Die Beziehung zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und dem polnischen Innenministerium bzw. dessen Geheimdienst war eine der schwierigsten innerhalb des Warschauer Paktes. Der Band beschreibt das Mit- und Gegeneinander beider Geheimdienste anhand umfangreicher Quellenrecherchen und in detaillierter Betrachtung ihrer divergierenden Interessenlagen. Hinter der Fassade einer offiziell verordneten und vertraglich vereinbarten Freundschaft herrschte abgrundtiefes Misstrauen. Die polnische Perspektive offenbart zudem überraschende Schwachstellen der Stasi. Den zeitlichen Schwerpunkt bilden die Jahre 1974 bis 1990, doch nimmt die Studie auch die frühen Jahre seit 1949 in den Blick. Im frostigen Verhältnis der verbündeten Geheimdienste spiegelt sich stets auch das problematische Verhältnis der beiden »Bruderstaaten« zueinander.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2021Starke Aussagen - schwache Belege
Über das Verhältnis der Geheimdienste von DDR und Polen bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft
Das Flaggschiff der Forschungsabteilung des Stasi-Archivs, die wissenschaftliche Reihe "Analysen und Dokumente", veröffentlicht die Habilitationsschrift des Historikers Tytus Jaskulowski. Darin befasst er sich mit der Beziehung zwischen Ministerium für Staatssicherheit und dem polnischen Pendant in den Jahren von 1974 bis 1990.
Nicht wenige Qualifikationsarbeiten, die in der Forschungsabteilung erstellt worden sind, stellen Grundlagenforschung auf neuem Terrain dar: Die Untersuchung von Jens Gieseke über die Offiziere gehört ebenso dazu wie die von Georg Herbstritt über Spione oder von Tobias Wunschik zur Roten Armee Fraktion. Insoweit darf es nicht überraschen, wenn auch die Königsaufgabe zunehmend in Angriff genommen wird - die zwischenstaatlichen nachrichtendienstlichen Beziehungen zweier kommunistischer Staaten. Das bedeutet nichts anderes, als ein Puzzle aus neun Faktoren zusammenzusetzen, die in diesem Fall darin bestehen könnten, jeweils staatliche, parteiliche und nachrichtendienstliche Interessen der DDR und Polens unter der Hegemonialmacht Sowjetunion als Dreiecksbeziehung auszuleuchten.
Anders als Walter Süß und Douglas Selvage mit ihrer brillanten Untersuchung am Fallbeispiel Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa widersteht Jaskulowski dieser Versuchung. Während noch in analogen Studien der Forschungsabteilung für das Verhältnis zu Rumänien ("Entzweite Freunde") oder Bulgarien ("Regionalfilialen des KGB?"), die Kommunistische Partei der Sowjetunion, der sowjetische Geheimdienst KGB und die Sowjetunion gewichtig sind, scheinen demnach in seiner Untersuchung diese für Polen keinen besonderen Stellenwert eingenommen zu haben. Jaskulowski konzentriert sich wesentlich auf die bilateralen nachrichtendienstlichen Beziehungen beider Staaten, als seien diese ohne den sowjetischen Kontext erklärbar.
Ausgangspunkt von Jaskulowskis Analyse ist, wie er herausarbeitet, die "aus der geheimdienstlichen Theorie abgeleitete Annahme, dass es zwischen Sicherheitsbehörden jeglicher Art keine Freundschaft gab, gibt und geben wird". Für die Existenz einer solchen geheimdienstlichen Theorie wie auch für diese Feststellung selbst findet sich unter der enormen Anzahl seiner 1615 Fußnoten und 395 Literaturstellen leider keine Belegstelle (wie auch bei anderen Gelegenheiten). Folgerichtig lautet bereits einleitend seine Feststellung: "Es gab keine Freundschaft zwischen den beiden Geheimdiensten", und ebenso konsequent lautet der Buchtitel "Von einer Freundschaft, die es nicht gab".
