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Wesentliche Faktoren, die in der Zeit zwischen den Weltkriegen die "Krise der Demokratie" verursachten, besaßen gemeineuropäischen Charakter. Hierzu gehörte vor allem die radikale, ideologisch begründete Ablehnung der parlamentarischen Demokratie durch den politischen Extremismus von links wie von rechts. Mit diesem spezifischen Aspekt der Zwischenkriegszeit setzt sich Andreas Wirsching erstmals in einer Untersuchung auseinander, die sowohl die Weimarer Republik wie auch die späte französische Dritte Republik in den Blick nimmt. Konzentriert auf die hauptstädtischen Zentren Paris und Berlin…mehr

Produktbeschreibung
Wesentliche Faktoren, die in der Zeit zwischen den Weltkriegen die "Krise der Demokratie" verursachten, besaßen gemeineuropäischen Charakter. Hierzu gehörte vor allem die radikale, ideologisch begründete Ablehnung der parlamentarischen Demokratie durch den politischen Extremismus von links wie von rechts. Mit diesem spezifischen Aspekt der Zwischenkriegszeit setzt sich Andreas Wirsching erstmals in einer Untersuchung auseinander, die sowohl die Weimarer Republik wie auch die späte französische Dritte Republik in den Blick nimmt. Konzentriert auf die hauptstädtischen Zentren Paris und Berlin werden Parallelen und Unterschiede deutlich herausgearbeitet. Dabei ergibt sich in der vergleichenden Betrachtung von Revolution und Konterrevolution, von Ideologie und Gewalt, von Demokratie und Diktatur eine schärfere Zuspitzung der deutschen Probleme, die entscheidend zum Untergang der Weimarer Republik beitrugen. Aus der Presse: "Dies ist ein Buch, das neue Maßstäbe setzt. ... Das große Verdienst der Abhandlung liegt im Erkenntnisgewinn, den der systematische Vergleich abwirft. Angst vor dem Bürgerkrieg gab es nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Deutschland wie in Frankreich, aber nur Deutschland erlebte in der Nachkriegszeit regionale Bürgerkriege, die die Angst vor dem großen Bürgerkrieg zum kollektiven Trauma werden ließen. Die wechselseitige Steigerung der Extreme von links und rechts läßt sich nach 1918 beiderseits des Rheins beobachten. Aber nur in Deutschland gingen Antisemitismus und Demokratiefeindschaft eine Verbindung ein, die das Land und Europa in eine Katastrophe stürzen sollte. Paramilitärische Gewalt breitete sich in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren in beiden Ländern aus. Aber in Frankreich war, anders als in Deutschland, der republikanische Grundkonsens bis zur deutschen Besetzung stark genug, um die totalitären und autoritären Kräfte in Schach zu halten. Wirschings glänzend geschriebene Studie beweist einmal mehr, worin der Nutzen des Vergleichs liegt: in der scharfen Herausarbeitung dessen, was die untersuchten Phänomene miteinander gemeinsam haben - und worin sie sich unterscheiden." Heinrich August Winkler in: Historische Zeitschrift, Sonderheft 19
Autorenporträt
Andreas Wirsching, geboren 1959, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.1999

Linkere Linke, rechtere Rechte
Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich in der Zwischenkriegszeit

Andreas Wirsching: Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918 - 1933/39. Berlin und Paris im Vergleich. R. Oldenbourg Verlag, München 1999. 728 Seiten, 148,- Mark.

Ein großes Manko der Forschungen zur Zwischenkriegszeit ist nach wie vor, dass vergleichende Studien zur Entstehung und Durchsetzung der autoritären und in vielerlei Hinsicht neuartigen Diktaturen in Europa fehlen. Vor allem die Anhänger der verschiedenen "Faschismustheorien" haben immer wieder auf Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen rechten Bewegungen hingewiesen und komparatistische Analysen angemahnt, ohne jedoch diesen Forderungen selbst nachzukommen. Vergleichende Forschungen, die - unabhängig von ideologischen Vorzeichen - die "Leitfrage nach der Instabilität der europäischen Demokratie zwischen den Kriegen" (Horst Möller) zu beantworten suchen, sind daher ausgesprochen rar.

