Für die Spiritualität Jakobs von Paradies gilt sein Traktat über das Erscheinen der Seelen Verstorbener (1454) als wenig aussagekräftig, da in seinem Zentrum das allgemeine Problem einer Kontaktnahme der Hinterbliebenen mit aus dem Jenseits zurückkehrenden, um Erlösung bittenden Seelen steht. Dennoch erfreute sich das Werk des Erfurter Kartäusers großer Beliebtheit: über neunzig Handschriften und 13 Druckauflagen haben sich erhalten, und noch kurz vor Erscheinen des letzten Druckes (1520) verglich es ein Leser unter dem Aspekt der Breitenwirkung sogar mit Gregors 'Dialogi'. Ausgangspunkt der Überlieferung wurde das neu entdeckte, erstmals im Wortlaut abgedruckte Autograph. Überlieferungs- und Textgeschichte des von Erfurt aus verbreiteten Traktates zeugen von sich wandelnden, durch Mitüberlieferung und Lektürespuren bestätigten Rezeptionszusammenhängen; aber auch die Adaptionen für ein volkssprachliches Publikum, wie sie der Benediktiner Thomas Finck oder der Franziskaner Georg Antworter im ausgehenden 15. Jahrhundert versuchten, machten tiefgreifende Umarbeitungen erforderlich.