Kreuz und quer sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt in die Altstadt - die unheimlichen, aber auch liebenswerten Deutschen sind Getriebene und Suchende zugleich. Georg Klein beschreibt sie in einem literarischen feuerwerk an Kraft, Gefühl und Phantasie, das vor allem eins zum Thema hat: uns.
Auf und ab, und kreuz und quer, sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn in U-Bahn-Nähe oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum neugebauten Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt, ob nach Chicago, wo der riesenhafte Herr Arno ein Nazi-Devotionalien-Geschäft betreibt, oder ins ferne Schutzgebiet an der Druschka - die Deutschen, von denen Georg Klein in diesen Geschichten erzählt, sind Getriebene, und doch sind sie alle fast am Ziel. Da ist der weißbeflaumte Kungu, der früher einmal in Afrika gekämpft hat und jetzt im Regengeniesel mit seiner Staffelei an der Gedächtniskirche sitzt.
Da ist das Ray-Getz-Trio, das auf der alljährlichen Weihnachtstournee mit ihren Songs die Rentner glücklich macht. Da ist der in den Osten verschlagene Junggeselle Waldemar, der, vom Glühwein beschwipst, mit der mutmaßlichen Käuferin seines geerbten Hauses auf dem Liebeslager liegt und den süßen Klängen von "Erzgebirglers Heimatlied" lauscht.
Oder da sind die Historical Harmonists, ein paar trinkfeste Arbeitslose, die sich eine Wagenburg im Berliner Regierungsviertel zurechtgeputzt haben, um vor Reisegruppen aus aller Welt zu spielen.
Die Deutschen - Georg Klein beschreibt sie ohne Häme, ohne Spott. Im Gegenteil, Zartheit und Wärme, ja etwas Hegendes, fast Pflegendes haben sich in seine kunstvoll verrätselten, hochliterarischen Erzählungen geschlichen, die unserer Gegenwart, mit einem feinen Maß an Ironie, dicht auf den Fersen sind. "Und manchmal gehören Dinge zusammen und wachsen zusammen, die noch weiter auseinanderliegen als der Scheitel von Girkos Nichte und der blonde Schopf ihres Verehrers", heißt es in der Titelgeschichte. Und dann: "Wir lieben die Deutschen, und mit etwas Glück wird noch der eine oder andere von uns sein Glück mit ihnen machen."
Auf und ab, und kreuz und quer, sind sie unterwegs. Ob zur Bowling-Bahn in U-Bahn-Nähe oder in ein Seniorenheim am Ammersee, ob zum neugebauten Kanzleramt an der Spree oder nach Erfurt, ob nach Chicago, wo der riesenhafte Herr Arno ein Nazi-Devotionalien-Geschäft betreibt, oder ins ferne Schutzgebiet an der Druschka - die Deutschen, von denen Georg Klein in diesen Geschichten erzählt, sind Getriebene, und doch sind sie alle fast am Ziel. Da ist der weißbeflaumte Kungu, der früher einmal in Afrika gekämpft hat und jetzt im Regengeniesel mit seiner Staffelei an der Gedächtniskirche sitzt.
Da ist das Ray-Getz-Trio, das auf der alljährlichen Weihnachtstournee mit ihren Songs die Rentner glücklich macht. Da ist der in den Osten verschlagene Junggeselle Waldemar, der, vom Glühwein beschwipst, mit der mutmaßlichen Käuferin seines geerbten Hauses auf dem Liebeslager liegt und den süßen Klängen von "Erzgebirglers Heimatlied" lauscht.
Oder da sind die Historical Harmonists, ein paar trinkfeste Arbeitslose, die sich eine Wagenburg im Berliner Regierungsviertel zurechtgeputzt haben, um vor Reisegruppen aus aller Welt zu spielen.
