Die Beschäftigung mit den ökonomischen Implikationen einer Währungsunion gehört gegenwärtig, vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Einführung einer gemeinsamen (west-)europäischen Währung, zu den meist diskutierten Fragen in der Wirtschaftswissenschaft. Gegenstand der in letzter Zeit veröffentlichten Arbeiten ist zumeist eine Analyse der Währungsintegration, also der Frage des Zusammenschlusses mindestens zweier, bislang voneinander getrennter, Währungsgebiete. Welche Voraussetzungen und institutionellen Vorkehrungen müssen vor Errichtung einer Währungsunion erfüllt sein, wie sollte der Weg zu einer Währungsunion gestaltet sein, wie die Zentralbankverfassung einer, mehrere Mitglieder umfassenden, Union aussehen, was sind die Auswirkungen unterschiedlicher Politiken in den Mitgliedstaaten auf die Union und die Partnerstaaten? Diese Arbeit geht, vor dem Hintergrund der Auflösung des gemeinsamen Währungsgebiets auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion, vielleicht aber auch in einem kühnen Vorgriff auf mögliche zukünftige Entwicklungen in Europa, den umgekehrten Weg. Ab wann ist es für einen Mitgliedstaat einer Währungsunion ökonomisch sinnvoll, diese zu verlassen? Wie vollzieht sich der Prozeß einer Währungsdesintegration? Gibt es theoretische Erklärungsansätze für die Dynamik eines solchen Prozesses? Existieren Parallelen zum Prozeß der Währungsintegration, inwieweit kann daher auf die in diesem Bereich schon vorliegenden Ansätze zurückgegriffen werden? Sind Währungsintegration und Währungsdesintegration nur zwei ähnliche Seiten derselben Medaille, des Wechsels der Währungsordnung? Hier liegt der theoretische Schwerpunkt der Arbeit. Der Begriff der Währungsdesintegration wird dabei eng auf das Ende von Währungsunionen unddie in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme beschränktl , es geht also nicht um andere Formen der Desintegration im monetären Bereich, wie etwa den Zerfall von WechselkursverbÜllden oder die Auflösung von Finanzbeziehungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.1998Wenn jemand die Währungsunion verläßt
Eine Analyse der Desintegration
Clemens Muth: Währungsdesintegration - Das Ende von Währungsunionen. Physica-Verlag, Heidelberg 1997, 383 Seiten, 98 DM.
Sind Währungsunionen der Anfang vom Ende? Schaut man auf die Geschichte zurück, so gibt es eine recht eindeutige Antwort. Denn was haben die Rubelzone, die Kronenzone, die deutsch-österreichische Münzunion, die Lateinische und die Skandinavische Münzunion gemeinsam? Sie sind alle gescheitert. Aber bevor man aus diesen historischen Gegebenheiten allgemeine Schlußfolgerungen ziehen will, sollte man sich die Gründe für das Scheitern der einzelnen Währungsunionen genau ansehen. Clemens Muth schwimmt gegen den Strom der monetären Literatur und untersucht, welche Anreize ein Land zu einem Austritt aus einer Währungsunion bewegen. Er analysiert die Desintegration und nicht die Integration.
Muth gliedert sein Buch grob in zwei Teile: in einen theoretischen und einen praktischen. Der Hauptteil der Arbeit und zugleich ihre Stärke liegt eindeutig in der Darstellung der realen Währungsdesintegration, also im zweiten Teil des Buches. Muth greift hier zwei Beispiele heraus: das Ende der Kronenzone nach dem Ersten Weltkrieg sowie das Ende der Rubelzone von 1992 an. Eine so ausführliche, republikbezogene Darstellung der Währungsdesintegration auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion ist bisher kaum im deutschen Sprachraum zu finden.
Der erste, theoretische Teil des Buches überrascht insofern, als der Autor hier zum weitaus größten Teil die Gründe für eine Währungsintegration erläutert. Der Ansatz einer eigenständigen Theorie der Desintegration ist dagegen verhältnismäßig knapp. Insofern läßt der theoretische Abschnitt noch Raum für weitere Forschungen.
