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"Die Wahl zwischen der BRD und der DDR war mir schon immer vorgekommen wie die Wahl zwischen Pest und Cholera", heißt es in einem der hier versammelten Texte, die sie nicht nur aus Klaus Schlesingers Schwierigkeit, Westler zu werden, beschreiben. Die Tagebuchartigen Aufzeichnungen aus dem "Fliegenden Wechsel" sind in problemorientierte Publizistik übergegangen - etwa zum Verhältnis von Macht, Literatur und Staatssicherheit oder zu Irritationen eines Schriftstellers nach der Vereinigung. "Ich habe garnichts mehr gegen unseren Beitritt. Kopfschmerzen macht mir nur, daß wir nie wieder austreten können".…mehr

Produktbeschreibung
"Die Wahl zwischen der BRD und der DDR war mir schon immer vorgekommen wie die Wahl zwischen Pest und Cholera", heißt es in einem der hier versammelten Texte, die sie nicht nur aus Klaus Schlesingers Schwierigkeit, Westler zu werden, beschreiben. Die Tagebuchartigen Aufzeichnungen aus dem "Fliegenden Wechsel" sind in problemorientierte Publizistik übergegangen - etwa zum Verhältnis von Macht, Literatur und Staatssicherheit oder zu Irritationen eines Schriftstellers nach der Vereinigung. "Ich habe garnichts mehr gegen unseren Beitritt. Kopfschmerzen macht mir nur, daß wir nie wieder austreten können".
Autorenporträt
Klaus Schlesinger, geb. 1937 in Berlin, besuchte nach seiner Ausbildung zum Chemie-Laborant einige Semester die Ingenieur-Schule. Bis 1963 arbeitet er in Betriebs- und Universitätslabors. Von 1964-65 absolvierte er einen Reportage-Kurs bei der 'Neuen Berliner Illustrierten' unter Leitung des Schweizer Reporters Jean Villain. Seine erste Erzählung erschien 1960 in der 'Neuen Deutschen Literatur'. 1979 wurde er wegen seines Protestes gegen die Verurteilung des Schriftstellers Stefan Heym aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und übersiedelte ein Jahr später nach Westberlin. 1991 zog er wieder in den Ostteil der Stadt. Im Jahr 2000 erhielt Klaus Schlesinger den Erich Fried Preis. Der Autor starb am 11.5.2001 im Alter von 64 Jahren an Leukämie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Kein Mitleid für machtlose Kellner
Klaus Schlesinger über "Die Schwierigkeit, Westler zu werden" / Von Friedrich Dieckmann

In seinem letzten Roman, "Die Sache mit Randow", hat Klaus Schlesinger auf das Nachkriegs-Berlin seiner Kindheit zurückgeblickt; ein spektakulärer Kriminalfall dieser Zeit gab ihm den Stoff dafür. In seinem neuesten Buch, "Von der Schwierigkeit, Westler zu werden", berichtet er von dem Deutschland der neunziger Jahre, genauer: von jener spannenden und spannungsreichen Gegend, die sich hinter so sonderbaren Worten wie "Beitrittsgebiet", "neue Länder", "ehemalige DDR" verbirgt. Er tut es weder romanhaft noch novellistisch und ist doch auch hier der genuine Erzähler, der sich selbst ins Spiel bringt und in manchen dieser Texte eine fesselnde Schwebe hält zwischen Tagebuch, Bericht und Reminiszenz.

Texte aus den Jahren 1993 bis 1995 enthält der erste Teil des Bandes, der schön und fehlerlos gedruckt ist. Das Wort Sammlung selbst bezeichnet den Sinn solcher Zusammenstellungen; das Unveröffentlichte mit dem an vielen Druck-Orten Zerstreuten verbindend, bilden sie die Kapitelfolge einer Zeitbeschreibung, die sonst im Verborgenen bliebe. Um die Akten-Hinterlassenschaften des DDR-Sicherheitsministeriums geht es in mehr als einem dieser Texte und unter ganz persönlichen Aspekten; spätestens mit der Biermann-Ausbürgerung war Schlesinger in das Visier der Observanten geraten und überlistete sie im Mai 1979, als er auf eine gesetzgeberisch untermauerte Regierungsmaßnahme, die ungenehmigte West-Publikationen als devisenrechtliche Vergehen unter Strafe gestellt hatte (an Stefan Heym wurde damals ein blamables Exempel statuiert), mit einem kollektiven Offenen Brief reagierte, der nur unter strikten Vorsichtsmaßregeln zustande zu bringen war. Zuvor schon hatte er durch den Versuch, eine aktuelle Anthologie als reines Autorenprojekt, also ohne Verlagskontrolle, zu organisieren, Partei- und Sicherheitsinstanzen in starke Nervosität versetzt.

