Dieser Band versammelt erstmals Alfred Sohn-Rethels frühe theoretischen Schriften. Im Zentrum steht die Heidelberger Dissertation von 1928, vermehrt um bisher unveröffentlichte Dokumente, die ihre Entstehung im Zusammenhang seiner Arbeiten während der 1920er Jahre in Positano, Heidelberg und Davos nachzeichnen. Die Publikation verfolgt ein doppeltes Interesse: Zum einen verhilft sie zu einem besseren Verständnis des Sohn-Rethelschen Gesamtwerks, dessen rote Fäden - Marxismus, Wissenssoziologie und Neukantianismus - hier schon angelegt sind und die später, auch im Kontext seiner Faschismusanalyse, zur Explikation der Dialektik von Warenform und Denkform führen werden. Zum anderen hat vor allem die Dissertation auch nach achtzig Jahren einen eigenständigen Wert, denn sie entwickelt eine systematische Kritik der gängigen Volkswirtschaftslehre.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alfred Sohn-Rethel ist ein Name, der zu Unrecht in die Vergessenheit abzurutschen droht, meint Stefan Dornuf. Der Nationalökonom und große "Außenseiter der 'Kritischen Theorie'" habe die Thesen Horkheimers und Adornos in ungekannter Radikalität weitergedacht: die "Entstehung einer rein instrumentellen Vernunft im Rahmen einer Dialektik der Aufklärung". Bei Sohn-Rethel wird daraus die "strenge Entsprechung von Basis und Überbau, Warenform und Denkform", erklärt der Rezensent. Aus dieser Einschätzung speist sich auch das Urteil, das Sohn-Rethel der bürgerlichen Gesellschaft ausspricht: "die Autonomie des Geistes ist gebrochen", zitiert ihn Dornuf. In "Von der Analytik des Wirtschaftens zur Theorie der Volkswirtschaft" wurden zunächst seine frühen Schriften veröffentlicht. Darunter befindet sich auch seine Dissertation, in der er mit einem Großteil der damaligen Nationalökonomie abrechnete, neben anderen mit Menger, Jevons, Walras und Pareto. Dem Rezensenten hat das Niveau der Texte imponiert und er freut sich schon auf den ausstehenden zweiten Band.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2012Kritische Theorie
und blinder Fleck
Der Nationalökonom Alfred
Sohn-Rethel ist neu zu entdecken
Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, diesmal der von 1929/30, und vor dem Hintergrund der Davoser Hochschulwochen, wo eben erst der legendäre Zusammenstoß zwischen den Philosophen Martin Heidegger und Ernst Cassirer stattgefunden hatte, zeichnete der frisch gebackene Doktor der Philosophie Alfred Sohn-Rethel ein düsteres Stimmungsbild: „Die Stütze der bürgerlichen Kultur überhaupt, die Autonomie des Geistes, ist gebrochen.“ Das Schicksal der solcherart Betroffenen sei der Individualismus, so Alfred Sohn-Rethel, jedoch „das Schicksal des Individualismus der Zerfall der Persönlichkeit“. Für den Einzelnen erscheine die gesellschaftliche „Genesis als das blinde Fatum“, man stehe am „Abgrund des Entsetzens“, an der „Schwelle der Ratlosigkeit“.
Martin Heideggers „Lösung“ des Problems indes, sein Anschluss an die neue Gebundenheit der „Volksgemeinschaft“ im Jahr 1933, konnte für den halbjüdischen Pflegesohn eines der führenden Stahlindustriellen der Weimarer Republik, der noch dazu von dem Austromarxisten Emil Lederer promoviert worden war, keinerlei Verbindlichkeit besitzen. Schon die Dissertation des bedeutenden Nationalökonomen und Soziologen Sohn-Rethel, die jetzt in einer neuen Ausgabe seiner frühen Schriften abgedruckt ist, hatte die subjektive Wertlehre der Grenznutzenschule – Menger, Jevons, Walras, Pareto – attackiert, also jene „unpolitische Ökonomie“ (Richard Löwenthal), deren ideologische Funktion für den Verfasser darin bestand, zwar den Übergang von der freien Marktwirtschaft zur Monopolisierung in Rechnung zu stellen, ohne dabei aber den Kapitalismus an sich zu kompromittieren.
