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Deutschland als Vorbild? Susan Neiman vergleicht den deutschen und den amerikanischen Umgang mit dem Erbe der eigenen Geschichte.
Wie können Gesellschaften mit dem Bösen der eigenen Geschichte umgehen? Lässt sich - politisch gesehen - etwas von den Deutschen lernen? Als Susan Neiman, eine junge jüdische Amerikanerin, in den achtziger Jahren ausgerechnet nach Berlin zog, war das für viele in ihrem Umfeld nicht nachvollziehbar. Doch sie blieb in Berlin und erlebte hier, wie die Deutschen sich ernsthaft mit den eigenen Verbrechen auseinandersetzten: im Westen wie im Osten, wenn auch auf…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland als Vorbild? Susan Neiman vergleicht den deutschen und den amerikanischen Umgang mit dem Erbe der eigenen Geschichte.

Wie können Gesellschaften mit dem Bösen der eigenen Geschichte umgehen? Lässt sich - politisch gesehen - etwas von den Deutschen lernen? Als Susan Neiman, eine junge jüdische Amerikanerin, in den achtziger Jahren ausgerechnet nach Berlin zog, war das für viele in ihrem Umfeld nicht nachvollziehbar. Doch sie blieb in Berlin und erlebte hier, wie die Deutschen sich ernsthaft mit den eigenen Verbrechen auseinandersetzten: im Westen wie im Osten, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Als dann mit Donald Trump ein Mann Präsident der USA wurde, der dem Rassismus neuen Aufschwung verschaffte, beschloss sie, dorthin zurückzukehren, wo sie aufgewachsen war: in die amerikanischen Südstaaten, wo das Erbe der Sklaverei noch immer die Gegenwart bestimmt. Susan Neiman verknüpft persönliche Porträts mit philosophischer Reflexion und fragt: Wie sollten Gesellschaften mit dem Bösen der eigenen Geschichte umgehen?
Autorenporträt
Susan Neiman, 1955 in Atlanta, Georgia, geboren, war Professorin für Philosophie an den Universitäten Yale und Tel Aviv, bevor sie im Jahr 2000 die Leitung des Einstein Forums in Potsdam übernahm. Bei Hanser Berlin erschienen von ihr zuletzt Warum erwachsen werden? (2015), Von den Deutschen lernen (2020) und Links ist nicht woke (2023). Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2020

Reise in die Vergangenheit
Vom Umgang mit Antisemitismus und Rassismus in Deutschland und den Vereinigten Staaten

Die Geschichte von Antisemitismus und Rassismus ist ein Skandal. Sie erzählt von millionenfachem Leid und Tod, von Vertuschung und zögerlicher Aufarbeitung. Angesichts dieser Tatsachen ist es erschütternd, dass Antisemitismus und Rassismus auch in der Gegenwart sichtbar sind. Nach dem Massaker von Charleston 2015, bei dem ein weißer Amerikaner neun Afroamerikaner ermordete, beschloss Susan Neiman, ein Buch zu schreiben. Es nimmt die deutsche "Vergangenheitsaufarbeitung" als Beispiel, um den Umgang mit Rassismus in den Vereinigten Staaten zu beleuchten.

Neiman erzählt darin auch ihre eigene Geschichte. Sie ist eine politisch engagierte Jüdin, die in Atlanta aufgewachsen ist und heute als Philosophin in Berlin lebt. Es ist ein persönliches Buch geworden, in dem die Autorin ihre kosmopolitischen Überzeugungen deutlich macht und zahlreiche Weggefährten zu Wort kommen lässt. Entstanden ist es während eines Roadtrips durch Deutschland und den Süden der Vereinigten Staaten, wo Neiman erinnerungspolitisch engagierten Bürgern begegnete. In Gestalt einer Gruppe amerikanischer Laiendarsteller, die Bürgerkriegssoldaten mimen, oder dem Brandenburger AfD-Vorsitzenden kommen gelegentlich auch jene zu Wort, die kein Interesse daran haben, sich der Vergangenheit kritisch zu stellen. Der Text gewinnt damit zwar an Multiperspektivität, wird jedoch streckenweise repetitiv und hat deutliche Längen.