Die Deutschen - Georg Klein beschreibt sie ohne Häme, ohne Spott. Im Gegenteil, Zartheit und Wärme, ja etwas Hegendes, fast Pflegendes haben sich in seine kunstvoll verrätselten, hochliterarischen Erzählungen geschlichen, die unserer Gegenwart, mit einem feinen Maß an Ironie, dicht auf den Fersen sind. "Und manchmal gehören Dinge zusammen und wachsen zusammen, die noch weiter auseinanderliegen als der Scheitel von Girkos Nichte und der blonde Schopf ihres Verehrers", heißt es in der Titelgeschichte. Und dann: "Wir lieben die Deutschen, und mit etwas Glück wird noch der eine oder andere von uns sein Glück mit ihnen machen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Deutsche Denker im dreckigen Dutzend
Mit Manier: Georg Kleins Erzählungen / Von Ernst Osterkamp
Seien wir ehrlich: Eigentlich wollen wir ein belletristisches Werk, das den Titel "Von den Deutschen" trägt, nicht lesen. Und wenn dann noch der notorisch mißbrauchte Caspar David Friedrich die Umschlagillustration hat liefern müssen, wird die ästhetische Schranke, die vor der Lektüre zu übersteigen ist, nahezu unüberwindlich. Aber wie man bei den Deutschen zu sagen pflegt: Da muß man durch!
Und sogleich wird man nach dem Titelblatt von dem Motto des Buches angenehm überrascht: "Nazionalkarakter ist Manier." So hat Jean Paul geschrieben, und wo Jean Paul den Türhüter spielt, kann es so ganz schlimm nicht kommen. Jean Paul will damit sagen, daß der Nationalcharakter jene spezifische Abweichung vom Menschheitlich-Universalen bezeichnet, an der man einen Menschen als Angehörigen einer bestimmten Nation erkennt. Aber Jean Paul war glücklicherweise kein Politologe, sondern ein Artist, und für einen um 1800 schreibenden Artisten war Manier zunächst und vor allem ein kunsttheoretischer Terminus, der ein künstlerisches Verfahren bezeichnet: jene spezifische ästhetische Abweichung, die einen Künstler charakterisiert und an der man einen Künstler erkennt.
Das läßt hoffen. Demnach wäre nämlich der Nationalcharakter der Deutschen, von denen in diesem Buch erzählt wird, nicht Ausdruck eines nationalen Triebschicksals, dem jeder Deutsche unterworfen ist, sondern das Resultat eines artistischen Gestaltungswillens - die Deutschen: lauter Kunstfiguren! Und die künstlerische Manier, die hier am Werke ist, kennt man aus den Romanen "Libidissi" (1998) und "Barbar Rosa" (2001) sowie dem Erzählungsband "Anrufung des blinden Fisches" (1999) mittlerweile ziemlich gut: Es ist die Manier des Georg Klein, in der es, wie bei allen besseren Manieristen, ohne Ironie nicht abgeht. Schauen wir uns die Deutschen dieses Bandes also etwas genauer an.
Es handelt sich um eine erstaunliche Truppe: um Riesen, Recken und Wichte. Unter diesen Kategorien versammelt Klein jeweils im Viererpack das dreckige Dutzend seiner Erzählungen. Man muß schon ein Ironiker sein, um den Nationalcharakter der Deutschen in Riesen, Recken und Wichten repräsentiert zu finden. Während die Deutschen, die wir so kennen, besonders in unserer lieben Stadt Berlin, in der nicht wenige dieser Geschichten spielen, schrecklich normale Leute sind, sind sie bei Klein über- und unterlebensgroß: Kunstfiguren eben - und wie alles, was im Dutzend angeboten wird, allzeit bereit, in Serie zu gehen. (Auch Kleins vorangegangener Erzählungsband versammelt bereits ein Dutzend Geschichten, die allesamt, wie in dem neuen Buch, Männergeschichten sind.) So will es uns denn von hoher Ironie erscheinen, daß der gute alte deutsche Kunstanspruch, der uns die lebenden Bilder dieser eigentümlichen Deutschen vor die Augen zaubert, gleichsam in femininer Brechung bereits im ersten Satz des Bandes benannt wird: "Mich hat die Kunst meiner Frau nach Chicago gebracht, und ihr Wagemut zog mich unter die schwarzen Balken der Baracken." Wo nun der Ich-Erzähler, den man in diesem Fall getrost dem Genre der Wichte wird zurechnen dürfen ("Ach, das will also Ihr Mann sein!"), auf den ersten deutschen Riesen trifft.
