Zadie Smiths Weltbestseller über alles, was schön ist Wenn Howard Belsey etwas hasst, dann sind es neokonservative Menschen. Ein Paradebeispiel ist für ihn sein Erzfeind Monty Kipps, wie er Universitätsprofessor und Rembrandt-Experte. Als sich Howards Sohn Jerome in Montys attraktive Tochter verliebt, fühlt sich Howard genötigt einzuschreiten erotische, intellektuelle und familiäre Verwicklungen und Katastrophen nehmen ihren Lauf.
Howard Belsey, ein weißer Engländer, der an einem College in der Nähe von Boston Kunstgeschichte lehrt, ist mit der schwarzen Kiki verheiratet. Zu seinem Missfallen nimmt ihr Sohn Jerome einen Ferienjob bei seinem Erzfeind Monty Kipps in London an und verliebt sich unsterblich in dessen Tochter Victoria. Unerträglich werden die Dinge für Howard, als Monty Kipps auch noch an seine Uni berufen wird, seine Frau Kiki ihn wegen seiner Affäre mit einer Kollegin links liegen lässt und sich zudem mit Mrs. Kipps anfreundet, seine Tochter ihm in der Uni den Rang abläuft und Jerome sich zunehmend zum Christentum hingezogen fühlt.
Komisch, rasant, mit liebenswerten und unvergesslichen Charakteren erzählt Zadie Smith in ihrem dritten Roman die Geschichte einer mehr als turbulenten Familie zwischen England und Amerika, schwarz und weiß, Hässlichkeit und Schönheit, Liberalismus und Konservativismus. Der Roman, wie Zähne zeigen ein Welterfolg, ist ein gelungenes Spiel, das den englischen Gesellschaftsroman, namentlich E.M. Fosters Howards End, gekonnt in die heutige Zeit transferiert.
Das Hörbuch erscheint parallel im Hörverlag
Howard Belsey, ein weißer Engländer, der an einem College in der Nähe von Boston Kunstgeschichte lehrt, ist mit der schwarzen Kiki verheiratet. Zu seinem Missfallen nimmt ihr Sohn Jerome einen Ferienjob bei seinem Erzfeind Monty Kipps in London an und verliebt sich unsterblich in dessen Tochter Victoria. Unerträglich werden die Dinge für Howard, als Monty Kipps auch noch an seine Uni berufen wird, seine Frau Kiki ihn wegen seiner Affäre mit einer Kollegin links liegen lässt und sich zudem mit Mrs. Kipps anfreundet, seine Tochter ihm in der Uni den Rang abläuft und Jerome sich zunehmend zum Christentum hingezogen fühlt.
Komisch, rasant, mit liebenswerten und unvergesslichen Charakteren erzählt Zadie Smith in ihrem dritten Roman die Geschichte einer mehr als turbulenten Familie zwischen England und Amerika, schwarz und weiß, Hässlichkeit und Schönheit, Liberalismus und Konservativismus. Der Roman, wie Zähne zeigen ein Welterfolg, ist ein gelungenes Spiel, das den englischen Gesellschaftsroman, namentlich E.M. Fosters Howards End, gekonnt in die heutige Zeit transferiert.
Das Hörbuch erscheint parallel im Hörverlag
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2006Wie Howard einmal kein gutes Ende nahm
Gegensätze ziehen sich nicht an: Mit "Von der Schönheit" hat Zadie Smith einen rasanten Roman über verfeindete Familien, Schwarz und Weiß, England und Amerika geschrieben
Wenn es zwei oder mehrere Arten gibt, etwas zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe enden kann, so wird jemand gerade diese Art wählen. Die junge englische Autorin Zadie Smith hat auf der Erfahrungsmaxime von Murphys Gesetz einen Roman aufgebaut, und das Wundersame ist, daß darin zwar für die fünf Mitglieder der Familie Belsey vieles schiefgeht, aber das Buch, das von ihren Enttäuschungen und Entgleisungen erzählt, überaus gelungen ist.
