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Kaum ein zweiter Autor hat in den letzten Jahrzehnten die Welt mit so viel Aufmerksamkeit angeschaut wie Peter Handke; und diese Aufmerksamkeit ist Wahrnehmung, die gelten lässt. Sie muss nicht mehr in Sprache übertragen werden, denn sie ist Sprache, der Blick ist das Wort, in dem das Gesehene sich tatsächlich wahrgenommen fühlt.Immer wieder gelingt es diesem Dichter die Welt so darzustellen, dass sie zur Geltung kommt und sie sich und wir sie erkannt wissen, und immer schon ist ihm das in besonderer Weise in seinen Notiz- und Tagebüchern gelungen. In denen der Jahre nach der Jahrtausendwende…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein zweiter Autor hat in den letzten Jahrzehnten die Welt mit so viel Aufmerksamkeit angeschaut wie Peter Handke; und diese Aufmerksamkeit ist Wahrnehmung, die gelten lässt. Sie muss nicht mehr in Sprache übertragen werden, denn sie ist Sprache, der Blick ist das Wort, in dem das Gesehene sich tatsächlich wahrgenommen fühlt.Immer wieder gelingt es diesem Dichter die Welt so darzustellen, dass sie zur Geltung kommt und sie sich und wir sie erkannt wissen, und immer schon ist ihm das in besonderer Weise in seinen Notiz- und Tagebüchern gelungen. In denen der Jahre nach der Jahrtausendwende hat Peter Handke sich zunehmend darauf eingelassen, seine Beobachtungen in aphoristischen Formulierungen zu bündeln, die für den Leser Anstöße in offenes Gelände sind, wo er im »Karawanenzug der Sätze« der Welt auf ungewohnte und erfrischende Weise begegnet.
Autorenporträt
geboren 1942 in Griffen, Kärnten, lebt in der Nähe von Paris. 2019 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zuerkannt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2016