Auftritt Arno in seinem Eisenwarenladen: "Auch in freier Wildbahn, selbst neben den Negern, die uns zu ihm geführt hatten, mußte der alte Mann riesig wirken. Hier, unter der niedrigen Decke des Ladens, zog sein gewaltiger Schädel wie ein käsiger Mond durch einen Schwarm blitzender Meteoriten - Himmelskörper, die in kosmischer Gewitztheit die Form von Pfannen, Töpfen, Schöpflöffeln, Gießkannen und Bügelsägen angenommen hatten." Das ist erzählerisch bewundernswert gut gemacht. Hier erkennt man den Künstler an seiner Manier: Man muß die erzählerische Decke eben nur niedrig genug halten, dann wirkt jeder Mann wie ein Riese, dessen Auftritt einem kosmischen Ereignis gleichkommt.
Georg Klein arrangiert die Requisiten seiner Erzählungen mit bezauberndem Beziehungssinn, und so kann sich der Leser, der am Anfang erfährt, daß die Frau des Erzählers Schlagzeugerin ist, denn auch fest darauf verlassen, daß sie am Ende auf Arnos Hardware, die bei dessen Auftritt seinen Schädel kosmisch umblitzt, "ein Liedchen aus der Heimat" trommelt. Dazwischen aber wird dem Leser mitgeteilt, daß Arno, der sein Geld vorwiegend mit dem Verkauf von Nazidevotionalien macht, seit einem Halbjahrhundert in Chicago sich in unablässiger Arbeit einer textkritischen Übersetzung von "Mein Kampf" widmet: "Wie solle man den Faschismus vernünftig bekämpfen, solange keine vernünftige Übersetzung seines theoretischen Hauptwerks in die Weltsprache vorliege?" Ach Arno, du deutscher Riese: Welch herrliche Kunstfigur bist du doch! Und wieviel hat dein Autor lesen müssen, um dich erfinden und in den engen Rahmen einer kunstvoll gebauten Erzählung stecken zu können, an deren niedriger Decke du dir nun auf alle Zeiten deinen Schädel zerstößt! "Textkritik, seelenhistorische, sprachvegetative Textkritik!" Das ist es, was Arno mit einem Schlag auf den Tisch und mit Blick auf seine Übersetzung von "Mein Kampf" fordert. Ein gemütvolleres, ironisch noch stärker gebrochenes Monster läßt sich für ein Gruselkabinett, in dem deutsche Intellektuelle sich wohl fühlen, wohl schwerlich erfinden.
Man durchschreitet das von Georg Klein entworfene Panoptikum der Deutschen mit hoher intellektueller Spannung. Jede Erzählung konfrontiert den Leser mit einer unerhörten Begebenheit von novellenhafter Dichte, jede stellt ihm einen seltsamen Charakter vor, (fast) jede ist mit eminenter Metiersicherheit entworfen. Da ist eine hohe Kunst der erzählerischen Irritation, der Aufbrechung alltäglich gewohnter Lebensmuster, am Werk, die das Gemütliche ins Ungeborgene, das Geordnete ins Krabbelnd-Quietschend-Chaotische verkehrt und dabei auch die beherzte Überschreitung der Ekelgrenze nicht scheut. Hinzu kommen eine Sicherheit und Detailgenauigkeit in der sprachlichen Vergegenwärtigung, die für sich bereits bewundernswert sind. Das alles ist sehr hoch zu schätzen.
