Beuge vor, und du lebst länger, versprechen uns Gesundheitspolitiker und Ärzte. Prävention wird zum Grundpfeiler des Gesundheitswesens, das zuständige Ministerium verordnet uns 3000 Schritte täglich zur Volksfitneß, und Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs gelten ohnehin mittlerweile als Bürgerpflicht. Wer da noch krank wird, ist selbst schuld. Doch ist Prävention so wirkungsvoll wie behauptet? Verlängert Früherkennung wirklich das Leben? Oder nur die seelischen Leiden?Anhand von Themen wie Krebsvorsorge, Sport, gesunde Ernährung, Gewichtsabnahme und Impfungen offenbart Werner Bartens die Risiken und Nebenwirkungen eines Heilsversprechens und zeigt, wie flächendeckend Gesunde krankgeredet werden.Kontroverse Thesen von einem der bekanntesten und renommiertesten Medizinjournalisten Deutschlands
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2008Diagnose Fehlalarm
Werner Bartens warnt vor übertriebener Prävention
Menschen, die erst zum Arzt gehen, wenn sie schon krank sind, trifft man heute immer seltener. Sie sind sogar verdächtig. Man kann ja inzwischen so viel tun, um gesund zu bleiben! Die Möglichkeiten scheinen geradezu unbegrenzt: Von der Krebsvorsorge bis zum arteriendurchpustenden Vitaminpulver ist für jeden etwas dabei. Früherkennung ist längst zum A und O des Gesundheitswesens geworden.
Es gibt jedoch stichhaltige Argumente, dass dem nicht so ist. Der Arzt und Publizist Werner Bartens warnt in seinem neuen Buch "Vorsicht Vorsorge!": Schon längst ist die Arztpraxis nicht mehr ein Ort, der Gesundheit verspricht. In den Wartezimmern regiert vielmehr die Panikmache. Wo früher die aktuelle Frauenzeitschrift auf dem Tischchen lag, wird nun stapelweise Werbematerial der Pharmaindustrie hübsch drapiert. Die Botschaft ist klar: Risiken gibt es überall. Die Mittel dagegen aber auch. Mit bunten Kurven und Diagrammen werden vermeintlich wissenschaftliche Ergebnisse zur Problemlösung angepriesen. Für Bartens steht fest: Das Gesundheitswesen hat sich zur Krankheitsindustrie gewandelt. Die Leute werden systematisch für krank erklärt.
Dabei ist Bartens gar nicht gegen Vorsorge. Er verwehrt sich allerdings gegen die landläufige Annahme, Vorsorge könne in keinem Fall schaden. Das völlig unkritische Verhalten von Ärzten zur Präventionsfrage bedeutet sehr wohl auch ein Risiko für den Patienten. Das sinnlose Verunsichern und Verängstigen ist mitnichten gesundheitsfördernd. Der Autor setzt hier ganz auf Offenheit. Chancen und Risiken einer präventiven Untersuchung oder eines vorbeugenden Verhaltens müssen vom Arzt realistisch erörtert werden. Nur das kann zu gesunden Erwartungshaltungen beim Patienten führen. Die beständige Tendenz zum Fehlalarm könne ganz einfach behoben werden, schreibt Bartens: "Auf der Basis von internationalen Empfehlungen und Artikeln in hochrangigen Fachblättern lässt sich mittlerweile recht genau abschätzen, wie viele Tumore etwa bei der Krebsfrüherkennung übersehen werden oder wie oft es zum Fehlalarm kommt, der die Menschen verunsichert und ängstigt."
Es ist skandalös, dass sich Ärzte lieber an der von der Pharmaindustrie gesteuerten Mythenbildung beteiligen (Cholesterin muss um jeden Preis gesenkt werden, Impfungen sind absolut notwendig, ohne die Hormonersatztherapie geht in den Wechseljahren gar nichts mehr), statt sich mit seriösen Forschungsergebnissen zu beschäftigen und diese dem Patienten zugänglich zu machen. Dem wird nämlich weiter vorgegaukelt, er könne eine Krankheit wie Krebs durch vermehrte Vitamineinnahme verhindern oder den Herzinfarkt durch die richtige Margarine. Dabei können die vermeintlich gesunden Pülverchen bei Überdosierung weitreichende negative Nebenwirkungen entfalten. Dass die Zusammenhänge hier wesentlich komplexer sind und sich nicht an einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen aufschlüsseln lassen, macht Bartens in beeindruckender Klarheit deutlich. Äußerst versiert führt er durch das Dickicht aus medizinischem Irrglauben und kurzsichtig-ökonomistischer Wissenschaft. Die kann sich sogar die Pizza schönforschen, wenn ihr das von Nutzen sein sollte.
