Produktdetails
- Verlag: Das Neue Berlin / edition ost
- Seitenzahl: 319
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 460g
- ISBN-13: 9783360010186
- ISBN-10: 3360010183
- Artikelnr.: 23922134
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2001Ein ungeschickter Geschickter der DDR
PDS-Ehrenvorsitzender Hans Modrow spricht vielen unverbesserlichen alten SED-Genossen aus dem Herzen
Hans Modrow: Von Schwerin bis Strasbourg. Edition ost im Verlag Das Neue Berlin. 2001. 320 Seiten, 34,- Mark.
Von den Reformern in seiner Partei fühlt er sich als "politische Altlast" diskreditiert. Gelegentlich hat er das Gefühl, daß man ihn loswerden will. In der PDS habe er nichts zu sagen - bis auf die Eröffnungsreden bei den Parteitagen. "Jawohl, ich war und bin die fleischgewordene Erinnerung an die DDR", schreibt Hans Modrow, seit Januar 1990 Ehrenvorsitzender der PDS, inzwischen 73 Jahre alt und seit 1999 PDS-Abgeordneter im Europa-Parlament. Wo er stehe, sitze oder rede, tauchten die Bilder der Vergangenheit auf. Die aber wolle mancher hinter sich lassen. Modrow plädiert zwar für ein uneingeschränktes Bekenntnis zur eigenen Biographie und "zur Geschichte der Partei und des Landes, in dem man gelebt hat". Das müsse ja nicht unkritisch sein. "Aber das Maß der Kritik bestimmen wir selbst. Wir sollten nicht den Vorgaben der anderen folgen. Und ich entschuldige mich nur dann und dort, wo es richtig und notwendig ist."
Die SED habe sich auf ihrem Außerordentlichen Parteitag am 8. Dezember 1989 in aller Form beim Volk der DDR für die von der stalinistischen SED begangenen "Fehlleistungen" entschuldigt und den festen Willen bekundet, ihre Schuld abzutragen. Damit scheint die Sache für Modrow erledigt zu sein. Kein Verständnis hat er daher für jene in seiner Partei, "die sofort den Kotau machen und sich in den Staub werfen, wenn man solches von ihnen verlangt". Das sei würdelos, zeuge nicht von Charakter und schon gar nicht von Kenntnis der eigenen Geschichte, meint Modrow offenbar allen Ernstes und offenbart damit, wes Geistes Kind er ist.
Weil man in der Führung der Partei offenbar nicht mehr auf den Ehrenvorsitzenden hört, schreibt dieser Bücher, die - wie er beklagt - nicht nur der mächtige PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch nicht liest. Diesmal hat Modrow sich das Thema Demokratie vorgenommen. Es geht ihm um den Vergleich zwischen der Demokratie in der DDR mit der Demokratie in der Bundesrepublik. Da fühlt er sich als Fachmann. Schließlich könne er in zwei verschiedenen und gegensätzlichen Systemen auf eine fünfzig Jahre währende Tätigkeit als Abgeordneter zurückblicken, verkündet er und fügt stolz hinzu: "Vermutlich gibt es in unserem Land keinen Abgeordneten, der so lange und in derart vielen Vertretungen gearbeitet und Erfahrungen gesammelt hat wie ich."
Als FDJ-Funktionär begann er - geschickt von Erich Honecker - 1951 im Mecklenburgischen Landtag. Dann gehörte er - nach der Auflösung der Länder in der DDR - von 1953 bis 1971 als Berliner FDJ- beziehungsweise SED-Sekretär der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung an. Er saß in der Volkskammer von 1958 bis 1990 und als SED-Chef im Bezirk Dresden von 1972 bis 1989 zugleich im Dresdner Bezirkstag. Von 1990 bis 1994 war er Bundestagsabgeordneter. Er habe also - meint Modrow - "Grenzen und Möglichkeiten der Demokratie im Realsozialismus und im Realkapitalismus kennenlernen können". Das ist wohl wahr. Doch was er an Erfahrungen oder gar Erkenntnissen aus diesem Vergleich mitzuteilen hat, ist denn doch recht mager und dient dem einstigen Agitprop-Sekretär und zeitweiligen Leiter der Abteilung Agitation des Zentralkomitees der SED fast ausschließlich dazu, allerhand Gutes am DDR-Staatssozialismus und viel Schlechtes im Westen zu entdecken. Doch das ist nicht neu. Man kennt es aus den anderen Büchern Modrows.