In seinem Buch berichtet er von beiden Unternehmungen, in einer Darstellungsweise, die eindringlich ist durch Unaufdringlichkeit, durch ihren Verzicht auf jede dramatisierende Attitüde. Es geht ihr darum, Vorgänge zu beschreiben und Implikationen aufzuweisen, in aller Tragweite, aber ohne jedes Bedürfnis nach Selbststilisierung, nach dem, was man die postume Konfrontation nennen kann. Die trifft er andernorts an und wendet sich mit Schaudern, so bei dem wie sprungbereit-erstarrten Verhalten einer starken Abgeordnetengruppe im Deutschen Bundestag gegenüber dem Alterspräsidenten Stefan Heym. "Wer ihn (Heym) nur ein wenig kannte, mußte doch wissen, daß er die Rolle des Systemkritikers, die ihm die westlichen Medien einst verliehen hatte, nicht auch noch würde spielen wollen, wenn das System verschwunden ist. . . . Kleinmütige Leute, dachte ich vor dem Fernseher. Schlechte Gewinner . . ."

Schlesinger, das ist der gute, der unverblendete Gewinner; nichts ist ihm ferner und fremder als das Plakative und Tendenziöse, die enragierte Schwarz-weiß-Malerei. Man könnte seine Diktion nüchtern nennen, wenn sie in ihrem Sinn fürs Menschlich-Wirkliche, in ihrer Abneigung gegen jegliche, auch die künstlerische Machtgebärde nicht zugleich eine hochempfindsame Diktion wäre, von jener echten Moralität, die Anforderungen vor allem an sich selbst stellt und im Blick auf andere niemals urteilt, ohne die Person und alle ihre Umstände in Betracht zu ziehen. Die Gelassenheit, mit der er in seinem neuen Buch von sich und seiner Zeit erzählt, der bis 1989 herrschenden und der 1990 anbrechenden, ist das Timbre der Genauigkeit; sanften Sinnes und scharfen Blicks faßt er die Narreteien von einst und die, welche ihnen folgten, ins Auge. Seine Texte, realistisch in keinem äußerlichen Sinn, sind eine Schule der Humanität. Ihre Qualitäten wurzeln in dem urbanen Boden, auf dem dieser Autor, ein Kind des Berliner "Prenzlauer Bergs", sich herangebildet hat, erzogen von harten Kriegs- und Nachkriegswirklichkeiten und begünstigt von der Talentsuche in sozialistischer Frühzeit.

Der thematische Kreis ist weitgespannt; von der Schwierigkeit, Romane beginnen und enden zu lassen, handeln zwei Miszellen, und unter dem Titel "Literatur und Finanzamt" ist vom Leben in der und durch die Literatur die Rede. Aus der Fernperspektive sieht der nach Japan eingeladene Autor auf sein "doppeltes Ich", das schon in Jugendjahren zwischen West und Ost gestellte mit seiner lebenslangen Abneigung gegen ideologische Entscheidungszwänge: "Hielt er sich auf der westlichen Seite auf, fühlte er sich der östlichen verbunden. War er auf der östlichen, zog die westliche ihn unwiderstehlich an."