"Von der Schönheit" ist eine tiefe Verneigung mit anschließender koketter Pirouette vor E. M. Forster, dessen "Wiedersehen in Howards End" Zadie Smith mal ausdrücklich, mal spielerisch aufgreift, vom ersten Satz über die Konstellation zweier grundverschiedener Familien bis hin zu den Liebschaften, Bündnissen und Verwicklungen, die sie untereinander eingehen. Der spätviktorianische Bloomsburyianer Forster, dem es in seinem Werk, ob in Romanen wie "A Passage to India" (1924) oder in seinen literaturkritischen Schriften, stets darum zu tun war, Hürden zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Einstellung und Lebensart zu überwinden, ist Zadie Smiths Hausgott; doch vor der altmodisch-umständlichen Diktion, die diesen bisweilen befiel, bewahrt sie ihr erzählerisches Temperament. Ganz wie er jedoch schwelgt sie in der Unberechenbarkeit der Charaktere, die sie durch die panoramatisch angelegte Erzählweise aus deren unterschiedlichen Perspektiven noch zu unterstreichen weiß.
Die Belseys nämlich sind eine liberale, unkonventionelle, bunte Familie. Howard, weißer Metzgerssohn aus England, und seine afroamerikanische Frau Kiki sind geprägt vom Geist der späten sechziger Jahre, als Kiki für Malcolm X schwärmte und für Howard Rebellion nicht nur eine intellektuelle, sondern eine lebenspraktische Herausforderung war. Inzwischen haben sie sich im akademisch gehobenen Mittelklassemilieu des angesehenen Ostküstencolleges Wellington behaglich eingerichtet. Kiki, aufgrund ihres resoluten Naturells und ihrer im Laufe der Jahre auf 250 Pfund angeschwollenen Statur geerdet, arbeitet in der Krankenhausverwaltung; Howard, linkisch, dogmatisch und weltfremd, brütet neben seiner Lehrtätigkeit bereits Jahre über einem poststrukturalistischen Werk zu Rembrandt, einem Künstler, den er eigentlich nicht ausstehen kann. Die Kinder Jerome, Zora und Levi hat das Paar zur Selbständigkeit erzogen, indem es ihnen einfach keine andere Wahl ließ, als zu sehen, wo sie bleiben: erst das Individuum, dann die Gemeinschaft.
Das von Howard leidenschaftlich verabscheute Gegenmodell zu seiner eigenen, lässig multikulturellen amerikanischen Familie sind die durch und durch schwarzen, britischen, christlich gesinnten und konservativ denkenden Kipps, genauer: Sir Monty Kipps, sein Erzrivale. Das Unheil - und damit der Roman - nimmt seinen Lauf, als sich der rührend ernsthafte Jerome bei einem England-Aufenthalt erst in das behütete Familienleben der Kipps und dann in die kesse Tochter Victoria verliebt. Kaum daß er, seiner Unschuld und seiner romantischen Illusionen beraubt, zurück nach Hause kommt, tragen seine Eltern nach dreißig Jahren die erste Ehekrise aus, sorgt seine angriffslustige Schwester Zora auf dem College für Furore, wo sie ausgerechnet das Creative-Writing-Seminar der Ex-Geliebten ihres Vaters belegt hat, und der Bruder Levi hat sich aus seiner hormonellen Gleichgültigkeit gerissen, um mit fragwürdigen Mitteln für die aus Haiti stammenden Landsleute Rechte einzufordern. Das alles wäre für Howard, der seine akademischen Lehrsätze längst auch daheim in Form von oberlehrerhafter Geschmacksdominanz auslebt, womöglich noch zu bewältigen, hätte er als neuen Kollegen in Wellington nicht ausgerechnet soeben seinen Widersacher Monty Kipps vor die Nase gesetzt bekommen. Sir Monty, der im maßgeschneiderten Dreiteiler seine Wurzeln aus Trinidad ganz unakademisch glamourös verbrämt und der von Affirmative Action sowenig hält wie von Howards kunsthistorischen Ansichten, bringt diesen zur Weißglut. Als die an der Untreue ihres Mannes leidende Kiki sich auch noch mit Montys Frau Carlene anfreundet, Howard selbst sich wider Instinkt und besseres Wissen von Montys rabiat-erotischer Tochter Victoria (jawohl, dieselbe, die schon seinen Sohn Jerome auf dem Gewissen hat) verführen läßt und die Familien Belsey und Kipps schließlich über eine Erbschaft und einen jungen Rap-Poeten namens Carl erneut heftig aneinandergeraten, ganz zu schweigen von einem universitären Showdown zwischen Howard und Monty - da ist das Ende, das Howard nehmen wird, vorgezeichnet.
