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Eine auf zwei Bände angelegte "Geschichte der Jugend". In Texten und Bildern ersteht ein farbiges Panorama dessen, was zu verschiedenen Zeiten der europäischen Geschichte Jungsein bedeutete. Der vorliegende erste Band beginnt mit der Antike und führt bis ins Zeitalter des Absolutismus.

Produktbeschreibung
Eine auf zwei Bände angelegte "Geschichte der Jugend". In Texten und Bildern ersteht ein farbiges Panorama dessen, was zu verschiedenen Zeiten der europäischen Geschichte Jungsein bedeutete. Der vorliegende erste Band beginnt mit der Antike und führt bis ins Zeitalter des Absolutismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Erbonkels Schatten über junger Mädchenblüte
Familie und Jugend: Geschichten für sich / Von Wilfried Nippel

Nach der "Geschichte des privaten Lebens" und der "Geschichte der Frauen" liegen nun die ersten Bände zweier Gemeinschaftswerke zur "Geschichte der Familie" in der deutschen Übersetzung vor, die ebenfalls zuerst auf französisch erschienen und überwiegend von französischen Autoren verfaßt sind. Für alle gilt, daß die Bezeichnung als "Geschichte" etwas prätendiert, was in den Bänden gerade nicht geleistet werden kann. Es kann nämlich jeweils nur darum gehen, idealtypische Rekonstruktionen für ausgewählte historische Gesellschaften vorzunehmen, deren Ergebnis dann die Vielfalt gesellschaftlicher Organisationsformen und Wertvorstellungen erkennen läßt.

An die Möglichkeit, eine Geschichte der Familie zu rekonstruieren, glaubten Aufklärungstheoretiker, wie beispielsweise John Millar, und auch Ethnologen des späteren 19. Jahrhunderts, wie etwa Lewis H. Morgan. Man konnte so lange daran glauben, wie man in den Befunden, die von Forschungsreisenden, Kolonialbeamten und Missionaren bei rezenten "primitiven" Völkern erhoben wurden, eine frühe Stufe der Menschheitsentwicklung repräsentiert sah. Es wurde unterstellt, daß alle Völker, wenn auch zeitversetzt, die gleichen Stadien sozialer Entwicklung durchlaufen müßten. Demnach sei nach der Überwindung der ursprünglichen Promiskuität die monogame Ehe und die patriarchalisch geprägte Kleinfamilie als Endstufe der Zivilisationsentwicklung erreicht worden.

Dieser Evolutionismus geriet Ende des 19. Jahrhunderts in eine Krise; so hat schon Edward Westermarck in seiner "History of Human Marriage" (1891) seine Beobachtungen zur Ubiquität der monogamen Ehe zu einem Generalangriff auf dessen Prämissen eingesetzt, auch wenn sich die Abkehr von diesem Erklärungsmodell dann noch länger hinzog. Die ethnologische Forschung geht, wie Claude Lévi-Strauss in seinem Vorwort zur "Geschichte der Familie" und Françoise Zonabend in ihrem ausführlichen Überblick über den heutigen Erkenntnisstand betonen, nunmehr von der universellen Verbreitung der Ehe aus. Sie erklärt Abweichungen davon nicht als Überreste primitiver Strukturen, sondern im Gegenteil als Produkte komplexer Entwicklungen, mit denen einzelne Gesellschaften auf außerordentliche Erfordernisse reagieren, die sich aus ihren spezifischen Umweltbedingungen ergeben. Die Universalität des Inzestverbots erklärt sich nicht aus biologischen, sondern aus sozialen Notwendigkeiten.

Edward B. Tylor hat dies 1888 auf die Formel gebracht, die Alternative habe darin bestanden, entweder außerhalb der Verwandtschaft zu heiraten oder ausgerottet zu werden ("either marrying out or being killed out"). Nur durch das Verbot der Heirat unter engen Verwandten ist es möglich, ein Netz von Verbindungen zu schaffen, ohne das eine Gesellschaft als Ganze nicht existieren kann. Wie eng das Inzestverbot gefaßt wird, beziehungsweise ab welchen Graden von Verwandtschaft Ehen möglich sind oder sogar empfohlen werden, kann ebenso variieren.

Ebenso ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich geregelt, ob - beziehungsweise welche positiven Vorschriften für den Austausch von Frauen anderer Gruppen existieren. Die Komplexität der Klassifikationen von Verwandtschaft und die Vielfalt von Heiratsregeln, die zeigen, daß eine anthropologische Konstante nur in jeweils kultureller Überformung begegnet, wird in Zonabends Beitrag eindrucksvoll vorgeführt. Er steht jedoch, ebenso wie Claude Massets Erörterung über den - sehr begrenzten - Aussagewert prähistorischer Befunde, ziemlich isoliert in diesem Band, dessen Beiträge zu diversen antiken Gesellschaften vor allem die rechtlichen Regelungen von Vermögens- und Erbfragen betreffen.

So umfangreich das Material an Keilschrifttexten auch ist, es ist dennoch nicht möglich, die Familienstrukturen der diversen Reiche im Mesopotamien des dritten bis ersten Jahrtausends in ausreichendem Maße zu rekonstruieren. Im dritten Jahrtausend scheint der Boden (zumindest in Akkad) von größeren Verwandtschaftsgruppen gemeinsam bewirtschaftet worden zu sein. Alle späteren Quellen verweisen auf die Kernfamilie als vorherrschende Organisationsform. Die Frau war der Gewalt ihres Mannes unterworfen, verfügte aber zumindest in bestimmten Epochen über ein beachtliches Maß an Selbständigkeit, was die Verfügung über Haushaltsgüter anbelangt oder die Möglichkeit, rechtsverbindlich Kauf-, Miet- oder Geldgeschäfte vorzunehmen (Jean-Jacques Glassner).

In Ägypten spielten Vermögensregelungen eine untergeordnete Rolle, was damit zusammenhängt, daß Grundbesitz nur in höchst eingeschränktem Maße vorhanden war. Ägypten bildet den großen Sonderfall in bezug auf das Inzestverbot. Geschwisterehen waren zeitweise bei den Pharaonen (vor allem der 18. Dynastie) und dann bei den Ptolemäern üblich. Während sich dies bei den Herrscherhäusern noch mit einer Strategie dynastischer Machtsicherung erklären läßt, gibt die Tatsache, daß in der ganzen Bevölkerung in ptolemäischer und römischer Zeit Ehen zwischen Blutsverwandten geschlossen wurden - schätzungsweise 15 bis 20 Prozent aller Fälle -, große Rätsel auf. Die Erklärung, daß eine Abneigung gegen Eheschließungen mit Ausländern bestanden habe, dürfte kaum ausreichen (Annie Forgeau).

Das jüdische Gesetz hat das Inzesttabu immer stärker über die Kernfamilie hinaus ausgedehnt und auch das Verbot der Verbindung mit einem Angehörigen einer Seitenlinie eingeschlossen. In vorexilischer Zeit gab es immer wieder Streit darüber, ob die Heirat mit Mitgliedern der Nachbarvölker ein Mittel zur Sicherung des Friedens sein könne oder ob man sie aus politischen wie religiösen Gründen ablehnen müsse. Der Aufbau eines neuen Gemeinwesens nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil ging dann einher mit einer strikten, auf dem Prinzip kultischer Reinheit gegründeten Abgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung Palästinas und machte den Ausschluß von Mischehen zu einem Fundament jüdischer Identität (Frank Alvarez-Péreyre und Florence Heyman).

Für die Prägung des Ehe- und Familienrechts durch das Interesse der Allgemeinheit sind die Regelungen in der klassischen Polis aufschlußreich. Die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft war in Athen Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus an die Abstammung aus einer legitimen Ehe zwischen athenischen Eltern geknüpft. Dies war eine Besonderheit der Demokratie, durch die auch die traditionellen Heiratsbeziehungen der athenischen Oberschicht mit aristokratischen Familien aus der gesamten griechischen Welt unterbunden worden waren (ein Aspekt, der in dem Beitrag von Giulia Sissa jedoch nicht behandelt wird). Beim Fehlen männlicher Erben ging der Nachlaß des Vaters auf die Tochter über. Auf die Hand dieser "Erbtochter" hatte der nächste männliche Verwandte Anspruch; eventuell bestehende Ehen wurden aufgelöst. Sinn dieser obligatorischen Verbindung war wiederum, männliche Erben hervorzubringen. Aus diesem Grund wurde von Solon ein Gesetz erlassen, das dem Gatten einer Erbtochter die Verpflichtung zu mindestens dreimaligen, Geschlechtsverkehr monatlich auferlegte. Die ganze Regelung entsprach dem Interesse der Polis an einer breiten Streuung des Vermögens.

Rom war eine "Stadt der Väter" (Yan Thomas). Der absoluten patria potestas bleiben die Söhne im Prinzip bis zum Tode des Vaters unterworfen, selbst wenn sie schon verheiratet waren und eine eigene Wohnung bezogen hatten. Frauen wurden seit der späten Republik im Regelfall nicht mehr der Hausgewalt ihres Ehemannes unterstellt, blieben dafür aber unter derjenigen ihres Vaters. Sinn der Ehe war die Zeugung von Nachkommen, die als eine Art Bürgerpflicht galt. Besonders in der Oberschicht war es gängige Praxis, sich zu diesem Zwecke die Frau eines anderen abtreten zu lassen, es gab eine "Zirkulation der Gebärerinnen". Wieweit sich in der Kaiserzeit unter dem Einfluß von Stoizismus und Christentum ein Wertewandel vollzog, wird von Aline Rouselle auf verschlungenen Wegen erörtert.

Die in der "Geschichte der Jugend" zusammengestellten Fallstudien beziehen sich ausschließlich auf den abendländischen Raum. Jugend bezeichnet eine durch Übergangsriten markierte Phase, in der den Jugendlichen eine bestimmte Rolle in der Gesellschaft zugewiesen wird. Die Abgrenzung zur Kindheit und zum Erwachsensein schwankt erheblich von Gesellschaft zu Gesellschaft und kann auch innerhalb einer Gesellschaft in unterschiedlichen Zusammenhängen verschieden definiert sein, läßt sich aber (entgegen der Annahme von Philippe Ariès in seiner "Geschichte der Kindheit") als solche durchweg feststellen.

Kreta und Sparta sind mit ihren staatlich organisierten Erziehungssystemen extreme Ausnahmen. Die institutionalisierte Päderastie, die erotische und sexuelle Bindung eines Knaben (nach seinem 12. Lebensjahr) an einen jungen Mann (zwischen zwanzig und dreißig Jahren), als ein Mittel der Erziehung zum Bürger und Soldaten, hat immer wieder Faszination und Irritation hervorgerufen (Alain Schnapp). Für die jungen Römer erfolgte im Alter von fünfzehn bis sechzehn Jahren die Einführung in die Bürgerschaft mit dem Zeremoniell des Anlegens der Männertoga und dem Geleit auf das Forum durch Verwandte und Freunde. Der Militärdienst diente vor allem der Einübung in eine strikte Disziplin, die keinen Raum für Profilierung durch individuelle Heldentaten ließ (Augusto Fraschetti).

Die Beiträge zu Mittelalter und früher Neuzeit zeigen eine große thematische Spannbreite; sie reichen von der Rekonstruktion der Lebenswelten jüdischer Jugendlicher - die in manchen Beziehungen schon mit zehn Jahren als erwachsen galten und verheiratet werden konnten - (Elliott Horowitz), über das Ideal des Rittertums in der höfischen Dichtung (Christiane Marchello-Nizia) und die Darstellung von Jugendlichen in der Malerei des Mittelalters (Michel Pastoureau) bis zu den Strategien der Verheiratung und Versorgung (als Kleriker und im Kloster), deren sich der italienische Adel im 18. Jahrhundert bediente (Renata Ago).

Die Politik der italienischen Stadtstaaten des 13. bis 15. Jahrhunderts bemühte sich immer wieder darum, der vor allem von der aristokratischen Jugend - dazu zählten auch die oft schon verheirateten Dreißigjährigen - ausgehenden Gewalttätigkeiten durch eine Kombination von obrigkeitlicher Repression und Domestizierung (etwa durch Ritterspiele) Herr zu werden (Elisabeth Crouzet-Pavan). Als Ordnungshüter wie Ordnungsstörer zugleich agierten in der frühen Neuzeit die männlichen Jugendlichen in Dorfgemeinschaften in der Schweiz und in Süddeutschland, die mit Ritualen der Volksjustiz die Sexualmoral der Gemeinschaft durchzusetzen vorgaben, zugleich aber auch die öffentliche Ordnung mit ihren Institutionen und Verfahren persiflierten. Selbst gröbste Ausschreitungen wurden relativ gelassen hingenommen, da man an der Integration der Jugendlichen in die Gesellschaftsordnung keinen Zweifel hatte (Norbert Schindler).

Beide Bände bieten ein faszinierendes Panoptikum gesellschaftlicher Organisationsformen. Die Beiträge sind quellennah geschrieben und enthalten - auch aufgrund der zahlreichen Abbildungen - eine Fülle kulturhistorischer Details, was verschiedentlich jedoch auf Kosten einer nachvollziehbaren Argumentationsstruktur geht. Die Fragestellungen divergieren so stark, daß Strukturvergleiche (die zu unternehmen sowieso den Lesern überlassen bleibt) nur schwer möglich sind. Die Ergänzung vieler Geschichten von Familie und Jugend ergibt ein buntes, aber auch verwirrendes Bild. Es gibt zahlreiche Überschneidungen mit den Beiträgen in den Geschichten des Privatlebens und denjenigen der Frauen. Das gleiche wäre der Fall, wenn denn nun auch noch eine "Geschichte der Männer" und eine "Geschichte der Alten" folgen sollte.

Den Sammelbänden fehlt es an einem klaren Konzept; es wird nicht deutlich, wie eine Sozial- und Kulturgeschichte einzelner historischer Gesellschaften auszusehen hätte, die der Bedeutung von Verwandtschaftsverhältnissen, Geschlechterbeziehungen und Altersklassen gerecht werden soll; die Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen und die methodischen Probleme universalhistorischer Strukturvergleiche bleiben unerörtert.

"Geschichte der Familie". Herausgegeben von André Burguière, Christiane Klapisch-Zuber, Martine Segalen, Francoise Zonabend. Band 1: "Altertum". Aus dem Französischen von Günter Seib. Vorwort von Claude Lévi-Strauss. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 1996. 424 S., 105 S/W-Abb., geb., Subskr.-Pr. bis 31. 12. 96 78,-, danach 88,- DM.

"Geschichte der Jugend". Herausgegeben von Giovanni Levi und Jean-Claude Schmitt. Band 1: "Von der Antike bis zum Absolutismus". Deutsch von Holger Fließbach und Leonie Schröder. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996. 455 S., Abb., geb., 68,- DM.

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