So unterschiedlich die von Muth gewählten historischen Beispiele auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, so interessant sind seine Schlußfolgerungen, die er nach der Analyse des Phänomens der Währungsdesintegration zieht und die bei zukünftigen Währungsunionen beachtet werden sollten. Wichtig ist dabei vor allem, daß die Prozedur eines Austritts aus einer Währungsunion vertraglich geregelt sein sollte. Das schlösse im Fall der Europäischen Währungsunion ein Abweichen von dem gebetsmühlenartig wiederholten Credo ein, wonach es sich hier um eine "nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft" handele. Muth schreibt: "Auch wenn ein solches Begehren (nach Austrittsregeln, der Rezensent) einem politischen Tabubruch gleichkommt, erscheint es angesichts der destabilisierenden Effekte eines unkoordinierten Austrittsverfahrens unverzichtbar." Mit Währungsunionen verhält es sich wie mit dem richtigen Leben: Mit einem Ehevertrag fällt die Scheidung leichter.
Aber Vorsicht ist geboten, wollte man die historischen Ergebnisse auf die Europäische Währungsunion übertragen. Immerhin sind sowohl der sowjetische Rubel als auch die österreichisch-ungarische Krone zunächst die Währung eines Gesamtstaates gewesen, die auch nach dem Zerfall der politischen Einheit beibehalten worden ist. Im Zuge der Auflösung der staatlichen Strukturen ist deshalb die zeitlich verzögerte Auflösung der Währungsunion nur konsequent gewesen. Mit der Europäischen Währungsunion wird der umgekehrte Weg gewählt: Zuerst soll die monetäre Einheit verwirklicht werden, dann soll die politische folgen. Dennoch läßt sich eine Erkenntnis sicherlich übertragen: Die gemeinsame Währung allein ist ein schlechter Kitt für eine Währungsunion, wenn - wie Muth schreibt - "nicht ein Mindestmaß an politischem Willen zu ihrer Aufrechterhaltung" besteht. Offensichtlich ist der politische Wille zur Schaffung der Europäischen Währungsunion zumindest derzeit stark. Insofern wäre hier die Frage nach einem Austritt gerade aus ökonomischen und nicht aus politischen Motiven interessant. Könnte es zum Beispiel sein, daß die ökonomischen Kosten des Austritts niedriger sind als der Nutzen, Mitglied zu bleiben?
Die Währungsdesintegration taugt gerade aus ökonomischen Gründen nicht als Seelentröster für enttäuschte Euro-Skeptiker: Die ökonomischen Kosten des Ausscheidens wären vermutlich immens, auch wenn es darüber keine brauchbaren Schätzungen gibt. Welche politischen Turbulenzen entstehen könnten, sollte ein Land auch nur mit dem Austritt drohen, packt Muth in den Begriff des "Austrittswettlaufs": Kündigt der erste Staat den Austritt an, wird das Schicksal der Währungsunion in Frage gestellt, und es entsteht Unsicherheit darüber, wie die anderen Partner agieren. Folglich sinkt der Nutzen der Währungsunion, während der Nutzen der Desintegration steigt. Es wundert also nicht, wenn von offizieller Seite offensichtlich vermieden wird, das Thema des Austritts auch nur anzusprechen. Aber die Augen vor diesem Problem zu verschließen hieße eben gerade nicht, diese Frage zu lösen. CHRISTIANE NICKEL
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Eine Analyse der Desintegration
Clemens Muth: Währungsdesintegration - Das Ende von Währungsunionen. Physica-Verlag, Heidelberg 1997, 383 Seiten, 98 DM.
Sind Währungsunionen der Anfang vom Ende? Schaut man auf die Geschichte zurück, so gibt es eine recht eindeutige Antwort. Denn was haben die Rubelzone, die Kronenzone, die deutsch-österreichische Münzunion, die Lateinische und die Skandinavische Münzunion gemeinsam? Sie sind alle gescheitert. Aber bevor man aus diesen historischen Gegebenheiten allgemeine Schlußfolgerungen ziehen will, sollte man sich die Gründe für das Scheitern der einzelnen Währungsunionen genau ansehen. Clemens Muth schwimmt gegen den Strom der monetären Literatur und untersucht, welche Anreize ein Land zu einem Austritt aus einer Währungsunion bewegen. Er analysiert die Desintegration und nicht die Integration.
