Produktdetails
- Verlag: Donat
- 1., Aufl.
- Seitenzahl: 32
- Deutsch
- Abmessung: 240mm x 170mm
- Gewicht: 134g
- ISBN-13: 9783938275061
- ISBN-10: 3938275065
- Artikelnr.: 15109266
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- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2009Ein sanfter Wind weht vom Süden her
Wo Pygmäen hausen, braune Frauen locken und Zitronen blühen: Dieter Richter hat die Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung geschrieben.
Von Jakob Strobel y Serra
Fragte man die Menschen nach ihrer Lieblingshimmelsrichtung, bekäme man zumindest nördlich der Alpen eine eindeutige Antwort: Natürlich der Süden, denn er ist viel mehr als nur ein Buchstabe auf dem Kompass. Er ist eine Idee, die tief in uns allen steckt. "Jeder wird mit seinem Süden gleich geboren", seufzte fernwehtrunken Jean Paul, und noch emphatischer als der romantische Schwärmer aus dem rauhen Ostbayern ruft es Dieter Richter aus, dem wir dieses fabelhafte Buch verdanken: "Unsere Sehnsucht aber geht in den Süden. Dorthin weist die Kompassnadel des Glücks."
Richter, der seit einem halben Menschenleben Professor für Kritische Literaturgeschichte an der Universität Bremen ist, greift mit vollen Händen in die Schatztruhe der abendländischen Literatur, Philosophie und Kunst, um die Kulturgeschichte des Südens mit all ihren Volten und Brüchen, Verdammnissen und Apotheosen zu erzählen. Er ist dabei ungeheuer belesen, aber nie belehrend, akribisch, ohne je pedantisch zu werden, unterhaltsam jenseits aller Geschwätzigkeit. Und er schafft es, auf nicht einmal zweihundert Seiten so etwas Flüchtigem, Vielschichtigem, Ungreifbarem wie einer Himmelsrichtung eine Gestalt, ein Wesen zu geben.
Seine Geschichte beginnt 600 vor Christus. Damals stachen phönizische Seefahrer im Auftrag von Pharao Necho II. am Roten Meer in See, um Afrika zu umrunden. Es war eine historische Großtat ohne Konsequenzen für die Weltgeschichte. In der Antike blieb der Süden, der im Wesentlichen identisch war mit Afrika, eine große Leere, bedrohlich und böse, bewohnt von schrecklichen Ungeheuern und kleinwüchsigen Pygmäen.
Auch das Christentum hatte keine gute Meinung vom Süden. In seiner dreigeteilten Welt hausten dort unten die Nachkommen von Noahs missratenem Sohn Ham und waren verflucht in alle Ewigkeit - alles radikale Weltvereinfachungen, die den Ursprung für den europäischen Rassismus gegenüber Afrika in sich trugen. Die Farbenlehre war von Anbeginn klar: Der Süden ist schwarz, und Schwarz ist die Farbe des Bösen, des Teufels, der Hölle. Schwarz sind die "Mohren" und "Möhrinnen", mit denen im Mittelalter nicht mehr nur die Mauren, also die Bewohner des römischen Mauretaniens, sondern alle Menschen aus der südlichen und orientalischen Hemisphäre bezeichnet wurden.
Doch Richter entdeckt auch schon die ersten, zarten Signale für eine aufkeimende Sympathie: Thomas von Aquin spürte im Südwind den Heiligen Geist wehen, das Volk begann, schwarze Madonnen zu verehren, und der Süden wurde zur Himmelsrichtung der göttlichen Gnade, denn die drei wichtigsten Pilgerziele des Mittelalters lagen dort - Jerusalem mit dem Heiligen Grab, Rom als Mittelpunkt der Christenheit und Santiago de Compostela, die Stadt des Apostels Jakob.
Wie der Süden allmählich seinen Schrecken verlor, wie aus Furcht Verzückung und aus Abscheu Attraktion wurde, zeichnet Richter mit vielen präzisen Zitaten aus Gedichten, Briefen, Traktaten, Reiseberichten, Logund Lehrbüchern nach. Es begann damit, dass der Süden, nicht etwa der Westen, am Anfang der Neuzeit stand - die Epoche der Entdeckungen begann mit dem meridionalen Aufbruch der Portugiesen entlang der Küste Afrikas, nicht mit dem transatlantischen von Christoph Kolumbus. Dann ging auch noch das Paradies auf Wanderschaft, ebenso wie das sagenhafte Reich des Priesterkönigs Johannes. Nicht mehr im Osten, nein, im Süden vermuteten es jetzt die Menschen, weil der Osten inzwischen zu bekannt war, um Unbekanntes noch beherbergen zu können. Gleichzeitig wurde der antike Mythos von der Insel der Seligen auf die gerade entdeckten Kanaren übertragen, während Staatsutopisten wie Thomas Morus oder Francis Bacon ihre idealen Gemeinwesen auf der Südhalbkugel verorteten. Am entscheidendsten aber für die Verherrlichung des Südens waren seine neu gewonnenen erotischen Qualitäten. Er wurde zum Inbegriff des Lustgartens. In Ariosts "Rasendem Roland" findet der Ritter Ruggiero seine Ekstase mit der schönen, bösen Zauberin Alcina jenseits der Säulen des Herkules, und die allegorische Figur der Africa wurde in volkstümlichen Darstellungen gerne als splitternackte, mit gespreizten Beinen auf einem Krokodil reitende Männerverschlingerin gezeigt.
Als dann auch noch James Cook auf seiner Suche nach der Terra Australis in Tahiti selbst die kühnsten Verheißungen des Südens wahr und Fleisch geworden sah, war es um die anderen drei Himmelsrichtungen endgültig geschehen. Europa hatte das Paradies auf Erden gefunden, ein sterbensschönes Land mit freizügigen Bewohnern, eine Erde von Gottes Gnaden jenseits aller Not und Plage, die Wohnstatt des Glücks. Und Europa war elektrisiert von den Schilderungen der Libertinage. Etwa bei Louis-Antoine de Bougainville, der auf seinem Schiff Besuch von einer jungen Tahitianerin bekam: "Sie ließ ungeniert ein kleines Röckchen fallen und stand nun vor aller Augen da wie Venus, als sie sich Paris zeigte. Sie hatte einen göttlichen Körper."
Nach so viel Schwärmerei kann ein wenig Abkühlung nicht schaden, und auch dafür liefert der Süden den idealen Ort: den Südpol, mit dem Dieter Richter sein Buch enden lässt. Seit der Antike spukt er in den Köpfen der Menschen herum. "Den Südpol schauen der düstere Styx und die Geister der Tiefe", dichtete Vergil mit finsterer Miene, zu den unerforschlichen Dingen, die Gott vorbehalten seien, zählten ihn die Scholastiker. Das blieb nicht so. Im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert wurde er zur Obsession ganzer Generationen von Forschern, schon wieder zu einem Sehnsuchtsziel, um dessen Erreichen ein aberwitziges Wettrennen begann. Doch der Südpol verspottete mit seiner Unsinnlichkeit alle menschliche Sehnsucht. Robert Falcon Scott nannte ihn in seinem Tagebuch den "trostlosesten Ort dieser Welt". Es ist der einzige Flecken auf dem Planeten, an dem man nicht nach Süden blicken und sich nicht nach Süden wünschen kann. Scott hatte recht: Es ist der schlechteste aller Orte auf Erden.
Dieter Richter: "Der Süden". Geschichte einer Himmelsrichtung. Wagenbach Verlag, Berlin 2009. 218 S., geb., 24,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wo Pygmäen hausen, braune Frauen locken und Zitronen blühen: Dieter Richter hat die Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung geschrieben.
Von Jakob Strobel y Serra
Fragte man die Menschen nach ihrer Lieblingshimmelsrichtung, bekäme man zumindest nördlich der Alpen eine eindeutige Antwort: Natürlich der Süden, denn er ist viel mehr als nur ein Buchstabe auf dem Kompass. Er ist eine Idee, die tief in uns allen steckt. "Jeder wird mit seinem Süden gleich geboren", seufzte fernwehtrunken Jean Paul, und noch emphatischer als der romantische Schwärmer aus dem rauhen Ostbayern ruft es Dieter Richter aus, dem wir dieses fabelhafte Buch verdanken: "Unsere Sehnsucht aber geht in den Süden. Dorthin weist die Kompassnadel des Glücks."
Richter, der seit einem halben Menschenleben Professor für Kritische Literaturgeschichte an der Universität Bremen ist, greift mit vollen Händen in die Schatztruhe der abendländischen Literatur, Philosophie und Kunst, um die Kulturgeschichte des Südens mit all ihren Volten und Brüchen, Verdammnissen und Apotheosen zu erzählen. Er ist dabei ungeheuer belesen, aber nie belehrend, akribisch, ohne je pedantisch zu werden, unterhaltsam jenseits aller Geschwätzigkeit. Und er schafft es, auf nicht einmal zweihundert Seiten so etwas Flüchtigem, Vielschichtigem, Ungreifbarem wie einer Himmelsrichtung eine Gestalt, ein Wesen zu geben.
Seine Geschichte beginnt 600 vor Christus. Damals stachen phönizische Seefahrer im Auftrag von Pharao Necho II. am Roten Meer in See, um Afrika zu umrunden. Es war eine historische Großtat ohne Konsequenzen für die Weltgeschichte. In der Antike blieb der Süden, der im Wesentlichen identisch war mit Afrika, eine große Leere, bedrohlich und böse, bewohnt von schrecklichen Ungeheuern und kleinwüchsigen Pygmäen.
