Jean Baudrillard durchwandert in 'Von der Verführung' den dunklen Kontinent des Begehrens. Verführung istzu einem allgemeinen Vorgang geworden, der das Leben, den Alltag der modernen Gesellschaften reguliert.Verführung um der Verführung willen ist ein neuer Typus der sozialen Kontrolle. Baudrillard führt durch die Verwicklungen von Lust, Begehren und Macht und legt die Verhüllungs- und Entblößungsmechanismen im Spiel der Macht unserer Gesellschaft frei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2012Baudrillard verführt
Enttäuschungsmanagement würde man heute nennen, was Jean Baudrillard in seinen Essays "Von der Verführung" betrieb, die erstmals 1979 in Frankreich veröffentlicht wurden: Die Aufklärung hat die Verführung als List des Bösen identifiziert und verdrängt, ihre Subunternehmen Feminismus und Psychoanalyse haben den zur obszönen Lust befreiten Sex an ihre Stelle gesetzt. Der Kapitalismus hat Wunsch und Begehren in seine Ökonomie gezogen. Dem Sieg der Evidenz folgt die Ernüchterung über den Geheimnisverlust. Es hilft nichts, den Ausweg in der Liebe zu suchen, sie fällt bei Baudrillard ins gleiche Fach: habsüchtig, egoistisch, exklusiv. Was tun gegen die Müdigkeit und Leere der Simulakrenwelt? Als "Von der Verführung" erschien, hatte Baudrillard die linken Utopien schon verabschiedet und sich auf eine Strategie der Nadelstiche verlegt. Das Verführungsprinzip soll von den Rändern in die Welt der nackten Tatsachen, der Kausalität und des Fortschritts dringen und ihre mechanische Ordnung verwirbeln. Es meint eine Wiederverzauberung, einen schwebenden rituellen Austausch, setzt an die Stelle des Realen die schillernde Oberfläche und das Spiel mit den Zeichen. Die Teilnehmer dieses Spiels bleiben in eigentümlicher Distanz. Verführung meint Herausforderung durch den Anderen, ist aber nicht auf Identifikation, Besitz und Erfüllung aus. Dass Baudrillards Gedanken bei aller Hyperbolik und Selbstverliebtheit als Waffe gegen die sekundären Kräfte der Verführung, gegen den Terror der Verfügbarkeit und unmittelbaren Wunscherfüllung, an Dringlichkeit hinzugewonnen haben, macht die Neuauflage verdient. (Jean Baudrillard: "Von der Verführung". Aus dem Französischen von Michaela Meßner. Mit einem Essay von László F. Földényi. Matthes & Seitz, Berlin 2012. 235 S., geb., 24,90 [Euro].) thom
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Enttäuschungsmanagement würde man heute nennen, was Jean Baudrillard in seinen Essays "Von der Verführung" betrieb, die erstmals 1979 in Frankreich veröffentlicht wurden: Die Aufklärung hat die Verführung als List des Bösen identifiziert und verdrängt, ihre Subunternehmen Feminismus und Psychoanalyse haben den zur obszönen Lust befreiten Sex an ihre Stelle gesetzt. Der Kapitalismus hat Wunsch und Begehren in seine Ökonomie gezogen. Dem Sieg der Evidenz folgt die Ernüchterung über den Geheimnisverlust. Es hilft nichts, den Ausweg in der Liebe zu suchen, sie fällt bei Baudrillard ins gleiche Fach: habsüchtig, egoistisch, exklusiv. Was tun gegen die Müdigkeit und Leere der Simulakrenwelt? Als "Von der Verführung" erschien, hatte Baudrillard die linken Utopien schon verabschiedet und sich auf eine Strategie der Nadelstiche verlegt. Das Verführungsprinzip soll von den Rändern in die Welt der nackten Tatsachen, der Kausalität und des Fortschritts dringen und ihre mechanische Ordnung verwirbeln. Es meint eine Wiederverzauberung, einen schwebenden rituellen Austausch, setzt an die Stelle des Realen die schillernde Oberfläche und das Spiel mit den Zeichen. Die Teilnehmer dieses Spiels bleiben in eigentümlicher Distanz. Verführung meint Herausforderung durch den Anderen, ist aber nicht auf Identifikation, Besitz und Erfüllung aus. Dass Baudrillards Gedanken bei aller Hyperbolik und Selbstverliebtheit als Waffe gegen die sekundären Kräfte der Verführung, gegen den Terror der Verfügbarkeit und unmittelbaren Wunscherfüllung, an Dringlichkeit hinzugewonnen haben, macht die Neuauflage verdient. (Jean Baudrillard: "Von der Verführung". Aus dem Französischen von Michaela Meßner. Mit einem Essay von László F. Földényi. Matthes & Seitz, Berlin 2012. 235 S., geb., 24,90 [Euro].) thom
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