Den zweiten Teil des Bandes bildet ein einziger, hier erstmals gedruckter Text, der einer nach Island ausgewanderten Brieffreundin den Gang der deutschen Dinge zu verdeutlichen sucht. "Widerstand zwecklos!" lautet die Überschrift, die einer Westberliner Erfahrung des Autors entstammt, der, Anfang der achtziger Jahre die DDR hinter sich lassend, als Mitglied einer friedsamen Schöneberger Hausbesetzergemeinschaft Bekanntschaft mit der Polizei gemacht hatte. "Sie sind umstellt! Widerstand zwecklos!" lautet einmal der Megaphonruf; nun wird die lautstarke Aufforderung zum Titel einer Erörterung, die die Fehlläufe der Vereinigungsmechanik in Sicht bringt; sie habe, notiert der Autor, einen Geburtenrückgang nach sich gezogen, "wie er nur nach verlorenen Kriegen üblich sei". Er beschreibt Fehlhaltungen und Defizite nicht klagend, aber fragend, und der resignierte Titel ist keineswegs wörtlich zu nehmen. Indem Schlesinger die Übermacht von Verhältnissen beschreibt, in denen "das Privateigentum - gleich, ob es sich asozial gebärdet oder nicht - den Rang einer heiligen Kuh genießt, ähnlich wie weiland die führende Rolle unserer glorreichen Partei", leistet er auf seine Weise Widerstand; seine Schwierigkeit, Westler zu werden, aber besteht vor allem darin, daß er nicht einsieht, warum er Sicht- und Verhaltensweisen annehmen soll, deren Überlegenheit ihm sehr fraglich ist. Aber auch er ist froh, daß, außer dem Politbüro, auch "die Kellner die Macht endgültig verloren haben".

Schlesinger, das ist der Gerechte, der nichts von sich hermacht. Er ist der Standfeste, der jedes Podest verschmäht; er ist der Versöhnliche, der sich nichts abhandeln läßt. Dieser Beständige, der dem Wandel nicht nachläuft, erfährt ihn an sich selbst und faßt ihn in Worte. Die Utopie, schreibt er und es klingt wie eine Lebenssumme, solle man "nicht zu eng mit der Zukunft verbinden": Kann es nicht sein, daß sie in der Gegenwart stattfindet, im Moment der Idee oder des Entwurfs und des Entschlusses, etwas Neues zu wagen? Und der Arbeit daran?

Mit Deutschland, dem neuen Großstaat, kann er nicht viel anfangen und fragt sich angesichts der Unübertragbarkeit von Generationserfahrungen einmal, ob "die Vereinigung das letzte deutsche Abenteuer vor dem nächsten Krieg" sei. Doch sieht er mit Mißbehagen auf eine Entwicklung, bei der absehbar scheint, daß sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft eines Tages in die "Betriebssportgemeinschaft der Deutschen Bank oder von Mercedes Benz" verwandelt. Angesichts einer übermächtigen Privatisierungsideologie fände er es nur folgerichtig, wenn die Nationalstaaten sich eines Tages in Konzerne umdefinieren, deren Effizienz dann an Börsennotierungen abzulesen wäre. Aus Volksvertretungen würden dann Aktionärsversammlungen, aus Staatsbürgern Aktieninhaber; die Demokratie wäre endgültig im Kapitalismus aufgefangen. Und die Kenner stünden vor der Frage: "Würden wir lieber China ordern oder Frankreich?"

Dennoch zieht er den Auszug nach Island nicht ernsthaft in Betracht. "Wollen wir sicherheitshalber ein Codewort ausmachen?" fragt er nach dem hohen Norden und setzt hinzu: "Wenn wir Glück haben, fällt es dem Vergessen anheim." Das ist eine Anspielung auf jenes Schlüsselwort, das er als Fünfundzwanzigjähriger mit einem Freund ausmachte, ehe sich dieser in einem Auto mit umgebautem Benzinkanister von Ost- nach Westberlin schmuggeln ließ; für den Fall, daß auch Schlesinger diesen Weg gehen wolle, hatten die beiden einen Kartengruß mit dem Codewort verabredet. Der im Osten Verbliebene schrieb diese Karte nie, und als er den Freund später wiedersah, bemerkten beide verblüfft: sie hatten das Schicksalswort vergessen. Das zum Weggehen helfen sollte, hatte zum Bleiben geholfen.

Das ganze Berlin, in seiner real existierenden Teilung und Verdoppelung, war und ist dieses Autors Heimat. "Mein Berlin" nennt er sie und wundert sich, wieviele fremde Leute heute abreißend und neubauend nach dieser Stadt greifen, als wäre es die ihre. Er ist eine seßhafte Natur, die sich nur vorübergehend vertreiben ließ. Seit einigen Jahren lebt er wieder "in Mitte" - ein Heimgekehrter, der auf seinem Ort besteht.

Klaus Schlesinger: "Von der Schwierigkeit, Westler zu werden". Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998. 208 S., br., 15,90 DM.

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