Das Wunder einer vernünftigen Liebe Verdanken wir das Ideal einer humanistischen Erziehung dem Alltag einer außergewöhnlichen Beziehung' Hazel Rosenstrauchs kritische und wissensgesättigte Annährung an ein Ehepaar, das seiner Zeit weit voraus war. Wilhelm von Humboldt: der große Reformer unseres Bildungswesens, der Diplomat, der Ästhet, der dem Wesen der Antike auf der Spur war, der Sprach-Philosoph, der Goethe- und Schiller-Freund. Seine Persönlichkeit ist nicht denkbar ohne seine Frau, Caroline von Dacheröden, Mutter seiner fünf Kinder, in den Hauptstädten Europas zu Hause: eine Partnerin, die ihm an Weltneugier, Bildung, Kunstsinn und an tätiger Humanität ebenbürtig war. Die beiden verband keine allzu leidenschaftliche Beziehung, doch eine Liebe "auf gleicher Höhe". Die "Individualitäten eines jeden Charakters... in einem so engen Verhältnis wie die Ehe respektiert zu sehen", schrieb sie ihm, "war das einzige, was ich bei dem Mann suchte, dem ich meine Hand geben wollte ..." Das entsprach seinem Wunsch "in dem engsten Verhältnis die höchste Freiheit zu behalten". Anhand unzähliger Briefe, die sich die beiden über Jahrzehnte geschrieben haben, zeichnet Hazel Rosenstrauch mit kritischer Sympathie das Bild einer selbstbewussten Frau, deren Begriff von Liebe und Partnerschaft weit in die Moderne vorauswies, und das ihres Gefährten, der - an ihrem freien Wesen gewachsen - zu einem der großen liberalen Geister unserer Geschichte wurde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2009Die Vermessung der Intimität
Die komplexe Persönlichkeit Wilhelm von Humboldts verschwindet oftmals hinter hehren Klischees: Hazel Rosenstrauch möchte es in ihrer klugen Doppelbiographie etwas genauer wissen.
Auch wenn Alexander von Humboldt in den letzten Jahren durch editorische Großprojekte und Daniel Kehlmanns Bestseller "Die Vermessung der Welt" richtiggehend populär wurde, denkt man, zumindest im deutschsprachigen Raum, beim Namen Humboldt wohl noch immer zuerst an seinen Bruder Wilhelm. Seine engen Beziehungen zu den "Klassikern" Schiller und Goethe, seine Bildungsidee und die Geburt eines neuen Universitätsideals unter seiner Federführung dürften dafür verantwortlich sein. Die komplexe Persönlichkeit Humboldts verschwindet hingegen hinter diesen hehren, geradezu zum Klischee erstarrten Begriffen.
Hazel Rosenstrauch lässt nicht viel von ihnen übrig. Dies liegt keineswegs an einem durchgehend dekonstruktivistischen Ansatz, der auf Legendenzertrümmerung aus ist. Vielmehr nähert sie sich Humboldt voller Sympathie und Respekt, immer mit dem Bemühen um Verstehen und gleichzeitigem Staunen über seinen Lebensentwurf. Sie streicht aber doch die Fremdheit und Disparatheit seiner Ideen heraus und legt durch ihren doppelbiographischen Ansatz, der Humboldts Frau Caroline fast gleichrangig in den Blick nimmt, den Akzent ebenso sehr auf den Menschen wie auf den Wissenschaftler und Politiker Humboldt.
Zum Vorschein kommt ein Mann, der in heute unvorstellbarer Weise auf sich und seinen privaten Kreis fixiert ist. "Dein Glück ist immer das einzige Ziel meines Lebens gewesen", schreibt er an seine Frau und sieht die enge Beziehung zu ihr für wichtiger an als jedes öffentliche Wirken. Gleich nach der Eheschließung verlässt er den Staatsdienst und bringt den Großteil seines Lebens mit der umfassenden Ausbildung seiner Persönlichkeit und Privatstudien zu, deren Ertrag nicht im geringsten Verhältnis zu dem betriebenen Aufwand steht. Nur in der Hochphase der napoleonischen Wirren, die auch sein Privatvermögen bedrohen, und in den Jahren patriotischen Überschwangs und Reformstrebens begibt er sich für längere Zeit in preußische Dienste.
