Die Lebenserinnerungen von Hans-Peter Schwarz:
eine kritische Zeitanalyse von der Ära Adenauer
bis zur Ära Merkel
Der renommierte Politikwissenschaftler und Zeithistoriker schildert in brillanter Manier seinen wissenschaftlichen Werdegang, analysiert das Zeitgeschehen in Deutschland, Europa und weltweit während seiner acht Lebensjahrzehnte, gespickt mit reflektierenden Passagen und kritisch-ironischen Seitenhieben auf manche Torheit der Regierenden unserer Zeit. Mit seinem Namen verbinden sich herausragende Werke über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Seine Biographie ist selbst ein Teil deutscher Wissenschafts- und Zeitgeschichte.
eine kritische Zeitanalyse von der Ära Adenauer
bis zur Ära Merkel
Der renommierte Politikwissenschaftler und Zeithistoriker schildert in brillanter Manier seinen wissenschaftlichen Werdegang, analysiert das Zeitgeschehen in Deutschland, Europa und weltweit während seiner acht Lebensjahrzehnte, gespickt mit reflektierenden Passagen und kritisch-ironischen Seitenhieben auf manche Torheit der Regierenden unserer Zeit. Mit seinem Namen verbinden sich herausragende Werke über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Seine Biographie ist selbst ein Teil deutscher Wissenschafts- und Zeitgeschichte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2018Ganz
nah dran
Hans-Peter Schwarz hat kurz vor seinem Tod
eine recht subjektive Kanzler-Geschichte geschrieben
VON WERNER WEIDENFELD
Mit Neugierde greift der Leser zu dem umfangreichen Werk. Der große Nestor der Zeitgeschichtsforschung hat kurz vor seinem Tod nochmals zur Feder gegriffen und die Summe seiner biografischen Beobachtungen zu Papier gebracht – und sein langjähriger Schüler Hanns Jürgen Küsters hat posthum letzte Hand angelegt. Stärken und Schwächen der Kanzler von Adenauer bis Merkel hat Schwarz über die Jahre analysiert. Er hat sie kennengelernt und gelegentlich ein Beraterverhältnis unterhalten. Wir kennen Hans-Peter Schwarz (1934-2017) als den Autor der großen biografischen Standardwerke über Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Axel Springer. Nicht zu vergessen ist seine Habilitationsschrift „Vom Reich zur Bundesrepublik“, die eine differenzierte Sicht der Gründungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland eröffnete, aber auch sein Buch „Das Gesicht des 20. Jahrhunderts“.
Und jetzt? Der Haupttitel des Buches führt leicht in die Irre. Nicht die neuen Seiten der diversen Bundeskanzler stehen im Mittelpunkt, sondern das, was der Untertitel andeutet: die Lebenserinnerungen des Zeitzeugen Hans-Peter Schwarz. Man sollte bei der Lektüre des Buches auf keiner Seite das einführende Bekenntnis des Autors vergessen: „Es ist eine unendliche Geschichte mit vielen Narrativen. Deshalb wird es mich nicht stören, wenn der oder jener Leser auch mein eigenes Narrativ als subjektiv empfindet.“
Kindheit, Jugend, Studium – spannend wird die Darstellung, als Schwarz in den Doktorandenkreis von Arnold Bergstraesser an der Universität Freiburg aufgenommen wird. Bergstraesser war einer der Gründungsväter der Politikwissenschaft im Nachkriegsdeutschland, der die normativ orientierte „Freiburger Schule“ initiierte und den Schwarz als „wohl das einzige Genie“ titulierte. Später lebte der Geist Bergstraessers weiter im Spitzenprofil seiner renommierten Schüler, etwa Kurt Sontheimer und Dieter Oberndörfer, Hans Maier und Alexander Schwan, Gottfried-Karl Kindermann und Theo Stammen. Die harte Arbeit an der akademischen Karriere mit allen personellen Verflechtungen, taktischen Kalkulierungen und kollegialen Spannungsfeldern ist detailliert nachvollziehbar auf den universitären Stationen Osnabrück, Hamburg, Köln und Bonn. Die Geschichte des Faches „Politikwissenschaft“ wird in ihren personellen und thematischen Einzelheiten veranschaulicht; die Wissenschaft wird gewissermaßen von innen verkostet.
Der akademische Berufsweg von Hans-Peter Schwarz schien unbewusst einem Kompass zu folgen: Es galt immer näher an das eigentliche politische Entscheidungszentrum zu gelangen – Bonn. Denn eigentlich sollte im Schwarz’schen Horizont die Politikwissenschaft anwendungsorientierte Hilfe bieten, die Rationalität der Politik steigern. Es galt, „Geschichte zu schreiben, während sie noch qualmt“.
Von Seite zu Seite wird die Verbindung von Schwarz zu den Bonner Entscheidungsprozessen dichter. Es begann mit der Verwebung seiner Arbeit mit der damals in Bonn angesiedelten „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“. Er wurde mit Gedankenwelt und Stil des damaligen politischen Establishments immer vertrauter. Dabei rückte er mehr und mehr in das Netzwerk der Unionspolitiker. Die neue Ostpolitik und die Geheimverhandlungen Egon Bahrs weckten sein Misstrauen. Mit Diktatoren sollte man sich nicht gemein machen.
Während Schwarz in den 70er-Jahren immer als der CDU „nahestehend“ beschrieben wurde, trat er Anfang der 80er-Jahre bei und wurde Mitglied. Der Areopag der Unions-Elite gehörte zu seinem fast täglichen Erfahrungsfeld: Walther Leisler-Kiep, Volker Rühe, Manfred Wörner, Gerhard Schröder, Karl-Günther von Hase. 1977 war es bereits zur ersten Begegnung mit Helmut Kohl gekommen. Sein erster Eindruck war: „Das ist ein massiver Parteiboß.“
Von 1987 an fand Schwarz als „Bonner Professor“ besondere Freude an der Nähe zu den politischen Entscheidungsprozessen, an den konkreten Beobachtungsmöglichkeiten der personellen Konstellationen, der Perzeptionen von Konflikten, Intrigen und Hoffnungen. Er genoss als „Hauptstadtprofessor“ die „Nähe zum Tatort“.
Am dichtesten wirkte Schwarz in der Ära Kohl beratend mit. Aber dort wird in dem Buch die höchst subjektive Sicht des Autors besonders spürbar. Das Umfeld Kohls wird beschrieben, allerdings in einer Form, die sich als das persönliche Wahrnehmungsfeld von Schwarz herausstellt – objektiv höchst lückenhaft, in der Gewichtung sehr subjektiv. Zur Europapolitik versteigt er sich auf einen energischen Ausruf zu „dem verhängnisvollen Währungsexperiment“. Klug und ergiebig sind zweifellos die detaillierten Beschreibungen von Kohls kommunikativem Führungsstil. Und dann folgt die höchst kritische Feststellung: „Byzantinismus und Schwenken des Weihrauchfasses habe ich jedoch schon früh in seiner engeren Umgebung und bei den zweit- und drittrangigen Parteifunktionären beobachtet.“ Auch die direkten Beschreibungen der Verhaltensweisen Kohls lassen auf eine besondere Beobachtungsintensität schließen: „Da sitzt ein Politiker, dessen Augen in einen vulkanischen Charakter blicken lassen, wo innere Unruhe, Misstrauen, Sendungsbewusstsein, Hass, Bonhomie, Pflichtbewusstsein und Wirklichkeitssinn miteinander ringen – kein strahlender Siegfried, auch keine in sich ruhende Persönlichkeit.“
Als die deutsche Politik dann wirklich dramatische Züge annahm mit Mauerfall und Deutscher Einheit, wurde deutlich, wie wenig der Bonner Professor nun wirklich mitbekam. Am Ende der Lektüre der mehr als 700 Seiten bleibt ein Nachgeschmack: Man erfährt einiges über Kanzler Adenauer und Kanzler Kohl – aber wo bleibt der Rest bundesrepublikanischer Geschichte, den man nach dem Buchtitel doch im Inhalt vermutet?
Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München und Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg).
Mit der Zeit ließ er
sich in das Netzwerk
der Unionspolitiker einweben
Schwarz genoss
als „Hauptstadtprofessor“
die „Nähe zum Tatort“
Hans-Peter Schwarz:
Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen,
hrsg. von Hanns Jürgen Küsters. DVA-Verlag
München 2018, 734 Seiten. 50 Euro
Der Alte und sein „Mädchen“: Helmut Kohl 1994
mit Umweltministerin Angela Merkel.
Seit 2005 regiert Merkel als Kanzlerin. Foto: dpa
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nah dran
Hans-Peter Schwarz hat kurz vor seinem Tod
eine recht subjektive Kanzler-Geschichte geschrieben
VON WERNER WEIDENFELD
Mit Neugierde greift der Leser zu dem umfangreichen Werk. Der große Nestor der Zeitgeschichtsforschung hat kurz vor seinem Tod nochmals zur Feder gegriffen und die Summe seiner biografischen Beobachtungen zu Papier gebracht – und sein langjähriger Schüler Hanns Jürgen Küsters hat posthum letzte Hand angelegt. Stärken und Schwächen der Kanzler von Adenauer bis Merkel hat Schwarz über die Jahre analysiert. Er hat sie kennengelernt und gelegentlich ein Beraterverhältnis unterhalten. Wir kennen Hans-Peter Schwarz (1934-2017) als den Autor der großen biografischen Standardwerke über Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Axel Springer. Nicht zu vergessen ist seine Habilitationsschrift „Vom Reich zur Bundesrepublik“, die eine differenzierte Sicht der Gründungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland eröffnete, aber auch sein Buch „Das Gesicht des 20. Jahrhunderts“.
Und jetzt? Der Haupttitel des Buches führt leicht in die Irre. Nicht die neuen Seiten der diversen Bundeskanzler stehen im Mittelpunkt, sondern das, was der Untertitel andeutet: die Lebenserinnerungen des Zeitzeugen Hans-Peter Schwarz. Man sollte bei der Lektüre des Buches auf keiner Seite das einführende Bekenntnis des Autors vergessen: „Es ist eine unendliche Geschichte mit vielen Narrativen. Deshalb wird es mich nicht stören, wenn der oder jener Leser auch mein eigenes Narrativ als subjektiv empfindet.“
Kindheit, Jugend, Studium – spannend wird die Darstellung, als Schwarz in den Doktorandenkreis von Arnold Bergstraesser an der Universität Freiburg aufgenommen wird. Bergstraesser war einer der Gründungsväter der Politikwissenschaft im Nachkriegsdeutschland, der die normativ orientierte „Freiburger Schule“ initiierte und den Schwarz als „wohl das einzige Genie“ titulierte. Später lebte der Geist Bergstraessers weiter im Spitzenprofil seiner renommierten Schüler, etwa Kurt Sontheimer und Dieter Oberndörfer, Hans Maier und Alexander Schwan, Gottfried-Karl Kindermann und Theo Stammen. Die harte Arbeit an der akademischen Karriere mit allen personellen Verflechtungen, taktischen Kalkulierungen und kollegialen Spannungsfeldern ist detailliert nachvollziehbar auf den universitären Stationen Osnabrück, Hamburg, Köln und Bonn. Die Geschichte des Faches „Politikwissenschaft“ wird in ihren personellen und thematischen Einzelheiten veranschaulicht; die Wissenschaft wird gewissermaßen von innen verkostet.
Der akademische Berufsweg von Hans-Peter Schwarz schien unbewusst einem Kompass zu folgen: Es galt immer näher an das eigentliche politische Entscheidungszentrum zu gelangen – Bonn. Denn eigentlich sollte im Schwarz’schen Horizont die Politikwissenschaft anwendungsorientierte Hilfe bieten, die Rationalität der Politik steigern. Es galt, „Geschichte zu schreiben, während sie noch qualmt“.
Von Seite zu Seite wird die Verbindung von Schwarz zu den Bonner Entscheidungsprozessen dichter. Es begann mit der Verwebung seiner Arbeit mit der damals in Bonn angesiedelten „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“. Er wurde mit Gedankenwelt und Stil des damaligen politischen Establishments immer vertrauter. Dabei rückte er mehr und mehr in das Netzwerk der Unionspolitiker. Die neue Ostpolitik und die Geheimverhandlungen Egon Bahrs weckten sein Misstrauen. Mit Diktatoren sollte man sich nicht gemein machen.
Während Schwarz in den 70er-Jahren immer als der CDU „nahestehend“ beschrieben wurde, trat er Anfang der 80er-Jahre bei und wurde Mitglied. Der Areopag der Unions-Elite gehörte zu seinem fast täglichen Erfahrungsfeld: Walther Leisler-Kiep, Volker Rühe, Manfred Wörner, Gerhard Schröder, Karl-Günther von Hase. 1977 war es bereits zur ersten Begegnung mit Helmut Kohl gekommen. Sein erster Eindruck war: „Das ist ein massiver Parteiboß.“
Von 1987 an fand Schwarz als „Bonner Professor“ besondere Freude an der Nähe zu den politischen Entscheidungsprozessen, an den konkreten Beobachtungsmöglichkeiten der personellen Konstellationen, der Perzeptionen von Konflikten, Intrigen und Hoffnungen. Er genoss als „Hauptstadtprofessor“ die „Nähe zum Tatort“.
Am dichtesten wirkte Schwarz in der Ära Kohl beratend mit. Aber dort wird in dem Buch die höchst subjektive Sicht des Autors besonders spürbar. Das Umfeld Kohls wird beschrieben, allerdings in einer Form, die sich als das persönliche Wahrnehmungsfeld von Schwarz herausstellt – objektiv höchst lückenhaft, in der Gewichtung sehr subjektiv. Zur Europapolitik versteigt er sich auf einen energischen Ausruf zu „dem verhängnisvollen Währungsexperiment“. Klug und ergiebig sind zweifellos die detaillierten Beschreibungen von Kohls kommunikativem Führungsstil. Und dann folgt die höchst kritische Feststellung: „Byzantinismus und Schwenken des Weihrauchfasses habe ich jedoch schon früh in seiner engeren Umgebung und bei den zweit- und drittrangigen Parteifunktionären beobachtet.“ Auch die direkten Beschreibungen der Verhaltensweisen Kohls lassen auf eine besondere Beobachtungsintensität schließen: „Da sitzt ein Politiker, dessen Augen in einen vulkanischen Charakter blicken lassen, wo innere Unruhe, Misstrauen, Sendungsbewusstsein, Hass, Bonhomie, Pflichtbewusstsein und Wirklichkeitssinn miteinander ringen – kein strahlender Siegfried, auch keine in sich ruhende Persönlichkeit.“
Als die deutsche Politik dann wirklich dramatische Züge annahm mit Mauerfall und Deutscher Einheit, wurde deutlich, wie wenig der Bonner Professor nun wirklich mitbekam. Am Ende der Lektüre der mehr als 700 Seiten bleibt ein Nachgeschmack: Man erfährt einiges über Kanzler Adenauer und Kanzler Kohl – aber wo bleibt der Rest bundesrepublikanischer Geschichte, den man nach dem Buchtitel doch im Inhalt vermutet?
Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München und Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg).
Mit der Zeit ließ er
sich in das Netzwerk
der Unionspolitiker einweben
Schwarz genoss
als „Hauptstadtprofessor“
die „Nähe zum Tatort“
Hans-Peter Schwarz:
Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen,
hrsg. von Hanns Jürgen Küsters. DVA-Verlag
München 2018, 734 Seiten. 50 Euro
Der Alte und sein „Mädchen“: Helmut Kohl 1994
mit Umweltministerin Angela Merkel.
Seit 2005 regiert Merkel als Kanzlerin. Foto: dpa
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»Erinnerungen mit vielen blitzenden Formulierungen und blitzgescheiten Gedanken«. Neue Zürcher Zeitung