Produktdetails
- Verlag: arch+
- ISBN-13: 9783931435073
- Artikelnr.: 32507190
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.01.2014Bürger
Architekt
Die Zeitschrift „Arch+“ bringt
Julius Poseners Texte neu heraus
Die Farbe liegt irgendwo zwischen Neon und Pink. Sehr zeitgemäß sieht das aus auf den ansonsten schlicht schwarz-weiß gehaltenen Seiten dieser zwei üppigen Sonderausgaben von Arch+ , einem der besten deutschsprachigen Architekturmagazine, und auch etwas hip. Der Versuch, eine Vorlesungsreihe aus den siebziger Jahren visuell in die Gegenwart zu befördern? Vermutlich. Doch die Gestaltung der beiden Bände spiegelt tatsächlich den berechtigten Anspruch wider, dass das, was der Architekturhistoriker Julius Posener Ende der Siebziger seinen Studenten in Berlin über die Architektur vergangener Jahrhunderte erzählt hat, heute wieder gelesen werden sollte. Vielleicht sogar noch aufmerksamer als damals.
Posener war ein Verfolgter des NS-Regimes. Seine Flucht führte ihn einmal um die Welt, von Lichterfelde nach Paris, Palästina, London und schließlich Kuala Lumpur. 1961 kehrte er als einer der wenigen Emigranten jedoch wieder zurück nach Deutschland. Er zog nach Berlin, um dort Baugeschichte an der damaligen Hochschule für Bildende Künste, heute Universität der Künste, zu unterrichten. Knapp zwei Jahrzehnte später sollte er seine „Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur“ an der TU Berlin halten. Eine faszinierend dicht gewebte Betrachtung über die Anfänge der bürgerlichen Architektur, die Posener in den Kontext der beiden bürgerlichen Revolutionen des 18. Jahrhunderts – der Französischen Revolution und der industriellen Revolution in England – setzt, über bautechnische Fortschritte im 19. Jahrhundert und moderne Architektur bis 1933.
Fast noch spannender als das, was Posener in seinen Vorlesungen behandelt, ist, wie er das tut. Egal ob Schinkels Theater, das Wachstum der ersten Industriestädte oder Bruno Tauts Großsiedlungen – immer zoomt sich der Vortragende ganz nah heran, nimmt Dickens, Heine und Goethe zu Hilfe und unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung von Architektur.
Für Julius Posener bestehen die Bauten und Stadtanlagen, die er behandelt, eben nicht einfach nur aus Fassaden, Kuppelhallen und Grundrisstypen. Er sieht sie als Ausdruck ihrer Zeit, als Manifestation von Gesellschaft, sichtbarstes Abbild von Wirtschaftsformen, Ständeregeln und politischen Machtverhältnissen. Oder wie Arch+ -Herausgeber Nikolaus Kuhnert und Anh-Linh Ngo im Vorwort schreiben: „Posener begreift Architekturgeschichte als Gesellschaftsgeschichte und geht dabei nicht als Theoretiker mit vorgefasster Meinung, sondern als Sozialhistoriker, der sich stets als Bürger selbst mit einbezieht, an die anstehenden Fragen heran.“
Poseners konsequente Haltung war in den Siebzigern neu, bis dahin wurde die Sozialgeschichte der Architektur so gut wie ausgeblendet. Natürlich kannte man Taut als Architekt, gerade in Berlin. Aber den Sozialreformer Taut, den kannte man nicht. Posener stellt ihn vor. Seine Vorlesungen machen klar, dass Architektur nie nur formal sein kann, immer auch tief verbunden mit der Gesellschaft ist, die sie baut. Und genau das macht Poseners Architekturgeschichte heute so lesenswert. Denn erst wer die sozialen Bedingungen von Gebäude und Stadt erkennt, kann sie auch verstehen und wird erkennen, was die neoliberale Stadtentwicklung unserer Zeit zu bedeuten hat.
LAURA WEISSMÜLLER
Julius Posener: Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur. Zwei Bände. Arch+, Aachen 2013. Erster Band 232 Seiten, 372 Abb., 24 Euro. Zweiter Band 368 Seiten, 580 Abb., 39 Euro. Beide Bände zusammen im Schuber 59 Euro.
