Juli 1935. Die Hubbards sind auf dem Weg in die Catskills um das verlängerte Wochenende zum Unabhängigkeitstag auf dem Land zu verbringen. Auf einem altertümlichen Landsitz ohne elektrisches Licht und fließendes Wasser treffen Bill, seine Frau Honey und die achtjährige Mary Ann auf die Familie
Zinnern. Dan und Celia sind Freunde von Anna, der Besitzerin der Farm. Anna ist auch die Leiterin der…mehrJuli 1935. Die Hubbards sind auf dem Weg in die Catskills um das verlängerte Wochenende zum Unabhängigkeitstag auf dem Land zu verbringen. Auf einem altertümlichen Landsitz ohne elektrisches Licht und fließendes Wasser treffen Bill, seine Frau Honey und die achtjährige Mary Ann auf die Familie Zinnern. Dan und Celia sind Freunde von Anna, der Besitzerin der Farm. Anna ist auch die Leiterin der alternativen Schule die Lolly, die sechsjährige Tochter der Zinnerns, gemeinsam mit Mary Ann besucht. Was als erholsamer Kurzurlaub geplant war, wird im Verlauf der schwirrend heißen Tage zur nervlichen Belastungsprobe für die Erwachsenen.
Allison Lurie gehört schon seit längerem zu meinen Lieblingsautorinnen. In ihren Romanen thematisiert sie das Wesen von Familie, Ehe und Partnerschaft. Sehr genau skizziert sie die Strukturen, die für das Scheitern aber auch das Gelingen einer Beziehung verantwortlich sind. Die Bücher die ich bislang von der Pulitzer Preisträgerin gelesen habe, spielten in den 1960er und 70er Jahren. “Von Kindern und Leuten” ist wesentlich früher angesiedelt. Lurie beschreibt einige Tage des Jahres 1935. Interessant war, dass mir dies erst ziemlich spät bewusst wurde. Der Wochenendtrip aufs Land mit Verzögerung durch Stau, die gereizte Stimmung im Auto der Eltern, die daraus resultierenden Dialoge. All das könnte genau so gut heute stattfinden. Man hat das Gefühl, dass die Emanzipation sich von damals nicht wesentlich unterscheidet.
Es gab und gibt zu allen Zeiten Männer, die ihren Beruf und sich selbst zu wichtig nehmen (Bill), Frauen die hauptsächlich Spaß haben wollen und egoistisch und bequem sind (Honey). Männer, die für wirtschaftlichen Erfolg ihre Überzeugung verraten und hinter jeder “Schürze her sind” (Dan) und Frauen, die für den Mann den sie lieben buchstäblich alles aufgeben inkl. Arbeitsplatz und sich selbst (Celia). Frauen, die ohne Mann oder Beziehung selbstbestimmt nur für ihren Beruf und ihre Überzeugung leben (Anna). Diese Konstellation an sich birgt schon Stoff in Fülle. Bei Lurie kommt noch hinzu, dass Honey und Dan auf ein sexuelles Abenteuer aus sind. Und das Anna einst die große Liebe Dans war (wovon niemand außer den beiden weiß) und das Dan die Trennung noch immer nicht überwunden hat.
Lurie zeichnet aus verschiedenen Blickwinkeln ein komplexes Bild. Wichtigstes Stilmittel ist die Beobachtung und Interpretation durch Mary Ann, an wenigen Stellen auch durch Lolly. Aber auch die Perspektive der Erwachsenen wird gezeigt. Lurie ermöglicht eine objektive Sicht ohne Voreingenommenheit. Opfer und Sünder wechseln, niemand ist nur schuldig oder unschuldig, gut oder schlecht. Erkenntnisse über die menschliche Natur, die man aus diesem Roman zieht, bleiben einem fürs Leben. Einfach weil sie wahr sind. Und darüber hinaus blendend formuliert.
“Über die Natur hat Mary Ann schon viel gehört. Die Natur muss so etwas sein wie eine mächtige, unsichtbare Patenfee, die hinter allem auf der Welt steckt, was nicht von Menschen oder Maschinen kommt. Manchmal heißt die Natur auch Mutter Natur, besonders in Kindergeschichten und wahrscheinlich nur, damit man keine Angst vor ihr bekommt. Die Natur hat nämlich auch eine gruslige Seite. Sie hat Gesetze, die man befolgen muss, und ein Gleichgewicht, das gestört werden kann. Wenn du sie aus dem Gleichgewicht bringst, wird die Natur natürlich böse, worauf dann alles schiefgeht.” Alison Lurie zeigt in ihrem Roman auf intelligente Weise was schiefgehen kann, wenn das Gleichgewicht in der menschlichen Natur gestört wird. Sie zeigt aber auch, wie die Dinge auf natürliche Weise, meist von ganz allein, (fast) wieder ins Lot kommen. Das ist neben der tragikomischen Seite vor allem eins: Tröstlich.