Neuübersetzung
Ein amerikanisches Epos, das seinesgleichen sucht - eine hymnische Daseinsfeier und das faszinierende Bekenntnis einer überschwänglichen, allumspannenden Künstlerseele. Thomas Wolfes «Von Zeit und Fluss» ist ein Herzensbuch für alle Suchenden und Sehnenden, ob jung oder alt, eine Meditation über die Geschicke des Menschenlebens - über Bestand und Unbestand, Endlichkeit und Dauer.
Eugene, lebenshungrig und unerfahren, ist auf der Suche nach sich selbst, nach seinem Bestimmungsort in der Welt. In Harvard und im New York der Zwanzigerjahre sammelt er erste Erfahrungen, lernt zu lieben, zu erkennen, zu denken, sich von falschen Vorbildern loszusagen und sich dabei selbst treu zu bleiben. Bloß keine Erstarrung in Routinen - alles in seiner reifenden Seele ist noch im Werden, in permanenter Umgestaltung. Der Held macht sich auf nach Paris, doch auch an diesem Sehnsuchtsort lässt ihn sein abenteuerliches Herz keine Ruhe finden. Was Eugene antreibt und was ersich über alle Wechselfälle des Lebens hinweg erhält, ist der Hunger nach Erkenntnis und sinnlichem Genuss. So folgen aus seiner Selbstsuche philosophisch und spirituell höchst anregende Refl exionen über das menschliche Dasein - über Sein und Werden, Zeit und Fluss.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ein amerikanisches Epos, das seinesgleichen sucht - eine hymnische Daseinsfeier und das faszinierende Bekenntnis einer überschwänglichen, allumspannenden Künstlerseele. Thomas Wolfes «Von Zeit und Fluss» ist ein Herzensbuch für alle Suchenden und Sehnenden, ob jung oder alt, eine Meditation über die Geschicke des Menschenlebens - über Bestand und Unbestand, Endlichkeit und Dauer.
Eugene, lebenshungrig und unerfahren, ist auf der Suche nach sich selbst, nach seinem Bestimmungsort in der Welt. In Harvard und im New York der Zwanzigerjahre sammelt er erste Erfahrungen, lernt zu lieben, zu erkennen, zu denken, sich von falschen Vorbildern loszusagen und sich dabei selbst treu zu bleiben. Bloß keine Erstarrung in Routinen - alles in seiner reifenden Seele ist noch im Werden, in permanenter Umgestaltung. Der Held macht sich auf nach Paris, doch auch an diesem Sehnsuchtsort lässt ihn sein abenteuerliches Herz keine Ruhe finden. Was Eugene antreibt und was ersich über alle Wechselfälle des Lebens hinweg erhält, ist der Hunger nach Erkenntnis und sinnlichem Genuss. So folgen aus seiner Selbstsuche philosophisch und spirituell höchst anregende Refl exionen über das menschliche Dasein - über Sein und Werden, Zeit und Fluss.
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Für die Überfahrt
gemacht
„Von Zeit und Fluss“ – Thomas Wolfes großer
Roman über einen aufstrebenden Schriftsteller
VON MEIKE FESSMANN
Was für eine Fülle, was für eine Kraft, was für ein Überschwang! Wie ein breiter Fluss zieht dieser Roman seine Bahn. Er sammelt Episoden und Ereignisse ein, lässt die Zeit fließen, ruhig, gelassen, stark, um sie dann ganz plötzlich zu stauen. Man gleitet dahin, surft wie auf riesigen Wellen, wird von einem irren Schwung mitgenommen, obwohl dieser Roman alles andere als gefällig ist. Spürbar bleibt der Kampf mit dem in vielerlei Hinsicht autobiografischen Stoff, Thomas Wolfes Neigung zum Ausufern, die schwierige Arbeit des Eindämmens. Doch eben diese Gegenläufigkeit der beiden Bewegungen versteht er auszunutzen und formt daraus seinen eigenen Stil. Dabei bildet der Erzählfluss immer wieder furiose Strudel, die Themen schillern in allen Facetten – beinahe magisch, als stünde die Zeit für einen Augenblick einfach still.
„Of Time and the River“, 1935 im amerikanischen Original erschienen, ist ein epischer Gesang mit starken Wiederholungsmustern. Er feiert die Weite Amerikas und glorifiziert auf betörende Weise die Zeit der Jugend. Die Welt scheint nur darauf zu warten, erobert zu werden.
