"Zuerst spürte ich seinen Kopf, der stark auf meine Blase drückte, und einige Minuten später den Schwanz, der in meinem Mund wedelte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie der Wolf in mich hineingekommen war und warum er verkehrt lag. Ich stieg in die Straßenbahn 63 und fuhr zum Krankenhaus Friedrichshain." Mit diesen Sätzen, klar und deutlich, beginnt der Erzählband "Vor den Vätern sterben die Söhne", der Thomas Brasch (1945-2001) berühmt gemacht hat. Ein Buch der existentiellen und politischen Revolte. Ein Buch von auswegloser Unbedingtheit. Das Buch eines jungen Mannes. 1975 war in Ost-Berlin ein Heft seiner Gedichte veröffentlicht worden: Poesiealbum 89, mit Zeichnungen von Einar Schleef.Im Jahre 1976 fand Braschs "einmalige Ausreise zwecks Übersiedlung aus der DDR" statt, und 1977 erschien - knapp, gedrängt, sorgfältig komponiert - "Vor den Vätern sterben die Söhne" im West-Berliner Rotbuch Verlag. Mit dem Gedichtband "Der schöne 27. September" folgte 1980 d er Eintritt in den Suhrkamp Verlag. Brasch war im Westen angekommen. Irgeinen Grund, sich zu beruhigen, gab es nicht.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einer Doppelbesprechung zweier Gedichtbände von Thomas Brasch wendet sich Martin Krumbholz kürzer auch diesem nun wieder aufgelegten Band zu. Durch die Aufnahme in die Bibliothek-Suhrkamp-Reihe werde dem Buch die "Weihen des Klassikers der Moderne" verliehen, meint der Rezensent, der nichts dagegen zu haben scheint. Er lobt nachdrücklich das "kluge Nachwort" zur Neuausgabe, wobei er besonders den Hinweis von Katja Lange-Müller hervorhebt, dass die Präposition "vor", die im Titel erscheint, durchaus mehrdeutig zu verstehen ist. Als Themen dieses Bandes benennt der Rezensent die Liebe, die Revolte und den Tod, wobei er nach einem Gedicht von Brasch formuliert, der Dichter habe immer "mit einem Strick um den Hals" geschrieben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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