Hans Gruner (1865-1943) stand an der Spitze eines deutschen Expeditionskorps, das sich vor hundert Jahren einen Weg durch den afrikanischen Dschungel bahnte. Im Hinterland von Togo, zwischen französischen und englischen Kolonien gelegen, schlossen die Deutschen sogenannte Schutzverträge mit den dort lebenden Häuptlingen und zogen das kaiserliche Banner auf: Sie vollzogen mit Verspätung das, was andere Kolonialmächte ihnen bereits vorgemacht hatten.
Die hiermit erstmals veröffentlichten Aufzeichnungen des aus Jena stammenden Kolonialbeamten Hans Gruner offenbaren eine natürliche Entdeckerfreude an der bislang unbekannten Natur und den Menschen, auf die die Deutschen in Afrika trafen.
Die hiermit erstmals veröffentlichten Aufzeichnungen des aus Jena stammenden Kolonialbeamten Hans Gruner offenbaren eine natürliche Entdeckerfreude an der bislang unbekannten Natur und den Menschen, auf die die Deutschen in Afrika trafen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.1997Wettlauf zum Niger
Die Togo-Hinterlandexpedition 1894/95
Hans Gruner: Vormarsch zum Niger. Die Memoiren des Leiters der Togo-Hinterlandexpedition 1894/95. Herausgegeben und eingeleitet von Peter Sebald. Cognoscere, Band 4. edition ost, Berlin 1997. 413 Seiten, 39,80 Mark.
Im Oktober 1894 brachen 130 Träger und 20 schwarze Soldaten unter der Leitung des Naturwissenschaftlers Doktor Hans Gruner von der Küste der westafrikanischen Kolonie Togo aus ins Landesinnere auf. Nur vordergründig sollte die Expedition der geographischen, wirtschaftlichen und handelspolitischen Erkundung noch weitgehend unerforschter Gebiete im nördlichen Grenzland Togos dienen. Tatsächlich sollten Gruner und seine beiden weißen Begleiter im Wettlauf mit zwei bereits aufgebrochenen englischen und französischen Expeditionen so schnell wie möglich Niger erreichen, um dort mit den Sultanen und Häuptlingen "Handels-, Protektorats- und womöglich direkte Unterwerfungsverträge" abzuschließen, die das Deutsche Reich bei den anstehenden Kolonialverhandlungen mit der französischen und der britischen Regierung in eine günstige Ausgangsposition bringen sollten. So war denn in der Instruktion des Deutschen Togokomitees, das die Expedition von Berlin aus organisierte, vom "hochpolitischen Charakter des Unternehmens" die Rede.
Über Kete-Kratschi, Salaga, Jendi und Mangu erreichte Gruner nach ständigem Kampf gegen Hitze, Krankheiten und zuweilen auch gegen den Widerstand einzelner Völkerstämme am 19. Februar 1895 den Niger, wo ihm der Abschluß eines "Schutzvertrages" mit dem Sultan von Gando (im heutigen Nordnigeria) gelang. Damit war der Auftrag der Expedition erfüllt. Der Wert solcher Verträge, über deren Inhalt und Tragweite die afrikanischen Würdenträger nur allzuoft im unklaren blieben, war freilich gering, da ihre Anerkennung erst auf diplomatischem Wege durchgesetzt werden mußte. Gerade darin zeigten die verantwortlichen deutschen Kolonialpolitiker der neunziger Jahre aber wenig Verhandlungsgeschick. So wurde statt der erwarteten zehn bis fünfzehnfachen Vergrößerung schließlich "nur" eine Verdoppelung des Togo-Gebietes erreicht.
Die Memoiren Gruners, die von Sebald sparsam kommentiert werden, markieren die Nahtstelle zwischen der Frühphase deutscher Kolonialherrschaft in Togo, die sich auf die Kontrolle des Außenhandels an den Küstenorten beschränkte, und der versuchten Inbesitznahme von Gebieten im Inneren Westafrikas. Die von 1938 bis 1943 auf der Grundlage der Routen- und Tagebücher verfaßten und infolge des Krieges nicht mehr veröffentlichten Erinnerungen verklären die Ereignisse jedoch stark. Offen bleibt, ob Gruner damit angeblichen deutschen Rechtsansprüchen zur ideologischen Vorbereitung des nationalsozialistischen Kolonialimperiums in Afrika Geltung verschaffen wollte.
RALF ERBAR
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Die Togo-Hinterlandexpedition 1894/95
Hans Gruner: Vormarsch zum Niger. Die Memoiren des Leiters der Togo-Hinterlandexpedition 1894/95. Herausgegeben und eingeleitet von Peter Sebald. Cognoscere, Band 4. edition ost, Berlin 1997. 413 Seiten, 39,80 Mark.
Im Oktober 1894 brachen 130 Träger und 20 schwarze Soldaten unter der Leitung des Naturwissenschaftlers Doktor Hans Gruner von der Küste der westafrikanischen Kolonie Togo aus ins Landesinnere auf. Nur vordergründig sollte die Expedition der geographischen, wirtschaftlichen und handelspolitischen Erkundung noch weitgehend unerforschter Gebiete im nördlichen Grenzland Togos dienen. Tatsächlich sollten Gruner und seine beiden weißen Begleiter im Wettlauf mit zwei bereits aufgebrochenen englischen und französischen Expeditionen so schnell wie möglich Niger erreichen, um dort mit den Sultanen und Häuptlingen "Handels-, Protektorats- und womöglich direkte Unterwerfungsverträge" abzuschließen, die das Deutsche Reich bei den anstehenden Kolonialverhandlungen mit der französischen und der britischen Regierung in eine günstige Ausgangsposition bringen sollten. So war denn in der Instruktion des Deutschen Togokomitees, das die Expedition von Berlin aus organisierte, vom "hochpolitischen Charakter des Unternehmens" die Rede.
Über Kete-Kratschi, Salaga, Jendi und Mangu erreichte Gruner nach ständigem Kampf gegen Hitze, Krankheiten und zuweilen auch gegen den Widerstand einzelner Völkerstämme am 19. Februar 1895 den Niger, wo ihm der Abschluß eines "Schutzvertrages" mit dem Sultan von Gando (im heutigen Nordnigeria) gelang. Damit war der Auftrag der Expedition erfüllt. Der Wert solcher Verträge, über deren Inhalt und Tragweite die afrikanischen Würdenträger nur allzuoft im unklaren blieben, war freilich gering, da ihre Anerkennung erst auf diplomatischem Wege durchgesetzt werden mußte. Gerade darin zeigten die verantwortlichen deutschen Kolonialpolitiker der neunziger Jahre aber wenig Verhandlungsgeschick. So wurde statt der erwarteten zehn bis fünfzehnfachen Vergrößerung schließlich "nur" eine Verdoppelung des Togo-Gebietes erreicht.
Die Memoiren Gruners, die von Sebald sparsam kommentiert werden, markieren die Nahtstelle zwischen der Frühphase deutscher Kolonialherrschaft in Togo, die sich auf die Kontrolle des Außenhandels an den Küstenorten beschränkte, und der versuchten Inbesitznahme von Gebieten im Inneren Westafrikas. Die von 1938 bis 1943 auf der Grundlage der Routen- und Tagebücher verfaßten und infolge des Krieges nicht mehr veröffentlichten Erinnerungen verklären die Ereignisse jedoch stark. Offen bleibt, ob Gruner damit angeblichen deutschen Rechtsansprüchen zur ideologischen Vorbereitung des nationalsozialistischen Kolonialimperiums in Afrika Geltung verschaffen wollte.
RALF ERBAR
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