Egmont Koch erzählt in seiner so spannenden wie präzise recherchierten Biografie das Leben Wagners: Er schildert die Jugend und die Kriegsjahre des jungen Reinemers, seine Verbrechen als Unterscharführer der Totenkopf-SS in den KZs Lichtenburg und Treblinka, seine Verpflichtung als Agent des Geheimdiensts der US-Armee (CIC), um ehemalige Kameraden und Nazi-Verbrecher aufzuspüren, seine Zeit in Frankreich als Ingenieur bei der Air France, die Jahre als Spion des CIA in der DDR während des Kalten Krieges, seine zahlreichen Ehen und Affären, die Annahme einer falschen jüdischen Identität sowie seinen sozialen Aufstieg in Caracas an der Seite seiner jüdischen Frau Rosa. Erst im August 1988 wird die Lebenslüge Hans-Georg Wagners aufgedeckt: Nach Verhören durch den venezolanischen Geheimdienst und dem Beauftragten einer deutschen Unternehmensberatung, Klaus-Dieter Matschke, legt Wagner ein schonungsloses Geständnis ab. Nur wenige Tage danach stirbt er unter mysteriösen Umständen i m Alter von siebzig Jahren. Egmont Koch hat über viele Jahre hinweg Reinemers/Wagners Spuren verfolgt. Seine vorliegende Biografie beruht auf zahlreichen Zeugenaussagen aus Wagners nächstem Umfeld, Briefen, abgehörten Telefonaten und Verhörprotokollen des venezolanischen Geheimdienstes und aus Stasi-Akten sowie weiteren Dokumenten und Fotos. Egmont Koch zeichnet das Bild eines ebenso skrupellosen wie geltungssüchtigen Mannes, der im wahrsten Sinne "über Leichen" ging. Ein Mann, der stets und ausschließlich auf seinen Vorteil bedacht raffiniert die gebotenen Chancen zu nutzen wusste. "Wagners Geständnis" aber ist nicht nur die Geschichte einer lebenslangen Lüge, sondern erzählt auch von den Wirrnissen und Verwicklungen der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, die sich auf beeindruckende Weise im schillernd-skrupellosen Leben dieses Mannes spiegeln.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2002Organisationstalent
TREBLINKA. War er ein Mörder? Wahrscheinlich. Sicher war er ein Folterknecht, ein Hochstapler und ein Betrüger. Als Günter Reinemer wurde er 1918 in Dresden geboren und starb 1988 als Georg Wagner in Caracas. Der gelernte Tischler bewachte seit Mai 1936 als SS-Mann das KZ Lichtenburg, in dem Willkür, Prügel und Mord an der Tagesordnung waren. Unehrenhaft entlassen, fand Reinemer in der sächsischen Provinz Arbeit. 1941 wurde er Soldat und bald durch eine Verwundung untauglich. Wieder bei der SS, bewachte er das Arbeitslager Treblinka I. Er beteiligte sich an der Niederschlagung des Aufstandes im Vernichtungslager Treblinka II im August 1943 und an der anschließenden Ermordung der Überlebenden. 1945 geriet er in amerikanische Gefangenschaft und horchte als Spitzel der Sieger Kriegsgefangene aus. Aus Günter Reinemer wurde damals Hans Georg Wagner aus Breslau. 1948 verschlug es ihn nach Frankreich. Reinemer/Wagner muß eine gute Auffassungsgabe und Organisationstalent besessen haben, denn nie traten Zweifel an seiner fachlichen Qualifikation auf. Er war Luftfahrtingenieur in Paris und Berlin, 1953 bis 1957 Kraftwerksingenieur bei Halle an der Saale. Wieder im Westen leitete der Hochstapler und Bigamist unter anderem den Aufbau eines Stahlwerkes in Belgien. 1973 wechselte er seinen Wirkungskreis. Er gab sich als Jude aus, lernte in Israel eine vermögende venezolanische Jüdin polnischer Herkunft kennen und folgte ihr nach Caracas. Dort etablierte er sich als Unternehmensberater. Seine Hochstapeleien wurden so dreist, daß er die Aufmerksamkeit einer deutschen Wirtschaftsdetektei erregte. 1988 trieben ihn deutsche Ermittler derart in die Enge, daß er seine Lebensgeschichte preisgab. Egmont R. Koch hat die Spuren zusammengetragen: eine kriminelle Karriere - begünstigt durch ein kriminelles Regime. Die Schicksale derjenigen NS-Täter, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollten, sind vielfältig: Klaus Barbie wurde Berater eines drittrangigen Diktators; Hauptsturmführer Hans Schneider erkämpfte sich als Hans Schwerte einen Platz in der deutschen Wissenschaft. Wie viele blieben unentdeckt? (Egmont R. Koch: Wagners Geständnis. Wie sich ein SS-Mann als Jude tarnte. Verlag C. Bertelsmann, München 2001. 382 Seiten, 24,- Euro.)