Der wegen dauernder "fortgesetzter Zurücksetzung" verbitterte Modrow berichtet auch über sein Verhältnis zu Honecker - der ihn 1973 "wenngleich nicht in die Wüste, so doch weg" in die Provinz schickte und ihm den Einzug ins Politbüro verwehrte - sowie über seine Zeit als "Provinzfürst in Dresden". Deutlich sucht sich Modrow auch vom Honecker-Nachfolger Krenz abzusetzen, dem er vorwirft, er habe geglaubt, die tiefe Krise, in der sich die DDR im Oktober 1989 befunden habe, durch das Auswechseln der Galionsfigur und einige kosmetische Operationen überwinden zu können. Öffentlich habe sich Krenz gebrüstet, die Wende eingeleitet zu haben, doch noch am Tag vor seiner Wahl zum Staatsratsvorsitzenden habe er in der SED-Fraktion der Volkskammer unmißverständlich klargemacht: "Unsere führende Rolle müssen wir besser wahrnehmen, aber wir sind nicht bereit, sie abzugeben." Er, Modrow, hingegen sei nicht - wie bis dahin üblich - Vorsitzender des Ministerrates von Gnaden des SED-Generalsekretärs, auch nicht Vertreter der SED in der Regierung gewesen, sondern von November 1989 bis März 1990 "Chef einer Koalitionsregierung". Schließlich habe er mit dafür gesorgt, daß die Volkskammer den Führungsanspruch der SED am 1. Dezember 1989 aus der Verfassung getilgt habe.
Modrow widerspricht den "von Krenz kolportierten Legenden", die SED habe sich im Herbst 1989 an die Spitze der Bewegung gestellt. So sei auch die Initiative für die Bildung des runden Tisches weder von der SED noch von einer etablierten politischen Institution, sondern von der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" und der evangelischen Kirche ausgegangen.
Scharf kritisiert Modrow die Neigung von Krenz, "das Ende der DDR zu schönen". Doch auch Schalck-Golodkowski - im Herbst 1989 zeitweise sogar als DDR-Ministerpräsident im Gespräch - und der einst mächtige und nach der Wende reuige Schabowski haben sich Modrows Verachtung zugezogen. Schalcks Auskünfte vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des Bayerischen Landtags seien ebenso "dürftig" gewesen wie seine 1999 vorgelegten Memoiren. Modrow weiß auch warum: Es sei "offensichtlich, daß sein andauerndes Schweigen in bezug auf die deutsch-deutschen Geheimkontakte unverändert honoriert wird".
Schabowski, seinem einstigen "Kollegen" als SED-Bezirkschef, wirft Modrow vor, daß er sich vor der Enquetekommission des Bundestages "zwar noch dunkel daran erinnern konnte, daß er einmal Sekretär des ZK und Mitglied des Politbüros gewesen war - doch daß er auch einer der schärfsten Demagogen und Durchsetzer der Honecker-Linie war, ist ihm inzwischen völlig entfallen". Man solle zwar auch Exparteiführern das Recht auf Irrtum und die Chance auf Korrektur zugestehen, räumt Modrow ein. "Doch bei Schabowski muß ich warnen: Nach der nächsten Wende dürfte er wieder eine andere Meinung haben, und auch sie wird wohl weniger das Resultat später Ein- und Umkehr sein, sondern sich aus der gleichen Intention speisen, mit der er in der DDR aufgestiegen war: Opportunismus und Machthunger." Damit spricht der PDS-Ehrenvorsitzende sicher vielen unverbesserlichen alten SED-Genossen aus dem Herzen.
PETER JOCHEN WINTERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
PDS-Ehrenvorsitzender Hans Modrow spricht vielen unverbesserlichen alten SED-Genossen aus dem Herzen
Hans Modrow: Von Schwerin bis Strasbourg. Edition ost im Verlag Das Neue Berlin. 2001. 320 Seiten, 34,- Mark.