Abermals ist der Held Eugene Gant. Nur ist er mittlerweile ein wenig älter als in „Schau heimwärts, Engel“ (1929, deutsche Neuausgabe 2009), dem Roman der Kindheit und frühen Jugend, mit dem Irma Wehrli ihre formidable Neuübersetzung begann. Zu Wolfes Lebzeiten sind nur diese beiden, von seinem Lektor Max Perkins mit geduldiger Strenge bearbeiteten Romane erschienen. „Die Party bei den Jacks“, den Susanne Höbel 2011 ebenfalls für Manesse übersetzte, wurde aus dem Nachlass ediert.
Wie sein Autor ist auch Eugene das achte Kind eines Steinmetzes, eines einstmals starken Mannes mit kräftigen Händen, der zu Beginn des Romans krebskrank vor sich hin vegetiert und bald elend stirbt. Eugene, auf dem die Hoffnungen seiner Mutter ruhen, verlässt Altamont, wie Wolfe seinen Heimatort in der Fiktion nennt, und macht sich auf in die Welt. Er studiert in Harvard, besucht an den Wochenenden seinen Onkel in Boston, unterrichtet nach einer gescheiterten Karriere als Dramatiker amerikanische Literatur an der New York University und geht mit dreiundzwanzig Jahren nach Europa.
Mit faustischen Motiven unterlegt, erzählt Thomas Wolfe die Bildungsgeschichte eines Amerikaners aus einfachen Verhältnissen. Doch die Wucht seines Schreibens ist so außerordentlich, dass man ihn mit Recht den „amerikanischen Homer“ genannt hat. Alles, was Eugene geschieht, verdichtet sich zu Bildern von zeitloser Gültigkeit. In Kaskaden eng miteinander verwandter Adjektive und Substantive werden sie so gestaltet, dass sich das Leben selbst darin zu verfangen scheint. „Von Zeit und Fluss“, in den Dreißigerjahren von Hans Schiebelhuth unter dem Titel „Von Zeit und Strom“ mit starken kompositorischen Eingriffen schon einmal ins Deutsche übertragen, schildert nicht einfach Stationen eines Lebenswegs. Der Roman entwirft Archetypen existenzieller Situationen, die sich wie Traumbilder einprägen.
Etwa wenn Eugene seinen Vater im Krankenhaus besucht und dabei die verschiedenen Ausprägungen des Greisentums in Augenschein nimmt. Nackte Wut und flammender Zorn gehen mit einer von jeder Sentimentalität gereinigten Sensibilität einher: „Ihr Lächeln und ihre Blicke waren rührend in ihrer Anmutung kindlichen Vertrauens, wachsender Hoffnung, staunender Ungläubigkeit, aber es lag auch etwas Schändliches darin. An diesem matten Greisenlächeln war etwas Genügsames und Impotentes, als hätte man sie im Krankenhaus kurzerhand kastriert und sie ihrer Männlichkeit beraubt. Und aus irgendeinem Grund erwachte davon ein würgender Zorn und Groll gegen jene Macht im Leben, die diese alten Männer verraten und sie entmannt hatte – etwas unsäglich Unbarmherziges, Grausames und Rohes auf der Welt, das diese alten nutzlosen Kapaune auf dem Gewissen hatte.“
Genauigkeit im Detail und eine alle Windungen der Vorstellungskraft ausnutzende Anschaulichkeit gehen mit einer begnadeten Reflexionsgabe einher, die niemals etwas Belehrendes hat. Sie ist ganz in den Beobachtungen und Dialogen verborgen. Dort pulst sie wie ein unerschöpfliches Kraftzentrum. Es sind vor allem die Zugfahrten, überhaupt die räumlichen Bewegungen, die dem Roman seine bewegliche Form verleihen. Da ist nicht nur die zwanzigstündige Reise durch Virginia, die der Held zwischen seinem Heimatort und der Ostküste gleich mehrmals unternimmt. Da sind auch die nächtlichen Zugfahrten, auf die er sich von New York aus begibt, um geborgen in seiner Koje liegend Eindrücke zu sammeln. Mal hört er Männern zu, die sich in seinem Abteil über die Wahl des neuen Präsidenten unterhalten, über Korn- und Immobilienpreise. Mal blickt er des Nachts aus dem Fenster und sieht einen jungen Mann, der auf dem Bahnsteig raucht: Der gibt sich cool – aber der Beobachter erkennt genau, dass es der Junge auf die Prostituierte abgesehen hat, die er nicht anzusprechen wagt; und schon hat er seine Chance verspielt, ein älterer Mann kommt ihm zuvor.
Eugene will Schriftsteller werden, alles in ihm giert nach Ruhm, Reichtum und Erfolg. Als er in eine aristokratische Villa hoch über dem Hudson eingeladen wird, die ihm im Mondlicht seiner nächtlichen Zugfahrten aus der Ferne wie eine Phantasmagorie erschien, findet er dort alles, was das Leben angenehm macht: noble Räume, distinguierte Gesellschaft, eine bezaubernde junge Frau, die bekundet, überall auf der Welt glücklich sein zu können. Doch bald zerlegt sein unbestechlicher Verstand das Traumbild in seine Einzelteile. Er stellt sich all die namenlosen Männer vor, die in mühseliger Arbeit das Anwesen erbaut haben. Und er beobachtet den zähen Kampf der Hausherrin gegen das Altern. Sie spielt Golf, hält Diät, treibt Yoga und interessiert sich für Buddhismus.
Es ist famos, wie dieser in den Zwanzigerjahren spielende Roman nicht nur seine eigene Zeit erfasst, sondern schon die Vorzeichen kommenden Unheils erkennt. Diese Frau könnte von heute sein. So wie das „Arbeits- und Lebensprogramm“, das sich Eugene auferlegt und in zahlreichen Skizzen und Plänen notiert, schon der Vorschein einer Lebensform ist, die in der Quantified-Self-Bewegung der Gegenwart ihren vorläufigen Höhepunkt findet.
Die Reise nach Europa im letzten Drittel ist auch eine Überprüfung des eigenen Bildungsstrebens. Im Lande Shakespeares, den er wie einen Gott verehrt, ist alles abstoßend. Selbst die Sprache kommt ihm fremd und schauderhaft gestelzt vor. Das englische Essen kann Wolfe auf eine Weise beschreiben, dass der Ekel förmlich körperlich wird, etwa beim „nebligen“ Geschmack von Rosenkohl.
Erst in Frankreich kommen feinsinnigere Genüsse wieder zum Zug. Die Zwanzigerjahre in Paris erfüllen das Bild, das man von ihnen hat: Wohnen in Hotels, mittägliches Ausgehen zum Kaffeetrinken, nächtliches Feiern in den Bars, Schlägereien mit dubiosen Gestalten, schnelle Autofahrten durchs Land. Mit zwei Frauen aus Boston und seinem alten Freund Frank Starwick, einst Assistent seines Professors in Harvard, schlägt er sich die Nächte um die Ohren und muss sich eines Tages die Leviten lesen lassen. Frank, der immer mehr zu seinem Konkurrenten wird, macht sich lustig über seine Wissbegier. Wie viele Bücher er noch lesen wolle, wie viele Städte, Kirchen, Museen besichtigen? Vor lauter Wissensdrang verpasse er das Leben. Dieses Gespräch – und ein imaginäres mit den in der Bibliothek der Hudson-Villa vor sich hinschlummernden Büchern – sind Glanzpunkte des Romans. Selten werden Sinn und Zweck von Ruhm und Literatur so sprachmächtig in Frage gestellt.
Alle Jugend wird „unweigerlich ,vergeudet‘“ , ist etwas, „was nur die Jungen haben und womit nur die Alten umgehen können“: So lautet die nüchterne Quintessenz dieses die Jugend so kraftvoll verherrlichenden Romans. Am Quai von Marseille trifft Eugenes Blick auf den einer schönen Frau. Er weiß sofort, dass er von nun an „am Dorn der Liebe zappeln“ wird. „Die einsame, wilde Unabhängigkeit“ ist vorüber. Der Ozeandampfer, der auf sie wartet, ist wie die meisten Schiffe von Europäern gebaut. Ohne Amerika heißt es, entbehrten die Ozeanriesen „jeglichen Sinns“. Sie sind für die Überfahrt gemacht, für die große Sehnsucht nach dem Aufbruch.
Der Roman gleicht einem Ozeandampfer, mit dem man imaginär den Globus bereisen kann. Seine „Sechstagewelt“ versammelt alles, was das Menschenschicksal hergibt. Das kraftvolle Deutsch Irma Wehrlis fängt die einzigartige Stimmung dieses Epos kongenial ein. Ihm gebührt ein Ehrenplatz in der Bibliothek der Moderne – jederzeit von jenen Lesern zum Leben erweckbar, die „mit der agilen Stille aller Dinge, die für die Bewegung gemacht sind“, etwas anfangen können.
Thomas Wolfe: Von Zeit und Fluss. Legende vom Hunger des Menschen in seiner Jugend. Roman. Aus dem Englischen übersetzt und umfassend kommentiert von Irma Wehrli. Nachwort von Michael Köhlmeier. Manesse Verlag, München 2014. 1195 Seiten, 39,95 Euro. E-Book 32,99 Euro.
Nächtliche Zugfahrten von New
York aus, um geborgen in seiner
Koje Eindrücke zu sammeln
Die Übersetzerin Irma Wehrli
hat dieses Epos in ein kongenial
kraftvolles Deutsch gebracht
Thomas Wolfe, geboren 1900, gestorben 1938 an Tuberkulose. Man nannte ihn den Homer Amerikas. 1935 zählte er zu den „twelve outstanding young men of America“.
Foto: Bettmann/CORBIS
Ohne Amerika wären die Ozeanriesen sinnlos: Plakat der Red Star Line.
Foto: National Railway Museum/SSPL/SZ Photo
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gemacht
„Von Zeit und Fluss“ – Thomas Wolfes großer
Roman über einen aufstrebenden Schriftsteller
VON MEIKE FESSMANN
Was für eine Fülle, was für eine Kraft, was für ein Überschwang! Wie ein breiter Fluss zieht dieser Roman seine Bahn. Er sammelt Episoden und Ereignisse ein, lässt die Zeit fließen, ruhig, gelassen, stark, um sie dann ganz plötzlich zu stauen. Man gleitet dahin, surft wie auf riesigen Wellen, wird von einem irren Schwung mitgenommen, obwohl dieser Roman alles andere als gefällig ist. Spürbar bleibt der Kampf mit dem in vielerlei Hinsicht autobiografischen Stoff, Thomas Wolfes Neigung zum Ausufern, die schwierige Arbeit des Eindämmens. Doch eben diese Gegenläufigkeit der beiden Bewegungen versteht er auszunutzen und formt daraus seinen eigenen Stil. Dabei bildet der Erzählfluss immer wieder furiose Strudel, die Themen schillern in allen Facetten – beinahe magisch, als stünde die Zeit für einen Augenblick einfach still.
„Of Time and the River“, 1935 im amerikanischen Original erschienen, ist ein epischer Gesang mit starken Wiederholungsmustern. Er feiert die Weite Amerikas und glorifiziert auf betörende Weise die Zeit der Jugend. Die Welt scheint nur darauf zu warten, erobert zu werden.
Abermals ist der Held Eugene Gant. Nur ist er mittlerweile ein wenig älter als in „Schau heimwärts, Engel“ (1929, deutsche Neuausgabe 2009), dem Roman der Kindheit und frühen Jugend, mit dem Irma Wehrli ihre formidable Neuübersetzung begann. Zu Wolfes Lebzeiten sind nur diese beiden, von seinem Lektor Max Perkins mit geduldiger Strenge bearbeiteten Romane erschienen. „Die Party bei den Jacks“, den Susanne Höbel 2011 ebenfalls für Manesse übersetzte, wurde aus dem Nachlass ediert.
Wie sein Autor ist auch Eugene das achte Kind eines Steinmetzes, eines einstmals starken Mannes mit kräftigen Händen, der zu Beginn des Romans krebskrank vor sich hin vegetiert und bald elend stirbt. Eugene, auf dem die Hoffnungen seiner Mutter ruhen, verlässt Altamont, wie Wolfe seinen Heimatort in der Fiktion nennt, und macht sich auf in die Welt. Er studiert in Harvard, besucht an den Wochenenden seinen Onkel in Boston, unterrichtet nach einer gescheiterten Karriere als Dramatiker amerikanische Literatur an der New York University und geht mit dreiundzwanzig Jahren nach Europa.
Mit faustischen Motiven unterlegt, erzählt Thomas Wolfe die Bildungsgeschichte eines Amerikaners aus einfachen Verhältnissen. Doch die Wucht seines Schreibens ist so außerordentlich, dass man ihn mit Recht den „amerikanischen Homer“ genannt hat. Alles, was Eugene geschieht, verdichtet sich zu Bildern von zeitloser Gültigkeit. In Kaskaden eng miteinander verwandter Adjektive und Substantive werden sie so gestaltet, dass sich das Leben selbst darin zu verfangen scheint. „Von Zeit und Fluss“, in den Dreißigerjahren von Hans Schiebelhuth unter dem Titel „Von Zeit und Strom“ mit starken kompositorischen Eingriffen schon einmal ins Deutsche übertragen, schildert nicht einfach Stationen eines Lebenswegs. Der Roman entwirft Archetypen existenzieller Situationen, die sich wie Traumbilder einprägen.
Etwa wenn Eugene seinen Vater im Krankenhaus besucht und dabei die verschiedenen Ausprägungen des Greisentums in Augenschein nimmt. Nackte Wut und flammender Zorn gehen mit einer von jeder Sentimentalität gereinigten Sensibilität einher: „Ihr Lächeln und ihre Blicke waren rührend in ihrer Anmutung kindlichen Vertrauens, wachsender Hoffnung, staunender Ungläubigkeit, aber es lag auch etwas Schändliches darin. An diesem matten Greisenlächeln war etwas Genügsames und Impotentes, als hätte man sie im Krankenhaus kurzerhand kastriert und sie ihrer Männlichkeit beraubt. Und aus irgendeinem Grund erwachte davon ein würgender Zorn und Groll gegen jene Macht im Leben, die diese alten Männer verraten und sie entmannt hatte – etwas unsäglich Unbarmherziges, Grausames und Rohes auf der Welt, das diese alten nutzlosen Kapaune auf dem Gewissen hatte.“
Genauigkeit im Detail und eine alle Windungen der Vorstellungskraft ausnutzende Anschaulichkeit gehen mit einer begnadeten Reflexionsgabe einher, die niemals etwas Belehrendes hat. Sie ist ganz in den Beobachtungen und Dialogen verborgen. Dort pulst sie wie ein unerschöpfliches Kraftzentrum. Es sind vor allem die Zugfahrten, überhaupt die räumlichen Bewegungen, die dem Roman seine bewegliche Form verleihen. Da ist nicht nur die zwanzigstündige Reise durch Virginia, die der Held zwischen seinem Heimatort und der Ostküste gleich mehrmals unternimmt. Da sind auch die nächtlichen Zugfahrten, auf die er sich von New York aus begibt, um geborgen in seiner Koje liegend Eindrücke zu sammeln. Mal hört er Männern zu, die sich in seinem Abteil über die Wahl des neuen Präsidenten unterhalten, über Korn- und Immobilienpreise. Mal blickt er des Nachts aus dem Fenster und sieht einen jungen Mann, der auf dem Bahnsteig raucht: Der gibt sich cool – aber der Beobachter erkennt genau, dass es der Junge auf die Prostituierte abgesehen hat, die er nicht anzusprechen wagt; und schon hat er seine Chance verspielt, ein älterer Mann kommt ihm zuvor.
Eugene will Schriftsteller werden, alles in ihm giert nach Ruhm, Reichtum und Erfolg. Als er in eine aristokratische Villa hoch über dem Hudson eingeladen wird, die ihm im Mondlicht seiner nächtlichen Zugfahrten aus der Ferne wie eine Phantasmagorie erschien, findet er dort alles, was das Leben angenehm macht: noble Räume, distinguierte Gesellschaft, eine bezaubernde junge Frau, die bekundet, überall auf der Welt glücklich sein zu können. Doch bald zerlegt sein unbestechlicher Verstand das Traumbild in seine Einzelteile. Er stellt sich all die namenlosen Männer vor, die in mühseliger Arbeit das Anwesen erbaut haben. Und er beobachtet den zähen Kampf der Hausherrin gegen das Altern. Sie spielt Golf, hält Diät, treibt Yoga und interessiert sich für Buddhismus.
Es ist famos, wie dieser in den Zwanzigerjahren spielende Roman nicht nur seine eigene Zeit erfasst, sondern schon die Vorzeichen kommenden Unheils erkennt. Diese Frau könnte von heute sein. So wie das „Arbeits- und Lebensprogramm“, das sich Eugene auferlegt und in zahlreichen Skizzen und Plänen notiert, schon der Vorschein einer Lebensform ist, die in der Quantified-Self-Bewegung der Gegenwart ihren vorläufigen Höhepunkt findet.
