Am Abend des 21. August 2001 erhält die Polizei von Ystad einen seltsamen Anruf. Ein Mann hat brennende Schwäne über dem Marebo-See gesehen. Einige Tage später entdeckt ein entsetzter Bauer einen seiner Jungstiere tot im Stall - verbrannt. Alles deutet darauf hin, dass hinter diesen Taten ein Sadist steckt, der Tiere quält. Linda, Polizeianwärterin in Ystad, darf ihren Vater Kurt Wallander bei seinen Ermittlungen zunächst nur begleiten. Als dann aber ihre Freundin Anna spurlos verschwindet, beginnt sie, auf eigene Faust zu ermitteln. Die Spur führt direkt in den Dschungel Guyanas und zu christlichen Weltuntergangspropheten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2003Wenn der Vater mit der Tochter
Wallander bekommt Verstärkung: Henning Mankells neue Lieferung
"Ich bin kein hübsches Mädchen. Ich bin fast dreißig, und mein Aussehen ist höchst normal. Die Jungen finden meistens, daß ich einen hübschen Mund und einen schönen Busen habe. Das finde ich manchmal selbst auch. Auf jeden Fall in Augenblicken, in denen ich mit mir zufrieden bin. Aber ansonsten bin ich höchst normal. Ich habe nie davon geträumt, einmal Miß Schweden zu werden." - Da ist sie nun, die Tochter und neue Protagonistin von Henning Mankells Serienhelden, Kommissar Kurt Wallander. Linda Caroline Wallander, Polizeianwärterin kurz vor dem Dienstantritt im Hochsommer des Jahres 2001. Sie ist den Lesern schon gelegentlich begegnet; man weiß von ihr, daß sie Scheidungswaise ist, sich schon einmal umbringen wollte, Möbelpolsterei respektive Schauspielerei erlernen wollte, dann aber doch auf die gleiche Laufbahn wie ihr Vater eingeschwenkt, ins heimatliche Ystad zurückgekehrt und vorläufig in die väterliche Wohnung eingezogen ist.
Über einem See beginnt am Abend des 21. August im "Aaldunkel", einer Dunkelheit, die den nahenden Herbst erahnen läßt, eine Verbrechensserie mit einer bizarren Auftaktveranstaltung. "Wie geborstene Trompeten" werden im Nachthimmel brennende, schreiende Schwäne gesichtet - die Tat eines Tierquälers, vermutet die Polizei. Als nächstes verbrennt ein Kalb bei lebendigem Leib, offensichtlich ebenfalls von einem Sadisten mit Benzin übergossen und angezündet. Dann verschwindet eine ältere Frau, die es sich zur Gewohnheit gemacht hat, in der Wildnis Pfade zu erkunden und zu kartographieren. Noch deutet all dies nicht wirklich auf den großen Knall hin, der dem verschlafenen Landstrich bevorsteht. Und auch Linda hat vorderhand noch Mühe, ihre Ungeduld und Langeweile zu bezwingen. Erst am 10. September darf sie die Uniform anziehen; und so knüpft sie an alte Kontakte aus der Schulzeit an, befreundet sich wieder vorsichtig mit der schwierigen Anna Westin. Deren Vater Erik war dreiundzwanzig Jahre zuvor spurlos verschwunden, und nun glaubt Anna mit einem Mal, ihn wiedergesehen zu haben.
Mit diesem Vater hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Er war, so will es der Erzähler im Prolog, der einzige Überlebende jenes spektakulären Massenselbstmordes, den der Sektenführer Jim Jones am 18. November 1978 im Dschungel von Guyana anordnete. Neunhundertdreizehn Anhänger seines utopistischen "Peoples Temple"-Kultes starben an Zyanid-Vergiftung oder wurden erschossen, darunter zweihundertsiebzig Kinder. Bis heute sind die Hintergründe dieses Falls nicht restlos aufgeklärt. Wenig erstaunlich, daß man auch eine Verwicklung des Geheimdienstes CIA unterstellt hat. Mankell läßt sich auf solche Spekulationen nicht ein, ihm dient die Figur des religiösen Wiedererweckers, der sich zwanzig Jahre in den Vereinigten Staaten durchgeschlagen hat, geläutert ist und nun mit einer eigenen Anhängerschaft zurückkehrt, nur als historische Folie für sein spezielles Endspiel im südschwedischen Schonen.
Denn als Anna verschwindet, tritt Linda auf den Plan. In Annas Tagebüchern taucht der Name jener Pfadfinderin auf, die man geköpft und mit abgetrennten Händen im Wald gefunden hat. Da sich vor dem Hintergrund dieser Mordtat niemand für eine verschwundene Studentin interessiert, betritt die Beinahepolizistin die Bühne eben durch die Hintertür, indem sie auf eigene Faust zu ermitteln beginnt - durchaus im unkonventionellen Stil ihres Vaters, aber durchaus nicht in Absprache mit diesem. So dominiert sie als Hauptfigur weite Strecken des Romans und löst Kurt Wallander weitgehend ab: Ein Kniff Mankells, der aber am Ende doch konventionell auf den Dienstweg zurückkehren muß. Mehrere Tote und Brandanschläge später, obliegt es Wallander als dem zuständigen Beamten, in gewohnt muffiger Manier die unsichtbaren Fäden der Geschichte in die Hand zu nehmen. Das wird auch höchste Zeit, denn Erik Westin ist gerade mit seiner zum Opfertod bereiten Truppe und etlichen Zentnern Dynamit dabei, die Welt auf die Wiederkehr des christlichen Rächergottes vorzubereiten - mit dem Schwert und mit der Flamme.
Spätestens inmitten dieser Apokalypse überwiegt jener unangenehme Eindruck, der sich bei Mankell dann einstellt, wenn er meint, schwerste Geschütze auffahren und noch pastos eine Lage Untergangsfarbe auftragen zu müssen. Das macht der gemeine amerikanische Thriller-Autor im Regelfall überzeugender; ein Mann vom Kaliber eines Robert Ludlum etwa erledigte solche Szenarien so nonchalant, das es beinahe ans Surreale grenzte. Mankells Stärken liegen in der Beschreibung von Atmosphäre, und nicht in der Munitionskammer oder in der Metaphysik. Was sich bei ihm entsprechend papieren anhört, etwa wenn die Tochter Anna mit dem verloren geglaubten Vater redet: "Einst hast du Sandalen gemacht, warst mein Vater und lebtest ein einfaches und anspruchsloses Leben." - "Ich war gezwungen, meiner Berufung zu folgen." - "Du hast mich verlassen, mich, deine Tochter." - "Ich hatte keine andere Wahl. Aber in meinem Herzen habe ich dich nie verlassen. Und ich bin zurückgekommen."
Zurückgekommen, um Frauen, die abgetrieben haben, ihrer vermeintlich gerechten Strafe zuzuführen; zurückgekommen auch, um seine Tochter - welch' zünftige Parallele zum Hause Wallander - auf seine Nachfolge vorzubereiten. Da Linda nebenbei noch Zeit findet, mit Stefan Lindman, den Mankell als Zwischenlösungsermittler im letzten Roman "Die Rückkehr des Tanzlehrers" eingeführt hat, zarte Bande zu knüpfen, wird sie bei ihren nächsten Fällen nicht ohne Beistand sein. Und den wird sie dringend brauchen, wenn ihr Erfinder weiterhin so in die Tasten haut. Zweifellos steht ihre Epoche unter keinem guten Stern: Zwar, das darf verraten werden, erreicht sie ihren ersten Arbeitstag lebend. Ihr zweiter Tag als Polizeibeamtin ist dann aber schon der 11. September 2001.
HANNES HINTERMEIER.
Henning Mankell: "Vor dem Frost". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 541 S., geb., 24,90 [Euro].
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Wallander bekommt Verstärkung: Henning Mankells neue Lieferung
"Ich bin kein hübsches Mädchen. Ich bin fast dreißig, und mein Aussehen ist höchst normal. Die Jungen finden meistens, daß ich einen hübschen Mund und einen schönen Busen habe. Das finde ich manchmal selbst auch. Auf jeden Fall in Augenblicken, in denen ich mit mir zufrieden bin. Aber ansonsten bin ich höchst normal. Ich habe nie davon geträumt, einmal Miß Schweden zu werden." - Da ist sie nun, die Tochter und neue Protagonistin von Henning Mankells Serienhelden, Kommissar Kurt Wallander. Linda Caroline Wallander, Polizeianwärterin kurz vor dem Dienstantritt im Hochsommer des Jahres 2001. Sie ist den Lesern schon gelegentlich begegnet; man weiß von ihr, daß sie Scheidungswaise ist, sich schon einmal umbringen wollte, Möbelpolsterei respektive Schauspielerei erlernen wollte, dann aber doch auf die gleiche Laufbahn wie ihr Vater eingeschwenkt, ins heimatliche Ystad zurückgekehrt und vorläufig in die väterliche Wohnung eingezogen ist.
Über einem See beginnt am Abend des 21. August im "Aaldunkel", einer Dunkelheit, die den nahenden Herbst erahnen läßt, eine Verbrechensserie mit einer bizarren Auftaktveranstaltung. "Wie geborstene Trompeten" werden im Nachthimmel brennende, schreiende Schwäne gesichtet - die Tat eines Tierquälers, vermutet die Polizei. Als nächstes verbrennt ein Kalb bei lebendigem Leib, offensichtlich ebenfalls von einem Sadisten mit Benzin übergossen und angezündet. Dann verschwindet eine ältere Frau, die es sich zur Gewohnheit gemacht hat, in der Wildnis Pfade zu erkunden und zu kartographieren. Noch deutet all dies nicht wirklich auf den großen Knall hin, der dem verschlafenen Landstrich bevorsteht. Und auch Linda hat vorderhand noch Mühe, ihre Ungeduld und Langeweile zu bezwingen. Erst am 10. September darf sie die Uniform anziehen; und so knüpft sie an alte Kontakte aus der Schulzeit an, befreundet sich wieder vorsichtig mit der schwierigen Anna Westin. Deren Vater Erik war dreiundzwanzig Jahre zuvor spurlos verschwunden, und nun glaubt Anna mit einem Mal, ihn wiedergesehen zu haben.
Mit diesem Vater hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Er war, so will es der Erzähler im Prolog, der einzige Überlebende jenes spektakulären Massenselbstmordes, den der Sektenführer Jim Jones am 18. November 1978 im Dschungel von Guyana anordnete. Neunhundertdreizehn Anhänger seines utopistischen "Peoples Temple"-Kultes starben an Zyanid-Vergiftung oder wurden erschossen, darunter zweihundertsiebzig Kinder. Bis heute sind die Hintergründe dieses Falls nicht restlos aufgeklärt. Wenig erstaunlich, daß man auch eine Verwicklung des Geheimdienstes CIA unterstellt hat. Mankell läßt sich auf solche Spekulationen nicht ein, ihm dient die Figur des religiösen Wiedererweckers, der sich zwanzig Jahre in den Vereinigten Staaten durchgeschlagen hat, geläutert ist und nun mit einer eigenen Anhängerschaft zurückkehrt, nur als historische Folie für sein spezielles Endspiel im südschwedischen Schonen.
Denn als Anna verschwindet, tritt Linda auf den Plan. In Annas Tagebüchern taucht der Name jener Pfadfinderin auf, die man geköpft und mit abgetrennten Händen im Wald gefunden hat. Da sich vor dem Hintergrund dieser Mordtat niemand für eine verschwundene Studentin interessiert, betritt die Beinahepolizistin die Bühne eben durch die Hintertür, indem sie auf eigene Faust zu ermitteln beginnt - durchaus im unkonventionellen Stil ihres Vaters, aber durchaus nicht in Absprache mit diesem. So dominiert sie als Hauptfigur weite Strecken des Romans und löst Kurt Wallander weitgehend ab: Ein Kniff Mankells, der aber am Ende doch konventionell auf den Dienstweg zurückkehren muß. Mehrere Tote und Brandanschläge später, obliegt es Wallander als dem zuständigen Beamten, in gewohnt muffiger Manier die unsichtbaren Fäden der Geschichte in die Hand zu nehmen. Das wird auch höchste Zeit, denn Erik Westin ist gerade mit seiner zum Opfertod bereiten Truppe und etlichen Zentnern Dynamit dabei, die Welt auf die Wiederkehr des christlichen Rächergottes vorzubereiten - mit dem Schwert und mit der Flamme.
Spätestens inmitten dieser Apokalypse überwiegt jener unangenehme Eindruck, der sich bei Mankell dann einstellt, wenn er meint, schwerste Geschütze auffahren und noch pastos eine Lage Untergangsfarbe auftragen zu müssen. Das macht der gemeine amerikanische Thriller-Autor im Regelfall überzeugender; ein Mann vom Kaliber eines Robert Ludlum etwa erledigte solche Szenarien so nonchalant, das es beinahe ans Surreale grenzte. Mankells Stärken liegen in der Beschreibung von Atmosphäre, und nicht in der Munitionskammer oder in der Metaphysik. Was sich bei ihm entsprechend papieren anhört, etwa wenn die Tochter Anna mit dem verloren geglaubten Vater redet: "Einst hast du Sandalen gemacht, warst mein Vater und lebtest ein einfaches und anspruchsloses Leben." - "Ich war gezwungen, meiner Berufung zu folgen." - "Du hast mich verlassen, mich, deine Tochter." - "Ich hatte keine andere Wahl. Aber in meinem Herzen habe ich dich nie verlassen. Und ich bin zurückgekommen."
Zurückgekommen, um Frauen, die abgetrieben haben, ihrer vermeintlich gerechten Strafe zuzuführen; zurückgekommen auch, um seine Tochter - welch' zünftige Parallele zum Hause Wallander - auf seine Nachfolge vorzubereiten. Da Linda nebenbei noch Zeit findet, mit Stefan Lindman, den Mankell als Zwischenlösungsermittler im letzten Roman "Die Rückkehr des Tanzlehrers" eingeführt hat, zarte Bande zu knüpfen, wird sie bei ihren nächsten Fällen nicht ohne Beistand sein. Und den wird sie dringend brauchen, wenn ihr Erfinder weiterhin so in die Tasten haut. Zweifellos steht ihre Epoche unter keinem guten Stern: Zwar, das darf verraten werden, erreicht sie ihren ersten Arbeitstag lebend. Ihr zweiter Tag als Polizeibeamtin ist dann aber schon der 11. September 2001.
HANNES HINTERMEIER.
Henning Mankell: "Vor dem Frost". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 541 S., geb., 24,90 [Euro].
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"In keinem anderen Roman von Henning Mankell wird die liebenswerte Seite des schwierigen Kommissars schöner beschrieben als in diesem Buch. ... "Vor dem Frost" ist ein unglaublich packender Roman und eine schwierige, spannende und berührende Vater-Tochter-Geschichte. Meine neue Nummer eins der Mankell-Romane." (Heide Simonis, Brigitte 15/03)
"Ein hochspannender Wallander-Krimi - einer der besten der Reihe." (Focus 14.07.03)
"Mankell verknotet alle Fäden seiner Geschichte geschickt - eine wunderbar spannende Sommerlektüre." (Birgit Warnhold, Die Welt 19.07.03)
"Henning Mankell ist mit "Vor dem Frost" ein ungewöhnlich dichter Kriminalroman gelungen." (Simone Dattenberger, MM 17.07.03)
"Ein spannender und kluger Roman. (...) Klappt man das Buch zu, hat man nach Kurt auch Linda in seinen Freundeskreis aufgenommen." (Gunther Baumann, Kurier Wien 19.07.03)
"Ein hochspannender Wallander-Krimi - einer der besten der Reihe." (Focus 14.07.03)
"Mankell verknotet alle Fäden seiner Geschichte geschickt - eine wunderbar spannende Sommerlektüre." (Birgit Warnhold, Die Welt 19.07.03)
"Henning Mankell ist mit "Vor dem Frost" ein ungewöhnlich dichter Kriminalroman gelungen." (Simone Dattenberger, MM 17.07.03)
"Ein spannender und kluger Roman. (...) Klappt man das Buch zu, hat man nach Kurt auch Linda in seinen Freundeskreis aufgenommen." (Gunther Baumann, Kurier Wien 19.07.03)