Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2010Rattennester der Vergangenheit
In Rücksichten verstrickt: Erich Loest fischt im Wäschekorb der DDR-Erinnerungen
Die jüngste Erzählung von Erich Loest steckt in einem rötlichen Einband, auf dem blass, aber durchaus erkennbar das Wahrzeichen der einstigen DDR-Machthaber schimmert: zwei genossenschaftlich verbundene Hände vor einer Fahne, umringt von den Worten "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands". Darüber der Titel des Bändchens, er lautet: "Wäschekorb". Wie passt das zueinander? Der Buchtext erklärt es uns ganz nebenbei, er präsentiert uns einen Wäschekorb als Mülleimer, in den enttäuschte und verärgerte Genossen ihre Parteibücher warfen - während der Wendezeit natürlich, als die DDR sich auflöste, nicht etwa vorher.
Ein Rückblick also auf heroische Zeiten? Das nun gewiss nicht. Welche Hoffnungen auch immer die Ereignisse von 1989/90 in Loest erweckt haben mögen, inzwischen betrachtet er sie, vor allem aber ihre Resultate, höchst kritisch. Man kann das in seinen Büchern der letzten Jahre nachlesen, auch in der neuen Erzählung. Die entwickelt sich, von Seite zu Seite deutlicher, zur Materialisierung ihres Titels, nämlich zum Abfallkorb für die Ideen und Machenschaften sturköpfiger DDR-Überlebender. Freilich präsentiert uns dieser Korb zu keiner Zeit Zeugnisse für endlich gewonnene Einsichten zuvor Unbelehrbarer. Ganz offensichtlich hat Loest, seit er 1990 aus dem Bonner Exil in seine Stadt Leipzig zurückkehrte, in deren Alltag vieles erlebt, gehört, gesehen, was Westbürger allenfalls aus den Medien kennen, aber nicht so zu werten wissen wie jemand, der wie der Autor durch schmerzliche DDR-Erfahrungen geprägt ist. Loest reagierte auf diese Schockerlebnisse mit literarischen Szenarien, in denen nicht ausgeräumte Rattennester der Vergangenheit sichtbar werden samt der Bedrohung, die sie für das heutige Deutschland bedeuten könnten, besonders in politisch oder wirtschaftlich schwierigen Phasen. Exakt so verfährt er auch in der Erzählung "Wäschekorb".
Hier werden uns Lebensgeschichten vorgetragen, die es wirklich gegeben hat. Den Autor erreichten sie, wie seinem Text zu entnehmen ist, teils durch allerlei Begegnungen und Mitteilungen, vor allem aber durch die Lektüre von Unterlagen der einstigen Gauck-, heutigen Birthler-Behörde. Wir erfahren von den politischen Wegen deutscher Kommunisten im zwanzigsten Jahrhundert, auch von dem, was ihre Partei als Irrweg oder Abweichung deklarierte. Jeder, den wir in "Wäschekorb" kennenlernen, hat irgendwann mal etwas falsch gemacht, und jeder von ihnen hat es büßen müssen. Das berüchtigte Zuchthaus Bautzen II (in dem auch Loest sieben Jahre verbringen musste) spielt dabei eine große Rolle, eine mindestens ebenso große das sowjetische Straflager Workuta.
Wenn man von all jenen Leiden liest, so erwartet man eigentlich, dass die Betroffenen sich für immer von ihren Peinigern abkehren. Aber auf manch einen lauerte offenbar am Ende der Maßregelung die Chance einer neuen Politkarriere, und solche Typen reiften dann zu Funktionären, von denen das gewöhnliche Volk weder Erbarmen noch Verständnis zu erwarten hatte. Und nun, in der Nachwendezeit, mögen sie sich nicht damit abfinden, dass der Lohn ihrer Fügsamkeit, ihr einstiges Stückchen Macht, ihnen nicht mehr gehören soll.
Der Autor Loest hat sein Bündel Polit-Biographien einem Bücherschreiber überantwortet, der unter den wichtigen Erzählfiguren der einzige Erfundene ist. Auch er hat seinerzeit ein bisschen was vom Würgegriff des Regimes abbekommen. Doch genau wie den Genossen, von denen er berichten möchte, sind ihm Erfolg und Geltung wichtiger als die Wahrheit. Also ist er gezwungen, sich in ständige Rücksichtnahme zu verstricken. Infolgedessen wird sein Gedenkbuch niemals fertig.
SABINE BRANDT
Erich Loest: "Wäschekorb". Erzählung. Steidl Verlag, Göttingen 2009. 109 S., br., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Rücksichten verstrickt: Erich Loest fischt im Wäschekorb der DDR-Erinnerungen
Die jüngste Erzählung von Erich Loest steckt in einem rötlichen Einband, auf dem blass, aber durchaus erkennbar das Wahrzeichen der einstigen DDR-Machthaber schimmert: zwei genossenschaftlich verbundene Hände vor einer Fahne, umringt von den Worten "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands". Darüber der Titel des Bändchens, er lautet: "Wäschekorb". Wie passt das zueinander? Der Buchtext erklärt es uns ganz nebenbei, er präsentiert uns einen Wäschekorb als Mülleimer, in den enttäuschte und verärgerte Genossen ihre Parteibücher warfen - während der Wendezeit natürlich, als die DDR sich auflöste, nicht etwa vorher.
