"Man reiste in die Schweiz, um Bilder zu finden, die der eigenen Seele glichen, aber noch mehr, um Zuflucht zu suchen vor der Hauptfrage, die einen flüchtig gemacht hatte: Wer bin ich? Moderner gesprochen: Was ist "Ich"?" (Adolf Muschg)
Reisen ins Gebirge bedeuteten im 18. Jahrhundert Anstrengung und Gefahr. Es war keine Erholung, es war Strapaze. Man reiste, weil man etwas suchte, was vor der eigenen Tür nicht zu finden war, weil die Natur die eigenen Kräfte aufs äußerste herausforderte. Daß Landschaften die Seele spiegeln, daß extreme Reisen so etwas wie Initiationsriten sind, beschreibt Adolf Muschg anhand von Goethes Reisen in die Schweiz. Die Schweiz des 18. Jahrhunderts war die ideale europäische Kulisse für ein in den Alpen wiedererstandenes Arkadien und diente als Projektionsfläche für extreme Selbstversuche und Lebensträume.
Johann Wolfgang Goethe unternahm drei Reisen in die Schweiz. Die erste im Jahr 1775 galt der Frage "Wer bin ich?". Der 26jährige suchte seine Fesseln zu sprengen, suchte nach einer tragfähigen Identität. Die zweite Reise 1779 sollte der Emanzipation von seiner Rolle als Fürstendiener gelten. Die Fragen "Wem gehöre ich?", "Was soll ich in Weimar?", "Was habe ich in der Welt verloren?" begleiteten ihn. Die dritte Reise 1797 unternahm der "Mann von funfzig Jahren": der Staatsmann und selbstbewußte Künstler auf politischer und ökonomischer Recherche.
Reisen ins Gebirge bedeuteten im 18. Jahrhundert Anstrengung und Gefahr. Es war keine Erholung, es war Strapaze. Man reiste, weil man etwas suchte, was vor der eigenen Tür nicht zu finden war, weil die Natur die eigenen Kräfte aufs äußerste herausforderte. Daß Landschaften die Seele spiegeln, daß extreme Reisen so etwas wie Initiationsriten sind, beschreibt Adolf Muschg anhand von Goethes Reisen in die Schweiz. Die Schweiz des 18. Jahrhunderts war die ideale europäische Kulisse für ein in den Alpen wiedererstandenes Arkadien und diente als Projektionsfläche für extreme Selbstversuche und Lebensträume.
Johann Wolfgang Goethe unternahm drei Reisen in die Schweiz. Die erste im Jahr 1775 galt der Frage "Wer bin ich?". Der 26jährige suchte seine Fesseln zu sprengen, suchte nach einer tragfähigen Identität. Die zweite Reise 1779 sollte der Emanzipation von seiner Rolle als Fürstendiener gelten. Die Fragen "Wem gehöre ich?", "Was soll ich in Weimar?", "Was habe ich in der Welt verloren?" begleiteten ihn. Die dritte Reise 1797 unternahm der "Mann von funfzig Jahren": der Staatsmann und selbstbewußte Künstler auf politischer und ökonomischer Recherche.
Adolf Muschg über Goethes Reisen in die Schweiz
Unter den Reisezielen der Europäer des späten 18. Jahrhunderts war die Schweiz kein beliebiges. Ihre Bedeutung war eine prominente und lässt sich nicht prägnanter fassen als in jener Formel, die Adolf Muschg in seinem neuen Goethebuch vorschlägt: „Natur-Park der Kultivierten”. Johann Wolfgang von Goethe ist drei Mal in seinem Leben in die Schweiz gereist. Über beide, die Schweiz und Goethe, erfährt man aus Muschgs gescheitem Buch „Von einem, der auszog, leben zu lernen” Erhebliches.
Einerseits plaudert der Autor wie nebenbei ein paar Betriebsgeheimnisse der Eidgenossenschaft aus. Da ihre eigentlich wirksamen Verträge die ungeschriebenen seien, so bemerkt er etwa, lebe ihr Zusammenhalt nicht nur von so genannten Zauberformeln, sondern mehr noch davon, dass sie nicht laut würden. „Denn was zu deutlich ausgesprochen wird, trennt.” Dieses Buch spricht das nicht Auszusprechende aus. In Sachen Goethe, andererseits, empfängt der Leser zugleich einen lichtvollen, klaren Essay: denn Muschg wagt eine ordnende These, wo verworrene Umstände vorzuherrschen scheinen.