Gekonnt mischt Zadie Smith Milieus, Hautfarben und Ansichten, bedient sich der Genre des Campus-, des Gesellschafts- und des Bildungsromans; doch was herauskommt, ist nicht nur ein süffiges, zeitgemäß multikulturelles Potpourri der sich reibenden und mischenden Kulturen, sondern ein ebenso anspruchsvoller, geistreicher wie über weiteste Strecken unterhaltsamer Roman, der eine breite Brücke schlägt zwischen Großbritannien und Amerika. Das betrifft die Schilderungen der jeweiligen Mentalitäten und Lebensweisen ebenso wie den unterschiedlich nuancierten Gebrauch des Englischen. Stilistisch äußert sich das in einer rasanten Mischung aus E. M. Forster und Philip Roth, David Lodge und Tom Wolfe. Hat Zadie Smith von den Engländern die Lust an der weitschweifigen Beschreibung (die indes gelegentlich mit ihr durchgeht), so hat ihr der amerikanische Kanon die nötige Unverfrorenheit dafür mitgegeben und den wachen Sinn für die Empfindlichkeiten von Minderheiten und Außenseitern.
Wenn sie die Ehe von Howard und Kiki aus der Sicht einer Bekannten schildert, klingt das dann so: "Es war eine Verbindung, die sich kaum definieren ließ. Er war ein Büchermensch, sie nicht. Sie nannte eine Rose eine Rose. Er nannte es eine Ansammlung kultureller und biologischer Konstrukte im Spannungsfeld zwischen Natur und Kunst." Doch der humorvolle Ton kann und soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kleinen, zum Mitleiden einladenden Dramen, die die Belseys erleben, tief empfunden und als solche bei aller Komik nie läppisch sind. Und obschon sich im Deutschen nicht die ganze Vielfalt der Tonfälle und Slangs des englischen Originals nachahmen läßt, bietet Marcus Ingendaays Übersetzung doch einen prallen Eindruck von dem, was Zadie Smith kann.
Nach dem gefeierten Debüt "Zähne zeigen" (2001) und dem weniger geglückten Nachfolger "Der Autogrammhändler" (2003) beweist sie mit "Von der Schönheit", daß sie keineswegs ein One-Hit-Wonder ist. Zadie Smith, dessen darf man nach Lektüre dieses Romans freudig gewiß sein, ist gekommen, um zu bleiben.
Zadie Smith: "Von der Schönheit". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 517 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegensätze ziehen sich nicht an: Mit "Von der Schönheit" hat Zadie Smith einen rasanten Roman über verfeindete Familien, Schwarz und Weiß, England und Amerika geschrieben
Wenn es zwei oder mehrere Arten gibt, etwas zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe enden kann, so wird jemand gerade diese Art wählen. Die junge englische Autorin Zadie Smith hat auf der Erfahrungsmaxime von Murphys Gesetz einen Roman aufgebaut, und das Wundersame ist, daß darin zwar für die fünf Mitglieder der Familie Belsey vieles schiefgeht, aber das Buch, das von ihren Enttäuschungen und Entgleisungen erzählt, überaus gelungen ist.
"Von der Schönheit" ist eine tiefe Verneigung mit anschließender koketter Pirouette vor E. M. Forster, dessen "Wiedersehen in Howards End" Zadie Smith mal ausdrücklich, mal spielerisch aufgreift, vom ersten Satz über die Konstellation zweier grundverschiedener Familien bis hin zu den Liebschaften, Bündnissen und Verwicklungen, die sie untereinander eingehen. Der spätviktorianische Bloomsburyianer Forster, dem es in seinem Werk, ob in Romanen wie "A Passage to India" (1924) oder in seinen literaturkritischen Schriften, stets darum zu tun war, Hürden zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Einstellung und Lebensart zu überwinden, ist Zadie Smiths Hausgott; doch vor der altmodisch-umständlichen Diktion, die diesen bisweilen befiel, bewahrt sie ihr erzählerisches Temperament. Ganz wie er jedoch schwelgt sie in der Unberechenbarkeit der Charaktere, die sie durch die panoramatisch angelegte Erzählweise aus deren unterschiedlichen Perspektiven noch zu unterstreichen weiß.
Die Belseys nämlich sind eine liberale, unkonventionelle, bunte Familie. Howard, weißer Metzgerssohn aus England, und seine afroamerikanische Frau Kiki sind geprägt vom Geist der späten sechziger Jahre, als Kiki für Malcolm X schwärmte und für Howard Rebellion nicht nur eine intellektuelle, sondern eine lebenspraktische Herausforderung war. Inzwischen haben sie sich im akademisch gehobenen Mittelklassemilieu des angesehenen Ostküstencolleges Wellington behaglich eingerichtet. Kiki, aufgrund ihres resoluten Naturells und ihrer im Laufe der Jahre auf 250 Pfund angeschwollenen Statur geerdet, arbeitet in der Krankenhausverwaltung; Howard, linkisch, dogmatisch und weltfremd, brütet neben seiner Lehrtätigkeit bereits Jahre über einem poststrukturalistischen Werk zu Rembrandt, einem Künstler, den er eigentlich nicht ausstehen kann. Die Kinder Jerome, Zora und Levi hat das Paar zur Selbständigkeit erzogen, indem es ihnen einfach keine andere Wahl ließ, als zu sehen, wo sie bleiben: erst das Individuum, dann die Gemeinschaft.