Das Buch basiert auf drei Prämissen: Die nicht aufgearbeitete Vergangenheit sitzt wie ein Stachel im Fleisch der Gegenwart. Der vergangenheitspolitische Weg Deutschlands ist ein Erfolg. Er ist beispielgebend. Nicht jeder wird diesen Voraussetzungen zustimmen wollen. So ist fraglich, ob der deutsche Umgang mit der Vergangenheit in einer Fortschrittsgeschichte aufgeht. In der Adenauerzeit wandelten zahlreiche ehemalige Nazis auf Bonner Behördenfluren. Im Schatten des Kalten Krieges, als die kommunistische Bedrohung beschworen wurde, trieben kaum beachtete rechte Terrorgruppen ihr Unwesen. Antisemitische und rassistische Anschläge werden bis heute verübt. Nach Angaben des Bundeskriminalamts hat es dabei seit 1990 109 Tote gegeben. Das spricht für eine Kontinuität rechten Denkens und Handelns in Deutschland. Vor kurzem hat Jürgen Habermas vor dem "Wiederaufleben des Rechtsextremismus" gewarnt. Wo also ist die heilsame Kraft der Aufarbeitung zu spüren?

Neiman erwähnt diese Kritik natürlich, beharrt aber auf deutschen Errungenschaften, die sie mit der Situation in den Vereinigten Staaten kontrastiert: Es gibt eine hohe Aufmerksamkeit für die Opfer in der Geschichte. Antisemitische Vorfälle mobilisieren regelmäßig öffentlichen Protest. Es existieren keine Denkmäler, die Nazis rühmen, weil sie Nazis waren.

In den Abschnitten des Buches, die sich mit der Rassentrennung in Amerika befassen, zeichnet die Autorin dagegen ein düsteres Bild. Auf ihrer Reise durch den Süden der Vereinigten Staaten findet sie jeden Ort, den sie durchquert, mit Rassismus verbunden. Tatsächlich beendete der Sieg der Union im Bürgerkrieg 1865 zwar die Sklaverei, die aber durch neue Formen der Leibeigenschaft ersetzt wurde. Durch grausame Lynchmorde kamen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Tausende zu Tode, die nicht weiß waren. Der Mythos, die Südstaaten hätten im Bürgerkrieg vor allem für ihre Freiheit und nicht für die fortdauernde Gefangenschaft von beinahe vier Millionen Schwarzen gekämpft, lebt immer noch fort. Symbol dieser Lost Cause ist die Konföderiertenflagge, mit der - so schließt sich der Kreis - auch der Attentäter von Charleston posierte.

Auch hier ließe sich wieder Wasser in den von der Autorin servierten, wegen der bedrückenden Befunde recht sauren Wein gießen, doch das ginge an der richtigen Intention des Buches vorbei. Indem Neiman die deutsche und amerikanische Erinnerungskultur einander gegenüberstellt, setzt sie Holocaust und Segregation nicht gleich, sondern ruft dazu auf, Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen. Auch Barack Obama interessierte sich bei einem Besuch in Buchenwald dafür, welche Botschaften KZ-Gedenkstätten für ein zu gründendes nationales Museum der Sklaverei in den Vereinigten Staaten bereithielten (das bis heute nicht existiert).

Auf ihrem Weg entdeckt Neiman interessante Parallelen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, etwa das lange Schweigen oder das mühsame Ringen Einzelner um Aufklärung. Zu leicht wird heute vergessen, dass auch die deutsche Erinnerungslandschaft maßgeblich auf zivilgesellschaftlichen Initiativen basierte, die Orte des NS-Terrors mühsam ins öffentliche Bewusstsein hoben. Staatliche Unterstützung kam erst später. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich heute in den Vereinigten Staaten ab. Privatleute restaurieren Sklavenunterkünfte, neue Museen und Gedenkstätten klären über Rassismus auf, ebenso wie Organisationen, die sich auch für Bildung abgehängter Bevölkerungsgruppen einsetzen. Es gibt also Hoffnung.

Wenig überzeugend ist dagegen das Kapitel zur Erinnerungspolitik der DDR geraten, in dem Neiman beweisen will, dass die DDR der Bundesrepublik in Sachen Aufarbeitung voraus war. Zweifellos waren manche Kommunisten - vor allem in der Frühphase der DDR - von hehren Absichten getrieben. Dennoch illustriert eine zitierte SED-Verlautbarung von 1949, die Faschismus und Rassenhass den Kampf ansagt, vor allem die hochgradig ideologisierte Sprache der DDR, in der Antifaschismus eine vorgeschriebene Grundhaltung mit staatslegitimierender Funktion war. Auch in der DDR kam es zu ausländerfeindlicher Gewalt, die es nicht geben durfte und die deshalb weitgehend unbekannt geblieben ist. Das KZ Buchenwald, das Neiman als Beispiel für einen verantwortungsvollen Umgang der DDR mit der NS-Vergangenheit nennt, zeigt die deutlichen Grenzen der Aufarbeitung. Es war als Museum des kommunistischen Widerstandes konzipiert und steht damit für eine Gedenkkultur, in der die Juden bis tief in die 1980er Jahre am unteren Ende der Opferhierarchie standen.

