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«Von der Hand in den Mund» ist ein amüsantes Porträt des Künstlers als hungernder Mann vor dem Hintergrund der bewegten sechziger und siebziger Jahre. Der schnöde Mammon spielt darin die entscheidende Rolle ¬ als Metapher für den Tanz um das Goldene Kalb, als Fessel der Gesellschaft, als schlichtes Überlebensmittel. Auster beschreibt seinen ebenso kompromißlosen wie krummen Werdegang voller Selbstironie, aber auch mit der Sicherheit des gereiften Künstlers, für den der Weg seiner Identitätssuche stets das Ziel war. Und er komplettiert das Lesevergnügen, indem er im Anhang einen Teil seiner frühen Werke erstmals zugänglich macht.…mehr

Produktbeschreibung
«Von der Hand in den Mund» ist ein amüsantes Porträt des Künstlers als hungernder Mann vor dem Hintergrund der bewegten sechziger und siebziger Jahre. Der schnöde Mammon spielt darin die entscheidende Rolle ¬ als Metapher für den Tanz um das Goldene Kalb, als Fessel der Gesellschaft, als schlichtes Überlebensmittel. Auster beschreibt seinen ebenso kompromißlosen wie krummen Werdegang voller Selbstironie, aber auch mit der Sicherheit des gereiften Künstlers, für den der Weg seiner Identitätssuche stets das Ziel war. Und er komplettiert das Lesevergnügen, indem er im Anhang einen Teil seiner frühen Werke erstmals zugänglich macht.
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Autorenporträt
Werner Schmitz ist seit 1981 als Übersetzer tätig, u. a. von Malcolm Lowry, John le Carré, Ernest Hemingway, Philip Roth und Paul Auster. 2011 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis. Er lebt in der Lüneburger Heide. Paul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Er studierte Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University und verbrachte nach dem Studium einige Jahre in Frankreich. International bekannt wurde er mit seinen Romanen Im Land der letzten Dinge und der New-York-Trilogie. Sein umfangreiches, vielfach preisgekröntes Werk umfasst neben zahlreichen Romanen auch Essays und Gedichte sowie Übersetzungen zeitgenössischer Lyrik. Am 30. April 2024 ist Paul Auster im Alter von 77 Jahren gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.1998

Baseball philosophisch
Das fängt ja gut an: Paul Auster blickt schlagend zurück

Böse funkelt die Sonne, und hinterhältig lauert die Straße, auf der kein Mensch sich blicken lassen will. In seinem Wagen gleitet der Privatdetektiv durch eines der ungemütlicheren Viertel New Yorks. Sein Informant wird ihn anlügen. Auf einem Trümmergrundstück beobachtet er ein paar Jungen: "Der Werfer hatte gerade den Ball losgelassen, und der Batter holte zum Schlag aus, doch ehe ich sehen konnte, wie es weiterging, war ich schon vorbei, und die Schulmauer versperrte mir die Sicht. Es war ein in der Zeit erstarrter Augenblick, und das Bild des weißen, in der Luft schwebenden Balls blieb bei mir wie die Vision einer ewigen Erwartung."

Wo man Baseball spielt, sagt sich Paul Austers Detektiv Max Klein, mußt du nicht alle Hoffnung fahrenlassen. Er hat die Apotheose des Baseballs in John Updikes "Rabbit"-Tetralogie gelesen. Daß es in seinem Land nicht so zugeht wie beim Baseball, treibt dem Amerikaner die Tränen in die Augen; und manchmal weint er auch, weil es zugeht wie dort. Denn wo ist die Korruption größer als in diesem Sport? Die Regeln des Baseball bilden die inoffizielle Verfassung der Vereinigten Staaten. An ihnen zeigt sich der moralische Zerfall der amerikanischen Wirklichkeit.

Paul Auster ist ein linksliberaler Idealist - und somit beinahe zwangsläufig ein Baseball-Maniac. Er hat sogar einmal ein Kartenspiel erfunden, welches Baseball auf dem Wohnzimmertisch zu genießen erlaubte. Auster wollte sich mit diesem aus Finanznöten befreien, aber wohl auch in einem Spielmodell die Illusion sportlicher Fairneß und Chancengleichheit erhalten. Denn Amerika machte es ihm nicht leicht. "Action baseball" ist eine skurrile, aber sinnfällige Episode seiner Lebensgeschichte, die - glaubt man ihm - lange Zeit mehr vom Ringen um Geld denn um Worte bestimmt wurde. Nun bilden die Karten den Abbildungsteil seines neuen Buches.

"Von der Hand in den Mund", eine autobiographische Erzählung von einhundertfünfzig Seiten, die zugleich ein Essay über das klassische Thema des Schriftstellers und sein Auskommen ist, steht am Anfang dieser Chronik von Fehlschlägen. Der Rest des Werks sind diese selbst: Nachdrucke von Auster-Texten, die nie oder nur ganz kurz das Licht der Literaturwelt erblickt hatten. Der Autor, der lange vergeblich auf den Erfolg wartete, aber von unbändigem Willen getrieben wurde, legt trotzig noch einmal sein Frühwerk auf den Ladentisch. Als kleines literarisches Konzeptkunstwerk ist der Band reizvoll, wenngleich viele, viele Seiten besser im Verborgenen geblieben wären.

Geboren in Irvington, New Jersey, entstammt Paul Auster einer bürgerlichen Familie, die über ihren dauernden Geldstreitereien zerbrach. Er selbst lernte die Anbetung des Mammons zu verabscheuen, ohne daß er je die Grundlage des amerikanischen Alltagslebens in Frage gestellt hätte. Früh beschließt er zu schreiben, und auch eine Außenseiterposition schreckt ihn nicht. Aber es geht ihm weniger um Dichtung, was er vielmehr werden will, das ist ein Schriftsteller in der amerikanischen Gesellschaft. Auster erzählt von seinem Kampf um einen sozialen Status.

Er jobbt, er lernt die Unterschichten kennen, belauscht ihre Redeweisen, merkt sich ihre Gestik - auch ihre antisemitischen Ausfälle. New York ist ein Pantheon der Gescheiterten. Obdachlose, Trinker, Käuze sind seine Gesellschaft. Mehrfach reist Auster nach Paris - auch um einer Einberufung nach Vietnam zu entgehen. Eine Universitätslaufbahn schlägt er aus, die Protestbewegung nimmt er bloß als Zaungast wahr: "Das Einzelgängertum war mir zur Natur geworden, ich konnte mich nicht mehr dazu durchringen, an Bord des großen Schiffes Solidarität zu gehen." Statt dessen heuert er auf einem Öltanker an und durchkreuzt den Golf von Mexiko. In solchen Passagen gelingen Auster dichte atmosphärische Schilderungen: Langsamkeit und Tristesse des industrialisierten Südens erinnern an Walker Percys Roman "Idiot des Südens"; später verschlägt es ihn nach Mexiko, wo er den Ghostwriter für die Frau eines Filmproduzenten spielen soll. Aber es fällt ihm nichts ein, und der Höllenort, an dem die Langeweile ihn würgt, ist tatsächlich jenes Cuernavaca, das Malcolm Lowry zu "Unter dem Vulkan" trieb.

1974 vermittelt Mary McCarthy ihm in Paris die Übersetzung einer Anthologie vietnamesischer Dichtung. Das Projekt zerschlägt sich. Statt dessen wird Paul Auster unter konspirativen Umständen gebeten, die neue nordvietnamesische Verfassung ins Englische zu übertragen. Die Volksrepublik bedankt sich mit einem warmen Abendessen. Solche Episoden bilden auch schon die Höhepunkte. Dazwischen liegen die Tätigkeiten des Romaneübersetzens, des Lektorierens und des Bücherbesprechens, müde Hilfsarbeiten im Literaturbetrieb. Auch das Familienleben ist keine Freude, beständiger Geldmangel erodiert es.

In Amerika wird Mißerfolg als Zeichen eines moralischen Versagens gedeutet, und so ist das Ungesellschaftliche als Lebensform oder Erzählmotiv in der amerikanischen Literatur immer ein Spiel mit der Armut. Nur so schafft es Auster, die Fehlschläge seiner Projekte als Beweise für sein Schriftstellertum zu lesen. Vollends gerettet war er in dem Augenblick, da ihm der Durchbruch gelang und er in den Kreislauf des Geldes eindrang. Zum Zeitpunkt dieser Autobiographie darf er sich als ein Integrierter fühlen. Der Rückblick ist ein Stück lebensgeschichtlich beglaubigte Sozialtheorie: wie sich Identität durch Arbeit gebildet hat und wie in Amerika Chancengleichheit doch zu erkämpfen sei.

Dann folgen drei kurze Einakter, die womöglich in New Yorks spätexistentialistischer Literatenszene der Siebziger ihr Publikum gehabt hätten. Im ersten bauen Laurel und Hardy ort-, zeit- und sinnlos eine Mauer auf, fragen nach ihrem Auftrag, rebellieren ein bißchen, machen weiter. Oder anders: Ein Mann und eine Frau sind in zwei Kisten wie in Kasperletheaterbühnen eingesperrt. Hoffnungs- und zukunftslos erinnern sie sich an die Zeit, als sich noch tingeltangelten. Das sind Austers Sisyphusse der amerikanischen Unterhaltungsmythologie. Man liest diese Texte unweigerlich als Verarbeitungen seines Mißerfolgs, und man liest vor allem Beckett, Sartre und Camus. Im längsten der Stücke wird eine Verhörszene in einem Amt oder einer Detektei entfaltet. Ein Beschatteter hat seinen Beobachter selbst engagiert, die Persönlichkeiten vertauschen sich, das Ich erweist sich als fragwürdig. Ein Motiv des Romanciers Paul Auster keimt hier, aber noch fehlt ihm der epische Zusammenhang.

Der 1978 gedruckte, aber wegen einer Verlegerpleite nie ausgelieferte Krimi "Squeeze Play" schließt den Band ab. Und er versöhnt den Leser mit chandlerscher Lakonie und Pointensicherheit, über Strecken ein echter page turner. Austers Privatdektektiv heißt Max Klein, hat aus Gerechtigkeitsgefühl einst eine Staatsanwaltskarriere drangegeben und ist eigentlich ein Intellektueller - aber hardboiled. Er wird von einem ehemaligen Baseballstar engagiert, um Morddrohungen gegen George Chapman aufzuklären, der demnächst Kongreßmitglied werden will. Beide, der Schnüffler und das arrogante reiche Scheusal, sind Außenseiter. Sie sind im Grunde Künstlerfiguren, moralisch angefressen und immer weiter ins Labyrinth der Korruption vordringend. Mafiakontakte werden sichtbar, handfeste politische Interessen. Plötzlich wird Chapman wirklich ermordet, und Klein ist der Verfolgte.

Am Ende sind sie alle, Chapman und Klein, Stan und Ollie, der ausgebeutete Jobber und der erfolglose junge Autor, die beide Paul Auster heißen, Figuren in einem Tableau, das Bildung und Brüchigkeit einer Identität nachstellt. Dieses Buch erzählt von den Schwierigkeiten, die Rolle des freien Schriftstellers zu erobern. Die frühen Werkproben werden zu Teilen einer neuen Version von sich. Sie zaubert die schmerzlichen Anfänge in den viel erträglicheren Sinnzusammenhang der Gegenwart hinein. Was durchaus nicht für diesen Autor einnimmt: Keinen Moment fragt Auster sich, ob er ein guter Schriftsteller sei oder nicht. Seine Lage mag wirklich bedrückend gewesen sein, aber am Ende klingt es, als plädiere hier einer in der Rückschau für den Minderheitenschutz junger Autoren. So viele faule Würfe - und am Ende doch viele Homeruns. THOMAS E. SCHMIDT

Paul Auster: "Von der Hand in den Mund". Eine Chronik früher Fehlschläge. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998. 512 S., geb., 42,- Mark.

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