Die vorliegende Studie von Andreas Wirsching, eine Habilitationsschrift, die im Rahmen eines vergleichenden Forschungsvorhabens des Instituts für Zeitgeschichte in München entstanden ist, beschränkt sich bescheiden auf die Metropolen Paris und Berlin, eröffnet in Wirklichkeit aber ein geistesgeschichtliches Panorama, das die existentiellen Bedrohungen von Links und Rechts im Europa zwischen 1918 und den dreißiger Jahren plastisch vor Augen zu führen geeignet ist. Der Blick des Autors auf die Weimarer Republik und die späte Dritte Republik Frankreichs eröffnet neue Perspektiven. Ernst Nolte hat im Zusammenhang der geistigen Verwirrungen der Jahre nach 1918 von einem "europäischen Bürgerkrieg" gesprochen. Wirschings Ansatz differenziert dessen These, der Nationalsozialismus sei, cum grano salis, wesentlich die Folge der bolschewistischen Bedrohung gewesen. Er sieht, angelehnt an die Arbeiten Carl J. Friedrichs, den gemeinsamen Nenner im totalitären Anspruch, "in der ideologischen Verabsolutierung eines politischen Freund-Feind-Gegensatzes, auf den das gesamte politisch-soziale Geschehen reduziert wurde".

Die bedenkenswerten Befunde beruhen nicht etwa auf feuilletonistischen Erwägungen, sondern sind das Ergebnis sorgfältiger Quellen- und Aktenstudien. Mit Hilfe dieser Materialien und einer profunden Kenntnis der Sekundärliteratur gelingt es, die nationalspezifischen Elemente des Extremismus in Deutschland und Frankreich herauszuarbeiten und die dahinter stehende Frage zu beantworten: Handelte es sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges um eine gesamteuropäische Störung, oder hatte man es eher mit gleichsam individuell-nationalen Krisen zu tun?

Politik wurde nach 1918 sowohl von den Kommunisten beider Länder als auch von den nationalistischen Rechten als Kampf empfunden - dieses Signum der Zeit wird von Wirsching immer wieder betont, ohne jedoch die zum Teil gravierenden Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland zu nivellieren. In Deutschland gab es einen "Problemdruck", der schon 1918/19 zu einer stärkeren Ideologisierung der kommunistischen Bewegung beitrug, während in Frankreich die syndikalistischen Wurzeln der Arbeiterschaft eine einheitliche Stoßrichtung verhinderten. Die kommunistische Partei Frankreichs wird zwar ebenfalls als totalitär rubriziert. Aber weil Paris bei den französischen Kommunisten als traditionelles Zentrum der Revolutionen geradezu mythisiert wurde, fiel es dort umso leichter, auch einen nationalen Zusammenhang herzustellen. Weil man sich trotz aller sozialistischen Hintergründe vor allem als Franzose fühlte, begünstigte diese Einstellung schließlich die Volksfronttaktik der dreißiger Jahre. Demgegenüber verharrte die Kommunistische Partei in Deutschland in einer blassen Geschichtslosigkeit, die wiederum eine radikale Ideologisierung nahe legte.

Als Reaktion auf die Bedrohung, die seit der sowjetischen Oktoberrevolution 1917 wahrgenommen wurde, entwickelte sich in beiden Ländern am rechten Rand der Gesellschaft eine Gegenbewegung, die sich zunächst als "Notwehr" und "Selbsthilfe" deklarierte, aber in Deutschland spätestens mit den Freikorps zum Sammelbecken nationalistischer Kräfte wurde und dem totalitären Denken von Rechts Vorschub leistete. In Frankreich war dieser "Faschismus" der Jeunesses Patriotes und des Faisceau in erster Linie "Antimarxismus", der freilich auch auf der deutschen Seite, etwa im "Stahlhelm", durchaus nicht fehlte. Wirsching kommt daher zu dem Schluss, es sei gerechtfertigt, "die genannten Phänomene als eine gegenüber dem italienischen Vorbild abgemilderte Form des Faschismus" zu bezeichnen.

Demgegenüber war der sich in Deutschland zeigende völkische Antisemitismus eine Erscheinung, die sich mit seiner Absage an das bürgerlich-liberale Denken des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa viel stärker entwickelt hatte. Zwar gab es auch bei der deutschen Rechten seit der Oktoberrevolution den bekannten harten Antikommunismus: "Doch hier diente die erwähnte Angst vor der bolschewistischen Bedrohung in weitaus stärkerem Maße der sekundären Instrumentalisierung zum Verfolg primärer Ziele. Diese bestanden letztlich in der gewaltsamen Zerstörung der liberalen Demokratie und im Aufbau eines völkischen Staatswesens auf rassischer Grundlage." Aus diesem Grund wird die Übertragung von Noltes Faschismusmodell auf den Nationalsozialismus, der als "nationalspezifischer Rechtsextremismus sui generis" klassifiziert wird, in der vorliegenden Studie abgelehnt. Allerdings wird damit nicht zugleich der Faschismusbegriff generell als Erklärungsmodell über Bord geworfen. Zur Beschreibung mancher "halbtotalitärer" Regime und Bewegungen der Zwischenkriegszeit erscheint er als durchaus nützlich.

Unter diesem Aspekt kommt dem deutschen Sonderfall eine spezifische Bedeutung zu: Im Gegensatz zu den ideologiearmen Bewegungen jenseits der deutschen Grenzen machte "gerade das Merkmal der geschlossenen Ideologie den Nationalsozialismus zu einer voll ausgeprägten totalitären Bewegung". Zwar kam es auch in Frankreich in den dreißiger Jahren zu einer Wiederkehr des militanten Antisemitismus, wie er während der Dreyfus-Affäre im ausgehenden 19. Jahrhundert offenkundig geworden war. Aber dieser blieb ein publizistisches Übergangsphänomen, und vor allem wurde er nicht Instrument der rechtsextremistischen Massenbewegungen in Frankreich.

Als Ergebnis der Studie lässt sich ein Bild zeichnen, das die spezifisch deutschen Probleme als eine entscheidende Belastung erscheinen lässt. Der Untergang der Weimarer Republik war zweifellos nicht unabwendbar, aber die politischen Folgekosten der Niederlage hatten das geistige Klima in einer ganz anderen Weise vergiftet, als das in Frankreich zu beobachten war. Vielleicht hätte der Autor neben den ideologischen Hintergründen, die den politischen Extremismus der Zeit beförderten, auch die auf den ersten Blick ganz banalen Gründe noch stärker beleuchten können, welche die Republik von Weimar mit einem Geburtsfehler belasteten: Durch Versailles und die Kriegsschuldfrage beansprucht, fehlte es der jungen Demokratie einfach an Legitimation, um den Anfeindungen von allen Seiten zu widerstehen.

Aber dies sind nur marginale Anmerkungen, die die Anerkennung für ein fundiertes Werk nicht schmälern sollen. Geschichtsphilosophie und historische Darstellung der "totalitären Bewegungen" werden in einer überzeugenden Synthese verbunden. Nach der Lektüre dieser ausgesprochen anregenden Studie bleibt freilich die bedrückende Erkenntnis, dass schon der Beginn der Zwischenkriegsphase ihr Ende nachgerade implizierte und im Ringen zwischen Demokratie und Diktatur die Gewalt schließlich die Oberhand gewinnen würde. Um es vereinfacht zu umschreiben: In Deutschland waren die Linken linker und die Rechten rechter als in Frankreich. Diese spezifischen Unterschiede bieten einen wichtigen Erklärungsansatz zum Scheitern der Weimarer Republik. Wirsching zitiert in diesem Zusammenhang zustimmend Hannah Arendt, die in ihrem grundlegenden Werk über "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" die bedrohlichen totalitären Bewegungen von rechts und links prägnant beschrieben hat: "Sie konnten mitten im Frieden, und ohne dass dies von revolutionären Umwälzungen begleitet worden wäre, die Methoden des Bürgerkrieges in die normale politische Propaganda tragen, den Gegner morden, anstatt ihn zu widerlegen, diejenigen, welche nicht bei ihnen organisiert waren, terrorisieren, anstatt sie zu überzeugen."

JOACHIM SCHOLTYSECK

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"Dies ist ein Buch, das neue Maßstäbe setzt. ... Das große Verdienst der Abhandlung liegt im Erkenntnisgewinn, den der systematische Vergleich abwirft. Angst vor dem Bürgerkrieg gab es nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Deutschland wie in Frankreich, aber nur Deutschland erlebte in der Nachkriegszeit regionale Bürgerkriege, die die Angst vor dem großen Bürgerkrieg zum kollektiven Trauma werden ließen. Die wechselseitige Steigerung der Extreme von links und rechts läßt sich nach 1918 beiderseits des Rheins beobachten. Aber nur in Deutschland gingen Antisemitismus und Demokratiefeindschaft eine Verbindung ein, die das Land und Europa in eine Katastrophe stürzen sollte. Paramilitärische Gewalt breitete sich in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren in beiden Ländern aus. Aber in Frankreich war, anders als in Deutschland, der republikanische Grundkonsens bis zur deutschen Besetzung stark genug, um die totalitären und autoritären Kräfte in Schach zu halten. Wirschings glänzend geschriebene Studie beweist einmal mehr, worin der Nutzen des Vergleichs liegt: in der scharfen Herausarbeitung dessen, was die untersuchten Phänomene miteinander gemeinsam haben - und worin sie sich unterscheiden." (Historische Zeitschrift, Sonderheft 19)