Insgesamt wirft Neimans Reise zahlreiche Fragen auf, über die dringend diskutiert werden muss. Wie weit reicht die Verpflichtung zurück, Reparationen für Gewalt und Unrecht zu leisten? Welche Ideen gibt es, eine erstarrte Gedenkkultur zu revitalisieren? Das Buch ist ein starkes Plädoyer für die Überwindung begrenzter Weltanschauungen. Es belegt, dass die Vergangenheit, so fern sie zu sein scheint, uns plötzlich ganz nah rücken kann.

CHRISTOPH NÜBEL

Susan Neiman: Von den Deutschen lernen. Wie Gesellschaften mit dem Bösen in ihrer Geschichte umgehen können.

Hanser Berlin Verlag, Berlin 2020. 576 S., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Neiman schafft es auf eine furchtlose und graziöse Art, sich zwischen sämtliche Stühle zu setzen." Michael Maar, Deutschlandfunk Kultur, 1.12.2020

"Die Autorin nimmt die Leserinnen und Leser mit auf Reportagen. Sie führt sie ebenso leichtfüßig durch die deutsche Provinz wie durch die Südstaaten der USA. Hier wie dort gibt sie Einblicke in das Alltagsleben von Menschen, die mit der Last der Vergangenheit kämpfen." Sabine Bitter, SRF, 05.11.2020

"Ein wirklich starkes Buch." Lukas Hammerstein, Bayern 2, 24.09.2020

"Susan Neimans Buch 'Von den Deutschen lernen' liest sich wie ein Kommentar zur Stunde. [...] Vor allem hat Neiman überaus lesenswerte Zeitzeugen-Interviews geführt, mit denen sie den Spuren der Aufarbeitung in Ost wie West folgt [...]. Entstanden ist so ein wirklich spannender und ungewöhnlicher Blick auf deutsche Geschichtsaufarbeitung." Katrin Wenzel, MDR Kultur, 18.07.2020

"Was die Philosophin mit ihrem Buch anregen möchte, ist, die Wahrheitssuche beim Umgang mit der jeweils eigenen Gewaltgeschichte als 'eine Einübung in Universalismus' zu verstehen. Wie Reemtsma zielt sie auf eine supranationale Auseinandersetzung mit Gewalt, eine Auseinandersetzung, die ohne moralpolitische Leitlinien nicht auskommt. Unabdingbar, so kann man sie verstehen, gerade in heutigen Zeiten grassierender Identitätspolitiken. [...] absolut anregend und lehrreich." Angela Gutzeit, Deutschlandfunk, 21.06.2020

"Susan Neimans Buch ist eine eindrucksvolle vergleichende Ethnographie der Vergangenheitsaufarbeitung. Wirksam kann ein solcher Vergleich nur werden, wenn er sich an Maßstab gebenden universellen Prinzipien orientiert. Diese Prinzipien findet Susan Neiman in der Philosophie der Aufklärung und nicht zuletzt in Kants 'Metaphysik der universellen Gerechtigkeit'." Wolf Lepenies, Die Welt, 04.04.2020

"Neiman, die Philosophin, ist die Meisterin im Erkennen der feinen Unterschiede. Das zeichnet sie als Denkerin aus. [...] Sie erzählt in ihrem äußerst lesenswerten Buch, wie sie nach Mississippi reiste, um dort den Wurzeln des Rassismus nachzuspüren. [...] Der Rassismus und die Gewalt seien in der amerikanischen Geschichte verharmlost und verschwiegen worden. Das sei ein großer Fehler, findet die Philosophin: 'Hier können wir von den Deutschen lernen', sagt sie." Michael Hesse, Kölner Stadt-Anzeiger, 15.03.2020

"'Von den Deutschen lernen' zielt vor allem auf die deutsche Erinnerungskultur ab. Der Umgang mit dem Bösen, sagt sie, sei ein zutiefst philosophisches Problem und könne doch nicht allein abstrakt gelöst werden. Also verwebt die Autorin Analytisches und Anekdotisches." Ronald Düker, Philosophie Magazin, 3/2020

"Das Buch ist ein starkes Plädoyer für die Überwindung begrenzter Weltanschauungen. Es belegt, dass die Vergangenheit, sofern sie zu sein scheint, uns plötzlich ganz nah rücken kann." Christoph Nübel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.5.2020

"Zur Vorbereitung des Buches verbrachte Susan Neiman vor drei Jahren ein Sabbatical in Mississippi und nutzte es für eine bemerkenswerte Feldstudie, die von ihrer tief empfundenen politischen Berufung der Philosophie zeugt. [...] 'Von den Deutschen lernen' ist eine zeitgeschichtliche Untersuchung des Umgangs mit dem Holocaust in Deutschland und mit dem Rassismus in Amerika." Harald Loch, Augsburger Allgemeine, 5.5.2020
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