Absolute Integrität und Prinzipientreue bis hin zur Starrsinnigkeit zeichnen Humboldt aus. Wo er sich in seinen Kompetenzen beschnitten oder in seiner Ehre gekränkt sieht, bittet er um Demission, in keinem Amt außer dem des preußischen Gesandten in Rom hält er es für längere Zeit aus. Zunehmend gerät er nach 1815 mit den erstarkenden restaurativen Kräften in Konflikte und provoziert durch seine Kritik am preußischen Staatswesen und sein Beharren auf Reformen seine Entlassung geradezu. Großartig seine Zurückweisung einer Fortzahlung seiner Bezüge an die höchste Adresse: "Es würde mir ein innerlich peinliches Gefühl sein, eine Besoldung zu genießen, ohne in Ew. Königlichen Majestät allerhöchstem Dienst tätig zu sein."
Seine Frau Caroline entstammt altem thüringischem Adel. Hazel Rosenstrauch zeigt eine selbstbewusste, selbständige Frau, die aktiv um ihren späteren Gatten geworben hat und ihren eigenen Lebenskreis unterhält. Als Mitglied des Berliner "Tugendbundes", zu dem unter anderen Henriette Herz und Karl von La Roche zählten, tritt sie ebenso in Erscheinung wie als Mäzenatin und Muse für Künstlerkreise in Rom. Ihre acht Schwangerschaften sind angesichts der vielfältigen Reisen quer durch Europa eine Lebensleistung für sich. Trotzdem bleibt sie im Vergleich zu ihrem Mann für den Leser weniger greifbar, und auch in puncto Sympathie sind ihre schrillen patriotischen Töne nach 1815 und ihre herben antisemitischen Ausfälle arge Belastungsfaktoren, trotz Rosenstrauchs souveräner Kommentierung.
Die Eheprinzipien dieses vermeintlichen Traumpaares scheinen von erstaunlicher Liberalität gewesen zu sein, jeder ausschließliche Besitzanspruch scheint zu fehlen. Und doch lässt sich nur darüber spekulieren, wie sich die zum Teil handfesten Liebeleien Carolines oder Humboldts bekannte Neigung zum Aufsuchen von Prostituierten, die er vor seiner Gattin sicherlich verborgen hat, auf den Ehealltag ausgewirkt haben oder zu dem idealisch-empfindsamen hohen Stil der Briefe passen. Im Letzten weiß man also trotz der zahllosen erhaltenen Briefe recht wenig über die Beziehung der Humboldts, wozu zensorische Eingriffe Nachgeborener beigetragen haben mögen.
Vieles reißt Hazel Rosenstrauch nur an, oftmals möchte man nachfragen oder etwas genauer wissen. Statt ein Defizit zu benennen, liegt darin aber vielmehr eine Qualität ihrer Darstellung, Rosenstrauch stimuliert die Neugier. Eine Spurensuche im modernen Rom beendet ihr schönes Buch, das durch die stete Balance von Einfühlung und Distanz und eine durchgehende Souveränität des Urteils besticht.
THOMAS MEISSNER
Hazel Rosenstrauch: "Wahlverwandt und ebenbürtig". Caroline und Wilhelm von Humboldt. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 335 S., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die komplexe Persönlichkeit Wilhelm von Humboldts verschwindet oftmals hinter hehren Klischees: Hazel Rosenstrauch möchte es in ihrer klugen Doppelbiographie etwas genauer wissen.
Auch wenn Alexander von Humboldt in den letzten Jahren durch editorische Großprojekte und Daniel Kehlmanns Bestseller "Die Vermessung der Welt" richtiggehend populär wurde, denkt man, zumindest im deutschsprachigen Raum, beim Namen Humboldt wohl noch immer zuerst an seinen Bruder Wilhelm. Seine engen Beziehungen zu den "Klassikern" Schiller und Goethe, seine Bildungsidee und die Geburt eines neuen Universitätsideals unter seiner Federführung dürften dafür verantwortlich sein. Die komplexe Persönlichkeit Humboldts verschwindet hingegen hinter diesen hehren, geradezu zum Klischee erstarrten Begriffen.
Hazel Rosenstrauch lässt nicht viel von ihnen übrig. Dies liegt keineswegs an einem durchgehend dekonstruktivistischen Ansatz, der auf Legendenzertrümmerung aus ist. Vielmehr nähert sie sich Humboldt voller Sympathie und Respekt, immer mit dem Bemühen um Verstehen und gleichzeitigem Staunen über seinen Lebensentwurf. Sie streicht aber doch die Fremdheit und Disparatheit seiner Ideen heraus und legt durch ihren doppelbiographischen Ansatz, der Humboldts Frau Caroline fast gleichrangig in den Blick nimmt, den Akzent ebenso sehr auf den Menschen wie auf den Wissenschaftler und Politiker Humboldt.