Er fragt daher zu Recht: "Warum beschloss der Verfasser dann, eine komplexe Studie zu verfassen?" Zumal er in seiner Untersuchung inhaltlich kaum über einen von ihm bereits 2016 veröffentlichten Aufsatz ("Nicht nur Freunde") hinausgeht. Offenkundig, um nachzuweisen, was es nicht gab, gibt und geben wird. Die Untersuchung setzt erklärtermaßen im Jahre 1974 ein, als zwischen polnischem und ostdeutschem Nachrichtendienst eine Vereinbarung geschlossen wurde. Trotzdem machen die rund drei Jahrzehnte davor immerhin ein Fünftel der Publikation aus und bilden eine Zeit ab, in der, wie Jaskulowski ermittelt, die "wichtigsten Probleme" zwischen den beiden Diensten zu verorten seien.
Solide fasst der Autor den Forschungsstand zusammen: die Sorge der DDR, der Funke der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc könnte auf die ostdeutsche Gesellschaft überspringen, die Rolle der katholischen Kirche, gerade auch, als der Papst im Juni 1987 Polen besuchte. Da wünschte sich die SED-Führung frische Informationen aus dem nachbarschaftlichen Staat, der mithin zum "Operationsgebiet" mutierte. Umgekehrt sorgte sich die polnische Seite vor der DDR, einem "künstlichen Staat ohne Identität", wollte wissen, wie stabil dieser Staat sei. Gleichwohl gab es Kooperationen vielfältiger Art, insbesondere zur Abwehr nachrichtendienstlicher Operationen aus dem Westen, und die Bitte um Unterstützung bei dem Bemühen, enttarnte und inhaftierte polnische Spione vom Westen ausgetauscht zu erhalten. Ferner noch unterstützte das MfS die polnischen Genossen, um Unterstützungswege der Solidarnosc aus dem Westen zu ermitteln. Auch gab es einen Informationsaustausch zwischen beiden Diensten, nicht allein politischer Natur, sondern auch bezüglich konkreter Bürger und auch hinsichtlich der gemeinsamen Grenze. Schließlich arbeitete in Berlin die polnische "Operativgruppe Karpaten", in Warschau eine Operativgruppe des MfS.
In seiner Habilitationsschrift operiert Tytus Jaskulowski mit Thesen, zu denen Belege nicht beigefügt sind. Ein Beispiel zur Volksrepublik Polen (VRP): "Verstand Mielke die VRP? Nein. Er behauptete zwar zu Recht, dass der nicht zu leugnende polnische politische Liberalismus eine Gefahr für die DDR darstellte. Warum wollte Mielke aber nicht begreifen, dass die VRP bis 1989 kein demokratischer Staat war, in dem der Geheimdienst über ein vielleicht kleines, aber doch intaktes Agentennetz verfügte?" Ein weiteres: Die Erklärung für Entscheidungen und Entwicklungen des MfS formuliert Jaskulowski pointiert so: Minister Erich "Mielke war wie üblich arrogant", eine Bewertung, die zur Verstärkung bald ein halbes Dutzend Mal in Variationen wiederholt wird: "der Hochmut und die Arroganz Mielkes".
Oder das Beispiel: "In über 90 Prozent der Fälle lieferten die IM Angaben, die nicht zur Weltwahrnehmung der MfS-Führung passten." Eine Beweisführung wäre interessant; es gibt sie aber nicht. Die Belastbarkeit solcher Ausführungen zeigt sich exemplarisch auch an anderen Stellen, wenn es im Text noch heißt: "Seit Anfang der 70er-Jahre ... regierte bereits seit über zehn Jahren", um dann in der Fußnote allein wie folgt zu ergänzen: "Das heißt seit 1957." Der Minister hat nie regiert, er leitete auftragsgemäß ein Sicherheitsimperium.
Das einstmalige Flaggschiff der Forschungsabteilung, ihre "Analysen und Dokumente", scheint in dem Moment, als reihenweise erfahrene Wissenschaftler von Bord gegangen sind und die legendäre Abteilung zu einem Referat "Kommunikation und Wissen" geschrumpft ist, einleitend durch diese Arbeit von Tytus Jaskulowski zu einem peinlichen Beiboot abgewirtschaftet zu sein.
