in denen es eher locker, bisweilen launig zugeht.
Die Freunde von Habermas werden diesen Band dankbar mit ihren Fotokopien vertauschen. Die Lauen und Distanzierten aber werden sich fragen, was sie an diesem Buch am meisten stört. Ist es der unpassende Titel, der eine Nähe zu Cassirer andeutet, obwohl Habermas gerade mit der symbolischen Ausdrucksfunktion - dem Mythos - eingestandenermaßen am wenigsten anfangen kann?
Ist es die Mixtur, die einige gute Texte mit diversen Füllseln zusammenzwingt, von denen nicht einzusehen ist, warum sie nach ihrer Publikation in einer Zeitung noch ein weiteres Mal gedruckt werden müssen? Ist es die Kontextverschiebung, welche die Preis- und Festreden, die in einem Interaktionssystem ihren guten Sinn haben, in einen objektivierten und entpersönlichten Rahmen rückt und sie dadurch deplaziert wirken läßt? Ist es die Suche nach Parallelen und Präfigurationen der Kommunikationstheorie - etwa bei Theunissen, bei Apel oder bei Cassirer, dem großmütig zugestanden wird, den Boden bereitet zu haben, "auf dem meine Generation, nach dem Zweiten Weltkrieg, die in der analytischen Philosophie vollzogene linguistische Wende aufnehmen und mit der einheimischen hermeneutischen Philosophie zusammenführen konnte"?
Ist es der Ton der Selbstgewißheit, in dem manche (wie auch immer anregende) Überlegungen vorgetragen werden, etwa das Plädoyer für eine "zivilisationstheoretische Lesart der ,Philosophie der symbolischen Formen'", die "Cassirers humanistisches Erbe erst ins rechte Licht rückt", als wäre Habermas der erste, der sich darum bemüht - als gebe es nicht seit Jahren eine einschlägige Forschungstradition, die ebendies schon längst geleistet hat?
Ist es die Pseudo-Xenophilie, die sich unentwegt über den "Anderen" ausläßt und dabei doch so wenig über ihn zu sagen weiß wie über das Eigene? Ist es der ostentative Multikulturalismus, der doch keinen Augenblick vergessen läßt, daß nur mit solchen Kulturen ein Austausch gepflegt werden kann, die die "zivilisierten" Umgangsformen der Weltgesellschaft akzeptieren? Oder ist es die Selbstgerechtigkeit, mit der sich diese Philosophie als Anwalt aller Erniedrigten und Beleidigten der Geschichte geriert, obwohl auch ihr nicht viel mehr einfällt als das, was in der heutigen Mitte des Parteienspektrums diskutiert wird?
Vielleicht ist es auch die Peinlichkeit von Konkretionsbemühungen, die selbst ein Ereignis wie Stalingrad ins Habermasianische übersetzen wollen und dabei zu Einsichten wie derjenigen gelangen, es sei "aus Zufall und systemischer Selbststeuerung" entstanden und überhaupt nur deshalb möglich gewesen, weil "das System die Lebenswelt im Griff" gehabt habe? Dazu kommt dann die noch peinlichere Pointe, die deutsche Einigung vom Herbst 1989 sei "das glücklichere Gegenstück zu Stalingrad". Man muß wohl auf die Theorie der "schweren Zeichen made in Germany" (Wackwitz) zurückgreifen, um zu verstehen, wie dieses Buch zustande gekommen ist. STEFAN BREUER
Jürgen Habermas: "Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck". Philosophische Essays. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 155 S., geb., 22,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jürgen Habermas lädt ein zur philosophischen Splitterlese
Dieses jüngste Buch von Jürgen Habermas sammelt die Splitter, die in das vorletzte ("Die Einbeziehung des Anderen", 1996) nicht hineinpaßten: acht teils schon veröffentlichte, teils unveröffentlichte Gelegenheitsarbeiten aus den Jahren 1990 bis 1996. Entsprechend heterogen wirkt das Ganze. Drei dichte und argumentativ anspruchsvolle Texte auf gewohnt hohem Niveau, die der Cassirer-Warburg-Tradition, der Philosophie Jaspers' und Michael Theunissens gewidmet sind, neben allerlei Preisreden, Laudationes und Serenaden des Abschieds, in denen es eher locker, bisweilen launig zugeht.
