Nicht mehr Herr im eigenen Haus ist Nadia Buddes Held, denn er hat einen Dauergast: Die Ratte. Tag für Tag steht sie auf der Matte, wenn er heimkommt, riesig und gutgelaunt. Und erst einmal im Haus, schlüpft sie in fremde Latschen und macht sich breit: auf dem Kanapee, dem Klavierhocker, im Bett. Drängelt sich vor: im Bad, am Kühlschrank, vor dem Spiegel. Belegt das Telefon mit Beschlag, lärmt und nervt, bis selbst unserem langmütigen Helden der Kragen platzt! Und dann ist sie plötzlich weg. Ach. Statt Erleichterung überkommt Wehmut unseren Helden und sein Heim erscheint ihm öde. Da macht er sich auf die Suche.Nadia Budde reimt so locker, als spräche sie nie anders als in Versen, und ihre Bilder zeichnen haarscharf die komplizierte Gefühlslage in dieser rührend-komischen Wohngemeinschaft nach.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Elena Geus lernt die Ratte ganz neu kennen bei Nadia Budde. Als intelligent und kreativ nämlich, nicht als verschlagen, schmutzig und feige. Es fällt Geus aber auch nicht schwer, diese Hausratte zu mögen, weil Budde so unvergleichlich texten und zeichnen kann. Mit Reimen, die hängenbleiben, und plakativen, zugleich hintersinnigen Zeichnungen schlägt das Buch die Rezensentin in Bann. Jede Figur ein Charakter, versichert sie. Und so wird die Parabel über das schwierige Zusammenleben (nicht nur von Ratte und Mensch) für Geus zum großen Spaß.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016Was reimt sich auf "zurück"?
Nadia Buddes neuestes Buch zeigt uns, wie sehr wir unsere Quälgeister brauchen.
Von Elena Geus
Möchtest du vielleicht mit mir matten Ratten einen Besuch abstatten? Das fragte Nadia Budde vor zwölf Jahren in einem ihrer Bilderbücher. Im neuesten der inzwischen vielfach preisgekrönten Künstlerin ist nun ein Exemplar der Gattung Rattus rattus selbst der Gast, ein ungebetener, wie man sich denken kann.
Riesenhaft und wohlgenährt steht sie auf der Matte, die Ratte, das blonde Haupthaar ebenso sauber gescheitelt wie das des Kerlchens, dem das Nagetier auf den nicht vorhandenen Pelz rückt. Nach dem Aufschließen drängt sich die Kreatur unaufgefordert ins Haus, schlüpft in Pantoffeln, die nicht die ihren sind, quetscht sich mit auf das dann viel zu enge Kanapee, und will der Hausherr sich die Zähne putzen, "will auch sie das Bad benutzen".
Nadia Buddes Mehrfachbegabung ist unvergleichlich. Ihre Reime und Lautmalereien machen riesig Spaß, und das allein wäre ein ausreichender Grund, ihre Bücher großartig zu finden. Ihre assoziativen Sprachspiele sind eingängig, bleiben hängen bei Kleinen und Großen, wie Melodien, die nicht mehr aus dem Kopf wollen. Ihre Verse haben auf den ersten Blick etwas Naheliegendes, und doch schafft nur sie es, Wort- und Satzpaare zu bilden, auf die zwar jeder kommen könnte und die doch kein anderer derart leicht und wohlklingend, zugleich aber mit viel Tiefsinn arrangiert.
Ähnlich einzigartig sind Buddes Zeichnungen mit dem kräftigen, ungleichmäßigen Strich auf meist monochromem Hintergrund, ihrer flächigen Farbigkeit und ihren schwarzen Konturen - plakativ und hintersinnig zugleich. Alle Figuren werden zu Charakteren: mit ihren immer etwas überdimensionierten Köpfen, die von übergroßen Kulleraugen bestimmt werden, Augen, die nichts anderes sind als schwarze Punkte in weißen Kreisen und die in ihrer Ausdrucksstärke doch jede differenziertere Mimik unnötig machen.
Es braucht jedenfalls nur ein paar Stirnfalten und winzige geballte Fäustchen als Zeichen, dass es dem besuchten Mann irgendwann reicht mit der Fremdbestimmung durch das distanzlose Vieh. Als es sich anschickt, sich in das viel zu enge Oberteil seines Schlafanzugs zu zwängen, raunzt er: "Immerzu sind wir zu zweit. Das geht wirklich jetzt zu weit."
Der Aufschrei wirkt, am nächsten Tag ist der Nager fort, doch Zufriedenheit darüber, wieder Herr im eigenen Haus zu sein, will sich nicht einstellen. Traurig, verloren und einsam macht sich das Männchen auf die Suche nach seinem Wohngenossen, gefangen im klassischen Dilemma vieler schwieriger Partnerschaften: Es geht nicht miteinander, doch ohneeinander geht es auch nicht.
In dieser besonderen On-off-Beziehung, wie man das heute wohl nennen würde, spricht sich Budde nicht nur für Toleranz und Gelassenheit aus, sie rückt auch unser Rattenbild zurecht. Sympathieträger sind die Tiere nicht gerade, verbindet man mit ihnen doch allerlei Fieses wie das Wühlen durch Abfallberge und das Kriechen durch die stinkende Kanalisation, aus Fabeln kennen wir sie zudem als feige und verschlagen. Budde zeigt uns hingegen die ostasiatische Deutung, denn in der chinesischen Astrologie stehen Ratten für Intelligenz und Kreativität, im Jahr der Ratte Geborenen sagt man einen scharfen Verstand nach, Charme und Kontaktfreude sowie eine leichte Neigung zum Übertreiben. Außerdem eine ausgeprägte Zielstrebigkeit und einen Hang zum Luxus.
