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"Ludwig Steinherr spricht als Meister der flüchtigen Augen blicke, in denen sich aller Vergänglichkeit zum Trotz eine Unvergänglichkeit gerade des Vergänglichsten andeutet, nicht mit Händen zu greifen und zu halten, aber wie eine Apfelblüte in Worten zu bergen währende Gegenwart. Das führt ihn zu den kleinen Unscheinbarkeiten, dem Flüchtigsten, insbesondere in den Liebesgedichten: "Deine Augen/ deine Halslinie/ dein Haar-/ jeder Pinselstrich/ ein Neubeginn/ eine Zerstörung". ( ) Steinherr vertraut ausgerechnet dieser Vergänglichkeit, all diesem Leben." Barbara v. Wulffen

Produktbeschreibung
"Ludwig Steinherr spricht als Meister der flüchtigen Augen blicke, in denen sich aller Vergänglichkeit zum Trotz eine Unvergänglichkeit gerade des Vergänglichsten andeutet, nicht mit Händen zu greifen und zu halten, aber wie eine Apfelblüte in Worten zu bergen währende Gegenwart. Das führt ihn zu den kleinen Unscheinbarkeiten, dem Flüchtigsten, insbesondere in den Liebesgedichten: "Deine Augen/ deine Halslinie/ dein Haar-/ jeder Pinselstrich/ ein Neubeginn/ eine Zerstörung". ( ) Steinherr vertraut ausgerechnet dieser Vergänglichkeit, all diesem Leben."
Barbara v. Wulffen
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Autorenporträt
Ludwig Steinherr, geboren 1962 in München, studierte Philosophie und promovierte 1995 mit einer Arbeit über Hegel und Quine. Seither lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern als freier Schriftsteller in München. Neben seiner literarischen Tätigkeit ist er Lehrbeauftragter für Philosophie an einer süddeutschen Universität. Steinherr hat bislang sieben Gedichtbände veröffentlicht. Er erhielt dafür mehrere Auszeichnungen, u.a. den Staatsförderpreis für Literatur 1991, den Leonce-und-Lena-Förderpreis 1993, den Buchpreis des Verbandes Evangelischer Büchereien 1999 und den Hermann-Hesse-Förderpreis 1999. Steinherrs Gedichte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2008

Am silbrigen Pointenteich

Der ICE Werturteil verkehrt heute in umgekehrter Wagenreihung: Ludwig Steinherrs kluge Gedichte zielen auf Erkenntnis durch überraschende Pointen.

Süß, diese Kindersprüche, aber nicht nur das: Ein kleines Mädchen, auf seine Stirn deutend, kann das rechte Wort nicht finden und sagt "Mein Gestirn" dazu, lässt sich auch durch Erklärungen der Erwachsenen darin nicht beirren. Da bleibt dem Vater nichts anderes übrig, als ein Gedicht zu schreiben, das die Tochter korrigiert und ihr zugleich recht gibt: "Sie folgt nur / ihrem Gestirn." "Ad astra" heißt das Gedicht, und die höhere Weisheit kindlicher Fehlleistungen ist dem Verfasser so wichtig, dass er seinen ganzen neuen Gedichtband danach benennt: "Von Stirn zu Gestirn".

Dieser Titel trifft aufs genaueste die Eigenart der Gedichte Steinherrs. Sie sprechen vom menschlich Beschränkten und von dem, was darüber ist, vom Denken und vom Glauben, vom irdisch Kleinen und vom göttlich Großen. Sie tun das nicht im Sinne einer frommen Botschaft, einer Verkündigung oder gar eines moralischen Appells. Noch immer gilt Steinherrs schon 1987 formulierte Überzeugung, wonach sich die Literatur (und an die Lyrik denkt er dabei wohl vornehmlich) "der Wahrheit eines Augenblicks anvertraut. So sind in ihr Unsinn und Sinn, Heillosigkeit und Heil, Gottesferne und Gottesnähe gleichermaßen möglich - unabhängig von der Weltanschauung des Dichters". Die unaufdringliche, ganz ins poetische Bild verwandelte Dialektik seiner Gedichte dient der Beunruhigung und dem Nachsinnen des Lesers.

Steinherrs Gedichte setzen oft geradezu beiläufig ein, mit einer Beobachtung, einer schlichten Feststellung, einer Situationsbeschreibung, kommentieren dann diesen Ausgangspunkt, um ihn auf den Begriff und ins Bild zu bringen, und münden schließlich ein in eine überraschende, die ganze Existenz berührende oder in Frage stellende Pointe. So, beispielsweise, lautet das Gedicht "Unscheinbare Augenblicke": "während du gerade / einen Joghurt ißt / oder in einer Zeitschrift blätterst - // da legt dir Gott / im Vorübergehn / die Hand auf den Scheitel / und sagt: // Nun bist du / wie ich dich wollte." Kürzer lässt sich die Unbeendbarkeit der Fragen nach der Existenz Gottes und nach dem Sinn der eigenen Existenz kaum denken: Was für ein Gott muss das sein, der mit so belanglosen Tätigkeiten zufrieden ist, und was für ein Mensch, dem ausgerechnet beim Joghurtverzehr ein Gott begegnet.

