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Wie der Kapitalismus nach Polen kam
Die Berliner Mauer stand noch, als die Transformation in Polen schon in vollem Gange war. Wie kam es, dass ausgerechnet das Land der Solidarnosc-Bewegung zum Vorreiter einer marktradikalen Schocktherapie wurde, die fast überall im östlichen Europa Nachahmer fand? Florian Peters erzählt, wie private Kleinunternehmer inmitten der tristen 1980er-Jahre neue Märkte erschlossen, wie oppositionelle Gewerkschaftsaktivisten sich neue marktorientierte Selbstbilder aneigneten und wie kommunistische Funktionäre das Privateigentum für sich entdeckten. Zugleich erklärt…mehr

Produktbeschreibung
Wie der Kapitalismus nach Polen kam

Die Berliner Mauer stand noch, als die Transformation in Polen schon in vollem Gange war. Wie kam es, dass ausgerechnet das Land der Solidarnosc-Bewegung zum Vorreiter einer marktradikalen Schocktherapie wurde, die fast überall im östlichen Europa Nachahmer fand? Florian Peters erzählt, wie private Kleinunternehmer inmitten der tristen 1980er-Jahre neue Märkte erschlossen, wie oppositionelle Gewerkschaftsaktivisten sich neue marktorientierte Selbstbilder aneigneten und wie kommunistische Funktionäre das Privateigentum für sich entdeckten. Zugleich erklärt er, warum die Privatisierung der staatseigenen Industrie östlich der Oder von langwierigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen begleitet wurde.
Autorenporträt
Florian Peters, Jahrgang 1981, Dr. phil., ist Historiker und forscht zur Zeitgeschichte Polens und Ostmitteleuropas. Nach Stationen am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, am Institut für Zeitgeschichte München¿Berlin und an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) arbeitet er seit April 2021 im Sonderforschungsbereich 294 ¿Strukturwandel des Eigentums¿ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ulrich Schmid erfährt im Buch des Historikers Florian Peters Wissenswertes über die Umstände der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Polen um das Jahr 1989. Exzellent findet Schmid die Studie auch, da sie ihm klarmacht, wie wenig von "Revolution" die Rede sein kann. Den Drahtseilakt zwischen Marktwirtschaft und sozialistischen Illusionen im Polen der Solidarnosc beschreibt der Autor laut Schmid kenntnis- und erkenntnisreich.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2023

"Sozialismus mit göttlichem Antlitz"

Der Kapitalismus kam von oben und von unten nach Polen. Eine "Revolution" blieb aus. Vielmehr gab es lebhafte Debatten, und zwar schon vor 1989.

Polen gilt als Musterschüler der postsozialistischen Transformation zur Marktwirtschaft. Man glaubt auch den Namen des Superhelden zu kennen, der dieses Wunder zustande gebracht hat: Leszek Balcerowicz. In einer exzellenten Studie zeigt nun der Historiker Florian Peters auf, dass die Schocktherapie am Ende einer debattenreichen Entwicklung stand und nicht nur das Werk eines neoliberalen Ökonomen und seiner amerikanischen Einflüsterer war. Peters macht auch gleich zu Beginn seiner Darstellung klar, dass man bei den Ereignissen von 1989 in Polen - anders als in der Tschechoslowakei, der DDR oder in den baltischen Staaten - nicht einmal rückblickend von einer "Revolution" sprechen könne. Zu einschneidend war die Verhängung des Kriegsrechts 1981, die eine desavouierte Parteiführung und eine illusionslose Gesellschaft zurückließ. Bis heute ist nicht geklärt, ob General Jaruzelski Polen durch die Ausrufung des Kriegsrechts vor einer sowjetischen Invasion bewahrte oder in eine Militärdiktatur verwandelte. Paradoxerweise entwickelte sich in den Achtzigerjahren zwischen der Regierung und der Opposition ein prekärer Konsens, dass das kommunistische Wirtschaftsexperiment gescheitert war und dass neue Wege beschritten werden müssen. Peters zeigt auf, wie nicht nur die von Moskau abhängige "volkspolnische" Regierung mit der Marktwirtschaft liebäugelte, sondern wie auch umgekehrt die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc sich schwer damit tat, sozialistische Illusionen aufzugeben.

Das kommunistische Polen präsentierte sich zu Beginn der Achtzigerjahre buchstäblich grau in grau. Das System konnte kaum die elementaren Konsumbedürfnisse der Bevölkerung decken, viele Lebensmittel waren rationiert. In den Industriezentren legte sich ein so dichter Kohlestaubschleier über die Gemeinden und Städte, dass sogar die Waschmittelrationen erhöht werden mussten. Solidarnosc arbeitete in dieser Situation nicht auf einen Systemwechsel hin, sondern träumte - mit der Unterstützung des ersten polnischen Papstes - von einem "Sozialismus mit göttlichem Antlitz". Johannes Paul II. hatte in einer Enzyklika 1981 die "himmelschreiende Ungerechtigkeit des Kapitalismus" angeprangert. Deshalb konnte die polnische Führung bei der Einführung von Lebensmittelkarten auch auf die Unterstützung der unabhängigen Gewerkschaft zählen, die in der Rationierung eine gerechte Alternative zur Preiserhöhung knapper Güter erblickte.