GESINE HINDEMITH
Werner Bartens: "Vorsicht Vorsorge!" Wenn Prävention nutzlos oder gefährlich wird. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 193 S., br., 7,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Werner Bartens warnt vor übertriebener Prävention
Menschen, die erst zum Arzt gehen, wenn sie schon krank sind, trifft man heute immer seltener. Sie sind sogar verdächtig. Man kann ja inzwischen so viel tun, um gesund zu bleiben! Die Möglichkeiten scheinen geradezu unbegrenzt: Von der Krebsvorsorge bis zum arteriendurchpustenden Vitaminpulver ist für jeden etwas dabei. Früherkennung ist längst zum A und O des Gesundheitswesens geworden.
Es gibt jedoch stichhaltige Argumente, dass dem nicht so ist. Der Arzt und Publizist Werner Bartens warnt in seinem neuen Buch "Vorsicht Vorsorge!": Schon längst ist die Arztpraxis nicht mehr ein Ort, der Gesundheit verspricht. In den Wartezimmern regiert vielmehr die Panikmache. Wo früher die aktuelle Frauenzeitschrift auf dem Tischchen lag, wird nun stapelweise Werbematerial der Pharmaindustrie hübsch drapiert. Die Botschaft ist klar: Risiken gibt es überall. Die Mittel dagegen aber auch. Mit bunten Kurven und Diagrammen werden vermeintlich wissenschaftliche Ergebnisse zur Problemlösung angepriesen. Für Bartens steht fest: Das Gesundheitswesen hat sich zur Krankheitsindustrie gewandelt. Die Leute werden systematisch für krank erklärt.
Dabei ist Bartens gar nicht gegen Vorsorge. Er verwehrt sich allerdings gegen die landläufige Annahme, Vorsorge könne in keinem Fall schaden. Das völlig unkritische Verhalten von Ärzten zur Präventionsfrage bedeutet sehr wohl auch ein Risiko für den Patienten. Das sinnlose Verunsichern und Verängstigen ist mitnichten gesundheitsfördernd. Der Autor setzt hier ganz auf Offenheit. Chancen und Risiken einer präventiven Untersuchung oder eines vorbeugenden Verhaltens müssen vom Arzt realistisch erörtert werden. Nur das kann zu gesunden Erwartungshaltungen beim Patienten führen. Die beständige Tendenz zum Fehlalarm könne ganz einfach behoben werden, schreibt Bartens: "Auf der Basis von internationalen Empfehlungen und Artikeln in hochrangigen Fachblättern lässt sich mittlerweile recht genau abschätzen, wie viele Tumore etwa bei der Krebsfrüherkennung übersehen werden oder wie oft es zum Fehlalarm kommt, der die Menschen verunsichert und ängstigt."
Es ist skandalös, dass sich Ärzte lieber an der von der Pharmaindustrie gesteuerten Mythenbildung beteiligen (Cholesterin muss um jeden Preis gesenkt werden, Impfungen sind absolut notwendig, ohne die Hormonersatztherapie geht in den Wechseljahren gar nichts mehr), statt sich mit seriösen Forschungsergebnissen zu beschäftigen und diese dem Patienten zugänglich zu machen. Dem wird nämlich weiter vorgegaukelt, er könne eine Krankheit wie Krebs durch vermehrte Vitamineinnahme verhindern oder den Herzinfarkt durch die richtige Margarine. Dabei können die vermeintlich gesunden Pülverchen bei Überdosierung weitreichende negative Nebenwirkungen entfalten. Dass die Zusammenhänge hier wesentlich komplexer sind und sich nicht an einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen aufschlüsseln lassen, macht Bartens in beeindruckender Klarheit deutlich. Äußerst versiert führt er durch das Dickicht aus medizinischem Irrglauben und kurzsichtig-ökonomistischer Wissenschaft. Die kann sich sogar die Pizza schönforschen, wenn ihr das von Nutzen sein sollte.
GESINE HINDEMITH
Werner Bartens: "Vorsicht Vorsorge!" Wenn Prävention nutzlos oder gefährlich wird. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 193 S., br., 7,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Pizza zur Krebsvorsorge? Gesine Hindemith rümpft die Nase. Spätestens nach der Lektüre von Werner Bartens' Warnruf geht sie mit Präventions-Ratschlägen vorsichtig um. Dass sich das Gesundheitswesen zum notorischen Risikomelder und damit zur Krankheitsindustrie und zum Handlanger der Pharmaindustrie gewandelt hat, macht ihr der Autor stichhaltig klar. Gesundheitsfördernd kann das nicht sein, ahnt die Rezensentin und stimmt dem Autor zu, der zur Erörterung von Chancen und Risiken der Vorsorge im Einzelfall rät, um dem Patienten zu einer "gesunden Erwartungshaltung" zu verhelfen. Mit welcher Klarheit Bartens die komplexen Zusammenhänge von Krankheit und Heilung erläutert und medizinischen Irrglauben und eine ökonomistische Wissenschaft entlarvt, findet Hindemith beeindruckend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Äußerst versiert führt er durch das Dickicht aus medizinischem Irrglauben und kurzsichtig-ökonomistischer Wissenschaft.« Gesine Hindemith Frankfurter Allgemeine Zeitung