Goethes erste Reise, 1775, sieht Muschg im Zeichen der Frage ,Wer bin ich?. „Der junge Reisende suchte alle Fesseln zu sprengen auf der Suche nach einer tragfähigen Identität.” Exploriere Goethe 1775 Subjektivität, so ziele die zweite Schweizer Reise von 1779 auf Objektivität. Muschg nennt sie „eine einzige Studienreise in die Gegenständlichkeit.” Die Natur solle nicht mehr, wie vier Jahre zuvor, als Resonanzraum für gefühlvolle Subjekte dienen, sie wolle nun als Schatzhaus noch nie recht gewürdigter Objekte erfahren sein. Subjektives und Objektives stehen nach Muschgs Interpretation nun aber nicht als Gefährdetes und Gesichertes einander gegenüber; vielmehr zeichnet der Biograph sie überzeugend als zwei Gestalten riskanter und riskierter Existenz. Gerade die zweite Schweizer Reise charakterisiert Muschg daher als „ein gewagtes, auf Todesnähe vielfach eingestimmtes Spiel.”
Das komplementäre Wesen der beiden Reisen ergibt ein Ganzes. Eine dritte Reise könnte diesem Ganzen nichts der Art nach Neues hinzufügen. Und dies ist auch Muschgs Einsicht: „Die dritte Schweizer Reise, 1797, fast zwanzig Jahre später, fällt aus der Reihe” - einer Reihe aus nur zwei Elementen. Die letzte Reise in die Schweiz sei „eine politische und ökonomische Recherche”, das Interesse an dem Land für den Minister Goethe sei ein „fachliches” gewesen. Statt verarmter Alpensöhne habe die Schweiz ihm nun „Spezialisten und Know-how” zu bieten gehabt, von denen für Sachsen-Weimar „etwas zu holen” war.
So endet das Buch in einem ernüchternden Decrescendo, und Muschg hat Recht, es so enden zu lassen, statt die Geschichte dreier Reisen durch aufgesetzte Glanzlichter zu fälschen. Zu diesem Geist der Wahrhaftigkeit, diesem Verzicht auf „Blendwerk”, wie man im 18. Jahrhundert gesagt hätte, passt, dass Muschg sich am naseweisen Anspruch der „Bibliothek der Lebenskunst”, in der sein Essay erschienen ist, kräftig zu kratzen erlaubt: „Denn das Leben weiß nichts von Kunst; und oft ist auch die beste Kunst des Menschen nicht gut genug, daß ihm das Leben gelingt.” Denis Diderot, den Goethe übersetzte, hat solches gewusst und zu sagen gewusst; über das 18. Jahrhundert sollte besser gar nicht schreiben, wer nicht diesen Schuss Aufklärung in sich hat. Muschg hat ihn.
ANDREAS DORSCHEL
ADOLF MUSCHG: Von einem, der auszog, leben zu lernen. Goethes Reisen in die Schweiz. Bibliothek der Lebenskunst. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 87 Seiten, 14,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Einen lichtvollen, klaren Essay" über Goethes drei Reisen in die Schweiz erwarte den Leser mit diesem Band von Adolf Muschg, versichert Rezensent Andreas Dorschel. Drei Mal ist Goethe in seinem Leben in die Schweiz gereist. Die erste Reise, 1775, stand in Muschgs Sicht ganz im Zeichen der Frage "Wer bin ich?". Der subjektiven Erkundung stellt er die "Objektivität" der zweiten Schweiz-Tour von 1779 gegenüber, die eine "einzige Studienreise in die Gegenständlichkeit" gewesen sei. Die letzte Exkursion, 1797, falle schließlich aus dieser komplementären Reihe, da sie aus rein fachlichem Interesse des Ministers Goethe erfolgt sei. Wie nebenbei plaudere Adolf Muschg ein "paar Betriebsgeheimnisse der Eidgenossenschaft" aus und verzichte zu Recht darauf, meint der Rezensent, seine Darstellung mit aufgesetzten Glanzlichtern zu verfälschen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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