Kornel Morawiecki, der Vater des heutigen polnischen Ministerpräsidenten, hielt 1982 als Vertreter des militanten Flügels der Solidarnosc fest, dass der Gegensatz zwischen Kapitalismus und Sozialismus in einem neuen "Solidarismus" überbrückt werden solle. Darunter verstand er eine Marktwirtschaft, die "ohne erhebliches Privateigentum" eine Betriebsführung durch Arbeiterselbstverwaltung sicherstellen könne. Auch Leszek Balcerowicz vertrat noch 1988 die Ansicht, die Polen bevorzugten "kollektive Lösungen". In dieser ideologischen Gemengelage kam es zu den seltsamsten Koalitionen. Großbritannien unter der Führung von Margaret Thatcher galt in den Achtzigerjahren als großes Vorbild für eine effiziente und schlanke Volkswirtschaft.

Sogar General Jaruzelski schmeichelte sich bei der Eisernen Lady ein, indem er ihr während ihres Besuchs in Warschau im November 1988 zur Bekämpfung von "extremistischen Gewerkschaften" gratulierte. Jaruzelskis Nachfolger Mieczyslaw Rakowski orientierte seine Reformpolitik ebenfalls am britischen Vorbild - allerdings verfügte er im Gegensatz zu Margaret Thatcher nicht über ein demokratisches Mandat. Sein Industrieminister Mieczyslaw Wilczek predigte eine "echte Marktwirtschaft" mit "echter Arbeitslosigkeit" und "echten Kapitalrenditen". Spätestens mit den sogenannten "Wilczek-Gesetzen" setzte die Privatisierung der polnischen Wirtschaft ein - dabei kamen allerdings oft die Vertreter der alten Parteinomenklatur als Schnäppchenjäger zum Zug.

Kapitalistische Vordenker galten in den Achtzigerjahren entweder als egoistische Phantasten oder als harmlose Sonderlinge - bisweilen auch als beides. Der Krakauer Philosoph Miroslaw Delski schlug etwa in einem Untergrundartikel aus dem Jahr 1980 vor, eine rechte, autoritäre Regierung zu installieren, die ohne Rücksicht auf die Volksmeinung eine Privatisierung von oben durchsetzen solle. Bei der Wahl seiner Idole zeigte Delski keine Berührungsängste: Er regte eine Übersetzung von Milton Friedmans "The Freedom to Choose" an und bewunderte gleichzeitig die Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping in China. Im Gegensatz zu Delski verfolgten die Danziger Liberalen keinen radikal marktwirtschaftlichen Kurs. Zu ihnen gehörte auch der spätere Regierungschef und EU-Ratspräsident Donald Tusk. 1987 gab er in einem Artikel zu, dass seine Selbstreflexion während des Kriegsrechts zu einer "Wende nach rechts" geführt habe. Erst im Angesicht der tiefen Krise sei der Abschied von der radikalen und manchmal sogar dummen Verklärung der Arbeiterselbstverwaltung möglich gewesen. Ganz mochte sich Tusk jedoch nicht von seinen früheren Idealen trennen. Er verfolgte einen sozialliberalen Ansatz und empfahl eine "gesellschaftliche Aufsicht über die Wirtschaft".

Die Schocktherapie kam erst 1989. Viele Polen hatten sich angesichts der Mangelversorgung bereits eine frühkapitalistische Wirtschaftsmentalität angeeignet. Sie nutzten die Freiräume des absterbenden Systems und zogen eigene Lieferketten auf. Der große Polenmarkt auf der Brache des Potsdamer Platzes wurde zum augenfälligsten Symbol dieser Entwicklung. Der erste nichtkommunistische Regierungschef Tadeusz Mazowiecki berief Balcerowicz als Finanzminister und hoffte, damit "seinen Erhard" gefunden zu haben. Allerdings bevorzugte Balcerowicz die Pläne des Harvard-Professors Jeffrey Sachs, dessen Neoliberalismus er bisweilen sogar überbot. Letztlich führte Balcerowicz mit seiner Rosskur eine ideologische Entwicklung zu Ende, die zwei entgegengesetzte Ursprünge hatte - im Machtzentrum der kommunistischen Partei und in den Denkfabriken des Untergrundes. ULRICH SCHMID

Florian Peters: Von Solidarnosc zur Schocktherapie. Wie der Kapitalismus nach Polen kam.

Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 544 S., 35,- Euro.

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»In einer exzellenten Studie zeigt nun der Historiker Florian Peters auf, dass die Schocktherapie am Ende einer debattenreichen Entwicklung stand und nicht nur das Werk eines neoliberalen Ökonomen und seiner amerikanischen Einflüsterer war.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230613