Auch das Christentum hatte keine gute Meinung vom Süden. In seiner dreigeteilten Welt hausten dort unten die Nachkommen von Noahs missratenem Sohn Ham und waren verflucht in alle Ewigkeit - alles radikale Weltvereinfachungen, die den Ursprung für den europäischen Rassismus gegenüber Afrika in sich trugen. Die Farbenlehre war von Anbeginn klar: Der Süden ist schwarz, und Schwarz ist die Farbe des Bösen, des Teufels, der Hölle. Schwarz sind die "Mohren" und "Möhrinnen", mit denen im Mittelalter nicht mehr nur die Mauren, also die Bewohner des römischen Mauretaniens, sondern alle Menschen aus der südlichen und orientalischen Hemisphäre bezeichnet wurden.
Doch Richter entdeckt auch schon die ersten, zarten Signale für eine aufkeimende Sympathie: Thomas von Aquin spürte im Südwind den Heiligen Geist wehen, das Volk begann, schwarze Madonnen zu verehren, und der Süden wurde zur Himmelsrichtung der göttlichen Gnade, denn die drei wichtigsten Pilgerziele des Mittelalters lagen dort - Jerusalem mit dem Heiligen Grab, Rom als Mittelpunkt der Christenheit und Santiago de Compostela, die Stadt des Apostels Jakob.
Wie der Süden allmählich seinen Schrecken verlor, wie aus Furcht Verzückung und aus Abscheu Attraktion wurde, zeichnet Richter mit vielen präzisen Zitaten aus Gedichten, Briefen, Traktaten, Reiseberichten, Logund Lehrbüchern nach. Es begann damit, dass der Süden, nicht etwa der Westen, am Anfang der Neuzeit stand - die Epoche der Entdeckungen begann mit dem meridionalen Aufbruch der Portugiesen entlang der Küste Afrikas, nicht mit dem transatlantischen von Christoph Kolumbus. Dann ging auch noch das Paradies auf Wanderschaft, ebenso wie das sagenhafte Reich des Priesterkönigs Johannes. Nicht mehr im Osten, nein, im Süden vermuteten es jetzt die Menschen, weil der Osten inzwischen zu bekannt war, um Unbekanntes noch beherbergen zu können. Gleichzeitig wurde der antike Mythos von der Insel der Seligen auf die gerade entdeckten Kanaren übertragen, während Staatsutopisten wie Thomas Morus oder Francis Bacon ihre idealen Gemeinwesen auf der Südhalbkugel verorteten. Am entscheidendsten aber für die Verherrlichung des Südens waren seine neu gewonnenen erotischen Qualitäten. Er wurde zum Inbegriff des Lustgartens. In Ariosts "Rasendem Roland" findet der Ritter Ruggiero seine Ekstase mit der schönen, bösen Zauberin Alcina jenseits der Säulen des Herkules, und die allegorische Figur der Africa wurde in volkstümlichen Darstellungen gerne als splitternackte, mit gespreizten Beinen auf einem Krokodil reitende Männerverschlingerin gezeigt.
Als dann auch noch James Cook auf seiner Suche nach der Terra Australis in Tahiti selbst die kühnsten Verheißungen des Südens wahr und Fleisch geworden sah, war es um die anderen drei Himmelsrichtungen endgültig geschehen. Europa hatte das Paradies auf Erden gefunden, ein sterbensschönes Land mit freizügigen Bewohnern, eine Erde von Gottes Gnaden jenseits aller Not und Plage, die Wohnstatt des Glücks. Und Europa war elektrisiert von den Schilderungen der Libertinage. Etwa bei Louis-Antoine de Bougainville, der auf seinem Schiff Besuch von einer jungen Tahitianerin bekam: "Sie ließ ungeniert ein kleines Röckchen fallen und stand nun vor aller Augen da wie Venus, als sie sich Paris zeigte. Sie hatte einen göttlichen Körper."
Nach so viel Schwärmerei kann ein wenig Abkühlung nicht schaden, und auch dafür liefert der Süden den idealen Ort: den Südpol, mit dem Dieter Richter sein Buch enden lässt. Seit der Antike spukt er in den Köpfen der Menschen herum. "Den Südpol schauen der düstere Styx und die Geister der Tiefe", dichtete Vergil mit finsterer Miene, zu den unerforschlichen Dingen, die Gott vorbehalten seien, zählten ihn die Scholastiker. Das blieb nicht so. Im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert wurde er zur Obsession ganzer Generationen von Forschern, schon wieder zu einem Sehnsuchtsziel, um dessen Erreichen ein aberwitziges Wettrennen begann. Doch der Südpol verspottete mit seiner Unsinnlichkeit alle menschliche Sehnsucht. Robert Falcon Scott nannte ihn in seinem Tagebuch den "trostlosesten Ort dieser Welt". Es ist der einzige Flecken auf dem Planeten, an dem man nicht nach Süden blicken und sich nicht nach Süden wünschen kann. Scott hatte recht: Es ist der schlechteste aller Orte auf Erden.
Dieter Richter: "Der Süden". Geschichte einer Himmelsrichtung. Wagenbach Verlag, Berlin 2009. 218 S., geb., 24,90 [Euro]
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