The subject of the book is the history of writing from Greek Antiquity around the middle of the 8th century BC up to the time between the end of the 15th century and the beginning of the 17th when the effects and consequences of printing became noticeable in the practice of writing. The account focuses on the activity of writing, the various conceptions of writing, the specific organisation of the action of writing, and the historical practice of writing at any given time. A second volume (appearing about 2008) will be devoted to the history of writing from the Early Modern Age up to the present day.
Gegenstand dieses Buches ist das Schreiben in seinem geschichtlichen Verlauf. Es beschreibt die Geschichte des Schreibens als Geschichte einer Tätigkeit. Der erste Teil der Darstellung setzt da ein, wo die Geschichte des Schreibens in Europa ihren Anfang genommen hat: in der griechischen Antike um die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr., als man zum ersten Mal konsequent alphabetisch schrieb. Sie endet mit den Auswirkungen und Folgen des Buchdrucks auf die Schreibpraxis in der Zeit zwischen dem Ende des 15. und dem Anfang des 17. Jahrhunderts.
Im Mittelpunkt der faszinierenden Darstellung steht genau das, was in anderen Dokumentationen ausgespart wird: nicht die äußeren Bedingungen, nicht die Texte, weder ihr Inhalt noch die Form, und auch nicht die Menschen, die geschrieben haben, sondern vornehmlich das, was sie getan haben, wenn sie schrieben, ihre Tätigkeit. Diese Tätigkeit umfasst verschiedene Konzeptionen und Begriffe des Schreibens, die spezifische Organisation der Schreibhandlung und die jeweilige historische Praxis des Schreibens.
Dieses Buch entwirft in klarer Sprache und Struktur erstmals eine umfassende 'innere' Geschichte des Schreibens als prägende Kulturtechnik des Menschen. Der sich in Vorbereitung befindende zweite Band widmet sich der Geschichte des Schreibens von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.
Pluspunkte:
Darstellung der Geschichte des Schreibens von der Antike bis in die Gegenwart Gut lesbare Einführung in die Funktionen, Methoden und Bildungsvoraussetzungen des Schreibens in den verschiedenen Epochen Historische Darstellung der zentralen Kulturtechnik des Menschen
Gegenstand dieses Buches ist das Schreiben in seinem geschichtlichen Verlauf. Es beschreibt die Geschichte des Schreibens als Geschichte einer Tätigkeit. Der erste Teil der Darstellung setzt da ein, wo die Geschichte des Schreibens in Europa ihren Anfang genommen hat: in der griechischen Antike um die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr., als man zum ersten Mal konsequent alphabetisch schrieb. Sie endet mit den Auswirkungen und Folgen des Buchdrucks auf die Schreibpraxis in der Zeit zwischen dem Ende des 15. und dem Anfang des 17. Jahrhunderts.
Im Mittelpunkt der faszinierenden Darstellung steht genau das, was in anderen Dokumentationen ausgespart wird: nicht die äußeren Bedingungen, nicht die Texte, weder ihr Inhalt noch die Form, und auch nicht die Menschen, die geschrieben haben, sondern vornehmlich das, was sie getan haben, wenn sie schrieben, ihre Tätigkeit. Diese Tätigkeit umfasst verschiedene Konzeptionen und Begriffe des Schreibens, die spezifische Organisation der Schreibhandlung und die jeweilige historische Praxis des Schreibens.
Dieses Buch entwirft in klarer Sprache und Struktur erstmals eine umfassende 'innere' Geschichte des Schreibens als prägende Kulturtechnik des Menschen. Der sich in Vorbereitung befindende zweite Band widmet sich der Geschichte des Schreibens von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.
