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Ein Apotheker verreist zum ersten Mal in seinem Leben und hinterlässt einem früheren Freund einen Koffer voller Geschichten, die an verschiedenen Orten in Europa spielen. Geschichten von Liebe und Tod, von entscheidenden Begegnungen und Abschieden. So witzige wie intelligente Reisen in den Mittelpunkt unterschiedlicher Existenzen, spannend, bewegend, schonungslos und stilistisch brillant. Der Erzähler in Hansjörg Schertenleibs neuem Buch, ein Mann in einem Dorf in der Schweiz, der seinem kranken Vater den Garten pflegt, beobachtet eines Tages, wie der benachbarte Apotheker, mit dem er vor…mehr

Produktbeschreibung
Ein Apotheker verreist zum ersten Mal in seinem Leben und hinterlässt einem früheren Freund einen Koffer voller Geschichten, die an verschiedenen Orten in Europa spielen. Geschichten von Liebe und Tod, von entscheidenden Begegnungen und Abschieden. So witzige wie intelligente Reisen in den Mittelpunkt unterschiedlicher Existenzen, spannend, bewegend, schonungslos und stilistisch brillant. Der Erzähler in Hansjörg Schertenleibs neuem Buch, ein Mann in einem Dorf in der Schweiz, der seinem kranken Vater den Garten pflegt, beobachtet eines Tages, wie der benachbarte Apotheker, mit dem er vor dreißig Jahren zur Schule ging, mit einem Koffer das Haus verläßt. Da der Apotheker noch nie in seinem Leben eine Reise unternommen hat, folgt ihm der Erzähler und sieht, wie er einen Zug besteigt und wegfährt - während er seinen Koffer absichtlich zurücklässt. Der Erzähler nimmt ihn an sich und öffnet ihn: Er enthält Stadtpläne, Landkarten, Reiseführer sowie zehn Geschichten, die an zehn ver schiedenen Orten in Europa spielen. Diese Geschichten handeln von Liebe und Tod, von Extremsituationen, vom Kampf um Würde und Respekt und von zufälligen Begegnungen, die Lebensläufe radikal auf den Kopf stellen. Sie spielen in Barcelona oder auf den Hebriden, in Perpignan oder Irland, in Magdeburg oder Lissabon. Sie haben zwar ganz unterschiedliche Hauptfiguren, bestechen aber allesamt durch ihre lakonische Präzision, emotionale Kraft und menschliche Reife. Hansjörg Schertenleib folgt seinen Heldinnen und Helden des Alltags mit dunklem Witz und zeigt das Außergewöhnliche ihres ganz gewöhnlichen Lebens. 'Von Hund zu Hund' ist ein literarisches Feuerwerk und zeigt Hansjörg Schertenleib auf der Höhe seiner Erzählkunst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2001

Vaters Goldfisch? Verschluckt!
Hansjörg Schertenleib wühlt im Reisegepäck eines Apothekers

Apotheker hält man gerne für erschöpfte Verkäufernaturen, denen zwischen Rezept und Beipackzettel bloß die Freiheit bleibt, blaue oder grüne Halspastillen zu empfehlen. Und die dann so verzweifelte Aufmischer-Söhne bekommen wie einen Christoph Schlingensief. Doch der Apotheker in Hansjörg Schertenleibs Erzählungsband "Von Hund zu Hund" hat auf einmal, nach Jahrzehnten des Stillstands, seinen Koffer gepackt. Den er dann prompt - und extra für uns - am Bahnsteig stehenläßt. Und siehe da, im vergammelten Zauberkasten des Pharmazeuten stapeln sich Landkarten und Stadtpläne, Reiseführer und vor allem Reisegeschichten.

Auf diese verkrampfte Weise zwingt der 1957 geborene Schweizer Autor, der seit Jahren in Irland lebt, seine zehn kurzen Erzählungen in eine einzige große Geschichte über einen, der Manuskript um Manuskript aus dem Koffer holt und liest und der die Vergangenheit - die des Apothekers und seine eigene - dagegenhält, gegen die Fiktionalität der Literatur, der zehn Reiseträume: eine Klammer, die nicht viel verspricht und nichts hält.

Dabei hätten sich die zehn europäischen Explorationen auch ohne Klammer reibungslos ineinandergehakt: Hansjörg Schertenleib spürt den Einsamkeiten eines ganzen Lebens vom pubertierenden Langstreckenläufer ("Laufen") bis zum greisen Bergwanderer ("Sammler") nach. Den Einsamkeiten mit Familie und ohne Familie; als Mann oder als Frau; als portugiesischer Handlungsreisender um die Fünfzig oder als Schweizer Rucksacktourist Mitte Zwanzig. Einsame Wölfe, wo man hinschaut und wie man sie kennt, aus den eigenen oder fremden Versuchen im Weglaufen und Wiederkommen.