Und doch hält die Irritation, die von diesen Texten ausgeht, nicht lange vor. Das macht: Es sind dies Texte eines Manieristen, der uns an ein wenig selbstverliebten Kunstveranstaltungen mit virtuos entworfenen Kunstfiguren teilhaben läßt. Wie bei allen großen Manieristen übersteigt auch hier die Aufmerksamkeit für das Wie der Artistik diejenige für das Was des Problemgehalts erheblich. Diese Erzählungen sind deshalb auch mit liebevoll-elegantem Sinn für den Effekt geschrieben, und die Definition von Effekt lautet bekanntlich: Wirkung ohne Ursache. Klein arrangiert seine Erzählungen mit großem Gespür für ungemütliche Konstellationen, und doch erscheinen diese polierten Geschichten seltsam geheimnislos: als werde plötzlich eine hochgespannte Oberfläche aufgerissen, unter der sich aber nichts zeigt - außer dem Willen zum Effekt. Das seltsame Getier, das Klein in zwei der sonst eindrucksvollsten Erzählungen des Bandes auftreten läßt - das Körperkollektiv des Kakerlakenkönigs in "Altkayser" und die lispelnden goldenen Waidschlangen in "Old Erfurt" - , ist, auch wenn es den Eindruck des Archaisch-Irregulären oder des Irrational-Unbewältigten bezeichnen soll, doch zugleich eine Allegorie des erzählerischen Effekts.
In "Old Erfurt" wird die Geschichte der seltsamen Begegnung einer deutschstämmigen Amerikanerin, die im Auftrag eines Hotelkonzerns in Erfurt die Ruine des "Alten Färberhauses" zu erwerben sucht, mit dessen Besitzer, einem erotisch gehemmten jungen Mann aus dem Westen, erzählt: "Als Waldemar endlich, durchgefroren, innerlich entmutigt und auch äußerlich sichtbar mutlos, zu Mary Ann ins Bett stieg, piepste es, wie um ihn zu verspotten, aus ihrem Kleiderhaufen." Diese Geschichte wird in kunstvollster Motivverdichtung mit derjenigen von Mary Anns Vater verzahnt, einem ehemaligen U-Boot-Matrosen, der 1941 nach einem gescheiterten Angriff auf die Golden Gate Bridge in den Vereinigten Staaten geblieben war. So hat es die Tochter eines Recken, nach erotischer Annäherung in einem Lokal, das natürlich "Old San Francisco" heißt, in das Bett eines Wichts verschlagen, und was da nun piepst, ist, wie in allen modernen erotischen Katastrophenstories, das Handy, mit dessen Hilfe Mary Anns aus dem Erzgebirge gebürtiger Vater seiner Tochter "Erzgebirglers Heimatlied" aus Minneapolis nach Erfurt überspielt.
Das wird erzählerisch so fugenlos glatt ineinander gebaut, daß es wohl doch der Waldemar soufflierenden goldenen Würmchen bedarf, um ein Element archaischer Irritation in den glänzenden Kunstkörper dieser Erzählung zu bringen. Man bewundert Georg Kleins hohe Kunstfertigkeit gerade im Falle dieser Geschichte uneingeschränkt. Aber die Deutschen? Ach, die Deutschen: Sie sind halt hier wie auch sonst in den ästhetischen Arrangements dieser Erzählungen Kunstfiguren - Spielmarken einer poetischen Imagination und eines artistischen Gestaltungswillens, der die Recken und Wichte mit erzählerischer Ironie in Bewegung setzt und wieder stillstellt. Wie es das Motto schon sagt: Der Nationalcharakter ist bei Georg Klein Manier geworden. Artistische Manier.
Georg Klein: "Von den Deutschen". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002. 192 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Manier: Georg Kleins Erzählungen / Von Ernst Osterkamp
Seien wir ehrlich: Eigentlich wollen wir ein belletristisches Werk, das den Titel "Von den Deutschen" trägt, nicht lesen. Und wenn dann noch der notorisch mißbrauchte Caspar David Friedrich die Umschlagillustration hat liefern müssen, wird die ästhetische Schranke, die vor der Lektüre zu übersteigen ist, nahezu unüberwindlich. Aber wie man bei den Deutschen zu sagen pflegt: Da muß man durch!