Zum Vorschein kommt ein Mann, der in heute unvorstellbarer Weise auf sich und seinen privaten Kreis fixiert ist. "Dein Glück ist immer das einzige Ziel meines Lebens gewesen", schreibt er an seine Frau und sieht die enge Beziehung zu ihr für wichtiger an als jedes öffentliche Wirken. Gleich nach der Eheschließung verlässt er den Staatsdienst und bringt den Großteil seines Lebens mit der umfassenden Ausbildung seiner Persönlichkeit und Privatstudien zu, deren Ertrag nicht im geringsten Verhältnis zu dem betriebenen Aufwand steht. Nur in der Hochphase der napoleonischen Wirren, die auch sein Privatvermögen bedrohen, und in den Jahren patriotischen Überschwangs und Reformstrebens begibt er sich für längere Zeit in preußische Dienste.
Absolute Integrität und Prinzipientreue bis hin zur Starrsinnigkeit zeichnen Humboldt aus. Wo er sich in seinen Kompetenzen beschnitten oder in seiner Ehre gekränkt sieht, bittet er um Demission, in keinem Amt außer dem des preußischen Gesandten in Rom hält er es für längere Zeit aus. Zunehmend gerät er nach 1815 mit den erstarkenden restaurativen Kräften in Konflikte und provoziert durch seine Kritik am preußischen Staatswesen und sein Beharren auf Reformen seine Entlassung geradezu. Großartig seine Zurückweisung einer Fortzahlung seiner Bezüge an die höchste Adresse: "Es würde mir ein innerlich peinliches Gefühl sein, eine Besoldung zu genießen, ohne in Ew. Königlichen Majestät allerhöchstem Dienst tätig zu sein."
Seine Frau Caroline entstammt altem thüringischem Adel. Hazel Rosenstrauch zeigt eine selbstbewusste, selbständige Frau, die aktiv um ihren späteren Gatten geworben hat und ihren eigenen Lebenskreis unterhält. Als Mitglied des Berliner "Tugendbundes", zu dem unter anderen Henriette Herz und Karl von La Roche zählten, tritt sie ebenso in Erscheinung wie als Mäzenatin und Muse für Künstlerkreise in Rom. Ihre acht Schwangerschaften sind angesichts der vielfältigen Reisen quer durch Europa eine Lebensleistung für sich. Trotzdem bleibt sie im Vergleich zu ihrem Mann für den Leser weniger greifbar, und auch in puncto Sympathie sind ihre schrillen patriotischen Töne nach 1815 und ihre herben antisemitischen Ausfälle arge Belastungsfaktoren, trotz Rosenstrauchs souveräner Kommentierung.
Die Eheprinzipien dieses vermeintlichen Traumpaares scheinen von erstaunlicher Liberalität gewesen zu sein, jeder ausschließliche Besitzanspruch scheint zu fehlen. Und doch lässt sich nur darüber spekulieren, wie sich die zum Teil handfesten Liebeleien Carolines oder Humboldts bekannte Neigung zum Aufsuchen von Prostituierten, die er vor seiner Gattin sicherlich verborgen hat, auf den Ehealltag ausgewirkt haben oder zu dem idealisch-empfindsamen hohen Stil der Briefe passen. Im Letzten weiß man also trotz der zahllosen erhaltenen Briefe recht wenig über die Beziehung der Humboldts, wozu zensorische Eingriffe Nachgeborener beigetragen haben mögen.
Vieles reißt Hazel Rosenstrauch nur an, oftmals möchte man nachfragen oder etwas genauer wissen. Statt ein Defizit zu benennen, liegt darin aber vielmehr eine Qualität ihrer Darstellung, Rosenstrauch stimuliert die Neugier. Eine Spurensuche im modernen Rom beendet ihr schönes Buch, das durch die stete Balance von Einfühlung und Distanz und eine durchgehende Souveränität des Urteils besticht.
THOMAS MEISSNER
Hazel Rosenstrauch: "Wahlverwandt und ebenbürtig". Caroline und Wilhelm von Humboldt. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 335 S., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Geradezu ins Schwärmen gerät der Rezensent Gustav Seibt in seiner Beschreibung der überaus modernen, Seitensprünge von beiden und Bordellgänge Wilhelms souverän überlebenden Ehe zwischen Wilhelm Humboldt und seiner Frau Caroline. Fast nicht fasslich findet es Seibt, was dieses Paar so alles geleistet hat: Wilhelm in diplomatischen Diensten, nebenbei Aischylos übersetzend, Sprachtheorien verfassend. Caroline und die sechs Kinder mit dabei, wenn es über den Brenner nach Süden geht. Gereist nämlich wird aus kosmopolitischer Neugier immerzu, was unter den damaligen Bedingungen, so Seibt, alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen sein dürfte. Ein Schatten fällt dann aber doch: die beiden entdecken nach Napoleons Niederlage ihre "Deutschheit", was bei Caroline eine sehr unangenehme antisemitische Wendung nimmt. Das ändert nichts daran, dass der Rezensent von diesem Porträt der beiden begeistert ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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'"Die Kulturwissenschaftlerin Hazel Rosenstrauch ... hat ... mit ihrer Doppelbiografie des Ehepaars Caroline und Wilhelm von Humboldt eine Art Reiseführer in Europas Moderne geschrieben, für Angstlose, abenteuerlich gut, auf geradezu erholsame Weise geistreich, ein sehr politisches Buch, hinreißend gestaltet obendrein. Ein Buch über die Liebe, das den Sinn für geistige und politische Reisefreiheit weckt, für alle, die nicht dauernd bloß lesen." (Elisabeth von Thadden, Die Zeit, 25. Juni 2009)
"Rosenstrauchs Buch (ist) mehr als nur eine Facette im Familienalbum der großen preußischen Dynastie. Es ist eine sorgfältige und beeindruckende Studie über die Welt der Gefühle am Vorabend der Moderne.' (Edelgard Abenstein, Deutschlandradio Kultur, 15. Mai 2009) 'Fast erscheint es unglaublich: dass die Frauen-Gleichberechtigung nach einer Caroline von Humboldt noch derart lange warten musste. Diese Biografie ist gleichzeitig ein fesselndes Porträt der Zeit, in der die Humboldts ... lebten und kräftig mitmischten." (Beatrix Novy, NDR-Kultur, 5. Mai 2009)
"Buch der Woche ... Insgesamt hat Hazel Rosenstrauch in profunder Kenntnis der Materie ein Lebensbild geschrieben, das nicht nur der faszinierenden Personen wegen, denen sie sich widmet, fesselt." (Tilman Krause, Die Welt, 6. Juni 2009)
"Es ist das wichtigste Verdienst der neuen Darstellung von Hazel Rosenstrauch, dass sie dieses (überlieferte) Bild entschlossen modernisiert und dabei die Resultate eines Jahrhunderts der Humboldt-Forschung fürs Publikum nutzt ... So weit kann ein Buch über eine exemplarische Ehe führen, das eigentlich nur einen Wunsch übrig lässt: Man hätte gern noch viel mehr Zitate aus den Quellen darin gelesen." (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 6./7. Juni 2009)
"Rosenstrauchs Buch (ist) mehr als nur eine Facette im Familienalbum der großen preußischen Dynastie. Es ist eine sorgfältige und beeindruckende Studie über die Welt der Gefühle am Vorabend der Moderne.' (Edelgard Abenstein, Deutschlandradio Kultur, 15. Mai 2009) 'Fast erscheint es unglaublich: dass die Frauen-Gleichberechtigung nach einer Caroline von Humboldt noch derart lange warten musste. Diese Biografie ist gleichzeitig ein fesselndes Porträt der Zeit, in der die Humboldts ... lebten und kräftig mitmischten." (Beatrix Novy, NDR-Kultur, 5. Mai 2009)
"Buch der Woche ... Insgesamt hat Hazel Rosenstrauch in profunder Kenntnis der Materie ein Lebensbild geschrieben, das nicht nur der faszinierenden Personen wegen, denen sie sich widmet, fesselt." (Tilman Krause, Die Welt, 6. Juni 2009)
"Es ist das wichtigste Verdienst der neuen Darstellung von Hazel Rosenstrauch, dass sie dieses (überlieferte) Bild entschlossen modernisiert und dabei die Resultate eines Jahrhunderts der Humboldt-Forschung fürs Publikum nutzt ... So weit kann ein Buch über eine exemplarische Ehe führen, das eigentlich nur einen Wunsch übrig lässt: Man hätte gern noch viel mehr Zitate aus den Quellen darin gelesen." (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 6./7. Juni 2009)