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Die Liebe ist eine Wissenschaft für sich
Ein Wiedersehen, das einschlägt wie ein Blitz: plötzlich steht die Astrophysikerin Harriet ihrer großen Liebe von einst gegenüber. Und allmählich, aber unaufhaltsam, gerät ihr bisheriges Leben aus seiner geordneten Umlaufbahn.
Harriet, halbindisch, mathematikbegeistert, macht in ihrem Beruf aus wissenschaftlichen Daten schöne kosmische Bilder, ein wenig Lüge darf dabei schon sein. Auch zuhause scheint alles gut eingerichtet mit Partner Ash und Ben, dessen Sohn aus einer früheren Beziehung. Doch dann fährt Ash mit dem Auto ausgerechnet die Frau von…mehr

Produktbeschreibung
Die Liebe ist eine Wissenschaft für sich

Ein Wiedersehen, das einschlägt wie ein Blitz: plötzlich steht die Astrophysikerin Harriet ihrer großen Liebe von einst gegenüber. Und allmählich, aber unaufhaltsam, gerät ihr bisheriges Leben aus seiner geordneten Umlaufbahn.

Harriet, halbindisch, mathematikbegeistert, macht in ihrem Beruf aus wissenschaftlichen Daten schöne kosmische Bilder, ein wenig Lüge darf dabei schon sein. Auch zuhause scheint alles gut eingerichtet mit Partner Ash und Ben, dessen Sohn aus einer früheren Beziehung. Doch dann fährt Ash mit dem Auto ausgerechnet die Frau von Harriets Jugendliebe an, und Peter, der Mann, den sie längst vergessen zu haben glaubte, tritt von neuem in ihr Leben. Ein vermeintlich harmloses Liebesgetändel beginnt: Man ist ja offen, Heimlichkeiten und Eifersucht sind antiquiert, man verhält sich den Klischees der Gefühlswelt gegenüber abgeklärt. Doch Ulrike Draesner schickt die Heldinnen und Helden ihres neuen Romans auf wunderbar verspielte Weise in ein irrlichterndes Labyrinth aus romantischen Verwicklungen, das eine der Figuren nicht lebend verlassen wird.
Autorenporträt
Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane, Essays und Gedichte vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds (2021) für ihr Gesamtwerk, das multimediale Arbeiten und Übersetzungen einschließt. Die Jahre 2015 bis 2017 verbrachte Draesner in England. Nach verschiedenen internationalen Gastdozenturen und Poetikvorlesungen ist sie seit April 2018 Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Draesner lebt mit ihrer Tochter in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2010

Komm, sei mein Dinosaurier-Gefühl

Wahlverwandtschaften, in die Gegenwart geholt: Ulrike Draesner erzählt in ihrem neuen Roman von der Liebe in Zeiten der Abgeklärtheit.

Von Nicole Henneberg

Warum will Harriet, die Heldin in Ulrike Draesners neuem Roman "Vorliebe", in den Weltraum fliegen? Sie setzt sich dafür brutalen Tests aus, bei denen ihr Gehirn sich durch die kleinsten Ritzen nach außen zu pressen scheint und die inneren Organe zu platzen drohen. Als Astrophysikerin weiß sie, dass der Weltraum kalt, dunkel und leer ist. Will sie also nur der "Erdenblödigkeit" entfliehen, von der sie so geringschätzig redet?

Ulrike Draesner, eine kluge und erfahrene Autorin, erzählt in ihrem dritten Roman mit kühler, auktorialer Stimme von einer Liebe, die nicht funktionieren kann. Doch wie vertrackt und symbolträchtig diese Geschichte ist, merkt man erst, wenn man mit den Figuren zu hadern beginnt, weil sie fast klischeehaft wirken. Erst dann öffnet sich der doppelte Boden des Romans, und der Leser findet sich in einer anrührenden, zeitgemäß schwierigen Liebesgeschichte wieder.

Man meint alle Handelnden zu kennen. Zum Beispiel die mathematisch hochbegabte, in der Schule verspottete Harriet, die eine ehrgeizige und erfolgreiche Forscherin wird. Sie fürchtet nur, dass ihr Freund Ash recht haben könnte und sie einer Maschine immer ähnlicher wird: aufs Funktionieren gedrillt und geübt im Ignorieren von Gefühlen. Bis sie ihrer Jugendliebe Peter wiederbegegnet und sich neu in den evangelischen Pfarrer verliebt, der als Idealbild seiner Zunft erscheint: charismatisch und nicht sehr gläubig, dafür leidenschaftlich in biblische Geschichten verliebt. Man könnte ihn einen modernen Jona nennen, der sich im Bauch des Walfischs häuslich eingerichtet hat. Wir kennen auch das astrophysikalische Institut, in dem Harriet arbeitet: einen tristen Betonbau im Ödland um Berlin, mit schlechter Cafeteria. Der Institutsdirektor schwadroniert über "denbestirntenHimmelübermirunddasmoralischeGesetzinmir" und denkt vorrangig über Werbemaßnahmen nach, während Harriets Lieblingskollege Erick, schrullig und genialisch, Endlosgleichungen im Kopf löst.

Die Anspielung auf das Sittengesetz der Aufklärung - nicht zufällig zeigt das Licht im Roman zuverlässig wie eine Sonnenuhr den Stand von Harriets Verwirrung - gibt einen ersten Hinweis, Erick den zweiten: Auf einem kreiselnden Drehstuhl schiebt er einen potentiellen Geldgeber rasend schnell den Flur hinunter, damit der versteht, wie sich ein Elektron fühlt - und wir verstehen, dass wir durch die Augen der kühl beobachtenden Erzählerin an einem klassischen Versuch teilnehmen. Was geschieht, wenn zwei moderne, aufgeklärte Paare sich über Kreuz verlieben? Amor selbst überwacht in Gestalt eines Fahrradboten den entscheidenden Unfall, bei dem Harriets Freund die Pfarrfrau anfährt, die auch noch Maria heißt. Die tragischen Gefühlsverwicklungen, die sich daraus ergeben, wird eine der Figuren nicht überleben.