Das von Howard leidenschaftlich verabscheute Gegenmodell zu seiner eigenen, lässig multikulturellen amerikanischen Familie sind die durch und durch schwarzen, britischen, christlich gesinnten und konservativ denkenden Kipps, genauer: Sir Monty Kipps, sein Erzrivale. Das Unheil - und damit der Roman - nimmt seinen Lauf, als sich der rührend ernsthafte Jerome bei einem England-Aufenthalt erst in das behütete Familienleben der Kipps und dann in die kesse Tochter Victoria verliebt. Kaum daß er, seiner Unschuld und seiner romantischen Illusionen beraubt, zurück nach Hause kommt, tragen seine Eltern nach dreißig Jahren die erste Ehekrise aus, sorgt seine angriffslustige Schwester Zora auf dem College für Furore, wo sie ausgerechnet das Creative-Writing-Seminar der Ex-Geliebten ihres Vaters belegt hat, und der Bruder Levi hat sich aus seiner hormonellen Gleichgültigkeit gerissen, um mit fragwürdigen Mitteln für die aus Haiti stammenden Landsleute Rechte einzufordern. Das alles wäre für Howard, der seine akademischen Lehrsätze längst auch daheim in Form von oberlehrerhafter Geschmacksdominanz auslebt, womöglich noch zu bewältigen, hätte er als neuen Kollegen in Wellington nicht ausgerechnet soeben seinen Widersacher Monty Kipps vor die Nase gesetzt bekommen. Sir Monty, der im maßgeschneiderten Dreiteiler seine Wurzeln aus Trinidad ganz unakademisch glamourös verbrämt und der von Affirmative Action sowenig hält wie von Howards kunsthistorischen Ansichten, bringt diesen zur Weißglut. Als die an der Untreue ihres Mannes leidende Kiki sich auch noch mit Montys Frau Carlene anfreundet, Howard selbst sich wider Instinkt und besseres Wissen von Montys rabiat-erotischer Tochter Victoria (jawohl, dieselbe, die schon seinen Sohn Jerome auf dem Gewissen hat) verführen läßt und die Familien Belsey und Kipps schließlich über eine Erbschaft und einen jungen Rap-Poeten namens Carl erneut heftig aneinandergeraten, ganz zu schweigen von einem universitären Showdown zwischen Howard und Monty - da ist das Ende, das Howard nehmen wird, vorgezeichnet.
Gekonnt mischt Zadie Smith Milieus, Hautfarben und Ansichten, bedient sich der Genre des Campus-, des Gesellschafts- und des Bildungsromans; doch was herauskommt, ist nicht nur ein süffiges, zeitgemäß multikulturelles Potpourri der sich reibenden und mischenden Kulturen, sondern ein ebenso anspruchsvoller, geistreicher wie über weiteste Strecken unterhaltsamer Roman, der eine breite Brücke schlägt zwischen Großbritannien und Amerika. Das betrifft die Schilderungen der jeweiligen Mentalitäten und Lebensweisen ebenso wie den unterschiedlich nuancierten Gebrauch des Englischen. Stilistisch äußert sich das in einer rasanten Mischung aus E. M. Forster und Philip Roth, David Lodge und Tom Wolfe. Hat Zadie Smith von den Engländern die Lust an der weitschweifigen Beschreibung (die indes gelegentlich mit ihr durchgeht), so hat ihr der amerikanische Kanon die nötige Unverfrorenheit dafür mitgegeben und den wachen Sinn für die Empfindlichkeiten von Minderheiten und Außenseitern.
Wenn sie die Ehe von Howard und Kiki aus der Sicht einer Bekannten schildert, klingt das dann so: "Es war eine Verbindung, die sich kaum definieren ließ. Er war ein Büchermensch, sie nicht. Sie nannte eine Rose eine Rose. Er nannte es eine Ansammlung kultureller und biologischer Konstrukte im Spannungsfeld zwischen Natur und Kunst." Doch der humorvolle Ton kann und soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kleinen, zum Mitleiden einladenden Dramen, die die Belseys erleben, tief empfunden und als solche bei aller Komik nie läppisch sind. Und obschon sich im Deutschen nicht die ganze Vielfalt der Tonfälle und Slangs des englischen Originals nachahmen läßt, bietet Marcus Ingendaays Übersetzung doch einen prallen Eindruck von dem, was Zadie Smith kann.