Julius Posener
picture-alliance/akg-images
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Architekt
Die Zeitschrift „Arch+“ bringt
Julius Poseners Texte neu heraus
Die Farbe liegt irgendwo zwischen Neon und Pink. Sehr zeitgemäß sieht das aus auf den ansonsten schlicht schwarz-weiß gehaltenen Seiten dieser zwei üppigen Sonderausgaben von Arch+ , einem der besten deutschsprachigen Architekturmagazine, und auch etwas hip. Der Versuch, eine Vorlesungsreihe aus den siebziger Jahren visuell in die Gegenwart zu befördern? Vermutlich. Doch die Gestaltung der beiden Bände spiegelt tatsächlich den berechtigten Anspruch wider, dass das, was der Architekturhistoriker Julius Posener Ende der Siebziger seinen Studenten in Berlin über die Architektur vergangener Jahrhunderte erzählt hat, heute wieder gelesen werden sollte. Vielleicht sogar noch aufmerksamer als damals.
Posener war ein Verfolgter des NS-Regimes. Seine Flucht führte ihn einmal um die Welt, von Lichterfelde nach Paris, Palästina, London und schließlich Kuala Lumpur. 1961 kehrte er als einer der wenigen Emigranten jedoch wieder zurück nach Deutschland. Er zog nach Berlin, um dort Baugeschichte an der damaligen Hochschule für Bildende Künste, heute Universität der Künste, zu unterrichten. Knapp zwei Jahrzehnte später sollte er seine „Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur“ an der TU Berlin halten. Eine faszinierend dicht gewebte Betrachtung über die Anfänge der bürgerlichen Architektur, die Posener in den Kontext der beiden bürgerlichen Revolutionen des 18. Jahrhunderts – der Französischen Revolution und der industriellen Revolution in England – setzt, über bautechnische Fortschritte im 19. Jahrhundert und moderne Architektur bis 1933.
Fast noch spannender als das, was Posener in seinen Vorlesungen behandelt, ist, wie er das tut. Egal ob Schinkels Theater, das Wachstum der ersten Industriestädte oder Bruno Tauts Großsiedlungen – immer zoomt sich der Vortragende ganz nah heran, nimmt Dickens, Heine und Goethe zu Hilfe und unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung von Architektur.
Für Julius Posener bestehen die Bauten und Stadtanlagen, die er behandelt, eben nicht einfach nur aus Fassaden, Kuppelhallen und Grundrisstypen. Er sieht sie als Ausdruck ihrer Zeit, als Manifestation von Gesellschaft, sichtbarstes Abbild von Wirtschaftsformen, Ständeregeln und politischen Machtverhältnissen. Oder wie Arch+ -Herausgeber Nikolaus Kuhnert und Anh-Linh Ngo im Vorwort schreiben: „Posener begreift Architekturgeschichte als Gesellschaftsgeschichte und geht dabei nicht als Theoretiker mit vorgefasster Meinung, sondern als Sozialhistoriker, der sich stets als Bürger selbst mit einbezieht, an die anstehenden Fragen heran.“
Poseners konsequente Haltung war in den Siebzigern neu, bis dahin wurde die Sozialgeschichte der Architektur so gut wie ausgeblendet. Natürlich kannte man Taut als Architekt, gerade in Berlin. Aber den Sozialreformer Taut, den kannte man nicht. Posener stellt ihn vor. Seine Vorlesungen machen klar, dass Architektur nie nur formal sein kann, immer auch tief verbunden mit der Gesellschaft ist, die sie baut. Und genau das macht Poseners Architekturgeschichte heute so lesenswert. Denn erst wer die sozialen Bedingungen von Gebäude und Stadt erkennt, kann sie auch verstehen und wird erkennen, was die neoliberale Stadtentwicklung unserer Zeit zu bedeuten hat.
LAURA WEISSMÜLLER
Julius Posener: Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur. Zwei Bände. Arch+, Aachen 2013. Erster Band 232 Seiten, 372 Abb., 24 Euro. Zweiter Band 368 Seiten, 580 Abb., 39 Euro. Beide Bände zusammen im Schuber 59 Euro.
Julius Posener
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