Wie eigensinnig muss ein Mensch sein, um sich weder für noch gegen seine Natur zu entscheiden und trotzdem mit sich einig zu sein? "Kugelblitz", "Für die Nacht geheuerte Zellen" und "Anis-O-Trop" heißen Ulrike Draesners Gedichtbände, in denen sie vorführt, wie lustvoll Wahrnehmung sich selbst manipuliert und welche Tricks sie dabei dem "Reich der Gifte und Spiegelkräfte" abschaut. Harriet ist noch schlauer und schreibt als Rechtfertigung für das Chaos, das sie ringsum anrichtet, ein Märchen um: Sie ist die Wölfin, die Rotkäppchen (männlich) erobert und ohne Skrupel in ein festgefügtes Leben einbricht. Ihr ganzer Ehrgeiz und ihre Träume sind in diesem Märchenbild eingefangen. Doch die Erzählerin ist nicht auf ihrer Seite, denn sonderbarerweise ist diese Pfarrersehe, so leidenschaftslos sie auch wirkt, von einer Aura gelassener Melancholie und Hingabe umgeben, während Harriets Patchworkfamilie eher ein nervendes Zweckbündnis ist. Auch die gefeierte neue Liebe, der die Forscherin sich wie einem großartigen Naturereignis überlässt, zeigt auffallend oft ihre kruden und leicht ekelerregenden Seiten. Subtil und spöttisch wird das erzählt, denn am besten scheint die Leidenschaft in Harriets Kopf zu funktionieren, in Abwesenheit des Geliebten.

So langweilig Maria und Ash in ihrer platonischen Hingabe auch sind - eben wie Charlotte und der Hauptmann in den "Wahlverwandtschaften" -, so spröde und wortkarg wirken Harriet und ihr Peter, wenn sie zusammen sind. Wie überhaupt können Menschen einander nahekommen, wenn sie sich im Moment höchsten Liebesglücks "aufs angenehmste allein" fühlen? "Die sogenannte Liebe zerrte Menschen hinter sich her wie ein Hund Blechbüchsen, die man an seinen Schwanz gebunden hatte. Schnell und schneller rennt das Tier, die Liebenden hängen fest, suchen die Liebe, doch die rennt ja voraus, und irgendwann wirft sie die Liebenden ab." Skeptischer kann man es, jenseits aller Moral, nicht formulieren.

In kunstvoll leichten Sätzen balanciert diese Geschichte auf der Messerschneide zwischen projizierten Wünschen und deren niederschmetterndem Bumerang-Effekt. Denn wie gefährlich selbstkonstruierte Bilder sein können, weiß niemand besser als eine Physikerin, die Unverständliches in fiktive Landschaften übersetzt. "Wir Astrophysiker sind die Romanciers unter den Naturwissenschaftlern", bekennt Harriet. Gerade in Momenten der Ratlosigkeit wird sie zur sympathischen und glaubwürdigen Figur, deren Spleens man genießt. In der schönsten Liebesszene des Romans wird die letzte gemeinsame Nacht beschrieben, die einem ironischen Ritual geweiht ist: Harriet fesselt Peter ans Bett - aha, denkt der Leser -, doch sie zieht ein Paket Nadeln hervor und tätowiert ihm zärtlich einen Dinosaurier auf die Pobacke.

Die Geschichte geht natürlich nicht gut aus, denn alle Beteiligten haben Schuld auf sich geladen, die auf unterschiedliche Weise zu sühnen ist - in diesem Punkt ist der Roman eher altmodisch, und die Parallelen mit Goethes "Wahlverwandtschaften" sind verblüffend. So tritt hier an die Stelle von Mittler, dem Wächter über die eheliche Sittlichkeit, ein zynischer Hilfspfarrer, der der armen Harriet, als schon alles verloren ist, im ganz wörtlichen Sinne das Maul stopft. Als taub und stumm hat Walter Benjamin die verkehrt Liebenden bei Goethe bezeichnet, das trifft auch auf Harriet und Peter zu, die wie Maulwürfe alles aufgegraben haben, dabei aber blind für die Welt waren. Selten wurde ein Liebesdrama mit so viel Sprachwitz und Eleganz erzählt.

Ulrike Draesner: "Vorliebe". Roman. Luchterhand Verlag, München 2010. 320 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Restlos überzeugt hat dieser Liebes- als "Vorliebe"-Roman die Rezensentin Nicole Henneberg. Die Geschichte, die Ulrike Draesner darin erzählt, ist ersichtlich dem großen Vorbild von Goethes "Wahlverwandtschaften" nachgeformt. Zwei Paare verlieben sich über Kreuz: die Mathematikerin Harriet in den protestantischen Priester Peter; Harriets Freund Ash in die Pfarrersfrau Maria. Gut ausgehen wird es, auch a la Goethe, nicht. Wie es Draesner gelinge, die Klischees ihrer Grundkonstellation subtil zu transzendieren, das kann die Rezensentin nur mit Bewunderung konstatieren. In superlativischer Manier lobt sie den "Sprachwitz" ebenso wie die "Eleganz" der Autorin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Selten wurde ein Liebesdrama mit so viel Sprachwitz und Eleganz erzählt." Frankfurter Allgemeine Zeitung