Nach dem gefeierten Debüt "Zähne zeigen" (2001) und dem weniger geglückten Nachfolger "Der Autogrammhändler" (2003) beweist sie mit "Von der Schönheit", daß sie keineswegs ein One-Hit-Wonder ist. Zadie Smith, dessen darf man nach Lektüre dieses Romans freudig gewiß sein, ist gekommen, um zu bleiben.
Zadie Smith: "Von der Schönheit". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 517 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Im Zentrum dieses in der kleinen Universitätsstadt Wellington angesiedelten Gesellschaftsromans, so der überaus beglückte Rezensent Tobias Heyl, steht der Konflikt zwischen zwei Familien, oder genauer gesagt zwischen zwei Familienoberhäuptern: dem innovativen und erfolglosen weißen Kunsthistoriker Howard Belsey und seinem konservativen und erfolgreichen schwarzen Kontrahenten Monty Kipps. Sehr gefallen hat dem Rezensenten, wie Zadie Smith diese Fronten aufweicht (etwa indem sie die Kinder aus aus der elterlichen Linie ausscheren lässt), wie sie zeigt, dass Fronten nie klar verlaufen. Mit viel Liebe zum Detail beschreibe Smith den "Planeten Wellington" als ein großes Chaos und vollziehe dieses Chaos erzählerisch nach, anstatt eine (auch von ihren Figuren herbeigesehnte) Ordnung anzustreben. Wie Smith selbst angebe, sei dieser Roman auch vor dem Hintergrund von E.M. Forsters "Wiedersehen in Howard's End" zu lesen: Auch ihren Figuren gehe es deutlich besser, je mehr sie sich von der Hoffnung auf bessere Zeiten verabschieden. Sie üben sich in Desillusionierung und werden dadurch nicht nur leichter, sondern wie der Rezensent findet, auch schöner.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Das Gelb der Menschen
Zadie Smith dekonstruiert Schönheit / Von Tobias Heyl
Howard Belsey, gescheitert in so ziemlich allen Rollen, in denen ein Mann scheitern kann, starrt auf eine Powerpoint-Präsentation. Sie zeigt ein Stück Haut, gemalt von Rembrandt, Detail eines Gemäldes seiner geliebten Hendrickje. Immer stärker vergrößert der Computer den Bildausschnitt, bis nur noch die einzelnen Pinselstriche zu erkennen sind. „Kalkiges Weiß, lebendiges Rosa, darunter venöses Blau und dieses allgegenwärtige, zutiefst menschliche Gelb, ein Hinweis auf das, was kommen würde.” Kann ein liebeskranker Kunsthistoriker einsamer sein?
So traurig und so zart endet Zadie Smiths dritter Roman „Von der Schönheit”, ein süffiger, wunderbar komischer Gesellschaftsroman. Ort der Handlung ist die kleine und sehr weiße Universitätsstadt Wellington, die man sich irgendwo in der Gegend von Boston vorstellen muss. Seit zehn Jahren ist Howard Belsey dort ohne greifbares Ergebnis damit beschäftigt, das Genie Rembrandts zu dekonstruieren – ein Job, der nicht eben fröhlich macht. Und seine Stimmung sinkt noch tiefer, als sein größter Konkurrent Monty Kipps an seine Universität berufen wird: Ein konservativer Gelehrter, der sich in den besten Traditionen seines Fachs geborgen fühlt und dafür mit einer mustergültigen Karriere belohnt wird.
Nun ist Belsey ein Weißer, (noch) verheiratet mit der dunkelhäutigen Kiki und vielleicht auch deshalb tief durchdrungen von allen Prinzipien liberalen Denkens und politischer Korrektheit. Kipps wiederum ist ein Schwarzer, und er verdächtigt jeden Versuch, gegen rassistische Diskriminierung mit politischen Mitteln vorzugehen, als besonders subtile Form der Diskriminierung. Passen also schon die Kollegen Belsey und Kipps nicht in die übliche politische Ordnung, dann macht ein Blick auf ihre Familien die Sache noch komplizierter. Die Belsey-Kinder sind das Resultat jenes pädagogischen Laissez-Faire, das in den letzten zwanzig Jahren in den Kinderzimmern der westlichen Welt praktiziert wurde. Tochter Zora studiert und steht politisch links. Jerome muss seinen Eltern als glatter Reinfall erscheinen, denn er fühlt sich zu pietistischer Frömmigkeit berufen. Levi schließlich jobbt mal hier, mal da, und daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern. Bei den Kipps hat es immerhin Michael in der Finanzwelt zu etwas gebracht. Seine Schwester Victoria studiert noch. Was einmal aus ihr wird, ist noch nicht abzusehen. Sie als rattenscharf zu bezeichnen ist politisch vielleicht nicht korrekt, entspricht aber den Tatsachen.
