Von der Feststellung ausgehend, daß eine normenbildende, maßstabsetzende Poetik nicht mehr existiere, zeichnet Grünbein seinen dichterischen Werdegang als "Skizze zu einer persönlichen Psychopoetik". Es geht dabei um die Idee vom genauen Wort, das seine maximale Aufladung erst als Resultante der Lebenssituation, seiner Stellung im kompositorischen Ganzen des Gedichts sowie im Gesamtsystem aller Arbeiten eines Autors erfährt. Unter dem Leitwort "Poesie ist Subjektmagie als Sprachereignis" bietet der Dichter am Ende seiner Vorlesung zehn Thesen auf dem gegenwärtigen Stand einer voraussichtlich unabschließbaren Sinnfindung: nicht als Poetik und nicht als Manifest, nicht als Theorie oder Methode, sondern als eigensinnigen Modus operandi des Dichtens in nachmagischer Zeit.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Von der Aura "absoluter Wortkonstellationen" lässt sich Rezensentin Beatrice von Matt in Durs Grünbeins Frankfurter Poetikvorlesungen in den Bann ziehen, die nun unter dem Titel "Vom Stellenwert der Worte" erschienenen sind. Grünbein gehe darin seinem Antrieb zu dichten nach, der zum einen in seiner archaischen Kindheit im "bolschewistisch-byzantinischen Großreich" Dresdens begründet läge, zum anderen in der "existentiell erfahrenen" Literatur eines Arthur Rimbaud oder eines Johannes Bobrowski. Überdies untersuche Grünbein Worte, die im "elektrischen Feld eines präzisen Kontexts" stehen und lässt sie Funken schlagen, die auch auf die Rezensentin überspringen. Dank dieser vibrierenden Präsenz verzeiht sie gerne den Mangel an lyrischem Melos.
© Perlentaucher Medien GmbH
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