Mit der Schuldenkrise in der Euro-Zone dämmert die Erkenntnis, dass nicht nur Staaten der "Dritten Welt" pleite gehen können. Es wird sogar die Frage laut: Ist auch die Bundesrepublik auf dem Weg in den Staatsbankrott, der Deutschland 1923 und 1948 gleich zweimal ereilte? Dieser Band zeichnet den Weg der Bundesrepublik in den Schuldenstaat nach. Die problematischen Erfahrungen mit der Konjunkturpolitik der 1970er Jahre, der kostspielige Ausbau des Wohlfahrtsstaats und die schuldenfinanzierte Wiederherstellung der deutschen Einheit werden dabei ebenso thematisiert wie Fehlentwicklungen im Steuerrecht und in der föderalen Finanzverfassung. Vor diesem Hintergrund erlangt die Zeitgeschichte der Finanzpolitik eine beklemmende Aktualität.
Marc Hansmann, geboren 1970, ist Stadtkämmerer der Landeshauptstadt Hannover und Lehrbeauftragter am Institut für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover.
Marc Hansmann, geboren 1970, ist Stadtkämmerer der Landeshauptstadt Hannover und Lehrbeauftragter am Institut für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Klare Empfehlung für dieses Buch vom Rezensenten Gustav Seibt. Er freut sich über eine ebenso unparteiische wie abseits der Tagespresse manövrierende Darstellung des deutschen Schuldenstaates aus historischer wie internationaler Sicht. Die Faktenfülle des vom Münchner Institut für Zeitgeschichte herausgegebenen und von Marc Hansmann sowohl wissenschaftlich als auch praktisch orientiert verfassten Bandes überwältigt Seibt. Die Nüchternheit des Autors bei der Beschreibung des deutschen Wegs vom Militär- zum Sozialstaat wiederum kühlt das Befinden des Rezensenten angenehm herunter. Muss sie auch, denn die mit Grafiken illustrierten Befunde sind niederschmetternd, stöhnt Seibt. Das Schuldenmachen geht längst auf Kosten der nächsten Generationen, die deutschen Finanzminister kommen bei Hansmann nicht gut weg und als Lösung empfiehlt der Autor Staatsinsolvenz und Inflation.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2012Warum gibt es Staatsschulden?
Die Schuldenbremse reicht womöglich gar nicht aus
Der Bund will ab dem Jahr 2016 keine Schulden mehr machen. Aber solche Voraussagen hat man schon des Öfteren von Wolfgang Schäuble und seinen Vorgängern gehört. Immer kam etwas dazwischen. Auch sein Kollege Jean-Claude Juncker, weiterhin Chef der Euro-Gruppe, ist zu Hause kein Waisenknabe: Addiert man explizite und implizite Staatsverschuldung zusammen, sieht es in Luxemburg ganz düster aus. Die Nachhaltigkeitslücke ist um ein Vielfaches höher als in Deutschland oder Südeuropa.
Entsprechende Berechnungen von Freiburger Finanzwissenschaftlern im Auftrag der "Stiftung Marktwirtschaft" haben für Unruhe im Land zwischen Echternach und Esch-Alzette geführt. Die größte Tageszeitung, das "Luxemburger Wort", hält die Zahlen regelmäßig Gewerkschaften und Regierung vor.
Man kann weder Juncker noch den deutschen Finanzministern der letzten Zeit - Schäuble, Peer Steinbrück, Hans Eichel - unterstellen, dass sie mehr auf ihre Wiederwahl als auf das Gemeinwohl bedacht waren. Zwar meinen manche Ökonomen, dass sich Politiker rational verhalten, wenn sie neue Leistungen versprechen und durch Staatsverschuldung finanzieren. "Diese Praxis ist jedoch, gesamtwirtschaftlich betrachtet, irrational", meint Christoph Ryczewski in seiner Untersuchung über die neue Schuldenbremse. Lässt sich der Wähler so schnell hinters Licht führen?
Marc Hansmann kennt als Stadtkämmerer von Hannover viele Entscheidungsträger und kritisiert das ökonomische Bild als zu eindimensional: "Die meisten Politiker besitzen zumindest zu Beginn ihrer Karriere einen hohen Gestaltungswillen und ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein." Der Autor fügt aber sofort einschränkend an: "Allerdings dürfte diese Erkenntnis aus finanzpolitischer Sicht sogar noch beunruhigender sein. Überzeugte Fachpolitiker sehen den Haushalt ausschließlich als Mittel zum Zweck. Es geht ihnen um die Deckung des Bedarfs, der bei öffentlichen Gütern tendenziell gegen unendlich tendiert." Es gilt also die Unterscheidung zwischen "Finanzpolitikern" und "Fachpolitikern". Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee hat für Letztere den Begriff der "Süchtigen" geprägt. Notwendig ist eine Entziehungskur.
Hiervon ist jedoch in den neuen Koalitionsvereinbarungen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - zwei Länder, die besonders gerne fiskalpolitisch sündigen - nicht viel zu sehen. Hansmann weist darauf hin, dass die Verschuldung an Rhein und Ruhr zwischen 1980 und 2010 von 15 Milliarden auf mindestens 128 Milliarden Euro gestiegen ist. Besser sieht es in Bayern aus. "Dieses Ergebnis lässt sich nicht einfach, wie auf den ersten Blick naheliegend, mit der höheren Wirtschaftskraft erklären. Schließlich zählte auch Bayern von 1959 bis 1986 zu den Nehmerländern im Bundesfinanzausgleich", meint Ryczewski. Betrachtet man die politische Landschaft, so lässt sich feststellen, dass immer die gleiche Partei an der Regierung beteiligt war. "In dieser Konstellation zahlt es sich aus, Entscheidungen zu treffen, die langfristig eine positive Wirkung zeitigen - es ergibt sich ein längerfristiger politischer Zeithorizont." Das mag ebenso für Sachsen gelten.
Doch auch Mecklenburg-Vorpommern, mit wechselnden Regierungen, hat sich erfolgreich aus der Schuldenspirale befreit. Es geht also! In Schwerin werden politische Ziele priorisiert. Der Bund schafft das nicht. "Wenn die Kanzlerin den Ausbau der Kleinkinderbetreuung als zentrales Ziel definiert, heißt das dann, dass andere Ziele und Maßnahmen nicht verfolgt werden?", fragt Hansmann: "Keine deutsche Regierung hat bisher eindeutige politische Prioritäten in Form eines verbindlichen und ressortübergreifenden Programms aufgestellt. Bewusst vage gehaltene Ziele erleichtern das politische Geschäft der Mehrheitssuche erheblich und verhindern, dass die Verantwortlichen angegriffen werden können."
Die neue Schuldenbremse, die Ryczewski trotz kleinerer Fehler für gelungen hält, wird den Politikern alsbald Fesseln anlegen. Doch Hintertüren bleiben offen. Daher werde es eines Tages wohl unvermeidlich sein, parallel zu Neuverschuldungen einen Zuschlag auf die Einkommensteuer zu erheben. So spüre der Bürger die Folgen politischer Geschenke unmittelbar, hofft Ryczewski. Auch Hansmann nimmt die Einkommensteuer in den Fokus und fordert ein Zuschlagserhebungsrecht der Bundesländer. Die Umstände müssten es Politikern einfach genauso unattraktiv erscheinen lassen, Schulden zu machen, wie Steuern zu erhöhen, Inflation zuzulassen oder staatliche Leistungen zu kürzen.
JOCHEN ZENTHÖFER.
Christoph Ryczewski: Die Schuldenbremse im Grundgesetz.
Duncker & Humblot, Berlin 2011, 261 Seiten. 58 Euro.
Marc Hansmann: Vor dem dritten Staatsbankrott?
Oldenbourg Verlag, München 2012, 114 Seiten. 16,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Schuldenbremse reicht womöglich gar nicht aus
Der Bund will ab dem Jahr 2016 keine Schulden mehr machen. Aber solche Voraussagen hat man schon des Öfteren von Wolfgang Schäuble und seinen Vorgängern gehört. Immer kam etwas dazwischen. Auch sein Kollege Jean-Claude Juncker, weiterhin Chef der Euro-Gruppe, ist zu Hause kein Waisenknabe: Addiert man explizite und implizite Staatsverschuldung zusammen, sieht es in Luxemburg ganz düster aus. Die Nachhaltigkeitslücke ist um ein Vielfaches höher als in Deutschland oder Südeuropa.
Entsprechende Berechnungen von Freiburger Finanzwissenschaftlern im Auftrag der "Stiftung Marktwirtschaft" haben für Unruhe im Land zwischen Echternach und Esch-Alzette geführt. Die größte Tageszeitung, das "Luxemburger Wort", hält die Zahlen regelmäßig Gewerkschaften und Regierung vor.
Man kann weder Juncker noch den deutschen Finanzministern der letzten Zeit - Schäuble, Peer Steinbrück, Hans Eichel - unterstellen, dass sie mehr auf ihre Wiederwahl als auf das Gemeinwohl bedacht waren. Zwar meinen manche Ökonomen, dass sich Politiker rational verhalten, wenn sie neue Leistungen versprechen und durch Staatsverschuldung finanzieren. "Diese Praxis ist jedoch, gesamtwirtschaftlich betrachtet, irrational", meint Christoph Ryczewski in seiner Untersuchung über die neue Schuldenbremse. Lässt sich der Wähler so schnell hinters Licht führen?
Marc Hansmann kennt als Stadtkämmerer von Hannover viele Entscheidungsträger und kritisiert das ökonomische Bild als zu eindimensional: "Die meisten Politiker besitzen zumindest zu Beginn ihrer Karriere einen hohen Gestaltungswillen und ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein." Der Autor fügt aber sofort einschränkend an: "Allerdings dürfte diese Erkenntnis aus finanzpolitischer Sicht sogar noch beunruhigender sein. Überzeugte Fachpolitiker sehen den Haushalt ausschließlich als Mittel zum Zweck. Es geht ihnen um die Deckung des Bedarfs, der bei öffentlichen Gütern tendenziell gegen unendlich tendiert." Es gilt also die Unterscheidung zwischen "Finanzpolitikern" und "Fachpolitikern". Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee hat für Letztere den Begriff der "Süchtigen" geprägt. Notwendig ist eine Entziehungskur.
Hiervon ist jedoch in den neuen Koalitionsvereinbarungen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - zwei Länder, die besonders gerne fiskalpolitisch sündigen - nicht viel zu sehen. Hansmann weist darauf hin, dass die Verschuldung an Rhein und Ruhr zwischen 1980 und 2010 von 15 Milliarden auf mindestens 128 Milliarden Euro gestiegen ist. Besser sieht es in Bayern aus. "Dieses Ergebnis lässt sich nicht einfach, wie auf den ersten Blick naheliegend, mit der höheren Wirtschaftskraft erklären. Schließlich zählte auch Bayern von 1959 bis 1986 zu den Nehmerländern im Bundesfinanzausgleich", meint Ryczewski. Betrachtet man die politische Landschaft, so lässt sich feststellen, dass immer die gleiche Partei an der Regierung beteiligt war. "In dieser Konstellation zahlt es sich aus, Entscheidungen zu treffen, die langfristig eine positive Wirkung zeitigen - es ergibt sich ein längerfristiger politischer Zeithorizont." Das mag ebenso für Sachsen gelten.
Doch auch Mecklenburg-Vorpommern, mit wechselnden Regierungen, hat sich erfolgreich aus der Schuldenspirale befreit. Es geht also! In Schwerin werden politische Ziele priorisiert. Der Bund schafft das nicht. "Wenn die Kanzlerin den Ausbau der Kleinkinderbetreuung als zentrales Ziel definiert, heißt das dann, dass andere Ziele und Maßnahmen nicht verfolgt werden?", fragt Hansmann: "Keine deutsche Regierung hat bisher eindeutige politische Prioritäten in Form eines verbindlichen und ressortübergreifenden Programms aufgestellt. Bewusst vage gehaltene Ziele erleichtern das politische Geschäft der Mehrheitssuche erheblich und verhindern, dass die Verantwortlichen angegriffen werden können."
Die neue Schuldenbremse, die Ryczewski trotz kleinerer Fehler für gelungen hält, wird den Politikern alsbald Fesseln anlegen. Doch Hintertüren bleiben offen. Daher werde es eines Tages wohl unvermeidlich sein, parallel zu Neuverschuldungen einen Zuschlag auf die Einkommensteuer zu erheben. So spüre der Bürger die Folgen politischer Geschenke unmittelbar, hofft Ryczewski. Auch Hansmann nimmt die Einkommensteuer in den Fokus und fordert ein Zuschlagserhebungsrecht der Bundesländer. Die Umstände müssten es Politikern einfach genauso unattraktiv erscheinen lassen, Schulden zu machen, wie Steuern zu erhöhen, Inflation zuzulassen oder staatliche Leistungen zu kürzen.
JOCHEN ZENTHÖFER.
Christoph Ryczewski: Die Schuldenbremse im Grundgesetz.
Duncker & Humblot, Berlin 2011, 261 Seiten. 58 Euro.
Marc Hansmann: Vor dem dritten Staatsbankrott?
Oldenbourg Verlag, München 2012, 114 Seiten. 16,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main