KLAUS A. LANKHEIT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
TREBLINKA. War er ein Mörder? Wahrscheinlich. Sicher war er ein Folterknecht, ein Hochstapler und ein Betrüger. Als Günter Reinemer wurde er 1918 in Dresden geboren und starb 1988 als Georg Wagner in Caracas. Der gelernte Tischler bewachte seit Mai 1936 als SS-Mann das KZ Lichtenburg, in dem Willkür, Prügel und Mord an der Tagesordnung waren. Unehrenhaft entlassen, fand Reinemer in der sächsischen Provinz Arbeit. 1941 wurde er Soldat und bald durch eine Verwundung untauglich. Wieder bei der SS, bewachte er das Arbeitslager Treblinka I. Er beteiligte sich an der Niederschlagung des Aufstandes im Vernichtungslager Treblinka II im August 1943 und an der anschließenden Ermordung der Überlebenden. 1945 geriet er in amerikanische Gefangenschaft und horchte als Spitzel der Sieger Kriegsgefangene aus. Aus Günter Reinemer wurde damals Hans Georg Wagner aus Breslau. 1948 verschlug es ihn nach Frankreich. Reinemer/Wagner muß eine gute Auffassungsgabe und Organisationstalent besessen haben, denn nie traten Zweifel an seiner fachlichen Qualifikation auf. Er war Luftfahrtingenieur in Paris und Berlin, 1953 bis 1957 Kraftwerksingenieur bei Halle an der Saale. Wieder im Westen leitete der Hochstapler und Bigamist unter anderem den Aufbau eines Stahlwerkes in Belgien. 1973 wechselte er seinen Wirkungskreis. Er gab sich als Jude aus, lernte in Israel eine vermögende venezolanische Jüdin polnischer Herkunft kennen und folgte ihr nach Caracas. Dort etablierte er sich als Unternehmensberater. Seine Hochstapeleien wurden so dreist, daß er die Aufmerksamkeit einer deutschen Wirtschaftsdetektei erregte. 1988 trieben ihn deutsche Ermittler derart in die Enge, daß er seine Lebensgeschichte preisgab. Egmont R. Koch hat die Spuren zusammengetragen: eine kriminelle Karriere - begünstigt durch ein kriminelles Regime. Die Schicksale derjenigen NS-Täter, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollten, sind vielfältig: Klaus Barbie wurde Berater eines drittrangigen Diktators; Hauptsturmführer Hans Schneider erkämpfte sich als Hans Schwerte einen Platz in der deutschen Wissenschaft. Wie viele blieben unentdeckt? (Egmont R. Koch: Wagners Geständnis. Wie sich ein SS-Mann als Jude tarnte. Verlag C. Bertelsmann, München 2001. 382 Seiten, 24,- Euro.)
KLAUS A. LANKHEIT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"In seiner knappen Kritik referiert Klaus A. Lankheit die Ergebnisse des Buches, das den Werdegang des SS-Mannes und Hochstaplers Günter Reinemer schildert. Er lobt den Autor dafür, die "Spuren" Reinemers zusammengetragen zu haben, der in der Nachkriegszeit nicht nur als Luftfahrtingenieur hochstapelte, sondern auch nicht davor zurückschreckte, sich als Jude auszugeben.
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"