Mit Ehrenrettungen des Unscheinbaren sind mehrere Gedichte Steinherrs beschäftigt. Sie wenden sich den in Verruf Geratenen, den Irren und Dementen, den Ausgestoßenen und Verkannten zu. "Sein Name ist / ohne Bedeutung". So beginnt etwa ein Gedicht über einen Geisteskranken, der an einer "Aktualneurose" leidet. Er wird von der Gesellschaft nicht als bedeutendes Individuum, sondern als unerträglicher Patient wahrgenommen, so dass die in Erwägung gezogenen Therapievorschläge ("Stromstöße? / Exorzismus? / Antidepressiva? / Lobotomie?") nur die Unsicherheit, Verständnislosigkeit und Abwehrbereitschaft der Gesellschaft dem geistig Erkrankten gegenüber zum Ausdruck bringen. Die im Gedicht beschriebenen abnormen Verhaltensweisen des Geisteskranken scheinen einen solchen korrigierenden, distanzierten Umgang mit ihm zu rechtfertigen. Doch dann, abschließend, zitiert Steinherr als eines der Symptome dieses Verrückten eine Ansichtskarte, deren Text jeder kennt: "gezeichnet / den 3ten März 1648 / Mit Untertänigkeit / Scardanelli". Unter diesem Namen schrieb Hölderlin bekanntlich einige der bedeutendsten Gedichte deutscher Sprache. Gilt unter diesen Umständen noch: "Sein Name ist / ohne Bedeutung"?

Wie schon in seinen früheren Bänden gelten einige Gedichte Steinherrs Werken der bildenden Kunst. Auch hier bewähren sich sein dialektischer Blick und seine Revisionslust. Das berühmte Fresko von Pisanello in St. Anastasia zu Verona betrachtet er mit den Augen eines Betrachters, der von Auschwitz und von Hiroshima weiß. Die billigen Kunstdrucke in den Hotelzimmern dagegen, "Sichtblenden des Nichts", sind leer und nichtssagend; sie stellen keine Beziehung zu den Betrachtern her, sind eigentlich gar nicht für sie bestimmt. Aber sind sie deshalb wirklich wertlos? "In ihrer Apathie / spiegelt sich / eine letzte Einsamkeit / von der die großen Meisterwerke / in den Museen / nichts ahnen." Die Einsamkeit, die Vereinnahmungsresistenz wäre gerade den vielbesuchten, vielgedeuteten Meisterwerken in den Museen als Qualität zu wünschen. Insofern können die Kunstdrucke den Meisterwerken zu Vorbildern werden.

Ludwig Steinherr, 1962 in München geboren, hat an der jesuitischen Hochschule für Philosophie in München studiert, wurde dort mit einer Dissertation über Hegel und den Logiker und Erkenntnistheoretiker Willard Van Orman Quine promoviert und anschließend mit philosophischen Lehraufträgen betraut. Sein erster Gedichtband, "Fluganweisung", erschien 1985. Zusammen mit Anton G. Leitner initiierte er 1993 die verdienstvolle Lyrikzeitschrift "Das Gedicht". Mit "Von Stirn zu Gestirn" liegt nun bereits das zwölfte seiner Gedichtbücher vor. Steinherr kann auf ansehnliche Literaturpreise zurückblicken, er ist sogar Mitglied der ehrbaren Bayerischen Akademie der Schönen Künste - und doch kennt man ihn viel zu wenig. Noch verzeichnen ihn die einschlägigen Schriftstellerlexika nicht. Höchste Zeit, ihn als einen der eindringlichsten Lyriker der Gegenwart öffentlich wahrzunehmen.

WULF SEGEBRECHT.

Ludwig Steinherr: "Von Stirn zu Gestirn". Gedichte. Buch & media Verlag / Lyrikedition 2000, München 2007. 113 S., geb., 19,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Höchste Zeit für diesen Dichter, meint Wulf Segebrecht. Immerhin kennt er von Ludwig Steinherr bereits zwölf Gedichtbände, und Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ist der Autor auch. Was Segebrecht indessen wirklich für Steinherr einnimmt, ist dessen dialektische Sicht, die einiges neu und anders erscheinen lässt als gewohnt. Wenn dem beiläufigen Beginnen in diesen Gedichten die existentielle Pointe folgt, wenn die ins poetische Bild gefasste Alltagsbeobachtung umschlägt ins "göttlich Große", freilich ohne "fromme Botschaft", sieht sich der Rezensent ein ums andere Mal überrascht und zum Nachdenken gebracht.

© Perlentaucher Medien GmbH