Irgendwann kommt der findige Ratz zurück, und darauf reimt sich, das ist nicht schwer, natürlich "Glück". Ob das Wohlbehagen über die Rückkehr anhalten wird? In einer letzten Zeichnung, ganz ohne Worte, deutet Budde es an: Es dürfte spannend bleiben.
Nadia Budde: "Vor meiner Tür auf einer Matte".
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2016. 32 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nadia Buddes neuestes Buch zeigt uns, wie sehr wir unsere Quälgeister brauchen.
Von Elena Geus
Möchtest du vielleicht mit mir matten Ratten einen Besuch abstatten? Das fragte Nadia Budde vor zwölf Jahren in einem ihrer Bilderbücher. Im neuesten der inzwischen vielfach preisgekrönten Künstlerin ist nun ein Exemplar der Gattung Rattus rattus selbst der Gast, ein ungebetener, wie man sich denken kann.
Riesenhaft und wohlgenährt steht sie auf der Matte, die Ratte, das blonde Haupthaar ebenso sauber gescheitelt wie das des Kerlchens, dem das Nagetier auf den nicht vorhandenen Pelz rückt. Nach dem Aufschließen drängt sich die Kreatur unaufgefordert ins Haus, schlüpft in Pantoffeln, die nicht die ihren sind, quetscht sich mit auf das dann viel zu enge Kanapee, und will der Hausherr sich die Zähne putzen, "will auch sie das Bad benutzen".
Nadia Buddes Mehrfachbegabung ist unvergleichlich. Ihre Reime und Lautmalereien machen riesig Spaß, und das allein wäre ein ausreichender Grund, ihre Bücher großartig zu finden. Ihre assoziativen Sprachspiele sind eingängig, bleiben hängen bei Kleinen und Großen, wie Melodien, die nicht mehr aus dem Kopf wollen. Ihre Verse haben auf den ersten Blick etwas Naheliegendes, und doch schafft nur sie es, Wort- und Satzpaare zu bilden, auf die zwar jeder kommen könnte und die doch kein anderer derart leicht und wohlklingend, zugleich aber mit viel Tiefsinn arrangiert.
Ähnlich einzigartig sind Buddes Zeichnungen mit dem kräftigen, ungleichmäßigen Strich auf meist monochromem Hintergrund, ihrer flächigen Farbigkeit und ihren schwarzen Konturen - plakativ und hintersinnig zugleich. Alle Figuren werden zu Charakteren: mit ihren immer etwas überdimensionierten Köpfen, die von übergroßen Kulleraugen bestimmt werden, Augen, die nichts anderes sind als schwarze Punkte in weißen Kreisen und die in ihrer Ausdrucksstärke doch jede differenziertere Mimik unnötig machen.
Es braucht jedenfalls nur ein paar Stirnfalten und winzige geballte Fäustchen als Zeichen, dass es dem besuchten Mann irgendwann reicht mit der Fremdbestimmung durch das distanzlose Vieh. Als es sich anschickt, sich in das viel zu enge Oberteil seines Schlafanzugs zu zwängen, raunzt er: "Immerzu sind wir zu zweit. Das geht wirklich jetzt zu weit."
Der Aufschrei wirkt, am nächsten Tag ist der Nager fort, doch Zufriedenheit darüber, wieder Herr im eigenen Haus zu sein, will sich nicht einstellen. Traurig, verloren und einsam macht sich das Männchen auf die Suche nach seinem Wohngenossen, gefangen im klassischen Dilemma vieler schwieriger Partnerschaften: Es geht nicht miteinander, doch ohneeinander geht es auch nicht.
In dieser besonderen On-off-Beziehung, wie man das heute wohl nennen würde, spricht sich Budde nicht nur für Toleranz und Gelassenheit aus, sie rückt auch unser Rattenbild zurecht. Sympathieträger sind die Tiere nicht gerade, verbindet man mit ihnen doch allerlei Fieses wie das Wühlen durch Abfallberge und das Kriechen durch die stinkende Kanalisation, aus Fabeln kennen wir sie zudem als feige und verschlagen. Budde zeigt uns hingegen die ostasiatische Deutung, denn in der chinesischen Astrologie stehen Ratten für Intelligenz und Kreativität, im Jahr der Ratte Geborenen sagt man einen scharfen Verstand nach, Charme und Kontaktfreude sowie eine leichte Neigung zum Übertreiben. Außerdem eine ausgeprägte Zielstrebigkeit und einen Hang zum Luxus.
Irgendwann kommt der findige Ratz zurück, und darauf reimt sich, das ist nicht schwer, natürlich "Glück". Ob das Wohlbehagen über die Rückkehr anhalten wird? In einer letzten Zeichnung, ganz ohne Worte, deutet Budde es an: Es dürfte spannend bleiben.
Nadia Budde: "Vor meiner Tür auf einer Matte".
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2016. 32 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 4 J.
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