Schnabelkrach
Zarte Zeilen, harte Kanzelworte und dann und wann ein „leises Grün“: Peter Handkes Aufzeichnungen aus den Jahre 2007 bis 2015
„Schreiben: sich von sich überraschen lassen.“ Dieser Satz steht losgelöst von den anderen Sätzen da, durch Leerzeilen getrennt. Es ist ein Anspruch, dem Peter Handke mit jedem dieser Absätze gerecht zu werden versucht: Er notiert, was ihm durch den Kopf geht, und wenn er Lust hat, lässt er es einfach so stehen. Es ist eine späte Prosa, mit Abstraktionen und Zuspitzungen, Gedankensplittern und verknappten Dialogen. Peter Handke, mittlerweile 73 Jahre alt, hat immer schon tagebuchartige Aufzeichnungen veröffentlicht, und er hat das gezielt bei Verlagen getan, die in Salzburg ansässig sind, näher an seinem Herkommen als Suhrkamp, sein Haupthaus.
  Da wurde immer nah am Ich operiert, da schaute sich der Autor selbst im Spiegel an, und es gab auch erzählerische Passagen über das Schwimmen in Flüssen oder Wanderungen im österreich-slawischen Übergangsraum, sehr suggestiv und die Atmosphäre auskostend. Im Vergleich zu den früheren Tagebüchern Handkes fällt nun die radikale Reduktion auf. Manchmal verdichten sich die einzelnen Zeilen zu Aphorismen, manchmal sind es donnernde Kanzelworte. Und manchmal schlichte Aussagesätze: „Kafka ist nicht gestorben.“
  In der spröden, sich oft entziehenden, mäandrierenden Schreibweise dieser „Zeichen und Anflüge von der Peripherie“, so der Untertitel, könnte man Anklänge an Goethes „Wanderjahre“ erkennen: vorletzte, verstreute Gedanken, die keine verbindenden Füllsätze mehr nötig haben. Und Goethe kommt auch sehr häufig vor, gerade der spröde, sentenzenhafte der letzten Jahre, den sich Handke programmatisch vorzunehmen scheint und von dem er immer wieder Funde zitiert. Aber spätestens an solchen Stellen sollte man nie zu sicher sein. Handke schlägt oft Haken: „Der Goethe der ‚Wanderjahre‘, nach der Luftigkeit der ‚Theatralischen Sendung‘ und der ‚Lehrjahre‘, hat etwas von einem ‚Gruftie‘“.
  Das ist eine sehr eigene Art, mit Selbstironie und Augenzwinkern umzugehen. Die „Luftigkeit“, der sich Handke schreibend nähert und die immer ein Ideal für ihn bleibt, ist durch eine große Ernsthaftigkeit hindurchgegangen. „Wie hoch ernst wir sein müssen, um nach alter Weise heiter zu sein“: Diesen Satz des alten Meisters ruft er sich wiederholt in Erinnerung.
  Im Zentrum dieses Breviers stehen Überlegungen zur Tätigkeit des Schreibens. Ein ständig wiederkehrendes Motiv ist die Suche nach passenden Verben; denn dieser Autor lebt in Verben und nicht in Hauptwörtern. Es geht ihm darum, einen vermeintlich beiläufigen Vorgang so genau zu fassen, dass man ihn wie zum ersten Mal sieht, um eine sinnliche Präzision. Als Verb für das „Wirkliche“ findet Handke einmal „es wuchtet“, als Verb für das Rotkehlchen „es flaumt“. Für die „Freude“ fallen ihm mehrere, zum Teil sehr gesuchte Zeitwörter ein, zum Beispiel: sie „skulpturiert“ – „die vorher unscheinbarsten Formen treten in den Raum“, werden körperlich.
  Es sind genaue Erkundungen der deutschen Sprache und ihres Wortschatzes, in den Verben bilden sich Bewegung und Dynamik ab, und es gilt zu differenzieren. Wenn Handke den Verben zur Freude die Verben zum „Glück“ entgegensetzt, entstehen überraschende kleine Erzählungen und Szenen, ohne dass sie näher ausgeführt werden müssen: Das Glück „macht zittrig“, „trübt“ oder „entleibt“.
  Die Konzentration dieses Autors auf kleinste Dinge und Ereignisse, auf die „Spatzenbadekuhlen“ in den Pfützen auf dem Bahnhofsvorplatz, auf das „Quittenblütenweiß“, das er noch als Steigerung von „blütenweiß“ erfährt oder auf den ersten Zitronenfalter im Jahr, dessen Erscheinen einem Festtag gleichkommt – man hat das oft als ein „Raunen“ missverstanden, als ein überhöhtes Poetisieren. Wenn es sich da aber um ein Raunen handelt, ist es eher eines im Sinne Gottfried Benns, der von sich gerne sagte, er gehe in die Kneipe und „raune ein paar Verse“ vor sich hin. Handke weigert sich, zu den „Gras(be)wisperern“ gezählt zu werden, er lehnt es ab, „weltflüchtig zu werden“. Dem Rauschen der Bäume zu lauschen bedeutet für ihn eine „Aktivierung“. Und so ist auch der „Schnabelkrach“ der Elstern, der entsteht, wenn sie die Dachrinne säubern, für ihn eins mit dem Schreiben.
  Diesem Vorgang wird minutiös nachgehorcht. Einmal heißt es: „,Leises Grün‘: Kann man so sagen? Ja.“ Das Sich-selbst-ins-Wort-Fallen, das Nachfragen ist charakteristisch, es scheint sich in den letzten Büchern Handkes fast verselbständigt zu haben. Es gilt dem Bestreben, der Sprache ungewohnte Nuancen abzugewinnen, überraschbar zu bleiben. Die Wahrnehmung probiert sich ständig neu aus, und am Schluss steht oft eine Gegenfrage, ein Zweifel, ein Neuansatz.
  Diese Art des Schreibens ist beileibe kein harmonischer Vorgang. Handke spricht sich zwar zu: „Immer wieder: Ich bin nicht zu politisieren“, aber er ist in jeder Hinsicht ein „Reizbarer“. Freude und Wut hängen bei ihm eng zusammen. Besonders prekär wird es, wenn die Öffentlichkeit ins Spiel kommt. „Hüte dich vor den geschulten Stimmen“, heißt es zunächst eher abwägend, und gegen die allgegenwärtigen Routiniers steht das Diktum: „Kunst ist das Gegenteil von gut gemacht.“ Der Ton kann aber auch verschärft werden: „Die Öffentlichkeit ist dumm, und Andy Warhol ist ihr Prophet.“ Oder, durchaus nach innen gerichtet: „Publikum verdirbt.“ Joyce, Céline oder Arno Schmidt werden mit ihren „Punktlos-“ und „Stummelsätzen“ als Widerparts ausgemacht, die „aktuellen Dichterhorden und ihre Lyrikfeste“ als „falsche Sinnstifter“. Zu Handkes Suche nach „Zwischenräumen“ und „Schwellenzuständen“, nach dem freudigen Moment gehört als Pendant zwangsläufig auch eine aggressive Seite.
  Dieser Autor war schon immer auch ein Polemiker, ein Wetterer gegen den Konsens: „Das lieblose Bürgertum (‚vertreten‘ z. B. durch Th. Mann) darf nicht siegen.“ Auch in seinen hymnischsten Naturversenkungen, in den pathetischen Anleihen und Gebets-Anwandlungen steckt etwas Widerborstiges. Doch dieses Widerborstige hat zugleich etwas von Spiel, von Theater. Handke versucht, seine „Wanderjahre“ auf jugendliche Weise zu begehen, wobei dieses Wandern seit jeher auch mit dem Bleistift auf dem Papier geschah. Seine Notate haben etwas Selbstreferenzielles, und bisweilen Manieristisches. Sie messen ihren Kosmos immer wieder neu aus und kümmern sich nicht um aktuelle Zuweisungen an die Literatur.
  Der Schreiber Peter Handke schert sich nicht um Peinlichkeiten und Missverständnisse, typisch sind Nachsätze wie „Hab ich das nicht schon so ähnlich notiert? Und wenn – “. Er setzt sich aus, fragt unbeirrt weiter, und er genießt seine auf harte und auch zarte Weise erkämpfte Narrenfreiheit: „Ich wunderte mich über die Existenz, und ein Rauschen fuhr durch die Bäume.“
HELMUT BÖTTIGER
Was macht das Rotkehlchen?
Handke schreibt: „Es flaumt.“
        
  
  
Peter Handke: Vor der Baumschattenwand nachts.
Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007 – 2015. Verlag Jung und Jung,
Salzburg 2016. 424 Seiten, 28 Euro. E-Book 21,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Franz Haas wird ganz feierlich zumute bei diesen Tagebucheintragungen Handkes. Es geht um Natur, Gott, Goethe, Tod, islamische Philosophen, katholische Rituale und "kulturelle Rangordnungen, auf die Handke offenbar großen Wert legt. Das alles in einer Sprache, die Haas ganz wunderbar findet. Offenbar besitzt Handke auch das "seelische Format", das seiner Ansicht nach Voraussetzung für einen meisterhaften Autor ist. Polemik gibt es hier nur selten, es findet sich sogar eine Distanzierung zu den umstrittenen Serbien-Zitaten Handkes. Das sollte jetzt auch mal das Nobelpreiskommittee zur Kenntnis nehmen, meint Haas.

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