Besonders das Wiederkommen hat es in sich, vor allem im Land der hohen Himmel und der engen Täler, wo die Uhren immer richtig gehen und trotzdem stehengeblieben sind. Und es ist das Wiederkommen, nicht das Weglaufen, das aus Schertenleibs Erzählungen mehr macht als ein schlappes Gepansche aus Hermann Hesse, Allan Sillitoe und Christoph Meckel.

In "Von Hund zu Hund. Geschichten aus dem Koffer des Apothekers" schwelgt es sich nur selten; kaum einmal wird die Tour zum Trip. Schon weil da im Kopf immer ein anderer mitläuft - die halbvergessene Schulfreundin ("Die Festung"), die davongerannte Geliebte ("Der hölzerne Himmel"), die tote Tochter ("Die Bootsfahrt"). Da zerrt und zupft immer wer und fleht und flüstert und weint und tut weh - ohne Tusch, aber auch ohne Pause.

Hansjörg Schertenleib, der es sonst ganz gerne laut hat - vom wunderbar wuchernden Theatermonolog "Das Gewölbe" (1996) bis zum überbevölkerten Melodram über Liebe und Abhängigkeit, Terror und Kirche "Die Namenlosen" (2000) -, findet in seinem neuen Band zu den feineren Tönen seines Romandebüts "Die Ferienlandschaft" aus dem Jahr 1983 zurück. Die großen Gesten, auf die Schertenleib auch hier nicht grundsätzlich verzichten will, nehmen sich im Tran seiner Touristen, im Trott seiner Reisenden kleiner aus - und klarer.

In "Der goldene Fisch" nimmt eine Enddreißigerin nur eins als Erinnerung an ihren verstorbenen Vater mit über den großen Teich: seinen Goldfisch. Sie hat ihn hinuntergeschluckt.

Andere üben das Verlorengehen: Anita läßt sich in "Gute Menschen" von ihrem Whale-Watching-Boot ins Meer fallen, mitten in ein Rudel von Seehunden, und findet in einem der "Totenkopf"-Tiere ihren Vater wieder. "Die Haare seines Schnurrbartes waren dick wie Draht und doch weich, sein Kopf zart und haarlos wie der Kopf meines Vaters", das Gurgeln des Meeressäugers wie das eines alten Mannes.

In "Die Bootsfahrt", einer der überzeugendsten Erzählungen des Bandes - überzeugend schmerzgesättigt und ganz ohne Scharlatanerie -, bleibt "Mr. Thomas" einfach am Fuß der Böschung liegen, die er hinuntergestürzt war. "Meine Frau war in dem Moment von ihrer Arbeit zurückgekommen, als ich mit unserer toten Tochter auf dem Arm durch den Garten ging": Jahre her, doch Zeit heilt keine Wunden.

Das darf, das muß sentimental daherkommen, wenn Schertenleibs Figuren sich im endlosen Tanz um Tod, Erinnerung und Weiterleben drehen. Zu sentimental ist es selten. Der Autor vergibt sein Können eher dann, wenn er sich vor den hundsgewöhnlichen Empfindsamkeiten in Künstlichkeiten zu retten versucht - etwa über Geschichten in Geschichten ("Die Musikdose", "Sammler") oder über forcierte Phantasien ("Ruf der Wildnis"). "Von Hund zu Hund" glückt dort, wo alte Köter keine neuen Tricks mehr probieren, sondern am Straßenrand hocken und sich erinnern.

ALEXANDRA KEDVES.

Hansjörg Schertenleib: "Von Hund zu Hund". Geschichten aus dem Koffer des Apothekers. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 230 S., geb., 36,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Stichwort "sentimental" fällt mehrfach in Alexandra Kedves' Besprechung. Dazu passen die "einsamen Wölfe", Männer natürlich, die der Schweizer Autor, Jahrgang 1957, durch die Weltgeschichte schickt. Ob als pubertierende Langstreckenläufer in der Erzählung "Laufen" oder als wandernder Greis in "Sammler", ihre Geschichten (insgesamt zehn) sind alle in einem Koffer gestapelt und werden eine nach der anderen unter die Leute gebracht. Die erzählerische Klammer des Erzählungsbandes findet Kedves schlicht überflüssig und wenig überzeugend. Und doch bieten Schertenleibs Erzählungen "mehr als ein schlappes Gepansche aus Hermann Hesse, Alan Sillitoe und Christoph Meckel", schreibt Brandt, nämlich stille feine Töne, "überzeugend schmerzgesättigt" vom Leben und nie zu sentimental dargeboten. Mit diesem Buch kehre Schertenleib zu seinen literarischen Anfängen in "Die Ferienlandschaft" zurück, so die Rezensentin.

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