Man sieht an dieser Aufzählung der Hauptfiguren, dass in Wellington die scheinbar unumstößlichen Regeln, nach denen Erfolg und Scheitern, Weltanschauungen und Religiosität in einer Gesellschaft verteilt sind, außer Kraft gesetzt sind. Die aufgeklärt-liberalen Belseys müssen sich mit einem streng religiösen Sohn herumschlagen, die strengen Eltern Kipps ahnen schlimmstenfalls, wie und wie oft es ihre Tochter mit den Männern treibt. Es gibt keine gemeinsamen Ideen und keine gemeinsamen Werte, die diese Menschen zusammenhalten, alles ist ein großes Chaos.
Victoria sorgt dafür, dass dieses Chaos nicht zur Ruhe kommt. Ihre Lust und ihre unwiderstehliche Wirkung auf Männer lässt die Herren Belsey – zuerst den zögernden Sohn, dann den höchst bereitwilligen Vater – vergessen, dass sie zum verhassten Kipps-Clan gehört. Später lässt sie sich mit einem Rapper ein, um den es an der Fakultät großen Streit gab, weil ihm dann die Stelle eines Hip-Hop-Archivars zugeschanzt wurde. Vater Kipps sieht so etwas natürlich gar nicht gern. Wo Victoria gerade nicht zur Stelle ist, durchbrechen die Damen Kipps und Belsey die Fronten und treffen sich im Geheimen, zu Tee und Apfelkuchen. Warum sollten die kleinlichen Streitereien ihrer Männer sie daran hindern?
Je weiter man in diesem Roman vorankommt, desto mehr staunt man über die Virtuosität, mit der Zadie Smith um den Konflikt der Belseys und Kipps weitere Erzählstränge wickelt, bis am Ende ein ungemein plastisches und detailfreudiges Bild des Planeten Wellington entstanden ist, bis in den Jargon kleiner Nebenfiguren präzise und liebevoll gezeichnet. Das Betriebsklima in einem großen Elektronikmarkt interessiert sie genauso wie die ermüdenden Gremiensitzungen an der Universität, die steifen Dinners ebenso wie eine lange Nacht im Kreise pubertierender Dichter. Das sind eben die Bühnen, auf denen sie sich ihre Figuren durch Familien-, Liebes- und Berufsintrigen kämpfen müssen. Aber am Ende erwartet alle ein ähnliches Schicksal: Ihre tapfer verteidigten Prinzipien und Ideale, ja, auch ihre großen Gefühle erweisen sich als wenig haltbar. Bis zur Durchschnittlichkeit blamiert, verlassen sie den Schauplatz.
In sehr komischen Szenen zeigt dieser Roman, dass, wenn es sie denn jemals gab, die Zeiten vorbei sind, in denen uns unsere politischen, moralischen und sonstigen Präferenzen in die Wiege gelegt wurden. Für die neokonservative Position kann sich auch ein Schwarzer entscheiden, der seine Herkunft bewusst verleugnet und kein Problem damit hat, ein Verhältnis mit einer Studentin einzugehen, die er nachträglich aus seinem Seminar feuert. Dabei hätte es seiner eigenen Tochter genauso ergehen können. Denn Victoria holt sich die Männer, die sie braucht, um sich nach Gebrauch wieder von ihnen zu verabschieden.
In diesem Chaos der nunmehr zweifelhaften Überzeugungen und Gefühle findet Smith das Material für einen Gesellschaftsroman, der, wörtlich verstanden, einer der letzten seiner Gattung sein müsste. Die einst sicher geglaubten Ordnungen existieren nicht mehr, vielleicht weil sie auf dem Irrtum basierten, die Gesellschaft bewege sich, wie langsam und umständlich auch immer, von Generation zu Generation auf bessere Zeiten zu. Stattdessen aber schlägt sie Haken oder bewegt sich im Kreis oder legt auch einmal den Rückwärtsgang ein. Diese Bewegungen zeichnet der Roman nach. Ihr Werk, schreibt Zadie Smith zu Beginn, sei E.M. Forsters Roman „Wiedersehen in Howard’s End” verpflichtet, dessen Grundkonstruktion sie fast hundert Jahre später nach Wellington verlegt habe.
