Drei kühne Astronauten starten in Florida (unweit vom heutigen Cap Canaveral), werden beobachtet von einem Teleskop (das dort steht, wohin Jules Verne es gesetzt hat: auf Mount Palomar) und landen (nach der Reise um den Mond) programmgemäß im Pazifischen Ozean: Jules Verne hatte 1867 fast alles vorausgesehen.
Dem Dichter der Mondfahrt zu Ehren heißt heute ein Mondkrater Jules Verne."
Dem Dichter der Mondfahrt zu Ehren heißt heute ein Mondkrater Jules Verne."
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2008DAS HÖRBUCH
An den Gestaden Somnias
Es lebe die Verkürzung der Zeit: Jules-Verne-Romane als Hörspiel und Lesung
Rar sind die Romane, in denen der Held sein Haus nicht verlässt. Die Literatur ist reich an Odysseen, Sesshaftigkeit gilt ihr als schweres Vergehen. Auch in der deutschen Gegenwartsliteratur verliert sich allerlei Personal zwischen Berlin und Tokio, Zürich und New York, und nicht selten drängt sich der Eindruck auf, dass mit der äußeren Bewegung über einen inneren Stillstand hinweggetäuscht werden soll. Einen inneren Stillstand des Autors wohlgemerkt. Wer wenig Ideen hat, behilft sich damit, seinem Odysseus ein Ticket zu lösen, auf dass er die Straßen Manhattans oder die Wüsten Afrikas durchstreife. So erklärt sich der gegenwärtige Erfolg der Reiseliteratur von Wolfgang Büscher bis Hape Kerkeling auch damit, dass es der schönen Literatur, so in ihr vor allem von Ort zu Ort gehetzt wird, an Glaubwürdigkeit fehlt. Von der Phantasie der Dichter erwartet man eben oft wenig mehr als Hirngespinste.
Wie Hirngespinste erschienen vielen einst auch die Werke Jules Vernes. Dem französischen Pionier der Science Fiction Ideenlosigkeit vorzuwerfen, wäre freilich verfehlt. Niemand machte sich zu seiner Zeit so viele Gedanken darüber, wie die Zukunft aussehen könnte. Dass seine Werke zuweilen den rasenden Stillstand vorwegnehmen, wie ihn sein Landsmann Paul Virilio hundert Jahre später beschrieb, lässt sich jedoch nicht von der Hand weisen: Da geht es zum Mond, durch alle Ozeane, tief in die Erde hinein oder in 80 Tagen einmal um dieselbe herum. Sicherlich nutzt Verne die Reise als Vehikel für allerlei Geschehnisse und Begebenheiten, am Ende aber kommt man doch recht atemlos dort an, wo es einst losgegangen war. Der Gewinn des Ganzen besteht in einer Verkürzung der Zeit.
Wohl wahr, wohl wahr!
So wie es Phileas Fogg erstaunlich schnell schafft, den Globus einmal zu umrunden, so vergeht dem Leser die Zeit ebenfalls wie im Flug. Und das ist ja wohl gerade das, was man von einem Unterhaltungsroman billigerweise erwarten darf. Enttäuschend wirkt da die Hörspielversion dieses Abenteuers, die nun zusammen mit zwei weiteren Hörspielen neu aufgelegt wurde. Recht lustlos agiert Axel Milberg hier als Weltreisender Phileas Fogg, und auch Boris Aljinovic leistet als Foggs Diener Passepartout nichts Preiswürdiges. Die mickrige Klangtapete, mit der Regisseur Stefan Dutt „In 80 Tagen um die Welt” unterlegt hat, lässt das Hörspiel schließlich vollends vor den Gestaden Somnias auf Grund laufen.
Anders Walter Adlers Version des Kapitän-Nemo-Romans. Ein aufwendiges Sounddesign vermittelt nicht nur den beklemmenden Eindruck eines Unterseebootes, auch die verschiedenen Räume, in denen die Figuren auftreten, sei es die Bibliothek des Kapitäns, die Kabine des Professor Aronnax oder die Wälder auf dem Meeresgrund: alle erhalten ihren besonderen Klang. Gottfried John gelingt es als Erzähler zudem, eine Ruhe in die Handlung zu bringen, wie sie dem Leben unter Wasser angemessen scheint. Gleichzeitig schwingt in seiner Stimme immer die latente, vom unterkühlten Wahnsinn Kapitän Nemos (Ernst Jacobi) ausgehende Bedrohung mit.