Und sogleich wird man nach dem Titelblatt von dem Motto des Buches angenehm überrascht: "Nazionalkarakter ist Manier." So hat Jean Paul geschrieben, und wo Jean Paul den Türhüter spielt, kann es so ganz schlimm nicht kommen. Jean Paul will damit sagen, daß der Nationalcharakter jene spezifische Abweichung vom Menschheitlich-Universalen bezeichnet, an der man einen Menschen als Angehörigen einer bestimmten Nation erkennt. Aber Jean Paul war glücklicherweise kein Politologe, sondern ein Artist, und für einen um 1800 schreibenden Artisten war Manier zunächst und vor allem ein kunsttheoretischer Terminus, der ein künstlerisches Verfahren bezeichnet: jene spezifische ästhetische Abweichung, die einen Künstler charakterisiert und an der man einen Künstler erkennt.
Das läßt hoffen. Demnach wäre nämlich der Nationalcharakter der Deutschen, von denen in diesem Buch erzählt wird, nicht Ausdruck eines nationalen Triebschicksals, dem jeder Deutsche unterworfen ist, sondern das Resultat eines artistischen Gestaltungswillens - die Deutschen: lauter Kunstfiguren! Und die künstlerische Manier, die hier am Werke ist, kennt man aus den Romanen "Libidissi" (1998) und "Barbar Rosa" (2001) sowie dem Erzählungsband "Anrufung des blinden Fisches" (1999) mittlerweile ziemlich gut: Es ist die Manier des Georg Klein, in der es, wie bei allen besseren Manieristen, ohne Ironie nicht abgeht. Schauen wir uns die Deutschen dieses Bandes also etwas genauer an.
Es handelt sich um eine erstaunliche Truppe: um Riesen, Recken und Wichte. Unter diesen Kategorien versammelt Klein jeweils im Viererpack das dreckige Dutzend seiner Erzählungen. Man muß schon ein Ironiker sein, um den Nationalcharakter der Deutschen in Riesen, Recken und Wichten repräsentiert zu finden. Während die Deutschen, die wir so kennen, besonders in unserer lieben Stadt Berlin, in der nicht wenige dieser Geschichten spielen, schrecklich normale Leute sind, sind sie bei Klein über- und unterlebensgroß: Kunstfiguren eben - und wie alles, was im Dutzend angeboten wird, allzeit bereit, in Serie zu gehen. (Auch Kleins vorangegangener Erzählungsband versammelt bereits ein Dutzend Geschichten, die allesamt, wie in dem neuen Buch, Männergeschichten sind.) So will es uns denn von hoher Ironie erscheinen, daß der gute alte deutsche Kunstanspruch, der uns die lebenden Bilder dieser eigentümlichen Deutschen vor die Augen zaubert, gleichsam in femininer Brechung bereits im ersten Satz des Bandes benannt wird: "Mich hat die Kunst meiner Frau nach Chicago gebracht, und ihr Wagemut zog mich unter die schwarzen Balken der Baracken." Wo nun der Ich-Erzähler, den man in diesem Fall getrost dem Genre der Wichte wird zurechnen dürfen ("Ach, das will also Ihr Mann sein!"), auf den ersten deutschen Riesen trifft.
Auftritt Arno in seinem Eisenwarenladen: "Auch in freier Wildbahn, selbst neben den Negern, die uns zu ihm geführt hatten, mußte der alte Mann riesig wirken. Hier, unter der niedrigen Decke des Ladens, zog sein gewaltiger Schädel wie ein käsiger Mond durch einen Schwarm blitzender Meteoriten - Himmelskörper, die in kosmischer Gewitztheit die Form von Pfannen, Töpfen, Schöpflöffeln, Gießkannen und Bügelsägen angenommen hatten." Das ist erzählerisch bewundernswert gut gemacht. Hier erkennt man den Künstler an seiner Manier: Man muß die erzählerische Decke eben nur niedrig genug halten, dann wirkt jeder Mann wie ein Riese, dessen Auftritt einem kosmischen Ereignis gleichkommt.
Georg Klein arrangiert die Requisiten seiner Erzählungen mit bezauberndem Beziehungssinn, und so kann sich der Leser, der am Anfang erfährt, daß die Frau des Erzählers Schlagzeugerin ist, denn auch fest darauf verlassen, daß sie am Ende auf Arnos Hardware, die bei dessen Auftritt seinen Schädel kosmisch umblitzt, "ein Liedchen aus der Heimat" trommelt. Dazwischen aber wird dem Leser mitgeteilt, daß Arno, der sein Geld vorwiegend mit dem Verkauf von Nazidevotionalien macht, seit einem Halbjahrhundert in Chicago sich in unablässiger Arbeit einer textkritischen Übersetzung von "Mein Kampf" widmet: "Wie solle man den Faschismus vernünftig bekämpfen, solange keine vernünftige Übersetzung seines theoretischen Hauptwerks in die Weltsprache vorliege?" Ach Arno, du deutscher Riese: Welch herrliche Kunstfigur bist du doch! Und wieviel hat dein Autor lesen müssen, um dich erfinden und in den engen Rahmen einer kunstvoll gebauten Erzählung stecken zu können, an deren niedriger Decke du dir nun auf alle Zeiten deinen Schädel zerstößt! "Textkritik, seelenhistorische, sprachvegetative Textkritik!" Das ist es, was Arno mit einem Schlag auf den Tisch und mit Blick auf seine Übersetzung von "Mein Kampf" fordert. Ein gemütvolleres, ironisch noch stärker gebrochenes Monster läßt sich für ein Gruselkabinett, in dem deutsche Intellektuelle sich wohl fühlen, wohl schwerlich erfinden.
Man durchschreitet das von Georg Klein entworfene Panoptikum der Deutschen mit hoher intellektueller Spannung. Jede Erzählung konfrontiert den Leser mit einer unerhörten Begebenheit von novellenhafter Dichte, jede stellt ihm einen seltsamen Charakter vor, (fast) jede ist mit eminenter Metiersicherheit entworfen. Da ist eine hohe Kunst der erzählerischen Irritation, der Aufbrechung alltäglich gewohnter Lebensmuster, am Werk, die das Gemütliche ins Ungeborgene, das Geordnete ins Krabbelnd-Quietschend-Chaotische verkehrt und dabei auch die beherzte Überschreitung der Ekelgrenze nicht scheut. Hinzu kommen eine Sicherheit und Detailgenauigkeit in der sprachlichen Vergegenwärtigung, die für sich bereits bewundernswert sind. Das alles ist sehr hoch zu schätzen.
Und doch hält die Irritation, die von diesen Texten ausgeht, nicht lange vor. Das macht: Es sind dies Texte eines Manieristen, der uns an ein wenig selbstverliebten Kunstveranstaltungen mit virtuos entworfenen Kunstfiguren teilhaben läßt. Wie bei allen großen Manieristen übersteigt auch hier die Aufmerksamkeit für das Wie der Artistik diejenige für das Was des Problemgehalts erheblich. Diese Erzählungen sind deshalb auch mit liebevoll-elegantem Sinn für den Effekt geschrieben, und die Definition von Effekt lautet bekanntlich: Wirkung ohne Ursache. Klein arrangiert seine Erzählungen mit großem Gespür für ungemütliche Konstellationen, und doch erscheinen diese polierten Geschichten seltsam geheimnislos: als werde plötzlich eine hochgespannte Oberfläche aufgerissen, unter der sich aber nichts zeigt - außer dem Willen zum Effekt. Das seltsame Getier, das Klein in zwei der sonst eindrucksvollsten Erzählungen des Bandes auftreten läßt - das Körperkollektiv des Kakerlakenkönigs in "Altkayser" und die lispelnden goldenen Waidschlangen in "Old Erfurt" - , ist, auch wenn es den Eindruck des Archaisch-Irregulären oder des Irrational-Unbewältigten bezeichnen soll, doch zugleich eine Allegorie des erzählerischen Effekts.
In "Old Erfurt" wird die Geschichte der seltsamen Begegnung einer deutschstämmigen Amerikanerin, die im Auftrag eines Hotelkonzerns in Erfurt die Ruine des "Alten Färberhauses" zu erwerben sucht, mit dessen Besitzer, einem erotisch gehemmten jungen Mann aus dem Westen, erzählt: "Als Waldemar endlich, durchgefroren, innerlich entmutigt und auch äußerlich sichtbar mutlos, zu Mary Ann ins Bett stieg, piepste es, wie um ihn zu verspotten, aus ihrem Kleiderhaufen." Diese Geschichte wird in kunstvollster Motivverdichtung mit derjenigen von Mary Anns Vater verzahnt, einem ehemaligen U-Boot-Matrosen, der 1941 nach einem gescheiterten Angriff auf die Golden Gate Bridge in den Vereinigten Staaten geblieben war. So hat es die Tochter eines Recken, nach erotischer Annäherung in einem Lokal, das natürlich "Old San Francisco" heißt, in das Bett eines Wichts verschlagen, und was da nun piepst, ist, wie in allen modernen erotischen Katastrophenstories, das Handy, mit dessen Hilfe Mary Anns aus dem Erzgebirge gebürtiger Vater seiner Tochter "Erzgebirglers Heimatlied" aus Minneapolis nach Erfurt überspielt.
Das wird erzählerisch so fugenlos glatt ineinander gebaut, daß es wohl doch der Waldemar soufflierenden goldenen Würmchen bedarf, um ein Element archaischer Irritation in den glänzenden Kunstkörper dieser Erzählung zu bringen. Man bewundert Georg Kleins hohe Kunstfertigkeit gerade im Falle dieser Geschichte uneingeschränkt. Aber die Deutschen? Ach, die Deutschen: Sie sind halt hier wie auch sonst in den ästhetischen Arrangements dieser Erzählungen Kunstfiguren - Spielmarken einer poetischen Imagination und eines artistischen Gestaltungswillens, der die Recken und Wichte mit erzählerischer Ironie in Bewegung setzt und wieder stillstellt. Wie es das Motto schon sagt: Der Nationalcharakter ist bei Georg Klein Manier geworden. Artistische Manier.
Georg Klein: "Von den Deutschen". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002. 192 S., geb., 16,90 [Euro].
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"Mit welcher fernen, reichen, melodisch aufgeladenen Sprache haucht Georg Klein seinen Geschichten Leben ein!"
(Süddeutsche Zeitung)
(Süddeutsche Zeitung)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ernst Osterkamp findet dieses Buch überraschend trotz des zunächst abschreckenden Titels und Umschlags. Klein arrangiere seine Erzählungen kunstvoll und ironisch, wobei er deutsche Nationalcharaktere als künstlerische Figuren präsentiert, die teilweise auf den Rezensenten überlebensgroß wirken. Osterkamp hebt besonders Kleins Fähigkeit hervor, realistische Szenarien in beunruhigende und manchmal ekelerregende Momente zu verwandeln, ohne dabei an sprachlicher Präzision zu verlieren. Er schätzt auch die intellektuelle Spannung und die erzählerische Kunstfertigkeit des Buches, besonders Kleins Fähigkeit, das "Gemütliche ins Ungeborgene" zu verkehren. Doch wirken die Geschichten oft auch künstlich und effektverliebt, kritisiert er. Die Figuren erscheinen ihm als poetische Konstrukte ohne tiefere Ursache, was die anfängliche Irritation schnell verblassen lässt. Insgesamt sieht er in Kleins Erzählungen eher "artistische Manier" als echte Tiefe.
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Das sind wahrlich neue Töne in der deutschen Literatur der Gegenwart. So hat seit Thomas Mann keiner zu sprechen gewagt. Die Welt