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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.1998

Unter allen Schweinen ist Ruh
Musiker, Politiker, Mystiker: Jürg Stenzl folgt Luigi Nono auf der Reise zum Mittelpunkt der Erde

Engagement oder Autonomie, Schönberg oder Eisler hieß seit den zwanziger Jahren die kunstpolitische Alternative; für die Achtundsechziger verschob sie sich auf die Polarität: Adorno oder Eisler. Das integrale Kunstwerk, die Idee der absoluten Musik, war etwa für Carl Dahlhaus Bollwerk wider das Agitprop-Begehren der linken Studenten mit ihrem Beharren darauf, daß selbst Musik, sublimste der Künste, politischer Aktion dienstbar gemacht werden müsse. Weberns "Verstummen", Adornos resignative Vorstellung von der allenfalls "Flaschenpost"-Funktion von Kunst stand quer zum Glauben an die gesellschaftsverändernde Macht von Massenliedern. Dabei gab es auch die Utopie, daß lauterste, also keineswegs laute Musik die rohe Wirklichkeit verändern könne: Orpheus heißt der mythische Bezugspunkt.

"Orpheus von links" wurde denn auch in den stürmischen siebziger Jahren der italienische Komponist Luigi Nono einmal genannt, dessen Musik nicht selten rigidesten Avantgarde-Postulaten entsprach und der trotzdem - sogar als Mitglied des Zentralkomitees der italienischen KP - für ein kaum minder rigoroses politisches Engagement stand. Doch in den späten siebziger Jahren trat das politische Interesse zurück, wurde der Weg in eine mitunter mystizistische Innenwelt eingeschlagen. Das Streichquartett von 1980 schien gar eine regelrechte "Wende" zu signalisieren. Nono, der für manchen Skandal gesorgt hatte, zeitweise in der Bundesrepublik gar quasi Persona non grata war, wurde zum Idol manchmal fast religiös getönter Verehrung. Schockierten einst seine schrillen Dissonanzen oder linksradikalen Attacken, so stellte sich, zumal nach seinem Tod im Jahre 1990, bisweilen eine Art verzücktes Augenverdrehen ein, wenn der Name Nono fiel. So hochkomplex seine Musik oft war, so irritierend schien manchem der Perspektivenwechsel - erst recht aber die These, ästhetisch habe sich gar so viel nicht einmal verändert.

Um so verdienstvoller ist die Rowohlt-Monographie des Schweizer Musikologen Jürg Stenzl, der sich schon 1975 als Herausgeber von Texten Nonos und Autor über sein Werk hervorgetan hat. An plakativen Polarisierungen ist Stenzl nicht gelegen, er will nicht wohlfeil den "politischen" gegen den "unpolitischen" Nono (oder auch umgekehrt) ausspielen. Ihm geht es um den "ganzen" Nono, um die bei allen Differenzierungen, auch Differenzen, Konflikten und Umschwüngen unerhört stringente Entwicklung von Ideen und Werk.

"Alle werden dagegen sein, aber dies hier ist der musikalisch und ideologisch richtige Weg." So, erinnerte sich Nono, habe schon 1954 sein Mentor, der große Dirigent Hermann Scherchen, auf die Kantate "La victoire de Guernica" des Dreißigjährigen reagiert. Die angestrebte Einheit von Qualität und Tendenz gehören zu Nono. Am dezidiertesten hat er die Zweifaltigkeit von Komposition und Agitation 1968 nach seinen Lateinamerika-Reisen formuliert: "daß es keinen Unterschied macht, ob ich eine Partitur schreibe oder einen Streik organisieren helfe".

In letzter Konsequenz könnte dies heißen: Die Differenz zwischen Kunst und Leben wird aufgehoben. In ebendiesem Sinne ist Nono zwar zur Kultfigur der Linken geworden, hat sich gleichwohl aber stets spröde gegenüber dem Ansinnen gezeigt, dem politischen Zweck zuliebe zu populistischen Mitteln zu greifen. Agitatorische Massenchöre à la Eisler waren ihm ebenso zuwider wie pathetisch-sinfonische "Botschaften": "Ich meine auch, daß Musik wie die von Schostakowitsch keine Zukunft hat und damit keine Funktion, weil sie technisch zu armselig ist und am Potential der heutigen Möglichkeiten vorbeigeht. Das ist sozialistischer Realismus im üblen Sinn - alte Formen, die man mit neuem Inhalt zu füllen versucht, falsch verstandene Volkstümlichkeit." So rabiat Nono seinen politischen Standpunkt verfochten hat: Ästhetisch hat er sich nie ans Triviale angepaßt, zum sozialistischen Staatskünstler taugte er erst recht nicht. Dem Genre "Politisches Lied" trug er ein einziges Mal Rechnung: "Siamo la gioventù del Vietnam".