Neben den Hörspielfassungen sind die bekanntesten Romane Jules Vernes (und man staunt immer wieder, wie viele es doch sind) auch als Lesungen erhältlich. Gleich vier Werke hat Rufus Beck eingesprochen, und wer zuvor die Hörspiele gehört hat, der wird sich wundern, dass er bei Beck mit kaum weniger akustischen Reizen konfrontiert wird. Beck gehört nicht nur zu jenen Vorlesern, die sich bemühen, allen auftretenden Figuren eigene Stimmfärbungen zu verleihen, er packt in die Sätze Jules Vernes auch derart viele Betonungen, als wolle er hinter jedes Wort am liebsten ein Ausrufezeichen setzen: „Das kann niemanden verwundern (aber auch wirklich niemanden, möchte man beipflichten, bevor überhaupt klar ist, worum es geht): Die Yankees sind geborene Ingenieure, wie die Italiener geborene Musiker und die Deutschen geborene Metaphysiker sind (wohl wahr, wohl wahr!), und ihr kühnes Genie drückt sich am schönsten (ach ja, so schön!) in ballistischen Kurven aus.” Es ist wie nach einem zu fetten Essen: Am liebsten hätte man ein großes Glas Schnaps, um das Ganze zu verdauen. Zweifelsohne ist Beck ein Virtuose, er liest hochkonzentriert und betont durchaus richtig. Nur lässt er dem Hörer keinen Raum, die eigene Phantasie spielen zu lassen. Beck erlaubt sich keine Unschärfen, jedes Wort artikuliert er allerdeutlichst. Dadurch fehlt es seiner Interpretation an Natürlichkeit. Er treibt das Spielerische wie das Spaßhafte, den Schrecken wie das Schauerliche der Romane derart auf die Spitze, dass dem Hörer am Ende das eigene Staunen abgenommen wird: Man lauscht nur noch baff, wie es den Vorleser auf den Schwingen seiner eigenen Stimme davonträgt. Ein bisschen Häuslichkeit wäre da ganz gut gewesen. TOBIAS LEHMKUHL
JULES VERNE: Reise um die Erde in achtzig Tagen. 6 CD, 427 Minuten, 19,95 Euro.
JULES VERNE: Die Jagd nach dem Meteor. 3 CD, 181 Minuten, 23,90 Euro.
JULES VERNE: Reise um den Mond. 3 CD, 222 Minuten, 23,90 Euro.
JULES VERNE: Von der Erde zum Mond. 4 CD, 282 Minuten, 12,95 Euro.
Alle gelesen von Rufus Beck und erschienen bei Hörbuch Hamburg.
JULES VERNE: Fantastische Reisen. Drei Hörspiele. Die Reise zum Mittelpunkt der Erde / In 80 Tagen um die Welt / 20 000 Meilen unter den Meeren. Der Hörverlag, München 2008. 6 CD, 432 Minuten, 24,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
An den Gestaden Somnias
Es lebe die Verkürzung der Zeit: Jules-Verne-Romane als Hörspiel und Lesung
Rar sind die Romane, in denen der Held sein Haus nicht verlässt. Die Literatur ist reich an Odysseen, Sesshaftigkeit gilt ihr als schweres Vergehen. Auch in der deutschen Gegenwartsliteratur verliert sich allerlei Personal zwischen Berlin und Tokio, Zürich und New York, und nicht selten drängt sich der Eindruck auf, dass mit der äußeren Bewegung über einen inneren Stillstand hinweggetäuscht werden soll. Einen inneren Stillstand des Autors wohlgemerkt. Wer wenig Ideen hat, behilft sich damit, seinem Odysseus ein Ticket zu lösen, auf dass er die Straßen Manhattans oder die Wüsten Afrikas durchstreife. So erklärt sich der gegenwärtige Erfolg der Reiseliteratur von Wolfgang Büscher bis Hape Kerkeling auch damit, dass es der schönen Literatur, so in ihr vor allem von Ort zu Ort gehetzt wird, an Glaubwürdigkeit fehlt. Von der Phantasie der Dichter erwartet man eben oft wenig mehr als Hirngespinste.
Wie Hirngespinste erschienen vielen einst auch die Werke Jules Vernes. Dem französischen Pionier der Science Fiction Ideenlosigkeit vorzuwerfen, wäre freilich verfehlt. Niemand machte sich zu seiner Zeit so viele Gedanken darüber, wie die Zukunft aussehen könnte. Dass seine Werke zuweilen den rasenden Stillstand vorwegnehmen, wie ihn sein Landsmann Paul Virilio hundert Jahre später beschrieb, lässt sich jedoch nicht von der Hand weisen: Da geht es zum Mond, durch alle Ozeane, tief in die Erde hinein oder in 80 Tagen einmal um dieselbe herum. Sicherlich nutzt Verne die Reise als Vehikel für allerlei Geschehnisse und Begebenheiten, am Ende aber kommt man doch recht atemlos dort an, wo es einst losgegangen war. Der Gewinn des Ganzen besteht in einer Verkürzung der Zeit.