Die neue Sammlung von Schriften des großen Außenseiters der „Kritischen Theorie“, die erste seit zwei Dekaden, darf als höchst verdienstvoll gelten. Hilft sie doch mit, die immer noch vorhandenen blinden Flecken in der Chronik des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ zu tilgen. Dass Alfred Sohn-Rethel (1899-1990), dessen Hauptwerk „Geistige und körperliche Arbeit“ 1970 eine Sensation im Wissenschaftsbetrieb bedeutete, heute erneut einer halben Vergessenheit anheimgefallen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass er die Zentralproblematik von Horkheimer, Adorno und Marcuse, nämlich die Entstehung einer rein instrumentellen Vernunft im Rahmen einer Dialektik der Aufklärung, unüberbietbar radikalisierte.
Denn letztlich beantwortete Sohn-Rethels äußerlich schmales, aber ungemein dichtes Œuvre die berühmte Scherzfrage von Nestroy: „Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig?“, indem es eine strenge Entsprechung von Basis und Überbau, Warenform und Denkform postulierte, bei der sowohl Kants Transzendentalsubjekt als auch die exakten Naturwissenschaften, allen voran die Physik, ihre historische Unschuld einbüßten: Die allererste Münzprägung in Ionien, im 7. vorchristlichen Jahrhundert, wurde als Geburtsstunde des „punktuellen Individualbewußtseins des ego cogito “ diagnostiziert – mit Wertediskussionen, Ethikkommissionen und dergleichen als bloßen Wurmfortsätzen eines ansonsten unbegriffen bleibenden „okzidentalen Rationalismus“ (Max Weber).
Die enormen Verständnisschwierigkeiten, auf die Sohn-Rethel mit seiner kühnen und damals, in den zwanziger Jahren, noch keineswegs ausgereiften These stieß, werden jetzt, in diesem vorzüglich edierten Buch, erstmals dokumentiert: in Gestalt der Protokolle der Heidelberger soziologischen Seminarsitzungen von Alfred Weber und Karl Mannheim vom Februar 1929, die von Georg Lukács’ „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (1923) ihren Ausgang nahmen. Ob etwa Weber die wichtige Frage aufwirft, ob das (hegelianische bzw. marxistische) Totalitätsdenken lediglich auf den Kapitalismus geeicht sei oder aber für alle Geschichtsbetrachtung gelte, oder ob Mannheim den Widerspruch zwischen Freiheit und Determinismus klassenspezifisch aufzulösen sucht – das hohe Niveau der theoretischen Auseinandersetzungen imponiert noch heute, und Alfred Sohn-Rethel schlägt sich wacker. Man darf daher auf den zweiten Band der willkommenen Werkausgabe, der seine Faschismus-Analysen nebst Unveröffentlichtem präsentieren wird, gespannt sein.
STEFAN DORNUF
Alfred Sohn-Rethel: Von der Analytik des Wirtschaftens zur Theorie der Volkswirtschaft. Frühe Schriften, herausgegeben von Oliver Schlaudt und Carl Freytag. ça ira Verlag, Freiburg 2012. 294 Seiten, 20 Euro .
Dieser Denker hat Horkheimer,
Adorno und Marcuse
unüberbietbar radikalisiert
Der große Außenseiter der „Frankfurter Schule“: Alfred Sohn-Rethel. Dieses verfremdete Bild-im-Bild-Foto stammt vom Umschlag seines Buches „Dudley Zoo. Eine Elefantengeschichte“ von 1987.
FOTO: OH
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und blinder Fleck
Der Nationalökonom Alfred
Sohn-Rethel ist neu zu entdecken
Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, diesmal der von 1929/30, und vor dem Hintergrund der Davoser Hochschulwochen, wo eben erst der legendäre Zusammenstoß zwischen den Philosophen Martin Heidegger und Ernst Cassirer stattgefunden hatte, zeichnete der frisch gebackene Doktor der Philosophie Alfred Sohn-Rethel ein düsteres Stimmungsbild: „Die Stütze der bürgerlichen Kultur überhaupt, die Autonomie des Geistes, ist gebrochen.“ Das Schicksal der solcherart Betroffenen sei der Individualismus, so Alfred Sohn-Rethel, jedoch „das Schicksal des Individualismus der Zerfall der Persönlichkeit“. Für den Einzelnen erscheine die gesellschaftliche „Genesis als das blinde Fatum“, man stehe am „Abgrund des Entsetzens“, an der „Schwelle der Ratlosigkeit“.
Martin Heideggers „Lösung“ des Problems indes, sein Anschluss an die neue Gebundenheit der „Volksgemeinschaft“ im Jahr 1933, konnte für den halbjüdischen Pflegesohn eines der führenden Stahlindustriellen der Weimarer Republik, der noch dazu von dem Austromarxisten Emil Lederer promoviert worden war, keinerlei Verbindlichkeit besitzen. Schon die Dissertation des bedeutenden Nationalökonomen und Soziologen Sohn-Rethel, die jetzt in einer neuen Ausgabe seiner frühen Schriften abgedruckt ist, hatte die subjektive Wertlehre der Grenznutzenschule – Menger, Jevons, Walras, Pareto – attackiert, also jene „unpolitische Ökonomie“ (Richard Löwenthal), deren ideologische Funktion für den Verfasser darin bestand, zwar den Übergang von der freien Marktwirtschaft zur Monopolisierung in Rechnung zu stellen, ohne dabei aber den Kapitalismus an sich zu kompromittieren.
Die neue Sammlung von Schriften des großen Außenseiters der „Kritischen Theorie“, die erste seit zwei Dekaden, darf als höchst verdienstvoll gelten. Hilft sie doch mit, die immer noch vorhandenen blinden Flecken in der Chronik des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ zu tilgen. Dass Alfred Sohn-Rethel (1899-1990), dessen Hauptwerk „Geistige und körperliche Arbeit“ 1970 eine Sensation im Wissenschaftsbetrieb bedeutete, heute erneut einer halben Vergessenheit anheimgefallen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass er die Zentralproblematik von Horkheimer, Adorno und Marcuse, nämlich die Entstehung einer rein instrumentellen Vernunft im Rahmen einer Dialektik der Aufklärung, unüberbietbar radikalisierte.
Denn letztlich beantwortete Sohn-Rethels äußerlich schmales, aber ungemein dichtes Œuvre die berühmte Scherzfrage von Nestroy: „Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig?“, indem es eine strenge Entsprechung von Basis und Überbau, Warenform und Denkform postulierte, bei der sowohl Kants Transzendentalsubjekt als auch die exakten Naturwissenschaften, allen voran die Physik, ihre historische Unschuld einbüßten: Die allererste Münzprägung in Ionien, im 7. vorchristlichen Jahrhundert, wurde als Geburtsstunde des „punktuellen Individualbewußtseins des ego cogito “ diagnostiziert – mit Wertediskussionen, Ethikkommissionen und dergleichen als bloßen Wurmfortsätzen eines ansonsten unbegriffen bleibenden „okzidentalen Rationalismus“ (Max Weber).
Die enormen Verständnisschwierigkeiten, auf die Sohn-Rethel mit seiner kühnen und damals, in den zwanziger Jahren, noch keineswegs ausgereiften These stieß, werden jetzt, in diesem vorzüglich edierten Buch, erstmals dokumentiert: in Gestalt der Protokolle der Heidelberger soziologischen Seminarsitzungen von Alfred Weber und Karl Mannheim vom Februar 1929, die von Georg Lukács’ „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (1923) ihren Ausgang nahmen. Ob etwa Weber die wichtige Frage aufwirft, ob das (hegelianische bzw. marxistische) Totalitätsdenken lediglich auf den Kapitalismus geeicht sei oder aber für alle Geschichtsbetrachtung gelte, oder ob Mannheim den Widerspruch zwischen Freiheit und Determinismus klassenspezifisch aufzulösen sucht – das hohe Niveau der theoretischen Auseinandersetzungen imponiert noch heute, und Alfred Sohn-Rethel schlägt sich wacker. Man darf daher auf den zweiten Band der willkommenen Werkausgabe, der seine Faschismus-Analysen nebst Unveröffentlichtem präsentieren wird, gespannt sein.
STEFAN DORNUF
Alfred Sohn-Rethel: Von der Analytik des Wirtschaftens zur Theorie der Volkswirtschaft. Frühe Schriften, herausgegeben von Oliver Schlaudt und Carl Freytag. ça ira Verlag, Freiburg 2012. 294 Seiten, 20 Euro .
Dieser Denker hat Horkheimer,
Adorno und Marcuse
unüberbietbar radikalisiert
Der große Außenseiter der „Frankfurter Schule“: Alfred Sohn-Rethel. Dieses verfremdete Bild-im-Bild-Foto stammt vom Umschlag seines Buches „Dudley Zoo. Eine Elefantengeschichte“ von 1987.
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