Muth gliedert sein Buch grob in zwei Teile: in einen theoretischen und einen praktischen. Der Hauptteil der Arbeit und zugleich ihre Stärke liegt eindeutig in der Darstellung der realen Währungsdesintegration, also im zweiten Teil des Buches. Muth greift hier zwei Beispiele heraus: das Ende der Kronenzone nach dem Ersten Weltkrieg sowie das Ende der Rubelzone von 1992 an. Eine so ausführliche, republikbezogene Darstellung der Währungsdesintegration auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion ist bisher kaum im deutschen Sprachraum zu finden.
Der erste, theoretische Teil des Buches überrascht insofern, als der Autor hier zum weitaus größten Teil die Gründe für eine Währungsintegration erläutert. Der Ansatz einer eigenständigen Theorie der Desintegration ist dagegen verhältnismäßig knapp. Insofern läßt der theoretische Abschnitt noch Raum für weitere Forschungen.
So unterschiedlich die von Muth gewählten historischen Beispiele auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, so interessant sind seine Schlußfolgerungen, die er nach der Analyse des Phänomens der Währungsdesintegration zieht und die bei zukünftigen Währungsunionen beachtet werden sollten. Wichtig ist dabei vor allem, daß die Prozedur eines Austritts aus einer Währungsunion vertraglich geregelt sein sollte. Das schlösse im Fall der Europäischen Währungsunion ein Abweichen von dem gebetsmühlenartig wiederholten Credo ein, wonach es sich hier um eine "nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft" handele. Muth schreibt: "Auch wenn ein solches Begehren (nach Austrittsregeln, der Rezensent) einem politischen Tabubruch gleichkommt, erscheint es angesichts der destabilisierenden Effekte eines unkoordinierten Austrittsverfahrens unverzichtbar." Mit Währungsunionen verhält es sich wie mit dem richtigen Leben: Mit einem Ehevertrag fällt die Scheidung leichter.
Aber Vorsicht ist geboten, wollte man die historischen Ergebnisse auf die Europäische Währungsunion übertragen. Immerhin sind sowohl der sowjetische Rubel als auch die österreichisch-ungarische Krone zunächst die Währung eines Gesamtstaates gewesen, die auch nach dem Zerfall der politischen Einheit beibehalten worden ist. Im Zuge der Auflösung der staatlichen Strukturen ist deshalb die zeitlich verzögerte Auflösung der Währungsunion nur konsequent gewesen. Mit der Europäischen Währungsunion wird der umgekehrte Weg gewählt: Zuerst soll die monetäre Einheit verwirklicht werden, dann soll die politische folgen. Dennoch läßt sich eine Erkenntnis sicherlich übertragen: Die gemeinsame Währung allein ist ein schlechter Kitt für eine Währungsunion, wenn - wie Muth schreibt - "nicht ein Mindestmaß an politischem Willen zu ihrer Aufrechterhaltung" besteht. Offensichtlich ist der politische Wille zur Schaffung der Europäischen Währungsunion zumindest derzeit stark. Insofern wäre hier die Frage nach einem Austritt gerade aus ökonomischen und nicht aus politischen Motiven interessant. Könnte es zum Beispiel sein, daß die ökonomischen Kosten des Austritts niedriger sind als der Nutzen, Mitglied zu bleiben?
Die Währungsdesintegration taugt gerade aus ökonomischen Gründen nicht als Seelentröster für enttäuschte Euro-Skeptiker: Die ökonomischen Kosten des Ausscheidens wären vermutlich immens, auch wenn es darüber keine brauchbaren Schätzungen gibt. Welche politischen Turbulenzen entstehen könnten, sollte ein Land auch nur mit dem Austritt drohen, packt Muth in den Begriff des "Austrittswettlaufs": Kündigt der erste Staat den Austritt an, wird das Schicksal der Währungsunion in Frage gestellt, und es entsteht Unsicherheit darüber, wie die anderen Partner agieren. Folglich sinkt der Nutzen der Währungsunion, während der Nutzen der Desintegration steigt. Es wundert also nicht, wenn von offizieller Seite offensichtlich vermieden wird, das Thema des Austritts auch nur anzusprechen. Aber die Augen vor diesem Problem zu verschließen hieße eben gerade nicht, diese Frage zu lösen. CHRISTIANE NICKEL
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