Ein Rückblick also auf heroische Zeiten? Das nun gewiss nicht. Welche Hoffnungen auch immer die Ereignisse von 1989/90 in Loest erweckt haben mögen, inzwischen betrachtet er sie, vor allem aber ihre Resultate, höchst kritisch. Man kann das in seinen Büchern der letzten Jahre nachlesen, auch in der neuen Erzählung. Die entwickelt sich, von Seite zu Seite deutlicher, zur Materialisierung ihres Titels, nämlich zum Abfallkorb für die Ideen und Machenschaften sturköpfiger DDR-Überlebender. Freilich präsentiert uns dieser Korb zu keiner Zeit Zeugnisse für endlich gewonnene Einsichten zuvor Unbelehrbarer. Ganz offensichtlich hat Loest, seit er 1990 aus dem Bonner Exil in seine Stadt Leipzig zurückkehrte, in deren Alltag vieles erlebt, gehört, gesehen, was Westbürger allenfalls aus den Medien kennen, aber nicht so zu werten wissen wie jemand, der wie der Autor durch schmerzliche DDR-Erfahrungen geprägt ist. Loest reagierte auf diese Schockerlebnisse mit literarischen Szenarien, in denen nicht ausgeräumte Rattennester der Vergangenheit sichtbar werden samt der Bedrohung, die sie für das heutige Deutschland bedeuten könnten, besonders in politisch oder wirtschaftlich schwierigen Phasen. Exakt so verfährt er auch in der Erzählung "Wäschekorb".
Hier werden uns Lebensgeschichten vorgetragen, die es wirklich gegeben hat. Den Autor erreichten sie, wie seinem Text zu entnehmen ist, teils durch allerlei Begegnungen und Mitteilungen, vor allem aber durch die Lektüre von Unterlagen der einstigen Gauck-, heutigen Birthler-Behörde. Wir erfahren von den politischen Wegen deutscher Kommunisten im zwanzigsten Jahrhundert, auch von dem, was ihre Partei als Irrweg oder Abweichung deklarierte. Jeder, den wir in "Wäschekorb" kennenlernen, hat irgendwann mal etwas falsch gemacht, und jeder von ihnen hat es büßen müssen. Das berüchtigte Zuchthaus Bautzen II (in dem auch Loest sieben Jahre verbringen musste) spielt dabei eine große Rolle, eine mindestens ebenso große das sowjetische Straflager Workuta.
Wenn man von all jenen Leiden liest, so erwartet man eigentlich, dass die Betroffenen sich für immer von ihren Peinigern abkehren. Aber auf manch einen lauerte offenbar am Ende der Maßregelung die Chance einer neuen Politkarriere, und solche Typen reiften dann zu Funktionären, von denen das gewöhnliche Volk weder Erbarmen noch Verständnis zu erwarten hatte. Und nun, in der Nachwendezeit, mögen sie sich nicht damit abfinden, dass der Lohn ihrer Fügsamkeit, ihr einstiges Stückchen Macht, ihnen nicht mehr gehören soll.
Der Autor Loest hat sein Bündel Polit-Biographien einem Bücherschreiber überantwortet, der unter den wichtigen Erzählfiguren der einzige Erfundene ist. Auch er hat seinerzeit ein bisschen was vom Würgegriff des Regimes abbekommen. Doch genau wie den Genossen, von denen er berichten möchte, sind ihm Erfolg und Geltung wichtiger als die Wahrheit. Also ist er gezwungen, sich in ständige Rücksichtnahme zu verstricken. Infolgedessen wird sein Gedenkbuch niemals fertig.
SABINE BRANDT
Erich Loest: "Wäschekorb". Erzählung. Steidl Verlag, Göttingen 2009. 109 S., br., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In ihrer Kritik von Erich Loests jüngstem Erzählband "Wäschekorb" erklärt uns Sabine Brandt zunächst die Bedeutung des Titels. In einen Wäschekorb warfen zu Wendezeiten "enttäuschte und verärgerte Genossen" ihr Parteibuch, ohne sich allerdings, wie der Autor in seinem Buch darlegt, unbedingt von alten Ideologien und Überzeugungen abzuwenden. Im vorliegenden Band trägt ein fiktiver Erzähler DDR-Biografien von Menschen zusammen, die zwar unter Maßregelungen des Regimes gelitten haben, die aber - nach ihrer Rehabilitierung und Karriere in der Politik - nur umso unnachgiebiger für Partei und Ideologie eintraten, erfahren wir. Brandt hebt dabei die Erzählerfigur hervor, die als einzige Figur des Bandes erfunden sei und sich als ebenfalls nicht der "Wahrheit" verpflichtet entpuppt, sondern vielmehr "Erfolg und Geltung" sucht, wie die Rezensentin bemerkt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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