HELMUT MÜLLER-ENBERGS
Tytus Jaskulowski: Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2021. 464 S., 35,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über das Verhältnis der Geheimdienste von DDR und Polen bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft
Das Flaggschiff der Forschungsabteilung des Stasi-Archivs, die wissenschaftliche Reihe "Analysen und Dokumente", veröffentlicht die Habilitationsschrift des Historikers Tytus Jaskulowski. Darin befasst er sich mit der Beziehung zwischen Ministerium für Staatssicherheit und dem polnischen Pendant in den Jahren von 1974 bis 1990.
Nicht wenige Qualifikationsarbeiten, die in der Forschungsabteilung erstellt worden sind, stellen Grundlagenforschung auf neuem Terrain dar: Die Untersuchung von Jens Gieseke über die Offiziere gehört ebenso dazu wie die von Georg Herbstritt über Spione oder von Tobias Wunschik zur Roten Armee Fraktion. Insoweit darf es nicht überraschen, wenn auch die Königsaufgabe zunehmend in Angriff genommen wird - die zwischenstaatlichen nachrichtendienstlichen Beziehungen zweier kommunistischer Staaten. Das bedeutet nichts anderes, als ein Puzzle aus neun Faktoren zusammenzusetzen, die in diesem Fall darin bestehen könnten, jeweils staatliche, parteiliche und nachrichtendienstliche Interessen der DDR und Polens unter der Hegemonialmacht Sowjetunion als Dreiecksbeziehung auszuleuchten.
Anders als Walter Süß und Douglas Selvage mit ihrer brillanten Untersuchung am Fallbeispiel Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa widersteht Jaskulowski dieser Versuchung. Während noch in analogen Studien der Forschungsabteilung für das Verhältnis zu Rumänien ("Entzweite Freunde") oder Bulgarien ("Regionalfilialen des KGB?"), die Kommunistische Partei der Sowjetunion, der sowjetische Geheimdienst KGB und die Sowjetunion gewichtig sind, scheinen demnach in seiner Untersuchung diese für Polen keinen besonderen Stellenwert eingenommen zu haben. Jaskulowski konzentriert sich wesentlich auf die bilateralen nachrichtendienstlichen Beziehungen beider Staaten, als seien diese ohne den sowjetischen Kontext erklärbar.
Ausgangspunkt von Jaskulowskis Analyse ist, wie er herausarbeitet, die "aus der geheimdienstlichen Theorie abgeleitete Annahme, dass es zwischen Sicherheitsbehörden jeglicher Art keine Freundschaft gab, gibt und geben wird". Für die Existenz einer solchen geheimdienstlichen Theorie wie auch für diese Feststellung selbst findet sich unter der enormen Anzahl seiner 1615 Fußnoten und 395 Literaturstellen leider keine Belegstelle (wie auch bei anderen Gelegenheiten). Folgerichtig lautet bereits einleitend seine Feststellung: "Es gab keine Freundschaft zwischen den beiden Geheimdiensten", und ebenso konsequent lautet der Buchtitel "Von einer Freundschaft, die es nicht gab".
Er fragt daher zu Recht: "Warum beschloss der Verfasser dann, eine komplexe Studie zu verfassen?" Zumal er in seiner Untersuchung inhaltlich kaum über einen von ihm bereits 2016 veröffentlichten Aufsatz ("Nicht nur Freunde") hinausgeht. Offenkundig, um nachzuweisen, was es nicht gab, gibt und geben wird. Die Untersuchung setzt erklärtermaßen im Jahre 1974 ein, als zwischen polnischem und ostdeutschem Nachrichtendienst eine Vereinbarung geschlossen wurde. Trotzdem machen die rund drei Jahrzehnte davor immerhin ein Fünftel der Publikation aus und bilden eine Zeit ab, in der, wie Jaskulowski ermittelt, die "wichtigsten Probleme" zwischen den beiden Diensten zu verorten seien.
Solide fasst der Autor den Forschungsstand zusammen: die Sorge der DDR, der Funke der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc könnte auf die ostdeutsche Gesellschaft überspringen, die Rolle der katholischen Kirche, gerade auch, als der Papst im Juni 1987 Polen besuchte. Da wünschte sich die SED-Führung frische Informationen aus dem nachbarschaftlichen Staat, der mithin zum "Operationsgebiet" mutierte. Umgekehrt sorgte sich die polnische Seite vor der DDR, einem "künstlichen Staat ohne Identität", wollte wissen, wie stabil dieser Staat sei. Gleichwohl gab es Kooperationen vielfältiger Art, insbesondere zur Abwehr nachrichtendienstlicher Operationen aus dem Westen, und die Bitte um Unterstützung bei dem Bemühen, enttarnte und inhaftierte polnische Spione vom Westen ausgetauscht zu erhalten. Ferner noch unterstützte das MfS die polnischen Genossen, um Unterstützungswege der Solidarnosc aus dem Westen zu ermitteln. Auch gab es einen Informationsaustausch zwischen beiden Diensten, nicht allein politischer Natur, sondern auch bezüglich konkreter Bürger und auch hinsichtlich der gemeinsamen Grenze. Schließlich arbeitete in Berlin die polnische "Operativgruppe Karpaten", in Warschau eine Operativgruppe des MfS.
In seiner Habilitationsschrift operiert Tytus Jaskulowski mit Thesen, zu denen Belege nicht beigefügt sind. Ein Beispiel zur Volksrepublik Polen (VRP): "Verstand Mielke die VRP? Nein. Er behauptete zwar zu Recht, dass der nicht zu leugnende polnische politische Liberalismus eine Gefahr für die DDR darstellte. Warum wollte Mielke aber nicht begreifen, dass die VRP bis 1989 kein demokratischer Staat war, in dem der Geheimdienst über ein vielleicht kleines, aber doch intaktes Agentennetz verfügte?" Ein weiteres: Die Erklärung für Entscheidungen und Entwicklungen des MfS formuliert Jaskulowski pointiert so: Minister Erich "Mielke war wie üblich arrogant", eine Bewertung, die zur Verstärkung bald ein halbes Dutzend Mal in Variationen wiederholt wird: "der Hochmut und die Arroganz Mielkes".
Oder das Beispiel: "In über 90 Prozent der Fälle lieferten die IM Angaben, die nicht zur Weltwahrnehmung der MfS-Führung passten." Eine Beweisführung wäre interessant; es gibt sie aber nicht. Die Belastbarkeit solcher Ausführungen zeigt sich exemplarisch auch an anderen Stellen, wenn es im Text noch heißt: "Seit Anfang der 70er-Jahre ... regierte bereits seit über zehn Jahren", um dann in der Fußnote allein wie folgt zu ergänzen: "Das heißt seit 1957." Der Minister hat nie regiert, er leitete auftragsgemäß ein Sicherheitsimperium.
Das einstmalige Flaggschiff der Forschungsabteilung, ihre "Analysen und Dokumente", scheint in dem Moment, als reihenweise erfahrene Wissenschaftler von Bord gegangen sind und die legendäre Abteilung zu einem Referat "Kommunikation und Wissen" geschrumpft ist, einleitend durch diese Arbeit von Tytus Jaskulowski zu einem peinlichen Beiboot abgewirtschaftet zu sein.
HELMUT MÜLLER-ENBERGS
Tytus Jaskulowski: Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2021. 464 S., 35,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Helmut Müller-Enbergs zeigt sich enttäuscht von Tytus Jaskulowskis Habilschrift zur Beziehung zwischen dem MfS der DDR und dem polnischen Nachrichtendienst. Nichts, was der Autor laut Rezensent nicht schon in einem Aufsatz von 2016 festgehalten hat, namentlich die im Buchtitel aufgehobene These. So solide der Forschungsstand zum Thema im Buch zusammengefasst wird, so unbefriedigend erscheint dem Rezensenten die Belegpraxis des Autors (trotz 1615 Fußnoten und 395 Literaturstellen). Für Müller-Enberg ist das Buch keine Zierde für die Reihe "Analysen und Dokumente".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH