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Daß Adolf Hitler von frühester Jugend an ein Bewunderer Richard Wagners war, ist bekannt. Viel weniger bekannt ist, wie sehr Hitler sich zeitlebens mit dem Wagnerschen Gedankengut identifiziert hat. Joachim Köhler hat alle verfügbaren Quellen und die gesamte relevante Literatur ausgewertet und zeigt uns hier einen Hitler, der durch und durch von Wagner geprägt ist, nicht nur in inhaltlicher Dimension, sondern auch hinsichtlich der Dramaturgie und des Pomps seines Auftretens, seiner Theatralik, seiner rhetorischen Grundmuster.

Produktbeschreibung
Daß Adolf Hitler von frühester Jugend an ein Bewunderer Richard Wagners war, ist bekannt. Viel weniger bekannt ist, wie sehr Hitler sich zeitlebens mit dem Wagnerschen Gedankengut identifiziert hat. Joachim Köhler hat alle verfügbaren Quellen und die gesamte relevante Literatur ausgewertet und zeigt uns hier einen Hitler, der durch und durch von Wagner geprägt ist, nicht nur in inhaltlicher Dimension, sondern auch hinsichtlich der Dramaturgie und des Pomps seines Auftretens, seiner Theatralik, seiner rhetorischen Grundmuster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.1997

Wagners eigenwilliger Vollstrecker
Dort, wo sein Wähnen Quellen fand, legte Köhler Zettel an: Seine Doppelbiographie redet von Wagners Hitler, nicht von Hitlers Wagner

Zu den sonderbar vernachlässigten Themen der politischen Kulturgeschichte gehören die Rolle und der Einfluß, die Richard Wagner über Generationen hin ausgeübt hat. Die Zusammenhänge sind nicht nur durch das im buchstäblichen Sinne überwältigende Werk verstellt worden, sondern auch durch die stete Bayreuther Vertuschungsstrategie, die überall ihre Helfer hat. Dabei zählt der Komponist mitsamt seinem essayistischen Werk zu den Großideologen des neunzehnten Jahrhunderts, der über ungezählte Zwischenträger den politisch-apolitischen Bilderfundus der Deutschen, ihre anhaltende Affäre mit tragödienhaften Verstrickungen und großen Untergängen geprägt und nicht zufällig im Nationalsozialismus seine Stunde gehabt hat. Viele der Fragen, die sich aus alledem ergeben, sind bislang kaum oder unzureichend erörtert worden.

Immerhin gibt es Anzeichen dafür, daß die Schweigemauer zu bröckeln beginnt. Einiges, wie Annette Heins Untersuchung über die Ideologie der "Bayreuther Blätter", ist erschienen, anderes in Vorbereitung. Zu den Zeichen dieses endlich erwachenden Interesses gehört auch Joachim Köhlers Arbeit über "Wagners Hitler".

Der Titel deutet schon die These des Buches an, wonach Hitler nichts anderes war als der willige Vollstrecker der in Musik und Schrift entwickelten Ideologie des Bayreuther Meisters. Wagners Affekt gegen die Welt - seine Vergeltungsphantasien, der Erlösungswahn, der ihn beherrschte, und zumal sein Judenhaß - fanden in Hitler einen politisch befähigten Adepten. Noch die Katastrophe, in die seine Herrschaft auslief, versuchte auf riesenhaft erweiterter Bühne die Opernschauer wieder zu erleben, die er - erstmals im Linzer Stehparkett, dann in Wien, München und anderswo - wie ein Süchtiger immer wieder gesucht und empfunden hat.

Diese Überlegungen sind nicht ganz neu und haben sich schon manchem Betrachter aufgedrängt. Neu indessen ist der minutiöse Eifer, mit dem Köhler die Nachweise dafür zusammenträgt. Mit einem staunenswerten Fleiß hat er aus mitunter auch entlegenen Quellen herbeigeschafft, was seine Auffassung stützt, und im Grunde legt er weniger eine Untersuchung vor als ein gereiztes Plädoyer. In eine Art locker verknüpfter Doppelbiographie verbindet er die Ressentimentbildungen des einen mit denen des anderen, weist Parallelen nach und vergleichbare Anstöße.

Daß dies ungeachtet der nahezu achtzig Jahre, die beide Biographien trennen, gelingen kann, zeigt einmal mehr, wie tief Hitler trotz aller Modernität, die er sich zugute hielt, im neunzehnten Jahrhundert verwurzelt war und wie abgestanden das ideologische Rüstzeug, auf das er zurückgriff. Natürlich ist Gobineau eine Schlüsselfigur, aber Köhler zieht in angemessener Breite auch Wagners Schwiegersohn, den womöglich einflußreichsten Populärphilosophen der Wilhelminischen Epoche, Houston Stewart Chamberlain, heran, ferner die Mitglieder des Wagner-Clans, die Festspielführer der zwanziger Jahre, einen der frühen Vertrauensleute Hitlers, Kurt Luedecke, Sekretärinnen, Adjutanten und viele andere. Sie alle belegen nicht nur Hitlers obsessive Wagner-Abhängigkeit, sondern auch den fatalen Einfluß Bayreuths auf die nationalsozialistische Ideologie, die nach einer Bemerkung des Wagner-Enkels Franz Wilhelm Beidler in der Tat "zu einem erschreckend großen Teil Bayreuther Gesinnung" war.

Es ist dies die auffälligste Stärke des Buches. Breiter als anderswo wird der Leser ins Bild gesetzt, wie sehr Hitler alle Politik in mythische Begriffe faßte und sich selber nicht nur als "Wagnerheld" verstand, sondern als der getreueste Jünger des bewunderten Mannes. Die Belege dafür sind überreich. So ist die berühmte Formel aus "Mein Kampf", die Hitlers "Beschluß" festhält, Politiker zu werden, einer Wagner-Sentenz nachgesprochen: "Ich beschloß, Musiker zu werden."

Darüber hinaus ahmte er aber auch im Schriftlichen den enthemmten Wagnerton nach, dessen raum- und zeitübergreifende Analogien mitsamt den Vorzugsmotiven des Meisters, seinen Vernichtungswillen, seine Sehnsucht nach großen "Feuerkuren", die das Alte und Verworfene ausbrennen würden, oder die atavistische Szenerie mit Drachen, Alben oder Lichtgestalten - dies alles erhöht zu rauschhaft zelebrierten Untergängen. Noch der Doppelselbstmord im Bunker unter der Reichskanzlei folgte einer Vorgabe, die Wagner nicht nur in mehreren Opern durchgespielt, sondern auch für sich selbst und Cosima verschiedentlich erwogen hatte.

Die Zitierlust des Verfassers, in der dies alles vorgeführt wird, ist aber auch eine Schwäche des Buches. Es gibt Absätze von wenigen Zeilen, deren Behauptung mit drei oder auch vier Zitaten abgesichert wird. Ein solches Verfahren hat nicht nur eine oft langatmige Umständlichkeit zur Folge, sondern steht auch der Entwicklung eigener Gedanken im Wege. Außerdem kommt es unvermeidlicherweise zu Wiederholungen in der Sache, als solle aus der ganzen Zettelkasten-Herrlichkeit kein Wort verloren gegeben werden.

Bedenklicher ist, daß der anklägerische Charakter des Buches jede Differenzierung unmöglich macht. Nach Auffassung Köhlers ist alles Ideologische schon bei Wagner vorgebildet: der Judenhaß, die ewige Ausrottungswut sowie des System der verbrämten Rechtfertigungen. Nur das "Wie? der technischen Durchführbarkeit", heißt es einmal, habe er noch offenlassen müssen, und in diese Leerstelle sei Hitler eingerückt. Was er als seine historische Mission verstand, sei nichts anderes als die Verwirklichung Wagnerscher Postulate gewesen und Hitler folglich nur dessen politischer Vollstrecker.

Die These verkleinert Hitlers originäres Verbrechertum ebenso, wie sie Wagners cholerischen, oft als bloße Suada erkennbaren Antisemitismus zur Bedeutung einer geschlossenen Ideologie aufbläht. Auch in die Werke liest der Verfasser eine durchgehend antijüdische Tendenz hinein, nicht nur in den "Ring" oder "Parsifal". Beckmesser beispielsweise erscheint bei ihm als abgefeimte Judenkarikatur; die Auseinandersetzung, die seit Jahren darüber im Gange ist, erwähnt er zwar, nimmt ihre Argumente aber nicht zur Kenntnis. Der Begegnung, die Hitler im September 1923, wenige Wochen vor dem gescheiterten Münchener Putsch, in Bayreuth mit dem todkranken Houston Stewart Chamberlain hatte, mißt Köhler ausschlaggebende Bedeutung für die "Endlösung der Judenfrage" zu, ohne mehr als Vermutungen dafür beizubringen. Er spricht von der "explosionsartigen Steigerung des Selbstbewußtseins", die Hitler durch diesen gleichsam von Wagner selber herkommenden Auftrag erfahren habe. Aber noch Monate später sah er sich, wie die Historiker wissen, nur als "Trommler" und "Johannesfigur", die dem erwarteten Erlöser den Weg bereite.

Bei Nietzsche heißt es einmal dem Sinne nach, das Ethos wissenschaftlichen Arbeitens laute, nichts zurückzuhalten, was gegen den eigenen Gedanken gedacht werden könne. Köhler dagegen schreibt "zweifelsfrei", wo erhebliche Zweifel angezeigt sind, und "sicher", wo es gerade keine Sicherheit gibt. Und sooft die Quellen für seine Bemühung, jede Wagner-Äußerung im antisemitischen Sinne zu deuten, nichts hergeben, spricht er von "Tarnsprache" oder verschlüsselten Botschaften unter Eingeweihten. Aber manchmal ist eine Harmlosigkeit wirklich nur eine Harmlosigkeit. Und ganz außer Betracht bleibt die gerade im Fall Wagners naheliegende Erwägung, daß der Urheber eines so komplexen und von Widersprüchen durchsetzten Werks nicht auf eine einzige, wahnhaft verfolgte Idee zurückgeführt werden kann, ohne ihm Gewalt anzutun.

Überhaupt tut sich das Buch schwer mit Unterscheidungen. Wagners Antisemitismus ist unbestreitbar. Aber man kann zugleich die merkwürdige Anziehungskraft nicht übersehen, die er als Person wie als Musiker gerade auf Juden ausübte. Er hat sie nicht immer nur verteufelt, sie sogar zunehmend in seinen privaten Umkreis hineingezogen, so daß er einmal spottete, Wahnfried werde allmählich zur Synagoge. Und ein andermal, alle Vorurteile überwältigt abwerfend: Die Juden seien am Ende "doch die allervornehmsten". Gerade an solchen Bruchstellen hätte jede Darstellung anzusetzen. Darüber hinaus muß man auch zwischen Wagner und der Bayreuther Brut unterscheiden, die sein Vermächtnis vergröberte und im völkischen Sinne radikalisierte.

Gewiß kam in Hitlers Herrschaft viel zum Vorschein, was auf Wagner zurückgeführt werden kann, nicht nur im Frieden, sondern auch in Krieg und Vernichtung. Aber eine bruchlose Linie von dem Pamphlet "Über das Judentum in der Musik" nach Auschwitz läßt sich schwerlich ziehen. Was immer geschah, war niemals nur Wagner-Nachfolge, sondern stets auch Wagner-Mißbrauch, und wer von "Wagners Hitler" spricht, sollte auch von Hitlers Wagner reden. Diesen kleinen und doch riesigen Unterschied herauszufinden, der mit der Frage aller geistigen Urheberschaft zu tun hat, bleibt eine nach wie vor ungelöste Aufgabe. JOACHIM FEST

Joachim Köhler: "Wagners Hitler". Der Prophet und sein Vollstrecker. Blessing Verlag, Berlin 1997. 512 S., geb., 49,80 DM.

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