Von den Reformern in seiner Partei fühlt er sich als "politische Altlast" diskreditiert. Gelegentlich hat er das Gefühl, daß man ihn loswerden will. In der PDS habe er nichts zu sagen - bis auf die Eröffnungsreden bei den Parteitagen. "Jawohl, ich war und bin die fleischgewordene Erinnerung an die DDR", schreibt Hans Modrow, seit Januar 1990 Ehrenvorsitzender der PDS, inzwischen 73 Jahre alt und seit 1999 PDS-Abgeordneter im Europa-Parlament. Wo er stehe, sitze oder rede, tauchten die Bilder der Vergangenheit auf. Die aber wolle mancher hinter sich lassen. Modrow plädiert zwar für ein uneingeschränktes Bekenntnis zur eigenen Biographie und "zur Geschichte der Partei und des Landes, in dem man gelebt hat". Das müsse ja nicht unkritisch sein. "Aber das Maß der Kritik bestimmen wir selbst. Wir sollten nicht den Vorgaben der anderen folgen. Und ich entschuldige mich nur dann und dort, wo es richtig und notwendig ist."
Die SED habe sich auf ihrem Außerordentlichen Parteitag am 8. Dezember 1989 in aller Form beim Volk der DDR für die von der stalinistischen SED begangenen "Fehlleistungen" entschuldigt und den festen Willen bekundet, ihre Schuld abzutragen. Damit scheint die Sache für Modrow erledigt zu sein. Kein Verständnis hat er daher für jene in seiner Partei, "die sofort den Kotau machen und sich in den Staub werfen, wenn man solches von ihnen verlangt". Das sei würdelos, zeuge nicht von Charakter und schon gar nicht von Kenntnis der eigenen Geschichte, meint Modrow offenbar allen Ernstes und offenbart damit, wes Geistes Kind er ist.
Weil man in der Führung der Partei offenbar nicht mehr auf den Ehrenvorsitzenden hört, schreibt dieser Bücher, die - wie er beklagt - nicht nur der mächtige PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch nicht liest. Diesmal hat Modrow sich das Thema Demokratie vorgenommen. Es geht ihm um den Vergleich zwischen der Demokratie in der DDR mit der Demokratie in der Bundesrepublik. Da fühlt er sich als Fachmann. Schließlich könne er in zwei verschiedenen und gegensätzlichen Systemen auf eine fünfzig Jahre währende Tätigkeit als Abgeordneter zurückblicken, verkündet er und fügt stolz hinzu: "Vermutlich gibt es in unserem Land keinen Abgeordneten, der so lange und in derart vielen Vertretungen gearbeitet und Erfahrungen gesammelt hat wie ich."
Als FDJ-Funktionär begann er - geschickt von Erich Honecker - 1951 im Mecklenburgischen Landtag. Dann gehörte er - nach der Auflösung der Länder in der DDR - von 1953 bis 1971 als Berliner FDJ- beziehungsweise SED-Sekretär der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung an. Er saß in der Volkskammer von 1958 bis 1990 und als SED-Chef im Bezirk Dresden von 1972 bis 1989 zugleich im Dresdner Bezirkstag. Von 1990 bis 1994 war er Bundestagsabgeordneter. Er habe also - meint Modrow - "Grenzen und Möglichkeiten der Demokratie im Realsozialismus und im Realkapitalismus kennenlernen können". Das ist wohl wahr. Doch was er an Erfahrungen oder gar Erkenntnissen aus diesem Vergleich mitzuteilen hat, ist denn doch recht mager und dient dem einstigen Agitprop-Sekretär und zeitweiligen Leiter der Abteilung Agitation des Zentralkomitees der SED fast ausschließlich dazu, allerhand Gutes am DDR-Staatssozialismus und viel Schlechtes im Westen zu entdecken. Doch das ist nicht neu. Man kennt es aus den anderen Büchern Modrows.
