Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 6,00 €
  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Texte zur Theologie, Dogmatik
  • Verlag: Styria
  • Seitenzahl: 227
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 266g
  • ISBN-13: 9783222118326
  • Artikelnr.: 24273478
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.1997

Die Christen hatten Hosen an
Spätantike ganz modern: Ein Panorama der Literaturgeschichte

Der Kirchenvater Hieronymus berichtet von einer Vision, die ihn vor den Richterstuhl Christi führte; auf seine Angabe, er sei ein Christ, habe er die Antwort erhalten: "Du lügst, du bist ein Ciceronianer, aber kein Christ." Hieronymus erzählt, daraufhin sei er geprügelt worden, und noch nach dem Erwachen habe er die Schläge gefühlt und sich schleunigst den göttlichen Schriften zugewandt. Nicht weniger entschieden grenzt sich der wortgewaltige, zeitweise als Patriarch von Konstantinopel amtierende Johannes Chrysostomos in einer programmatischen Schrift "Über das Priestertum" von der klassischen Rhetorik ab: "Würde ich die Glätte des Isokrates und die Wucht des Demosthenes, die feierliche Würde des Thukydides und den hohen Stil Platons fordern, dann sollte man mir das Zeugnis des Paulus entgegenhalten." Gemeint ist hier das Diktum des Paulus, er sei zwar kein Meister im Reden (logos), aber in der Erkenntnis (gnosis) nehme er es mit jedem auf (2. Kor. 11,6).

In diesen Äußerungen der beiden heidnisch gebildeten, christlichen Intellektuellen blitzen die beherrschenden Merkmale der Spätantike auf: die Spannungen zwischen Altem und Neuem, zwischen klassisch-paganer Antike und dem inzwischen zur Staatsreligion avancierten Christentum. Erst in jüngerer Zeit hat sich ein angemessenes Verständnis auch für die schöpferischen und zukunftsträchtigen Aspekte dieser konfliktreichen Epoche zwischen dem vierten und siebten Jahrhundert entwickelt: Nicht nur als "History of the Decline and Fall of the Roman Empire", so der Titel von Edward Gibbons Klassiker aus den Jahren 1776 bis 1788, sondern auch als "verheißungsvoller Anfang der europäischen Kultur" (Manfred Fuhrmann) muß dieser Zeitraum verstanden werden, wie das von Lodewijk J. Engels und Heinz Hofmann herausgegebene Handbuch eindrucksvoll demonstriert. Der voluminöse Band schließt eine Lücke, denn für die Klassischen Philologien fehlte bislang ein Grundlagenwerk auf neuestem Stand, das entsprechenden Handbüchern für die Alte Geschichte (Alexander Demandts "Spätantike" von 1989) und für die Archäologie beziehungsweise Kunstgeschichte an die Seite zu stellen wäre.

Auf den ersten Blick erweckt der Aufbau des nach Gattungen gegliederten, die lateinische und griechische Literatur stets zusammen behandelnden Buches einen etwas unsystematischen Eindruck, finden sich darin doch gesonderte Kapitel zur Entstehung und Rezeption der Bibel (Detlev Dormeyer) sowie zur theologischen Literatur der vorkonstantinischen Zeit (Basil Studer), die aus dem chronologischen Rahmen herausfallen. Doch resultiert diese Gliederung aus der Gesamtanlage des "Neuen Handbuchs der Literaturwissenschaft", dessen längst erschienene Bände zur griechischen und römischen Literatur der literarischen Produktion der Christen ebensowenig Raum geboten hatten wie der byzantinischen Literatur, die in einem konzis formulierten Schlußkapitel von Willem J. Aerts ebenfalls im vorliegenden Band untergebracht wurde.

Alle übrigen Abschnitte unterstreichen nachdrücklich die Ambivalenz der Spätantike. So konstatiert Alexander Demandt in seinem einleitenden historischen Überblick neben Dekadenzphänomenen (zum Beispiel im Städtewesen) auch "begrüßenswerte Neuentwicklungen", zu denen er neben dem Kirchenbau oder technologischen Innovationen auch "die Durchsetzung der (barbarischen) Hose in der Männertracht" zählt. Im literarischen Leben sowie im Buch- und Bildungswesen ermitteln Lodewijk J. Engels und Heinz Hofmann neben sprachlicher Vulgarisierung und dem allmählichen Verlust der traditionellen Zweisprachigkeit - des Griechischen im Westen und des Lateinischen im Osten - bahnbrechende Neuerungen wie die Verdrängung der Buchrolle durch den Codex, die für die Überlieferungsgeschichte antiker Texte kaum zu überschätzende Bedeutung erlangt hat.

Manche Literaturgattungen wie die pagane Rhetorik (Manfred Fuhrmann) erlebten eine neue Blüte und beeinflußten sogar maßgeblich die Ausbildung einer besonderen "christlichen Rhetorik" (Karl-Heinz Uthermann). Auch die von Michaela Zelzer souverän behandelte Briefliteratur nahm am geistigen Aufschwung der Zeit teil. Kaum zufällig sind gerade aus der Spätantike große Briefsammlungen von Heiden wie Libanios (über 1500 Briefe) oder Symmachus (über neunhundert Briefe) sowie von Christen - zum Beispiel von Basilius von Caesarea und Augustinus mit jeweils über dreihundert Briefen - überliefert.

Die heidnisch-christlichen Auseinandersetzungen, das Ringen um die wahre Welterkenntnis und den richtigen Glauben, führten nicht selten zu blutigen Konflikten und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen - geistig hingegen wirkte die Rivalität stimulierend, und es entstand eine genuin christliche, apologetische und exegetische Literatur (Basil Studer), die genauso wie die Historiographie (Heinz Hofmann) neue Gattungen (wie die Hagiographie) zeitigte und durch permanenten Bezug auf die paganen Gegenpositionen in manchen Fällen nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, daß letztere überhaupt im historischen Gedächtnis verblieben. Auch auf den Feldern der Prosaliteratur (Bernhard Kytzler) und der Poesie (Jean-Louis Charlet) entwickelte sich eine spezifisch spätantike Literatur mit eigenen Ausdrucksformen (etwa die politische Epik Claudians), und schließlich bildete insbesondere die von Peter E. Pieler vorgestellte Rechtsliteratur eine Brücke zum Mittelalter und darüber hinaus bis in die Neuzeit: Das klassische Juristenrecht wurde systematisiert, und die hoch- und spätkaiserzeitlichen Erlasse der Kaiser wurden kompiliert und kodifiziert.

Das Buch bietet mehr als nur eine Literaturgeschichte konventionellen Zuschnitts, es zeichnet vielmehr das Panorama einer ganzen Epoche und integriert durch eine reiche und ausführlich kommentierte Bebilderung auch die Bereiche Kunst, Architektur und Buchmalerei in die Darstellung. Der geduldige und aufmerksame Leser ist am Ende einer langen und bewegten Reise durch die spätantike Geisteswelt keineswegs nur Zeuge eines langen Verfallsprozesses geworden, der ihn nostalgisch an das goldene Augusteische Zeitalter denken läßt. Er hat am Wandel des Imperium Romanum zum Imperium Christianum teilgenommen, an der Metamorphose der Antike zur Spätantike, der zu Recht ein eigener Platz auch in der Literatur- und Sprachgeschichte Europas zukommt. HARTWIN BRANDT

Lodewijk J. Engels, Heinz Hofmann (Hrsg.): "Spätantike". Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Band 4. Aula Verlag, Wiesbaden 1997. 758 S., Abb., geb., 258,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr