Ein Hurrikan braut sich über dem Mississippi-Delta zusammen, aber Esch und ihre drei Brüder, die mit dem Vater in einer zusammengezimmerten Hütte am Rande des Waldes inmitten von Hühnern und alten Autowracks leben, haben noch andere Sorgen. Mit kleinen Diebstählen und viel Liebe versucht Skeetah, die neugeborenen Welpen seiner Pitbull-Hündin China durchzubringen. Randall will Basketballprofi werden, aber zugleich müssen er und Esch sich um Junior, den Jüngsten, kümmern, dem wie allen die Mutter fehlt, die bei seiner Geburt gestorben ist. Da merkt die Fünfzehnjährige, dass sie schwanger ist - von Randalls bestem Freund, der mit einer anderen zusammenlebt. Wem kann man sich anvertrauen, wenn kaum einer für sich selbst sorgen kann?Und doch stehen die Geschwister, wortlos und mit kleinen Gesten, unverbrüchlich füreinander ein. Versuchen, ohne Geld Vorräte anzulegen, mit Treibholz das Haus sturmfest zu machen. Als die zwölf Tage, die den Rahmen für den Roman bilden, zu einem dramatischen Abschluss kommen, sammelt die Familie ihre Kräfte, um einem neuen Tag ins Gesicht zu sehen. Vor dem Sturm ist ein bewegender, großherziger Roman über Familienbande in einer Welt, in der es nur wenig Liebe gibt, über Hilfe und Gemeinschaft unter widrigsten Umständen. Lebensnah und voller Poesie, wirft die unvergessliche Geschichte einer bedrohten Familie angesichts eines Jahrhundertorkans ein Schlaglicht auf die Wirklichkeit eines anderen, bitterarmen Amerika.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2013Katrina ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen
Ein entfesselter Hurrikan: Jesmyn Ward kehrt in ihrem Roman "Vor dem Sturm" in das Dorf ihrer Kindheit zurück - und setzt dem Elend die ganze Macht der Sprache entgegen. Damit ist ihr ein großer Wurf gelungen, literarisch wie politisch.
Jesmyn Ward stammt aus einer Gegend, die sie spät zu lieben gelernt hat, und nach allem, was man über diese Gegend weiß, vor allem natürlich, wenn man selbst nie dort war, ist das wenig überraschend. Ward ist in De Lisle aufgewachsen, einem kleinen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Ihre Mutter arbeitete als Haushälterin bei denen, die mehr Geld hatten als ihre Familie, der Vater betrieb eine Kung-Fu-Schule. Jesmyn Ward selbst konnte, weil einer der Arbeitgeber ihrer Mutter es zahlte, auf eine private Schule gehen, wo sie die einzige Schwarze unter lauter weißen Schülern war, sie wurde deswegen von einigen Klassenkameraden gehänselt und verlor, als sie die Schule gerade beendet hatte, ihren Bruder, der von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurde. Jahrelang, das hat Jesmyn Ward amerikanischen Zeitungen erzählt, hat sie den Ort gehasst. Weil er so klein war, so eng und so rassistisch. Erst jetzt, nachdem sie längst woanders lebt, ist sie in der Lage, in De Lisle Dinge zu sehen, die liebenswert sind.
Dabei hat sicher geholfen, dass die Jesmyn Ward, die De Lisle heute besucht, eine andere ist als damals. Ward, deren dritter Roman noch in diesem Monat in den Vereinigten Staaten erscheint und deren zweites Buch "Vor dem Sturm" dieser Tage in deutscher Übersetzung herauskommt, ist jetzt nicht mehr die kleine "Mimi", der man vor versammelter Klasse unbehelligt Negerwitze erzählen darf. Sie ist eine preisgekrönte junge Schriftstellerin, denn für "Vor dem Sturm" erhielt sie 2011 den amerikanischen National Book Award, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen des Landes. Ironie der Geschichte: Ihr Roman spielt in einem winzigen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Und zwar in den zehn Tagen, bevor ein Hurrikan namens Katrina auf diese Küste trifft und den gesamten Landstrich verwüstet.
Es geht um die Sorgen und Nöte der vierzehn Jahre alten Ich-Erzählerin Esch und ihrer Familie: um das wackelige Haus auf der mit Sperrmüll übersäten Lichtung im Wald, die sie bewohnen; um den alkoholkranken Vater, der versucht, seine vier Kinder, also Esch und ihre drei Brüder, über Wasser zu halten; um die von allen schmerzlich vermisste Mutter, die die Geburt des letzten Kindes nicht überlebt hat. Es geht um Hundekämpfe, die das Geld bringen sollen, das einer der Brüder für den Collegebesuch benötigt; um Esch, die schwanger ist, aber von dem Vater des Kindes, einem Nachbarsjungen, verleugnet wird; es geht um Dosenerbsen, trockene Nudeln und gegrillte Eichhörnchen - mithin um den schier unglaublichen Alltag einer schwarzen Familie am unteren sozialen Rand Amerikas.
Nie ist in diesem Roman explizit von Rassismus die Rede. Es gibt keinen Weißen, der die Schwarzen offen diskriminiert, mehr noch: Es tritt gar kein Weißer auf. Doch gerade darin, in dieser völligen Isolation und der Art, wie die Lebenswelten der Schwarzen beschrieben werden, in der vollendeten Armselig- und Perspektivlosigkeit, die in den Überlegungen Eschs über den Abbruch über ihre ungewollten Schwangerschaft gipfeln, liegt eine deutliche und absolut politisch zu verstehende Botschaft. "Die Mädchen sagen, wenn man schwanger ist und eine ganze Monatspackung Antibabypillen schluckt, dann kriegt man seine Tage. Sie sagen, wenn man Bleichmittel trinkt, wird man krank, und das, was das Baby geworden wäre, kommt raus. Sie sagen, wenn man sich selbst richtig doll in den Bauch boxt, sich auf die Metallkante eines Autos wirft und tief genug getroffen wird, um Blutergüsse hervorzurufen, dann hat man vielleicht eine Fehlgeburt ... Das sind meine Möglichkeiten, und letztlich bleibt keine übrig."
Beinahe unnötig zu sagen, dass die Jugendlichen, mit ihren persönlichen Tragödien vollauf beschäftigt, den nahenden Sturm lange unterschätzen. Erst spät, viel zu spät im Grunde, verrammeln sie die Fenster des Hauses mit Holzlatten, die so wenig zusammenpassen, dass handbreite Spalte offenbleiben und den Wind hindurchlassen. An eine Evakuierung, wie sie die Regierung angeordnet hat, ist ohnehin nicht zu denken. Wohin sollte man gehen? Und von welchem Geld? Den Sturm und die Flut überleben sie so nur knapp. Dafür können sie auf die Solidarität ihrer Nachbarn bauen, die ihnen Unterschlupf gewähren - anders als in der Wirklichkeit. Denn Ward hat Katrina in Mississippi selbst erlebt und einige ihrer Erfahrungen in den Roman einfließen lassen. Andere hat sie allerdings ausgespart. Die Geschichte etwa, wie sie nach der Flucht aus dem überfluteten Haus mit ihrer Familie im Auto durch die Gegend fuhr, um Schutz zu suchen, und wie sie alle dann vor dem Haus einer weißen Familie hielten, welche die Wards abwies und das Ende des Hurrikans auf dem offenen Feld abwarten ließ. Von dieser unfasslichen Episode hat sie nur in Interviews erzählt.