Der wegen dauernder "fortgesetzter Zurücksetzung" verbitterte Modrow berichtet auch über sein Verhältnis zu Honecker - der ihn 1973 "wenngleich nicht in die Wüste, so doch weg" in die Provinz schickte und ihm den Einzug ins Politbüro verwehrte - sowie über seine Zeit als "Provinzfürst in Dresden". Deutlich sucht sich Modrow auch vom Honecker-Nachfolger Krenz abzusetzen, dem er vorwirft, er habe geglaubt, die tiefe Krise, in der sich die DDR im Oktober 1989 befunden habe, durch das Auswechseln der Galionsfigur und einige kosmetische Operationen überwinden zu können. Öffentlich habe sich Krenz gebrüstet, die Wende eingeleitet zu haben, doch noch am Tag vor seiner Wahl zum Staatsratsvorsitzenden habe er in der SED-Fraktion der Volkskammer unmißverständlich klargemacht: "Unsere führende Rolle müssen wir besser wahrnehmen, aber wir sind nicht bereit, sie abzugeben." Er, Modrow, hingegen sei nicht - wie bis dahin üblich - Vorsitzender des Ministerrates von Gnaden des SED-Generalsekretärs, auch nicht Vertreter der SED in der Regierung gewesen, sondern von November 1989 bis März 1990 "Chef einer Koalitionsregierung". Schließlich habe er mit dafür gesorgt, daß die Volkskammer den Führungsanspruch der SED am 1. Dezember 1989 aus der Verfassung getilgt habe.
Modrow widerspricht den "von Krenz kolportierten Legenden", die SED habe sich im Herbst 1989 an die Spitze der Bewegung gestellt. So sei auch die Initiative für die Bildung des runden Tisches weder von der SED noch von einer etablierten politischen Institution, sondern von der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" und der evangelischen Kirche ausgegangen.
Scharf kritisiert Modrow die Neigung von Krenz, "das Ende der DDR zu schönen". Doch auch Schalck-Golodkowski - im Herbst 1989 zeitweise sogar als DDR-Ministerpräsident im Gespräch - und der einst mächtige und nach der Wende reuige Schabowski haben sich Modrows Verachtung zugezogen. Schalcks Auskünfte vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des Bayerischen Landtags seien ebenso "dürftig" gewesen wie seine 1999 vorgelegten Memoiren. Modrow weiß auch warum: Es sei "offensichtlich, daß sein andauerndes Schweigen in bezug auf die deutsch-deutschen Geheimkontakte unverändert honoriert wird".
Schabowski, seinem einstigen "Kollegen" als SED-Bezirkschef, wirft Modrow vor, daß er sich vor der Enquetekommission des Bundestages "zwar noch dunkel daran erinnern konnte, daß er einmal Sekretär des ZK und Mitglied des Politbüros gewesen war - doch daß er auch einer der schärfsten Demagogen und Durchsetzer der Honecker-Linie war, ist ihm inzwischen völlig entfallen". Man solle zwar auch Exparteiführern das Recht auf Irrtum und die Chance auf Korrektur zugestehen, räumt Modrow ein. "Doch bei Schabowski muß ich warnen: Nach der nächsten Wende dürfte er wieder eine andere Meinung haben, und auch sie wird wohl weniger das Resultat später Ein- und Umkehr sein, sondern sich aus der gleichen Intention speisen, mit der er in der DDR aufgestiegen war: Opportunismus und Machthunger." Damit spricht der PDS-Ehrenvorsitzende sicher vielen unverbesserlichen alten SED-Genossen aus dem Herzen.
PETER JOCHEN WINTERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Peter Jochen Winters kann sich für dieses Buch offenbar nicht erwärmen. So findet er die Erkenntnisse, die Modrow durch seine Abgeordnetentätigkeit in der Volkskammer der DDR und im Bundestag gezogen hat, "doch recht mager", wenn es um den Vergleich der beiden Systeme geht. Modrow versuche lediglich, "allerhand Gutes am DDR-Staatssozialismus und viel Schlechtes im Westen zu entdecken". Das alles aber kennt man schon von ihm, findet Winters. Darüber hinaus nehmen einen großen Teil des Buchs Abrechnungen mit DDR-Politikern ein, wie der Leser erfährt: Über Honecker sei Modrow ebenso verbittert wie über Egon Krenz, der an einem wirklichen Neuanfang nicht interessiert gewesen sei. Auch Schalk-Golodkowski und Schabowski bekommen ihr Fett weg, letzterer vor allem wegen "Opportunismus und Machthunger". Winters bewertet diese Passagen des Buchs nicht, befindet aber nicht ohne Ironie, dass Modrow mit dem Opportunismusvorwurf "vielen unverbesserlichen alten SED-Genossen aus dem Herzen" sprechen dürfte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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