Der Abschied von der Hoffnung auf immer bessere Zeiten macht vielleicht nicht glücklicher, wirkt aber ungemein befreiend. Davon vermitteln Smiths Figuren schon einmal eine Ahnung. Mal mehr, mal weniger freiwillig üben sie sich in der Kunst der Desillusionierung. Sie werfen immer mehr Ballast ab, werden immer leichter. Und wenn man den Titel dieses Romans nicht ganz falsch versteht, werden sie dabei irgendwie auch ein bisschen schöner. Soviel Pathos sollte noch erlaubt sein.
Zadie Smith
Von der Schönheit
Roman. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 512 S., 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Zadie Smith dekonstruiert Schönheit / Von Tobias Heyl
Howard Belsey, gescheitert in so ziemlich allen Rollen, in denen ein Mann scheitern kann, starrt auf eine Powerpoint-Präsentation. Sie zeigt ein Stück Haut, gemalt von Rembrandt, Detail eines Gemäldes seiner geliebten Hendrickje. Immer stärker vergrößert der Computer den Bildausschnitt, bis nur noch die einzelnen Pinselstriche zu erkennen sind. „Kalkiges Weiß, lebendiges Rosa, darunter venöses Blau und dieses allgegenwärtige, zutiefst menschliche Gelb, ein Hinweis auf das, was kommen würde.” Kann ein liebeskranker Kunsthistoriker einsamer sein?
So traurig und so zart endet Zadie Smiths dritter Roman „Von der Schönheit”, ein süffiger, wunderbar komischer Gesellschaftsroman. Ort der Handlung ist die kleine und sehr weiße Universitätsstadt Wellington, die man sich irgendwo in der Gegend von Boston vorstellen muss. Seit zehn Jahren ist Howard Belsey dort ohne greifbares Ergebnis damit beschäftigt, das Genie Rembrandts zu dekonstruieren – ein Job, der nicht eben fröhlich macht. Und seine Stimmung sinkt noch tiefer, als sein größter Konkurrent Monty Kipps an seine Universität berufen wird: Ein konservativer Gelehrter, der sich in den besten Traditionen seines Fachs geborgen fühlt und dafür mit einer mustergültigen Karriere belohnt wird.
Nun ist Belsey ein Weißer, (noch) verheiratet mit der dunkelhäutigen Kiki und vielleicht auch deshalb tief durchdrungen von allen Prinzipien liberalen Denkens und politischer Korrektheit. Kipps wiederum ist ein Schwarzer, und er verdächtigt jeden Versuch, gegen rassistische Diskriminierung mit politischen Mitteln vorzugehen, als besonders subtile Form der Diskriminierung. Passen also schon die Kollegen Belsey und Kipps nicht in die übliche politische Ordnung, dann macht ein Blick auf ihre Familien die Sache noch komplizierter. Die Belsey-Kinder sind das Resultat jenes pädagogischen Laissez-Faire, das in den letzten zwanzig Jahren in den Kinderzimmern der westlichen Welt praktiziert wurde. Tochter Zora studiert und steht politisch links. Jerome muss seinen Eltern als glatter Reinfall erscheinen, denn er fühlt sich zu pietistischer Frömmigkeit berufen. Levi schließlich jobbt mal hier, mal da, und daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern. Bei den Kipps hat es immerhin Michael in der Finanzwelt zu etwas gebracht. Seine Schwester Victoria studiert noch. Was einmal aus ihr wird, ist noch nicht abzusehen. Sie als rattenscharf zu bezeichnen ist politisch vielleicht nicht korrekt, entspricht aber den Tatsachen.
Man sieht an dieser Aufzählung der Hauptfiguren, dass in Wellington die scheinbar unumstößlichen Regeln, nach denen Erfolg und Scheitern, Weltanschauungen und Religiosität in einer Gesellschaft verteilt sind, außer Kraft gesetzt sind. Die aufgeklärt-liberalen Belseys müssen sich mit einem streng religiösen Sohn herumschlagen, die strengen Eltern Kipps ahnen schlimmstenfalls, wie und wie oft es ihre Tochter mit den Männern treibt. Es gibt keine gemeinsamen Ideen und keine gemeinsamen Werte, die diese Menschen zusammenhalten, alles ist ein großes Chaos.
Victoria sorgt dafür, dass dieses Chaos nicht zur Ruhe kommt. Ihre Lust und ihre unwiderstehliche Wirkung auf Männer lässt die Herren Belsey – zuerst den zögernden Sohn, dann den höchst bereitwilligen Vater – vergessen, dass sie zum verhassten Kipps-Clan gehört. Später lässt sie sich mit einem Rapper ein, um den es an der Fakultät großen Streit gab, weil ihm dann die Stelle eines Hip-Hop-Archivars zugeschanzt wurde. Vater Kipps sieht so etwas natürlich gar nicht gern. Wo Victoria gerade nicht zur Stelle ist, durchbrechen die Damen Kipps und Belsey die Fronten und treffen sich im Geheimen, zu Tee und Apfelkuchen. Warum sollten die kleinlichen Streitereien ihrer Männer sie daran hindern?
Je weiter man in diesem Roman vorankommt, desto mehr staunt man über die Virtuosität, mit der Zadie Smith um den Konflikt der Belseys und Kipps weitere Erzählstränge wickelt, bis am Ende ein ungemein plastisches und detailfreudiges Bild des Planeten Wellington entstanden ist, bis in den Jargon kleiner Nebenfiguren präzise und liebevoll gezeichnet. Das Betriebsklima in einem großen Elektronikmarkt interessiert sie genauso wie die ermüdenden Gremiensitzungen an der Universität, die steifen Dinners ebenso wie eine lange Nacht im Kreise pubertierender Dichter. Das sind eben die Bühnen, auf denen sie sich ihre Figuren durch Familien-, Liebes- und Berufsintrigen kämpfen müssen. Aber am Ende erwartet alle ein ähnliches Schicksal: Ihre tapfer verteidigten Prinzipien und Ideale, ja, auch ihre großen Gefühle erweisen sich als wenig haltbar. Bis zur Durchschnittlichkeit blamiert, verlassen sie den Schauplatz.
In sehr komischen Szenen zeigt dieser Roman, dass, wenn es sie denn jemals gab, die Zeiten vorbei sind, in denen uns unsere politischen, moralischen und sonstigen Präferenzen in die Wiege gelegt wurden. Für die neokonservative Position kann sich auch ein Schwarzer entscheiden, der seine Herkunft bewusst verleugnet und kein Problem damit hat, ein Verhältnis mit einer Studentin einzugehen, die er nachträglich aus seinem Seminar feuert. Dabei hätte es seiner eigenen Tochter genauso ergehen können. Denn Victoria holt sich die Männer, die sie braucht, um sich nach Gebrauch wieder von ihnen zu verabschieden.
In diesem Chaos der nunmehr zweifelhaften Überzeugungen und Gefühle findet Smith das Material für einen Gesellschaftsroman, der, wörtlich verstanden, einer der letzten seiner Gattung sein müsste. Die einst sicher geglaubten Ordnungen existieren nicht mehr, vielleicht weil sie auf dem Irrtum basierten, die Gesellschaft bewege sich, wie langsam und umständlich auch immer, von Generation zu Generation auf bessere Zeiten zu. Stattdessen aber schlägt sie Haken oder bewegt sich im Kreis oder legt auch einmal den Rückwärtsgang ein. Diese Bewegungen zeichnet der Roman nach. Ihr Werk, schreibt Zadie Smith zu Beginn, sei E.M. Forsters Roman „Wiedersehen in Howard’s End” verpflichtet, dessen Grundkonstruktion sie fast hundert Jahre später nach Wellington verlegt habe.
Der Abschied von der Hoffnung auf immer bessere Zeiten macht vielleicht nicht glücklicher, wirkt aber ungemein befreiend. Davon vermitteln Smiths Figuren schon einmal eine Ahnung. Mal mehr, mal weniger freiwillig üben sie sich in der Kunst der Desillusionierung. Sie werfen immer mehr Ballast ab, werden immer leichter. Und wenn man den Titel dieses Romans nicht ganz falsch versteht, werden sie dabei irgendwie auch ein bisschen schöner. Soviel Pathos sollte noch erlaubt sein.
Zadie Smith
Von der Schönheit
Roman. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 512 S., 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Von der Schönheit ist ein grandioses Buch. Klug, geistreich, niveauvoll und von hellem Witz. [...] Bald werden Zadie Smiths Bücher ein Teil des Kanons sein.« Daniel Kehlmann Die Zeit