Der Roman schont seine Leser gleichwohl nur an diesem einen Punkt. Ansonsten wühlt er sich durch das Elend seiner Südstaaten-Protagonisten, und auch, wenn er vor allem stilistisch mit den Werken des großen Schriftstellers dieser Gegend, mit William Faulkner, nicht viel gemein hat, möchte man Jesmyn Ward recht geben. Faulkner habe sie beeindruckt und eingeschüchtert, sagte sie einmal. Aber sie habe eben auch den Eindruck gewonnen, dass den Schwarzen in seinen Büchern nur selten dieselbe Bandbreite an Emotionen zustünde wie den Weißen. Und genau hier schlägt Ward einen anderen, eigenen Weg ein. Ihre Figuren, Esch und ihre Brüder Randall, Skeetah und selbst der kleine Junior, kämpfen täglich im Kleinen um Anerkennung, Liebe, Geld, eine Zukunft und vor allem um ihre Würde. Sie üben sich nicht nur in Solidarität, weil die das einzige Gut ist, das nichts kostet, sondern weil sie als Familie keine andere Wahl verspüren. Und sie bringen Opfer füreinander, selbst wenn das an anderer Stelle Verluste bedeutet und keinem am Ende mehr bleibt als die nassen Kleider auf der Haut.
In diesem Zusammenhang ist auch Eschs zuweilen frühreif wirkende Bewunderung für den griechische Racheengel Medea, den sie immer dann anruft, wenn der Druck zu groß wird und eine übergeordnete Instanz dem Leiden Sinn geben soll, eine Volte von pädagogischem Nutzen. Denn warum sollte diese zerrissene Frau nicht auch einer jugendlichen schwarzen Amerikanerin zur geistigen Gefährtin werden? Warum sollte nicht auch sie versuchen, den Zumutungen ihres Lebens mit Referenzen aus der abendländischen Mythenwelt zu trotzen? "Sie hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden, bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt."
Was sonst noch Rettung verspricht? Natürlich die Sprache. Jesmyn Ward liebt Metaphern, ihr Stil ist lyrisch und vermag es, dem Desaster eine Hoffnung entgegenzusetzen, die tröstet und rührt. In einer Welt, in der ein Pitbull "prachtvoll wie eine Magnolienblüte" ist, Wald und Wind sich ausbreiten "wie ein Brautschleier" und Teenager am Wiesenrand herumkrabbeln "wie die Ameisen unter den Dielen, die im Gänsemarsch zu dem Zucker laufen, der offen im Schrank steht" - in dieser Welt kann nicht alles schlecht sein. Auch nicht das Ende.
LENA BOPP
Jesmyn Ward: "Vor dem Sturm". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Antje Kunstmann Verlag, München 2013. 318 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein entfesselter Hurrikan: Jesmyn Ward kehrt in ihrem Roman "Vor dem Sturm" in das Dorf ihrer Kindheit zurück - und setzt dem Elend die ganze Macht der Sprache entgegen. Damit ist ihr ein großer Wurf gelungen, literarisch wie politisch.
Jesmyn Ward stammt aus einer Gegend, die sie spät zu lieben gelernt hat, und nach allem, was man über diese Gegend weiß, vor allem natürlich, wenn man selbst nie dort war, ist das wenig überraschend. Ward ist in De Lisle aufgewachsen, einem kleinen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Ihre Mutter arbeitete als Haushälterin bei denen, die mehr Geld hatten als ihre Familie, der Vater betrieb eine Kung-Fu-Schule. Jesmyn Ward selbst konnte, weil einer der Arbeitgeber ihrer Mutter es zahlte, auf eine private Schule gehen, wo sie die einzige Schwarze unter lauter weißen Schülern war, sie wurde deswegen von einigen Klassenkameraden gehänselt und verlor, als sie die Schule gerade beendet hatte, ihren Bruder, der von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurde. Jahrelang, das hat Jesmyn Ward amerikanischen Zeitungen erzählt, hat sie den Ort gehasst. Weil er so klein war, so eng und so rassistisch. Erst jetzt, nachdem sie längst woanders lebt, ist sie in der Lage, in De Lisle Dinge zu sehen, die liebenswert sind.