Die Freunde von Habermas werden diesen Band dankbar mit ihren Fotokopien vertauschen. Die Lauen und Distanzierten aber werden sich fragen, was sie an diesem Buch am meisten stört. Ist es der unpassende Titel, der eine Nähe zu Cassirer andeutet, obwohl Habermas gerade mit der symbolischen Ausdrucksfunktion - dem Mythos - eingestandenermaßen am wenigsten anfangen kann?
Ist es die Mixtur, die einige gute Texte mit diversen Füllseln zusammenzwingt, von denen nicht einzusehen ist, warum sie nach ihrer Publikation in einer Zeitung noch ein weiteres Mal gedruckt werden müssen? Ist es die Kontextverschiebung, welche die Preis- und Festreden, die in einem Interaktionssystem ihren guten Sinn haben, in einen objektivierten und entpersönlichten Rahmen rückt und sie dadurch deplaziert wirken läßt? Ist es die Suche nach Parallelen und Präfigurationen der Kommunikationstheorie - etwa bei Theunissen, bei Apel oder bei Cassirer, dem großmütig zugestanden wird, den Boden bereitet zu haben, "auf dem meine Generation, nach dem Zweiten Weltkrieg, die in der analytischen Philosophie vollzogene linguistische Wende aufnehmen und mit der einheimischen hermeneutischen Philosophie zusammenführen konnte"?
Ist es der Ton der Selbstgewißheit, in dem manche (wie auch immer anregende) Überlegungen vorgetragen werden, etwa das Plädoyer für eine "zivilisationstheoretische Lesart der ,Philosophie der symbolischen Formen'", die "Cassirers humanistisches Erbe erst ins rechte Licht rückt", als wäre Habermas der erste, der sich darum bemüht - als gebe es nicht seit Jahren eine einschlägige Forschungstradition, die ebendies schon längst geleistet hat?
Ist es die Pseudo-Xenophilie, die sich unentwegt über den "Anderen" ausläßt und dabei doch so wenig über ihn zu sagen weiß wie über das Eigene? Ist es der ostentative Multikulturalismus, der doch keinen Augenblick vergessen läßt, daß nur mit solchen Kulturen ein Austausch gepflegt werden kann, die die "zivilisierten" Umgangsformen der Weltgesellschaft akzeptieren? Oder ist es die Selbstgerechtigkeit, mit der sich diese Philosophie als Anwalt aller Erniedrigten und Beleidigten der Geschichte geriert, obwohl auch ihr nicht viel mehr einfällt als das, was in der heutigen Mitte des Parteienspektrums diskutiert wird?
Vielleicht ist es auch die Peinlichkeit von Konkretionsbemühungen, die selbst ein Ereignis wie Stalingrad ins Habermasianische übersetzen wollen und dabei zu Einsichten wie derjenigen gelangen, es sei "aus Zufall und systemischer Selbststeuerung" entstanden und überhaupt nur deshalb möglich gewesen, weil "das System die Lebenswelt im Griff" gehabt habe? Dazu kommt dann die noch peinlichere Pointe, die deutsche Einigung vom Herbst 1989 sei "das glücklichere Gegenstück zu Stalingrad". Man muß wohl auf die Theorie der "schweren Zeichen made in Germany" (Wackwitz) zurückgreifen, um zu verstehen, wie dieses Buch zustande gekommen ist. STEFAN BREUER
Jürgen Habermas: "Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck". Philosophische Essays. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 155 S., geb., 22,80 DM.
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