Die Reise nach Europa im letzten Drittel ist auch eine Überprüfung des eigenen Bildungsstrebens. Im Lande Shakespeares, den er wie einen Gott verehrt, ist alles abstoßend. Selbst die Sprache kommt ihm fremd und schauderhaft gestelzt vor. Das englische Essen kann Wolfe auf eine Weise beschreiben, dass der Ekel förmlich körperlich wird, etwa beim „nebligen“ Geschmack von Rosenkohl.
Erst in Frankreich kommen feinsinnigere Genüsse wieder zum Zug. Die Zwanzigerjahre in Paris erfüllen das Bild, das man von ihnen hat: Wohnen in Hotels, mittägliches Ausgehen zum Kaffeetrinken, nächtliches Feiern in den Bars, Schlägereien mit dubiosen Gestalten, schnelle Autofahrten durchs Land. Mit zwei Frauen aus Boston und seinem alten Freund Frank Starwick, einst Assistent seines Professors in Harvard, schlägt er sich die Nächte um die Ohren und muss sich eines Tages die Leviten lesen lassen. Frank, der immer mehr zu seinem Konkurrenten wird, macht sich lustig über seine Wissbegier. Wie viele Bücher er noch lesen wolle, wie viele Städte, Kirchen, Museen besichtigen? Vor lauter Wissensdrang verpasse er das Leben. Dieses Gespräch – und ein imaginäres mit den in der Bibliothek der Hudson-Villa vor sich hinschlummernden Büchern – sind Glanzpunkte des Romans. Selten werden Sinn und Zweck von Ruhm und Literatur so sprachmächtig in Frage gestellt.
Alle Jugend wird „unweigerlich ,vergeudet‘“ , ist etwas, „was nur die Jungen haben und womit nur die Alten umgehen können“: So lautet die nüchterne Quintessenz dieses die Jugend so kraftvoll verherrlichenden Romans. Am Quai von Marseille trifft Eugenes Blick auf den einer schönen Frau. Er weiß sofort, dass er von nun an „am Dorn der Liebe zappeln“ wird. „Die einsame, wilde Unabhängigkeit“ ist vorüber. Der Ozeandampfer, der auf sie wartet, ist wie die meisten Schiffe von Europäern gebaut. Ohne Amerika heißt es, entbehrten die Ozeanriesen „jeglichen Sinns“. Sie sind für die Überfahrt gemacht, für die große Sehnsucht nach dem Aufbruch.
Der Roman gleicht einem Ozeandampfer, mit dem man imaginär den Globus bereisen kann. Seine „Sechstagewelt“ versammelt alles, was das Menschenschicksal hergibt. Das kraftvolle Deutsch Irma Wehrlis fängt die einzigartige Stimmung dieses Epos kongenial ein. Ihm gebührt ein Ehrenplatz in der Bibliothek der Moderne – jederzeit von jenen Lesern zum Leben erweckbar, die „mit der agilen Stille aller Dinge, die für die Bewegung gemacht sind“, etwas anfangen können.
Thomas Wolfe: Von Zeit und Fluss. Legende vom Hunger des Menschen in seiner Jugend. Roman. Aus dem Englischen übersetzt und umfassend kommentiert von Irma Wehrli. Nachwort von Michael Köhlmeier. Manesse Verlag, München 2014. 1195 Seiten, 39,95 Euro. E-Book 32,99 Euro.
Nächtliche Zugfahrten von New
York aus, um geborgen in seiner
Koje Eindrücke zu sammeln
Die Übersetzerin Irma Wehrli
hat dieses Epos in ein kongenial
kraftvolles Deutsch gebracht
Thomas Wolfe, geboren 1900, gestorben 1938 an Tuberkulose. Man nannte ihn den Homer Amerikas. 1935 zählte er zu den „twelve outstanding young men of America“.
Foto: Bettmann/CORBIS
Ohne Amerika wären die Ozeanriesen sinnlos: Plakat der Red Star Line.
Foto: National Railway Museum/SSPL/SZ Photo
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»Ein wuchtiges Werk... Der Übersetzerin Irma Wehrli gelingt es eindrucksvoll, das ganz eigene Pathos und den vibrierenden existenziellen Druck auch auf Deutsch zu vermitteln.« Maike Albath, Deutschlandradio Kultur