Dabei hat sicher geholfen, dass die Jesmyn Ward, die De Lisle heute besucht, eine andere ist als damals. Ward, deren dritter Roman noch in diesem Monat in den Vereinigten Staaten erscheint und deren zweites Buch "Vor dem Sturm" dieser Tage in deutscher Übersetzung herauskommt, ist jetzt nicht mehr die kleine "Mimi", der man vor versammelter Klasse unbehelligt Negerwitze erzählen darf. Sie ist eine preisgekrönte junge Schriftstellerin, denn für "Vor dem Sturm" erhielt sie 2011 den amerikanischen National Book Award, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen des Landes. Ironie der Geschichte: Ihr Roman spielt in einem winzigen Kaff nahe der Küste von Mississippi. Und zwar in den zehn Tagen, bevor ein Hurrikan namens Katrina auf diese Küste trifft und den gesamten Landstrich verwüstet.
Es geht um die Sorgen und Nöte der vierzehn Jahre alten Ich-Erzählerin Esch und ihrer Familie: um das wackelige Haus auf der mit Sperrmüll übersäten Lichtung im Wald, die sie bewohnen; um den alkoholkranken Vater, der versucht, seine vier Kinder, also Esch und ihre drei Brüder, über Wasser zu halten; um die von allen schmerzlich vermisste Mutter, die die Geburt des letzten Kindes nicht überlebt hat. Es geht um Hundekämpfe, die das Geld bringen sollen, das einer der Brüder für den Collegebesuch benötigt; um Esch, die schwanger ist, aber von dem Vater des Kindes, einem Nachbarsjungen, verleugnet wird; es geht um Dosenerbsen, trockene Nudeln und gegrillte Eichhörnchen - mithin um den schier unglaublichen Alltag einer schwarzen Familie am unteren sozialen Rand Amerikas.
Nie ist in diesem Roman explizit von Rassismus die Rede. Es gibt keinen Weißen, der die Schwarzen offen diskriminiert, mehr noch: Es tritt gar kein Weißer auf. Doch gerade darin, in dieser völligen Isolation und der Art, wie die Lebenswelten der Schwarzen beschrieben werden, in der vollendeten Armselig- und Perspektivlosigkeit, die in den Überlegungen Eschs über den Abbruch über ihre ungewollten Schwangerschaft gipfeln, liegt eine deutliche und absolut politisch zu verstehende Botschaft. "Die Mädchen sagen, wenn man schwanger ist und eine ganze Monatspackung Antibabypillen schluckt, dann kriegt man seine Tage. Sie sagen, wenn man Bleichmittel trinkt, wird man krank, und das, was das Baby geworden wäre, kommt raus. Sie sagen, wenn man sich selbst richtig doll in den Bauch boxt, sich auf die Metallkante eines Autos wirft und tief genug getroffen wird, um Blutergüsse hervorzurufen, dann hat man vielleicht eine Fehlgeburt ... Das sind meine Möglichkeiten, und letztlich bleibt keine übrig."
Beinahe unnötig zu sagen, dass die Jugendlichen, mit ihren persönlichen Tragödien vollauf beschäftigt, den nahenden Sturm lange unterschätzen. Erst spät, viel zu spät im Grunde, verrammeln sie die Fenster des Hauses mit Holzlatten, die so wenig zusammenpassen, dass handbreite Spalte offenbleiben und den Wind hindurchlassen. An eine Evakuierung, wie sie die Regierung angeordnet hat, ist ohnehin nicht zu denken. Wohin sollte man gehen? Und von welchem Geld? Den Sturm und die Flut überleben sie so nur knapp. Dafür können sie auf die Solidarität ihrer Nachbarn bauen, die ihnen Unterschlupf gewähren - anders als in der Wirklichkeit. Denn Ward hat Katrina in Mississippi selbst erlebt und einige ihrer Erfahrungen in den Roman einfließen lassen. Andere hat sie allerdings ausgespart. Die Geschichte etwa, wie sie nach der Flucht aus dem überfluteten Haus mit ihrer Familie im Auto durch die Gegend fuhr, um Schutz zu suchen, und wie sie alle dann vor dem Haus einer weißen Familie hielten, welche die Wards abwies und das Ende des Hurrikans auf dem offenen Feld abwarten ließ. Von dieser unfasslichen Episode hat sie nur in Interviews erzählt.
Der Roman schont seine Leser gleichwohl nur an diesem einen Punkt. Ansonsten wühlt er sich durch das Elend seiner Südstaaten-Protagonisten, und auch, wenn er vor allem stilistisch mit den Werken des großen Schriftstellers dieser Gegend, mit William Faulkner, nicht viel gemein hat, möchte man Jesmyn Ward recht geben. Faulkner habe sie beeindruckt und eingeschüchtert, sagte sie einmal. Aber sie habe eben auch den Eindruck gewonnen, dass den Schwarzen in seinen Büchern nur selten dieselbe Bandbreite an Emotionen zustünde wie den Weißen. Und genau hier schlägt Ward einen anderen, eigenen Weg ein. Ihre Figuren, Esch und ihre Brüder Randall, Skeetah und selbst der kleine Junior, kämpfen täglich im Kleinen um Anerkennung, Liebe, Geld, eine Zukunft und vor allem um ihre Würde. Sie üben sich nicht nur in Solidarität, weil die das einzige Gut ist, das nichts kostet, sondern weil sie als Familie keine andere Wahl verspüren. Und sie bringen Opfer füreinander, selbst wenn das an anderer Stelle Verluste bedeutet und keinem am Ende mehr bleibt als die nassen Kleider auf der Haut.
In diesem Zusammenhang ist auch Eschs zuweilen frühreif wirkende Bewunderung für den griechische Racheengel Medea, den sie immer dann anruft, wenn der Druck zu groß wird und eine übergeordnete Instanz dem Leiden Sinn geben soll, eine Volte von pädagogischem Nutzen. Denn warum sollte diese zerrissene Frau nicht auch einer jugendlichen schwarzen Amerikanerin zur geistigen Gefährtin werden? Warum sollte nicht auch sie versuchen, den Zumutungen ihres Lebens mit Referenzen aus der abendländischen Mythenwelt zu trotzen? "Sie hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden, bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt."
Was sonst noch Rettung verspricht? Natürlich die Sprache. Jesmyn Ward liebt Metaphern, ihr Stil ist lyrisch und vermag es, dem Desaster eine Hoffnung entgegenzusetzen, die tröstet und rührt. In einer Welt, in der ein Pitbull "prachtvoll wie eine Magnolienblüte" ist, Wald und Wind sich ausbreiten "wie ein Brautschleier" und Teenager am Wiesenrand herumkrabbeln "wie die Ameisen unter den Dielen, die im Gänsemarsch zu dem Zucker laufen, der offen im Schrank steht" - in dieser Welt kann nicht alles schlecht sein. Auch nicht das Ende.
LENA BOPP
Jesmyn Ward: "Vor dem Sturm". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Antje Kunstmann Verlag, München 2013. 318 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Pervertierte Hundeliebe ist nur ein Aspekt des Südstaaten-Melodrams von Jesmyn Ward. Martin Zähringer empfindet ihn allerdings durchaus als zentral in diesem Buch, neben anderen Perversionen und asozialen Tendenzen. Auch neben Naturbeschreibungen und mythischen Bezügen, mit denen die Autorin ihre Story - halb Liebes-, halb Familiengeschichte - garniert. Dass der Orkan Katrina dem Ganzen die Krone aufsetzt, geht für Zähringer in Ordnung. Auch die Teenie-Perspektive. Schließlich gelingt es Ward, ganz unteeniehaft zu erzählen. Einen politischen Standpunkt angesichts des geschilderten Sozialdramas bleibt die Autorin dem Rezensenten allerdings schuldig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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