Wohl wahr, wohl wahr!
So wie es Phileas Fogg erstaunlich schnell schafft, den Globus einmal zu umrunden, so vergeht dem Leser die Zeit ebenfalls wie im Flug. Und das ist ja wohl gerade das, was man von einem Unterhaltungsroman billigerweise erwarten darf. Enttäuschend wirkt da die Hörspielversion dieses Abenteuers, die nun zusammen mit zwei weiteren Hörspielen neu aufgelegt wurde. Recht lustlos agiert Axel Milberg hier als Weltreisender Phileas Fogg, und auch Boris Aljinovic leistet als Foggs Diener Passepartout nichts Preiswürdiges. Die mickrige Klangtapete, mit der Regisseur Stefan Dutt „In 80 Tagen um die Welt” unterlegt hat, lässt das Hörspiel schließlich vollends vor den Gestaden Somnias auf Grund laufen.
Anders Walter Adlers Version des Kapitän-Nemo-Romans. Ein aufwendiges Sounddesign vermittelt nicht nur den beklemmenden Eindruck eines Unterseebootes, auch die verschiedenen Räume, in denen die Figuren auftreten, sei es die Bibliothek des Kapitäns, die Kabine des Professor Aronnax oder die Wälder auf dem Meeresgrund: alle erhalten ihren besonderen Klang. Gottfried John gelingt es als Erzähler zudem, eine Ruhe in die Handlung zu bringen, wie sie dem Leben unter Wasser angemessen scheint. Gleichzeitig schwingt in seiner Stimme immer die latente, vom unterkühlten Wahnsinn Kapitän Nemos (Ernst Jacobi) ausgehende Bedrohung mit.
Neben den Hörspielfassungen sind die bekanntesten Romane Jules Vernes (und man staunt immer wieder, wie viele es doch sind) auch als Lesungen erhältlich. Gleich vier Werke hat Rufus Beck eingesprochen, und wer zuvor die Hörspiele gehört hat, der wird sich wundern, dass er bei Beck mit kaum weniger akustischen Reizen konfrontiert wird. Beck gehört nicht nur zu jenen Vorlesern, die sich bemühen, allen auftretenden Figuren eigene Stimmfärbungen zu verleihen, er packt in die Sätze Jules Vernes auch derart viele Betonungen, als wolle er hinter jedes Wort am liebsten ein Ausrufezeichen setzen: „Das kann niemanden verwundern (aber auch wirklich niemanden, möchte man beipflichten, bevor überhaupt klar ist, worum es geht): Die Yankees sind geborene Ingenieure, wie die Italiener geborene Musiker und die Deutschen geborene Metaphysiker sind (wohl wahr, wohl wahr!), und ihr kühnes Genie drückt sich am schönsten (ach ja, so schön!) in ballistischen Kurven aus.” Es ist wie nach einem zu fetten Essen: Am liebsten hätte man ein großes Glas Schnaps, um das Ganze zu verdauen. Zweifelsohne ist Beck ein Virtuose, er liest hochkonzentriert und betont durchaus richtig. Nur lässt er dem Hörer keinen Raum, die eigene Phantasie spielen zu lassen. Beck erlaubt sich keine Unschärfen, jedes Wort artikuliert er allerdeutlichst. Dadurch fehlt es seiner Interpretation an Natürlichkeit. Er treibt das Spielerische wie das Spaßhafte, den Schrecken wie das Schauerliche der Romane derart auf die Spitze, dass dem Hörer am Ende das eigene Staunen abgenommen wird: Man lauscht nur noch baff, wie es den Vorleser auf den Schwingen seiner eigenen Stimme davonträgt. Ein bisschen Häuslichkeit wäre da ganz gut gewesen. TOBIAS LEHMKUHL
JULES VERNE: Reise um die Erde in achtzig Tagen. 6 CD, 427 Minuten, 19,95 Euro.
JULES VERNE: Die Jagd nach dem Meteor. 3 CD, 181 Minuten, 23,90 Euro.
JULES VERNE: Reise um den Mond. 3 CD, 222 Minuten, 23,90 Euro.
JULES VERNE: Von der Erde zum Mond. 4 CD, 282 Minuten, 12,95 Euro.
Alle gelesen von Rufus Beck und erschienen bei Hörbuch Hamburg.
JULES VERNE: Fantastische Reisen. Drei Hörspiele. Die Reise zum Mittelpunkt der Erde / In 80 Tagen um die Welt / 20 000 Meilen unter den Meeren. Der Hörverlag, München 2008. 6 CD, 432 Minuten, 24,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH