Was es jenseits von Zombies, blutigen Tieropfern und frenetischen Trommelrhythmen mit dem Voodoo und anderen afro-amerikanischen Religionen wie Santeria, Candomble und Umbanda auf sich hat, zeigt dieser Band. Er beschreibt die Ursprünge dieser Religionen in der Zeit des Sklavenhandels, erläutert die verschiedenen Götter, Weltbilder und Rituale und läßt ihre ungebrochene Vitalität in der Gegenwart verstehen.
Astrid Reuters Reisen zu den Göttern des Black Atlantic
„Um Allerheiligen, dem traditionellen Totengedenktag Anfang November, ziehen Scharen von Gede-Geistern durch Port-au-Prince: Mit weiß gepuderten Gesichtern, in schwarzen Fracks oder Gewändern, mit Zylindern oder Melonen und Sonnenbrillen, manche mit Särgen auf den Schultern, andere lächerlich geschmückt mit Schnullern und Babyrasseln, hölzernen Phalli oder Spazierstöcken mit Griffen in Penis-Form.”
Zugleich Leiche und Kleinkind, Gebieter über den Tod, die Sexualität und den Humor, ist Gede in seinen sinistren und lächerlichen Gestalten nur einer aus dem Pantheon des haitianischen Voodoo, das Astrid Reuter in einem kurzen und bündigen Abriss präsentiert.
Ausgangspunkt des Buches sind die Routen des transatlantischen Sklavenhandels. Reuter geht es um die historische Dynamik und die kaleidoskopische Vergleichbarkeit der drei Schwesterreligionen Voodoo (Haiti), Santeria (Kuba) und Candomblé (Brasilien). Aber auch die von der Forschung oft als verwahrlost abgestrafte Enkelin des Candomblé, das uneheliche Kind des französischen Spiritisten Allan Kardec, kommt zu ihrem Recht: die Umbanda.
Ein derartig glasklarer Vergleich der afroamerikanischen Religionen führt um so schneller in das verwirrende Patchwork der lokalen Abwandlungen. Es handelt sich um eine Form der Religion, die von Anfang an als Kreolisierung von Verkehrssprachen geschaffen wurde, um eine Kondensation oft unrekonstruierbarer afrikanischer Vorlagen mithilfe der Lebenskunst des iberischen Katholizismus. Nicht umsonst nennt Reuter die Priesterinnen des Candomblé „Trümmerfrauen”, die ihre weibliche Dominanz auf den Überresten der verlorenen afrikanischen Lebenswelten errichtet haben.
Ein aktueller Epilog berichtet, wie seit dem kubanischen Exil aus Santeria eine große Religion der USA und des Internet geworden ist. Die Reisen und Verwandlungen der Götter des „Black Atlantic” gehen weiter.
ERHARD SCHÜTTPELZ
ASTRID REUTER: Voodoo und andere afroamerikanische Religionen, München: C. H. Beck, München 2003. 127 Seiten, 7,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Rezensent Erhard Schüttpelz hat nur Gutes zu berichten über Astrid Reuters Studie, die der "historischen Dynamik und der kaleidoskopischen Vergleichbarkeit" der drei afroamerikanischen "Schwesterreligionen" Voodoo, Santeria und Candomble gewidmet ist. Als Ausgangspunkt zu ihrem "kurzen und bündigen Abriss" dienen ihr dabei die "Routen des transatlantischen Sklavenhandels". Gerade Reuters "glasklarer" Vergleich, lobt Schüttpelz, macht deutlich, wie trügerisch die grobe Unterteilung in drei Religionen sich ausnimmt und wie "verwirrend" vielfältig deren "lokale Abwandlungen" sind. Im "aktuellen Epilog", so der Rezensent abschließend, geht Reuter auf die Auswirkungen des kubanischen Exils auf die weitere Ausbreitung von Santeria ein, und zeigt damit auf, dass die religiösen Verwicklungen und "Verwandlungen" weitergehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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