Der protoytpische engagierte Künstler wollte mit der Massenkultur gleichwohl nichts gemein haben. Das war nicht der einzige Widerspruch: Nono, der durchaus doktrinär sein konnte, überdies zu furchteinflößenden Wutanfällen fähig war, hatte auch fast nazarenische Züge. Antoine Goléa glaubte, ein "Heiligenbild des Quattrocento sei aus einem Glasfenster oder Fresko zu uns heruntergestiegen, hat in seine musikalische Arbeit die Herzensreinheit und die Geistesstrenge gelegt, welche seine physische Erscheinung, die Weichheit der Stimme, das Licht seines Blickes und des Lächelns reflektiert". Politischer Furor, ästhetischer Rigorismus und seraphisches In-sich-ruhen waren Facetten seines Wesens.

Er hat es sich, seinen Bewunderern und den Parteigenossen nicht leicht gemacht. Die auch von Nietzsche abgeleitete "Wanderer"-Thematik seiner letzten Lebensjahre kam keineswegs von ungefähr: Ein Moment von Heimatlosigkeit hat er wohl immer gespürt. Begeistert reagierte er 1956 auf den "Warschauer Herbst" - und um so enttäuschter über den "Großen Bruder": ". . . kalt vor der unerträglicher-falscher-unkönner offizialer sovietischer Musik: wirklich so desprimierend und traurig wie nie gemeint, unmöglich was für Krisies und was für Falsch und Unmenschlich!!!!!!" Daß Nono und Amerika nicht zueinander paßten, ist ohnehin klar. Aber auch Italien kriegt sein Fett weg: "man lebt viel besser unter der Erde. besonders wenn italienische Erde ist, weil über die italienische Erde leben fast nur die Schweine."

In bewunderungswürdiger Klarheit schildert Stenzl die hochkomplexen kompositorischen Strategien Nonos, die so zwingende, mitunter auch berückende Intensität seiner Musik, die Verflechtungen mit der Politik, die oft überaus heftigen Reaktionen. Und gerade weil er immer wieder darauf verweist, daß linkes Engagement und ästhetische Autonomie bei Nono von Anfang an in spannungsreichem Zusammenhang stehen, weder das eine das andere dominiert noch je ein fauler Kompromiß angestrebt wird, muß er sich auch nicht übermäßig nach der Quartett-"Wende" 1980 verrenken, die Abkehr von der Politik als "Verrat" verdammen oder als endlich "wahren" Weg verklären.

Daß der späte Nono selbst Kennern Rätsel aufgab, ist gleichwohl evident. Eine Tendenz etwa war die geographisch-ästhetisch-ideologische Umorientierung: Nicht mehr Euro-Kommunismus, Vietnam oder Kuba waren mehr die Fixpunkte. Venedig und Wien rückten ins Zentrum imaginärer Raum-Zeit-Exkurse. La Serenissima wurde abermals zur Stadt Marco Polos, im Sinne eines ganz anderen, nicht mehr primär "roten" Ostens. Und Wien avancierte zum Zentrum von durch Musil und Wittgenstein inspirierten "Möglichkeits"-Exkursen.

Immer mehr hieß es für Nono: Der Weg ist das Ziel. Mit dem "Weltbild" änderten sich indes auch die ästhetischen Prozesse, und alte Polaritäten, ja Feindbilder lösten sich auf. Hatte Nono schon früher dazu tendiert, ältere Werkteile in neue Konzepte baukastenartig zu integrieren - Vorbilder hierfür finden sich schon bei Busoni - so wird seine Musik zunehmend parataktisch organisiert: zum Archipel klanglich filigraner Einzelereignisse. Hatte Nono einst vehement Cages Unbestimmtheitsästhetik attackiert, so fallen nun fast Analogien auf, zumindest in der Auflösung des architektonisch-dynamischen Formzusammenhangs. Auch die elektronischen Raum-Botschaften Stockhausens wirken nicht mehr gar so galaxienweit von den live-elektronischen Erkundungen Nonos entfernt; in der sanft demiurgischen Allmachtsattitüde beider Komponisten an den Reglern glaubte mancher späte Parallelen sehen zu können.

Stenzl hält sich mit Uminterpretationen eher zurück, mißtraut manch romantisch raunender Vereinahmung. So ist für ihn denn auch der Weg des Musiktheatralikers Nono zur reinen "Tragödie des Hörens" im "Prometeo" klar vorgezeichnet - obwohl Nono sich anfänglich ernsthaft mit dem Gedanken einer Visualisierung durch den polnischen Theatermagier Tadeusz Kantor getragen hat. Nonos Weg in eine innere Welt der Erinnerungen und Träume, eine Musik, die immer leiser wird, in der die verletzend schrillen Blechbläser-Injektionen der einstigen politischen Appelle weitgehend verstummt sind, wird mit großer Schlüssigkeit nachgezeichnet, der Fächer der (literarischen) Einflüsse und Beziehungen weit entfaltet. Diese Darstellung wird dem großen Nono sicherlich weit eher gerecht als die vorschnelle Fixierung einzig auf den musikalischen Volkstribun oder den utopistischen Seelensucher oder aber die bequeme, alle Widersprüche elegant auflösende Synthese. GERHARD R. KOCH

Jürg Stenzl: "Luigi Nono". rowohlts monographien. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1998. 160 S., Abb., br., 12,90 DM.

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