Pluspunkte:
Darstellung der Geschichte des Schreibens von der Antike bis in die Gegenwart Gut lesbare Einführung in die Funktionen, Methoden und Bildungsvoraussetzungen des Schreibens in den verschiedenen Epochen Historische Darstellung der zentralen Kulturtechnik des Menschen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2006Große Unruhe im Vorzimmer des Geistes
Vom Ohr zum Auge: Otto Ludwigs mentalitätsgeschichtliche Darstellung der Entwicklung der Schrift
Am Anfang war die Schrift nur eine demütige Magd der gesprochenen Sprache. Sie hatte nicht viel zu sagen. Doch es dauerte nicht lange, da gab es schon die ersten Schreibsüchtigen. Otto Ludwig zeigt, wie sich die allgemeinen Vorstellungen über das Schreiben veränderten.
Die Literatur zur Schriftgeschichte läßt sich kaum überschauen. Der Germanist Otto Ludwig hat ein Thema entdeckt, das trotz seiner zentralen Bedeutung bislang nur am Rande behandelt wurde. Unter mentalitätsgeschichtlicher Perspektive arbeitet Ludwig heraus, wie sich die kollektive Vorstellung davon, was es bedeutet, zu schreiben, gewandelt hat.
Als die Griechen von den Phöniziern das Alphabet übernahmen, fügten sie Zeichen für die Vokale hinzu. Sie verzichteten aber auf die bei den Phöniziern ansatzweise vorhandene Trennung von Wörtern und Sätzen. Sie gaben den Strom der gesprochenen Laute, der ebenfalls keine Worttrennungen kennt, als eine Kette von Buchstaben wieder. Das erscheint aus heutiger Sicht als Rückschritt, weil es den Lesefluß bremst. Trotzdem bestimmte diese Konvention auch die lateinische Schriftkultur bis in das frühe Mittelalter hinein.
Warum eigneten sich die Griechen mit dem Alphabet nicht auch die Mittel an, das Geschriebene zu strukturieren? Ludwig sieht einen Grund darin, daß die Polis in einer oralen Kultur verankert war, wo das gesprochene Wort, der Austausch von Angesicht zu Angesicht, die entscheidende Geltung hatte. Ein eigenständiger Modus schriftlicher Kommunikation, der visuelle Elemente einbezieht, die kein Pendant im Akustischen haben, wäre ein Fremdkörper gewesen. Bis ins Mittelalter sorgte der Vorrang des Mündlichen dafür, daß das Schreiben auf diese elementare Form der Lautwiedergabe reduziert blieb. Damit verknüpft war die Arbeitsteilung zwischen dem Autor, der den Text komponierte, formulierte und diktierte, ohne selbst schreibkundig sein zu müssen, und dem Schreiber, der als Handwerker das Gehörte in Schriftzeichen umsetzte.
Auch beim eigenhändigen Schreiben wurden die Worte gesprochen. Die Aufzeichnung galt nur als Zwischenlager, dessen Buchstaben als Anleitung dienten, um Gesagtes zum Klingen zu bringen. Das Ohr, nicht das Auge war das Vorzimmer des Geistes. Wer las, auch für sich allein, tat das laut, denn erst die Stimme erschuf den vollgültigen Text. Ausnahmen wurden als erstaunliche Besonderheit wahrgenommen. Augustinus hielt es für berichtenswert, daß Bischof Ambrosius las, während "Stimme und Zunge ruhten".
Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem stärker strukturierenden Schriftgebrauch war die Bibelübersetzung des Hieronymus im vierten Jahrhundert. Er grenzte erstmals größere Einheiten - Verse oder kürzere Sätze - voneinander ab, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Der Bruch mit dem antiken Schreibverständnis vollzog sich im frühen Mittelalter. Die Buchstabenbänder lösten sich auf. Neben die bis dahin gebräuchlichen Groß- traten Kleinbuchstaben, und die Abgrenzung von Sätzen und Wörtern - anfänglich sogar von Silben - setzte sich durch. Um diese Konventionen zu beherrschen, mußten die Schreiber über ein Minimum an grammatikalischem Wissen verfügen. Damit trat ein Prinzip in Kraft, das die Schriftgeschichte bis heute bestimmt. Die Vereinfachung des Lesens durch die Integration von Strukturinformationen wird durch eine Erschwerung des Schreibenlernens erkauft.
Die Schreiber entdeckten das Pergament als eine Fläche, die sich mit Schmuckschriften, Initialen und Illustrationen gestalten ließ. Die Wurzel der verstärkten Visualisierung des Schreibens sieht Ludwig nicht nur im Wunsch nach einer verbesserten Lesbarkeit, sondern vor allem im sakralen Charakter, den Schreiben und Lesen im christlichen Abendland hatten. Die Gliederung der geistlichen Texte und ihre kunstvolle Ausstattung diente der Ehre Gottes. Zugleich erleichterte sie die Meditation über den Texten, indem die Gestalt der Skripte, ihrer Wörter, Buchstaben und Dekorationen dem inneren Auge optische Anknüpfungs- und Erinnerungsorte bot.
Die Bürokratisierung der Herrschaft und der Ökonomie im späteren Mittelalter machte aus dem Schreiben als Gottesdienst eine profane Kulturtechnik, die immer mehr Menschen erlernten. Die Schreibpraxis wuchs über das reine Handwerk hinaus und integrierte auch die Funktionen des Autors. Schreiben wurde zum Texten und konnte süchtig machen, wie das Beispiel des Kaufmanns Francesco di Marco Datini aus dem vierzehnten Jahrhundert zeigt. Er, der tage- und nächtelang nicht von seinem Pult fortzubewegen war, hinterließ der Nachwelt 140 000 Briefe. Die neu aufkommende Kursive machte aus dem sorgfältigen Setzen der einzelnen Buchstaben eine fließende Bewegung und erleichterte die Verschmelzung der handwerklichen mit der gedanklichen Arbeit.
Untrennbar verbunden mit der Verfertigung von Handschriften war das Ringen um fehlerfreie Kopien, das sich trotz langwieriger Korrekturen doch nie gewinnen ließ. Die größte Segnung des Buchdrucks sah man deshalb zunächst nicht in der Geschwindigkeit der Reproduktion, sondern in ihrer Einheitlichkeit. Endlich ließen sich die Schreibweisen kirchlicher und juristischer Texte stabilisieren. Nicht überall durchschaute man die Funktionsweise der neuen Technik. Nicht selten kam es vor, daß die Exemplare eines Drucks jeweils einzeln korrigiert wurden, als handele es sich immer noch um handschriftliche Unikate. Daß im Zeitalter der Maschine die Handarbeit eine neue Wertschätzung erfährt, galt schon zu Gutenbergs Zeiten. Angesichts der Massenfertigung gaben Fürsten und reiche Bürger Prachthandschriften als Statussymbole in Auftrag.
Vor dem Hintergrund des Buches zeichnen sich die Paradoxien des modernen Sprachbewußtseins deutlich ab: Die alltäglichen Vorstellungen vom Wesen der Sprache werden heute wesentlich von der Schrift geprägt. Unser Verständnis dessen, was Wörter oder Sätze sind, als auch die Normen sprachlicher Korrektheit entstammen der Schreib- und Lesepraxis, nicht dem kontinuierlichen Fluß der gesprochenen Laute. Doch im Sprachbewußtsein verkehrt sich dieser faktische Primat der Schriftlichkeit in sein Gegenteil. Hier dominiert immer noch eine Ideologie der Mündlichkeit, die Goethe in die Worte faßte, die Schrift sei doch nur ein trauriges Surrogat des Sprechens.
Daß noch heute vom "Wortlaut" schriftlicher Texte "die Rede" ist, zeigt den Nachhall der oralen Kultur ebenso wie die populäre Vorstellung, daß die eigentliche Aufgabe der Schrift sich darauf beschränken sollte, als phonetische Dienstleistung Sprachlaute im Eins-zu-eins-Verhältnis abzubilden. Während die strukturierenden Leistungen des Schriftsystems als Selbstverständlichkeiten genutzt werden, bleibt unreflektiert, daß sie eine beträchtliche Kulturleistung darstellen, die aus einer tiefgreifenden Emanzipation des Schreibens vom Sprechen resultieren. Allerdings ist dieser Prozeß vielleicht wieder im Rückschritt begriffen. Denn im E-Mail-Verkehr, in den SMS-Dialogen und den Plauder-Foren des Internets hat sich eine schwatzende Schriftlichkeit, eine Sprechschreibe eigener Art etabliert. Gewinnt auf diese Weise die Mündlichkeit die Dominanz über die Schriftlichkeit zurück? Auch darauf würde man sich Antworten im angekündigten zweiten Band der Geschichte des Schreibens wünschen. Wir sind gespannt.
WOLFGANG KRISCHKE
Otto Ludwig: "Geschichte des Schreibens". Band 1: Von der Antike bis zum Buchdruck. Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2005. 288 S., Abb., geb., 88,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Ohr zum Auge: Otto Ludwigs mentalitätsgeschichtliche Darstellung der Entwicklung der Schrift
Am Anfang war die Schrift nur eine demütige Magd der gesprochenen Sprache. Sie hatte nicht viel zu sagen. Doch es dauerte nicht lange, da gab es schon die ersten Schreibsüchtigen. Otto Ludwig zeigt, wie sich die allgemeinen Vorstellungen über das Schreiben veränderten.
Die Literatur zur Schriftgeschichte läßt sich kaum überschauen. Der Germanist Otto Ludwig hat ein Thema entdeckt, das trotz seiner zentralen Bedeutung bislang nur am Rande behandelt wurde. Unter mentalitätsgeschichtlicher Perspektive arbeitet Ludwig heraus, wie sich die kollektive Vorstellung davon, was es bedeutet, zu schreiben, gewandelt hat.
Als die Griechen von den Phöniziern das Alphabet übernahmen, fügten sie Zeichen für die Vokale hinzu. Sie verzichteten aber auf die bei den Phöniziern ansatzweise vorhandene Trennung von Wörtern und Sätzen. Sie gaben den Strom der gesprochenen Laute, der ebenfalls keine Worttrennungen kennt, als eine Kette von Buchstaben wieder. Das erscheint aus heutiger Sicht als Rückschritt, weil es den Lesefluß bremst. Trotzdem bestimmte diese Konvention auch die lateinische Schriftkultur bis in das frühe Mittelalter hinein.
Warum eigneten sich die Griechen mit dem Alphabet nicht auch die Mittel an, das Geschriebene zu strukturieren? Ludwig sieht einen Grund darin, daß die Polis in einer oralen Kultur verankert war, wo das gesprochene Wort, der Austausch von Angesicht zu Angesicht, die entscheidende Geltung hatte. Ein eigenständiger Modus schriftlicher Kommunikation, der visuelle Elemente einbezieht, die kein Pendant im Akustischen haben, wäre ein Fremdkörper gewesen. Bis ins Mittelalter sorgte der Vorrang des Mündlichen dafür, daß das Schreiben auf diese elementare Form der Lautwiedergabe reduziert blieb. Damit verknüpft war die Arbeitsteilung zwischen dem Autor, der den Text komponierte, formulierte und diktierte, ohne selbst schreibkundig sein zu müssen, und dem Schreiber, der als Handwerker das Gehörte in Schriftzeichen umsetzte.
Auch beim eigenhändigen Schreiben wurden die Worte gesprochen. Die Aufzeichnung galt nur als Zwischenlager, dessen Buchstaben als Anleitung dienten, um Gesagtes zum Klingen zu bringen. Das Ohr, nicht das Auge war das Vorzimmer des Geistes. Wer las, auch für sich allein, tat das laut, denn erst die Stimme erschuf den vollgültigen Text. Ausnahmen wurden als erstaunliche Besonderheit wahrgenommen. Augustinus hielt es für berichtenswert, daß Bischof Ambrosius las, während "Stimme und Zunge ruhten".
Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem stärker strukturierenden Schriftgebrauch war die Bibelübersetzung des Hieronymus im vierten Jahrhundert. Er grenzte erstmals größere Einheiten - Verse oder kürzere Sätze - voneinander ab, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Der Bruch mit dem antiken Schreibverständnis vollzog sich im frühen Mittelalter. Die Buchstabenbänder lösten sich auf. Neben die bis dahin gebräuchlichen Groß- traten Kleinbuchstaben, und die Abgrenzung von Sätzen und Wörtern - anfänglich sogar von Silben - setzte sich durch. Um diese Konventionen zu beherrschen, mußten die Schreiber über ein Minimum an grammatikalischem Wissen verfügen. Damit trat ein Prinzip in Kraft, das die Schriftgeschichte bis heute bestimmt. Die Vereinfachung des Lesens durch die Integration von Strukturinformationen wird durch eine Erschwerung des Schreibenlernens erkauft.
Die Schreiber entdeckten das Pergament als eine Fläche, die sich mit Schmuckschriften, Initialen und Illustrationen gestalten ließ. Die Wurzel der verstärkten Visualisierung des Schreibens sieht Ludwig nicht nur im Wunsch nach einer verbesserten Lesbarkeit, sondern vor allem im sakralen Charakter, den Schreiben und Lesen im christlichen Abendland hatten. Die Gliederung der geistlichen Texte und ihre kunstvolle Ausstattung diente der Ehre Gottes. Zugleich erleichterte sie die Meditation über den Texten, indem die Gestalt der Skripte, ihrer Wörter, Buchstaben und Dekorationen dem inneren Auge optische Anknüpfungs- und Erinnerungsorte bot.
Die Bürokratisierung der Herrschaft und der Ökonomie im späteren Mittelalter machte aus dem Schreiben als Gottesdienst eine profane Kulturtechnik, die immer mehr Menschen erlernten. Die Schreibpraxis wuchs über das reine Handwerk hinaus und integrierte auch die Funktionen des Autors. Schreiben wurde zum Texten und konnte süchtig machen, wie das Beispiel des Kaufmanns Francesco di Marco Datini aus dem vierzehnten Jahrhundert zeigt. Er, der tage- und nächtelang nicht von seinem Pult fortzubewegen war, hinterließ der Nachwelt 140 000 Briefe. Die neu aufkommende Kursive machte aus dem sorgfältigen Setzen der einzelnen Buchstaben eine fließende Bewegung und erleichterte die Verschmelzung der handwerklichen mit der gedanklichen Arbeit.
Untrennbar verbunden mit der Verfertigung von Handschriften war das Ringen um fehlerfreie Kopien, das sich trotz langwieriger Korrekturen doch nie gewinnen ließ. Die größte Segnung des Buchdrucks sah man deshalb zunächst nicht in der Geschwindigkeit der Reproduktion, sondern in ihrer Einheitlichkeit. Endlich ließen sich die Schreibweisen kirchlicher und juristischer Texte stabilisieren. Nicht überall durchschaute man die Funktionsweise der neuen Technik. Nicht selten kam es vor, daß die Exemplare eines Drucks jeweils einzeln korrigiert wurden, als handele es sich immer noch um handschriftliche Unikate. Daß im Zeitalter der Maschine die Handarbeit eine neue Wertschätzung erfährt, galt schon zu Gutenbergs Zeiten. Angesichts der Massenfertigung gaben Fürsten und reiche Bürger Prachthandschriften als Statussymbole in Auftrag.
Vor dem Hintergrund des Buches zeichnen sich die Paradoxien des modernen Sprachbewußtseins deutlich ab: Die alltäglichen Vorstellungen vom Wesen der Sprache werden heute wesentlich von der Schrift geprägt. Unser Verständnis dessen, was Wörter oder Sätze sind, als auch die Normen sprachlicher Korrektheit entstammen der Schreib- und Lesepraxis, nicht dem kontinuierlichen Fluß der gesprochenen Laute. Doch im Sprachbewußtsein verkehrt sich dieser faktische Primat der Schriftlichkeit in sein Gegenteil. Hier dominiert immer noch eine Ideologie der Mündlichkeit, die Goethe in die Worte faßte, die Schrift sei doch nur ein trauriges Surrogat des Sprechens.
Daß noch heute vom "Wortlaut" schriftlicher Texte "die Rede" ist, zeigt den Nachhall der oralen Kultur ebenso wie die populäre Vorstellung, daß die eigentliche Aufgabe der Schrift sich darauf beschränken sollte, als phonetische Dienstleistung Sprachlaute im Eins-zu-eins-Verhältnis abzubilden. Während die strukturierenden Leistungen des Schriftsystems als Selbstverständlichkeiten genutzt werden, bleibt unreflektiert, daß sie eine beträchtliche Kulturleistung darstellen, die aus einer tiefgreifenden Emanzipation des Schreibens vom Sprechen resultieren. Allerdings ist dieser Prozeß vielleicht wieder im Rückschritt begriffen. Denn im E-Mail-Verkehr, in den SMS-Dialogen und den Plauder-Foren des Internets hat sich eine schwatzende Schriftlichkeit, eine Sprechschreibe eigener Art etabliert. Gewinnt auf diese Weise die Mündlichkeit die Dominanz über die Schriftlichkeit zurück? Auch darauf würde man sich Antworten im angekündigten zweiten Band der Geschichte des Schreibens wünschen. Wir sind gespannt.
WOLFGANG KRISCHKE
Otto Ludwig: "Geschichte des Schreibens". Band 1: Von der Antike bis zum Buchdruck. Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2005. 288 S., Abb., geb., 88,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kaum noch zu überschauen ist nach Ansicht von Rezensent Wolfgang Krischke die Literatur zur Schriftgeschichte. Da sollte man meinen, zum Thema sei bereits alles gesagt. Doch weit gefehlt. Krischke attestiert dem Germanisten Otto Ludwig, im ersten nun vorliegenden Band seiner "Geschichte des Schreibens" einen Aspekt zu thematisieren, der trotz seiner zentralen Bedeutung bislang nur am Rande behandelt worden sei. Der Autor arbeite unter "mentalitätsgeschichtlicher Perspektive" heraus, "wie sich die kollektive Vorstellung davon, was es bedeutet, zu schreiben, gewandelt hat". Krischke konzentriert sich in seiner Besprechung darauf, diese Entwicklung nachzuzeichnen. Eingehend schildert er den kulturellen Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit und vom Schreiben als einem sakralen Akt hin zu einer profanen Kulturtechnik. Über die Qualitäten des Buches selbst erfährt der Leser nichts Näheres. Aber offensichtlich hat es Krischke gut gefallen, zeigt er sich doch am Ende seiner Besprechung ganz gespannt auf den zweiten, bis in die Gegenwart reichenden Band dieser Geschichte des Schreibens.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"[...] ein wertvolles Überblickswerk für den Einstieg in die Materie."
Jürgen Wolf in: Germanistik 3-4/2007
"Otto Ludwig hat eine souveräne, gut geschriebene und ansprechend bebilderte 'Geschichte des Schreibens' von den nachhomerischen Griechen bis an den Beginn der Frühen Neuzeit vorgelegt."
Rudolf Stöber in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 2006
Jürgen Wolf in: Germanistik 3-4/2007
"Otto Ludwig hat eine souveräne, gut geschriebene und ansprechend bebilderte 'Geschichte des Schreibens' von den nachhomerischen Griechen bis an den Beginn der Frühen Neuzeit vorgelegt."
Rudolf Stöber in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 2006