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Alles dreht sich um Werte. Sie werden von Politikern herbeizitiert, gerne bekennt man sich zu ihnen - in der Konsumwelt, in der politischen Aktionskunst, beim Wohnen, beim Essen und im Fitnesskult.Wolfgang Ullrich nimmt die Karriere der Werte in verschiedenen Bereichen unter die Lupe. Seine These: Sich zu Werten zu bekennen ist so beliebt, weil es dem Selbstbewusstsein schmeichelt. Man darf sich dann moralisch gut und sogar kreativ fühlen.Ullrich untersucht, wie Werte im Einzelnen in Szene gesetzt werden. Aber er fragt auch, wie sich gesellschaftspolitische Debatten unter diesen Vorzeichen…mehr

Produktbeschreibung
Alles dreht sich um Werte. Sie werden von Politikern herbeizitiert, gerne bekennt man sich zu ihnen - in der Konsumwelt, in der politischen Aktionskunst, beim Wohnen, beim Essen und im Fitnesskult.Wolfgang Ullrich nimmt die Karriere der Werte in verschiedenen Bereichen unter die Lupe. Seine These: Sich zu Werten zu bekennen ist so beliebt, weil es dem Selbstbewusstsein schmeichelt. Man darf sich dann moralisch gut und sogar kreativ fühlen.Ullrich untersucht, wie Werte im Einzelnen in Szene gesetzt werden. Aber er fragt auch, wie sich gesellschaftspolitische Debatten unter diesen Vorzeichen entwickeln. Verkümmert nicht jegliche Streitkultur, wenn jeder individuell damit beschäftigt ist, sich im Namen von Freiheit, Nachhaltigkeit oder Sicherheit zu profilieren? Nicht zuletzt erörtert Ullrich die Rolle politischer Parteien in einer Zeit, in der der Plural an Werten für viele Menschen attraktiver ist als der Singular einer Weltanschauung oder eines Programms.
Autorenporträt
Wolfgang Ullrich, geboren 1967 in München, studierte dort ab 1986 Philosophie, Kunstgeschichte, Logik/Wissenschaftstheorie und Germanistik. 1994 promovierte er mit einer Dissertation über das Spätwerk und Ereignis-Denken Martin Heideggers. Neben Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen war er von 1997-2003 als Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste in München, 2003/04 war er Gastprofessor für Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seine Professur für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, die er seit 2006 innehatte, legte er 2015 nieder. Seither lebt er als freier Autor in Leipzig.Zahlreiche Publikationen, insbesondere zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, über moderne Bildwelten sowie Wohlstandsphänomene.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Wenn das Deo Frieden verspricht

Die große Lust am guten Gewissen: Wolfgang Ullrich widmet sich unserem Hang, mit Konsum Wertebewusstsein zu demonstrieren.

Von Hannah Bethke

Jahre vergehen, Werte bestehen. Schon die schiere Artikulation von Werten stillt das Bedürfnis nach permanenter Selbstvergewisserung. Grundwerte, Leitwerte, Kulturwerte, Verfassungswerte, Bildungswerte und nicht zu vergessen die Wertegemeinschaft - wer nur oft genug über sie redet, hält sie am Leben. Wie häufig die Litanei vom Werteverfall auch schon gesungen worden sein mag: Gegen Werte als solche hat kaum jemand etwas.

Es geht dabei meist nicht um irgendwelche Werte, es geht um "unsere" Werte. Und so muss, wer politische Leerräume füllen will, nur an ebendiese Werte erinnern. Das sagt nichts aus - oder fast nichts - und funktioniert immer. "Ach, die Werte!", seufzte schon vor fast zwanzig Jahren der Erziehungswissenschaftler Hartmut von Hentig und kritisierte die inhaltliche Aushöhlung der allseits geforderten "Werteerziehung".

Weniger in pädagogischer als in konsumkritischer Absicht beklagt nun auch der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich die Omnipräsenz von Wertbekenntnissen. Wer wissen will, wie er darauf kommt, muss sich nicht einmal in die abstrakten Höhen und Tiefen politischer Diskurse begeben. Es reicht, eine Drogerie oder einen Supermarkt aufzusuchen. Ullrich bewegt sich durch das Reich der "wertorientierten Produkte", entdeckt Bio-Tees, die sich "Reinheit", "Ruhe" oder "Kraft" nennen, Deodorants, die "Peace" versprechen, Wohnaccessoires, die für "Happiness" stehen, und Konsumenten, die die Verdinglichung ihres präferierten Wertgefühls auf Instagram inszenieren.

Was die amerikanische Umweltwissenschaftlerin Jennifer Jacquet als "grünen Geltungskonsum" bezeichnet hat, diagnostiziert Ullrich als "Gewissenshedonismus": Den Einkauf im Bio-Supermarkt, den Erwerb von "Dingen aus der guten alten Zeit" beschreibt er dabei als moderne Form des Ablasshandels. Wer Werte vorweisen kann - und das bedeutet im kapitalistischen Smartphone-Zeitalter, sie zu konsumieren und sich vermittelt über sie selbst darzustellen -, gilt als moralisch überlegen. Nicht alles daran findet Ullrich schlecht. Wenn es zur moralischen Bildung der Bürger beiträgt, gibt es für ihn keinen Grund, "die Inszenierung von Werten in der Welt des Konsums abzulehnen". Der Preis allerdings ist eine fast schon seelische Abhängigkeit von den Produkten: Stünde auf einer Teepackung nur noch "Tee" und "nichts von Freundschaft oder Reinheit oder Weltverbesserung", prognostiziert Ullrich Sinn- und Identitätskrisen.

Aber sind das nicht Luxusprobleme? Obwohl der Autor bekennt, sich seines privilegierten Standorts bewusst zu sein, von dem aus er die Wertbekenntnisse analysiert, bleibt er doch darin gefangen. Wenn Ullrich schreibt, dass es für viele Menschen üblich sei, anhand von Konsum- und Ernährungsfragen ihr Verhältnis zur eigenen Umwelt zu reflektieren, übergeht er, dass das nur auf einen geringen Anteil der Bevölkerung zutrifft. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind zum Beispiel gerade einmal vier Prozent der deutschen Bevölkerung Vegetarier. Massenhafte "Lust am guten Gewissen" in Form von bewusstem Konsum sieht anders aus.

Politische Relevanz hat hingegen Ullrichs Feststellung, dass all die begehrten Werte, bei denen es eben nicht mehr auf die inneren ankommt, materiellen Wohlstand voraussetzen: "Den höchsten Moralstatus erlangt, wer die meisten Mittel zur Wertgestaltung zur Verfügung hat." Was also tun, wenn an die Stelle einer kollektiven Werte-Identität eine Front zwischen Moraladel und Moralproletariat tritt? Geht es nach Ullrich, geben Werte zu viel Kredit, als dass wir auf sie verzichten könnten. Um ihr gesellschaftliches Konfliktpotential zu entschärfen, schlägt er vor, sie moralisch abzurüsten und als das zu nehmen, was sie sind: "der Versuch, das eigene Leben ein wenig sinnvoller zu gestalten". Keiner wird gegen dieses Bemühen etwas einzuwenden haben. Aber sagt das wirklich mehr aus als das allgemeine Reden über die Werte, deren fehlenden Inhalt Ullrich selbst bemängelt? Fast ist es so, als erläge der Autor auf der Spurensuche nach den "Meisterwerten" am Ende selbst ihrem Zauber.

Wolfgang Ullrich: "Wahre Meisterwerte". Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur.

Wagenbach Verlag, Berlin 2017.

176 S., Abb., br., 18,- [Euro].

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